BAG Urteil v. - 6 AZR 533/18

TV UmBw - Altersrente - Benachteiligung wegen Behinderung

Leitsatz

Der in § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw vorgesehene Anspruchsausschluss ist unwirksam, soweit er bei schwerbehinderten Beschäftigten die Ausgleichszahlung gemäß § 11 TV UmBw bereits ab dem Zeitpunkt entfallen lässt, ab dem diese vor Erreichen der Regelaltersgrenze die Möglichkeit zum Bezug einer ungekürzten Altersrente (§§ 37, 236a SGB VI) haben. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw benachteiligt schwerbehinderte Menschen wegen ihrer Schwerbehinderung.

Gesetze: § 37 SGB 6, § 236a SGB 6, § 164 Abs 2 SGB 9 2018, § 7 Abs 1 AGG, § 7 Abs 2 AGG, § 2 Abs 1 Nr 2 AGG, Art 157 Abs 2 AEUV, § 1 TVG, § 3 Abs 2 AGG

Instanzenzug: Az: 7 Ca 1320/17 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 8 Sa 26/18 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über einen Anspruch der beklagten Arbeitnehmerin auf eine Ausgleichszahlung nach dem Tarifvertrag über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr vom (TV UmBw). Die Klägerin begehrt insoweit die Rückzahlung der in den Monaten September 2013 bis August 2015 geleisteten Beträge.

2Die am geborene Beklagte war bei der Klägerin seit dem als Tarifbeschäftigte im Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung tätig. In einem Zusatzvertrag zum Arbeitsvertrag vereinbarten die Parteien unter anderem die Anwendung der Härtefallregelung gemäß § 11 TV UmBw ab dem unter Verzicht auf die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung (sog. Ruhensregelung). Der TV UmBw in der im Streitzeitraum maßgeblichen Fassung des 3. Änderungstarifvertrags vom lautet auszugsweise wie folgt:

3Ab wurde bei der Beklagten ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Antragsgemäß bezieht sie seit dem eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 1.621,18 Euro monatlich.

4Die Klägerin leistete in Anwendung der vereinbarten Ruhensregelung auch im Zeitraum September 2013 bis August 2015 noch Ausgleichszahlungen von insgesamt 73.103,10 Euro. Sie forderte die Beklagte zunächst schriftlich zu deren Rückzahlung auf und verfolgt diesen Anspruch nach Überleitung des Mahnverfahrens in das streitige Verfahren und Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht Koblenz im Klageverfahren weiter.

5Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe die Ausgleichszahlung seit September 2013 ohne Rechtsgrund geleistet. Hierzu behauptet sie, gestützt auf eine am erteilte Auskunft des Rentenversicherungsträgers, die Beklagte habe bereits seit dem eine ungekürzte Altersrente für schwerbehinderte Menschen beziehen können. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw sei wirksam. Die Tarifnorm benachteilige die Beklagte nicht mittelbar wegen ihrer Behinderung, indem sie ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt des Bezugs einer ungekürzten Vollrente wegen Alters den Anspruch auf die Ausgleichszahlung entfallen lasse. Die Norm wirke sich auf behinderte und nicht behinderte Beschäftigte in gleicher Weise aus. Andere Versichertengruppen seien von dem Anspruchsentfall ebenfalls betroffen. Daher liege keine Benachteiligung in besonderer Weise vor. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (- C-312/17 - [Bedi]) zur Benachteiligung behinderter Menschen aufgrund des früher möglichen Bezugs einer ungekürzten Altersrente im Zusammenhang mit der Zahlung einer Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom (TV SozSich) sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Der TV UmBw sehe anders als der TV SozSich die Möglichkeit einer anderweitigen Erwerbstätigkeit während des Leistungsbezugs nicht vor.

6Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie sieht sich als behinderter Mensch durch den TV UmBw aufgrund des für nicht behinderte Menschen möglichen längeren Leistungsbezugs benachteiligt.

8Die Vorinstanzen habe die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren unverändert weiter.

Gründe

9Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin kann von der Beklagten nicht nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB die Rückzahlung der vom bis zum geleisteten Ausgleichszahlungen beanspruchen. Sie hat diese Leistungen mit Rechtsgrund erbracht. Der in § 11 Abs. 9 Buchst. b iVm. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw für den Fall des möglichen Bezugs einer ungekürzten Vollrente wegen Alters vorgesehene Anspruchsentfall diskriminiert die Beklagte wegen ihrer Behinderung. Er ist jedenfalls insoweit unwirksam (§ 164 Abs. 2 SGB IX, § 7 Abs. 2 iVm. Abs. 1 AGG).

10I. Die Parteien haben in dem Zusatzvertrag zum Arbeitsvertrag die Anwendung der Härtefallregelung gemäß § 11 TV UmBw ab dem vereinbart, was das Ruhen der Arbeitspflicht der Beklagten zur Folge hatte. Die Klägerin hat statt des Arbeitsentgelts Ausgleichszahlungen geleistet. Nach § 11 Abs. 9 Buchst. b iVm. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw enden diese mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Kalendermonat, in dem die/der Beschäftigte die Voraussetzungen nach dem SGB VI für den Bezug einer ungekürzten Vollrente wegen Alters erfüllt.

11Es kann vorliegend offenbleiben, ob die am geborene Beklagte tatsächlich ab dem nach § 236a Abs. 2 SGB VI eine ungekürzte Altersrente für schwerbehinderte Menschen hätte beziehen können. Das ist im Hinblick auf die Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren streitig geblieben.

12II. Auch wenn man die Rentenberechtigung der Beklagten zu Gunsten der Klägerin unterstellt, wäre der Anspruch auf die Ausgleichszahlungen nicht nach § 11 Abs. 9 Buchst. b iVm. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw ab dem entfallen. Diese Regelung war gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in der bis zum geltenden Fassung (nunmehr § 164 Abs. 2 SGB IX), § 7 Abs. 2 iVm. Abs. 1 AGG unwirksam, soweit sie für die Beklagte wegen ihrer Behinderung zu einer gegenüber nicht behinderten Menschen zwei Jahre kürzeren Bezugszeit der Ausgleichszahlungen führte. In der Folge bestand der Anspruch für die Beklagte bis zu dem Zeitpunkt, bis zu dem eine vergleichbare nicht behinderte Arbeitnehmerin die Ausgleichszahlung hätte beziehen können, dh. vorliegend jedenfalls bis zum Ende des Streitzeitraums am .

131. Gemäß § 7 Abs. 2 AGG sind Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, unwirksam. Darunter fallen auch tarifliche Regelungen ( - Rn. 21 mwN, BAGE 155, 88; vgl. auch  - [Odar] Rn. 34 mwN). § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG untersagt unmittelbare sowie mittelbare Benachteiligungen iSd. § 3 AGG wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, unter anderem wegen einer Behinderung. Dabei erstreckt sich der Anwendungsbereich des Benachteiligungsverbots gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG auf Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt, insbesondere in kollektivrechtlichen Vereinbarungen bei der Durchführung eines Beschäftigungsverhältnisses. Im Hinblick auf schwerbehinderte Beschäftigte enthält zudem § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX (bis zum § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) ein an den Arbeitgeber gerichtetes Benachteiligungsverbot. Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des AGG (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX).

14a) Bei der Ausgleichszahlung gemäß § 11 TV UmBw handelt es sich um Arbeitsentgelt iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG.

15aa) Der Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne der Legaldefinition in Art. 157 Abs. 2 AEUV umfasst insbesondere alle gegenwärtigen oder künftigen in bar oder in Sachleistungen gewährten Vergütungen, vorausgesetzt, dass der Arbeitgeber sie dem Arbeitnehmer wenigstens mittelbar aufgrund des Arbeitsverhältnisses gewährt, sei es aufgrund eines Arbeitsvertrags, aufgrund von Rechtsvorschriften oder freiwillig ( - [Bedi] Rn. 33 mwN). Das Arbeitsentgelt ist abzugrenzen von Leistungen der Systeme der Sozialversicherung und des sozialen Schutzes, die weder in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG (vgl. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 3 Richtlinie 2000/78/EG;  - [Bedi] Rn. 30) noch des AGG fallen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 AGG).

16bb) Danach sind Ausgleichszahlungen gemäß § 11 TV UmBw Arbeitsentgelt iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG, Art. 157 Abs. 2 AEUV. Es handelt sich um eine gegenwärtig in bar gewährte Vergütung, die die Klägerin „statt des Entgelts“ (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2 TV UmBw) leistet. Dass dies im Rahmen einer Ruhensregelung erfolgt, aufgrund derer die Klägerin auf die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung verzichtet, steht dem nicht entgegen. Die Ausgleichszahlung dient der Sicherung des Besitzstands der Beschäftigten, wenn aufgrund einer Maßnahme der Neuausrichtung der Bundeswehr der Arbeitsplatz der Beschäftigten wegfällt ( - Rn. 17 mwN). Zu den als „Entgelt“ qualifizierten Vergütungen gehören gerade diejenigen vom Arbeitgeber aufgrund bestehender Arbeitsverhältnisse gezahlten Vergünstigungen, die den Arbeitnehmern ein Einkommen sichern sollen, selbst wenn sie in besonderen Fällen keine in ihrem Arbeitsvertrag vorgesehene Tätigkeit ausüben ( - [Bedi] Rn. 34).

17Hinzu kommt, dass sich die Ausgleichszahlung nach den Bedingungen des zwischen den Parteien weiterhin bestehenden Arbeitsverhältnisses bestimmt, in seiner Höhe an die allgemeine Entwicklung des Entgelts gekoppelt ist und anhand des während der aktiven Zeit zuletzt gezahlten Einkommens berechnet wird (vgl. § 11 Abs. 2 TV UmBw). Sie hat damit Entgeltersatzfunktion.

18b) § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw bewirkt keine unmittelbare Diskriminierung iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG (vgl. hierzu  - [Ingeniørforeningen/Danmark] Rn. 23;  - Rn. 21; - 6 AZR 365/15 - Rn. 23, BAGE 155, 88) wegen einer Behinderung. Die Tarifnorm knüpft - worauf die Revision zu Recht hinweist - nicht unmittelbar an die Behinderteneigenschaft, sondern an die Voraussetzungen nach dem SGB VI für den möglichen Bezug einer ungekürzten Vollrente wegen Alters an. Anspruch auf eine solche Rente haben - unter bestimmten Voraussetzungen - aber sowohl schwerbehinderte Menschen als auch andere Versichertengruppen (vgl. zu § 8 Ziff. 1 Buchst. c Alt. 1 TV SozSich  - Rn. 8, BAGE 139, 226). So erhalten zB besonders langjährig Versicherte gemäß §§ 38, 236b Abs. 1 SGB VI eine ungekürzte Rente mit 63 Jahren, wobei dieses Alter nach Maßgabe der Staffelung in § 236b Abs. 2 Satz 2 SGB VI auf 65 Jahre ansteigt. Ebenso wenig betrifft § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw ausschließlich Träger von Diskriminierungsmerkmalen oder steht in untrennbarem Zusammenhang mit einem der Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG.

19c) § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw diskriminiert die Beklagte entgegen der Annahme der Revision jedoch mittelbar iSd. § 3 Abs. 2 AGG wegen ihrer Behinderung.

20aa) Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Das Verbot der mittelbaren Benachteiligung ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes und setzt daher voraus, dass die benachteiligten und die begünstigten Personen miteinander vergleichbar sind ( - Rn. 39, BAGE 155, 88; - 6 AZR 526/09 - Rn. 33, BAGE 137, 80).

21bb) Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

22(1) Die Beklagte befindet sich mit den nicht behinderten Arbeitnehmern, die ebenfalls die Anwendung der Ruhensregelung nach § 11 TV UmBw vereinbaren und auf dieser Grundlage bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Ausgleichszahlungen erhalten, in einer vergleichbaren Situation. Die in § 11 TV UmBw vorgesehene Ausgleichszahlung soll für die Betroffenen den Besitzstand unter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu veränderten Bedingungen wahren (vgl.  - Rn. 23; - 6 AZR 462/10 - Rn. 17 mwN). Dieser Regelungszweck bedingt es, die Vergleichbarkeit retrospektiv, dh. bezogen auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Ruhensregelung, zu beurteilen. Sowohl bei den behinderten als auch den nicht behinderten Beschäftigten setzt der einvernehmliche Abschluss einer Ruhensregelung nach § 11 TV UmBw voraus, dass der Arbeitsplatz aufgrund einer Maßnahme nach § 1 Abs. 1 TV UmBw weggefallen ist, ohne dass ein gleichwertiger Arbeitsplatz nach § 3 TV UmBw angeboten werden konnte. Vor diesem Hintergrund befinden sich Beschäftigte, die entweder schon bei Abschluss der Ruhensregelung behinderte Menschen sind oder bei denen wie im Fall der Beklagten während des Anspruchszeitraums eine Behinderung eintritt, in Bezug auf den Wegfall des Arbeitsplatzes und ihren Besitzstand in einer vergleichbaren Situation wie nicht behinderte Beschäftigte (vgl. für den Fall einer Vorruhestandsvereinbarung  - Rn. 28). Ebenso wie diese verlieren sie ihren bisherigen Arbeitsplatz. Und ebenso wie bei diesen tritt an die Stelle des bislang gewährten Arbeitsentgelts die Ausgleichszahlung. Insoweit lassen sich die Überlegungen, die den Senat im Fall der rechtlich anders ausgestalteten Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich, bei der es sich der Sache nach um eine Abfindung handelt (Husemann Anm. EuZA 2019, 375, 376), dazu bewogen haben, auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rentenberechtigung abzustellen ( - Rn. 11, BAGE 139, 226; vgl. dazu  - [Bedi] Rn. 56; - C-152/11 - [Odar] Rn. 62), auf den vorliegenden Fall nicht übertragen.

23(2) § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw führt zu einer mittelbaren Benachteiligung der schwerbehinderten Beschäftigten gegenüber nicht behinderten Beschäftigten. Erstere erwerben gemäß §§ 37, 236a SGB VI bis zu zwei Jahre eher Anspruch auf eine ungekürzte Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Das hat gemäß § 11 Abs. 9 Buchst. b iVm. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw die frühere Beendigung der Zahlung nach § 11 TV UmBw zur Folge. Behinderte mit Anspruch auf eine Altersrente für Schwerbehinderte erhalten die Ausgleichszahlung daher für einen um bis zu zwei Jahre kürzeren Zeitraum als gleichaltrige nicht behinderte Beschäftigte, die Altersrente erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze beziehen können. Dadurch wird die Gruppe der nicht schwerbehinderten Beschäftigten typischerweise finanziell bessergestellt als die Gruppe der Schwerbehinderten. Der Betrag der Ausgleichszahlung liegt - wie auch im Fall der Beklagten - in der Regel deutlich über dem Betrag der Altersrente. Der schwerbehinderte Beschäftigte erhält aufgrund seiner Behinderung im Ergebnis weniger Geld.

24Diesen Nachteil können die betroffenen Beschäftigten nicht dadurch vermeiden, dass sie keinen Rentenantrag stellen. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw führt bereits bei der bloßen Berechtigung, ungekürzte Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu erhalten, automatisch zur Einstellung der Ausgleichszahlung. Eine solche Automatik gibt es bei nicht behinderten Beschäftigten erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze (im Fall der Beklagten zum statt bereits zum ). Beschäftigte, die Anspruch auf Altersrente für Schwerbehinderte haben oder während des Laufs der Ruhensregelung erwerben, können nach Abschluss der Ruhensvereinbarung darum nicht verhindern, dass die Ausgleichszahlung mit Erwerb der Rentenberechtigung vorzeitig endet. Ihnen erwächst ein finanzieller Nachteil, obwohl sie auf die vom Gesetzgeber beabsichtigte sozialversicherungsrechtliche Bevorzugung (zutreffend Husemann Anm. EuZA 2019, 375) verzichten. Anders als nicht behinderten Beschäftigten wird diesem Personenkreis die Chance genommen, das ruhende Arbeitsverhältnis unter Beibehaltung der Ausgleichszahlung fortzusetzen. Aus dem beabsichtigten sozialversicherungsrechtlichen Vorteil wird eine Leistungsbegrenzung des Anspruchs auf die Ausgleichszahlung. Die gesetzlich eröffnete Wahlmöglichkeit wird damit konterkariert und dem schwerbehinderten Beschäftigten faktisch genommen. Darin liegt der Nachteil iSd. § 3 Abs. 2 AGG (vgl.  - [Bedi] Rn. 51 ff.; Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston - C-312/17 - [Bedi] Rn. 33; Husemann Anm. EuZA 2019, 375, 380 f.). Dieser Nachteil trifft schwerbehinderte Menschen im Vergleich zu anderen Beschäftigtengruppen, die vorzeitig ungekürzte Altersrente in Anspruch nehmen können, auch überdurchschnittlich hart (vgl.  - [Bedi] Rn. 75).

25(3) Die Benachteiligung ist auch nicht nach § 3 Abs. 2 AGG gerechtfertigt.

26(a) Die Mitgliedstaaten und gegebenenfalls die Sozialpartner verfügen auf nationaler Ebene beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nicht nur bei der Entscheidung, welches konkrete Ziel von mehreren im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik sie verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der Maßnahmen zu seiner Erreichung über einen weiten Ermessensspielraum ( - [Bedi] Rn. 59 mwN). Auch unter Beachtung dieses Spielraums diskriminiert § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw Beschäftigte, die Anspruch auf eine ungekürzte Altersrente wegen Schwerbehinderung haben.

27(b) Die Ausgleichszahlung nach § 11 TV UmBw hat, wie ausgeführt, Entgeltersatzfunktion und soll, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend annimmt, den Lebensunterhalt von Arbeitnehmern gewährleisten und damit den im aktiven Arbeitsverhältnis erdienten Besitzstand für die Dauer des ruhenden Arbeitsverhältnisses sichern. Die Gewährung eines Ausgleichs für die Zukunft an die vom Arbeitsplatzwegfall betroffenen Arbeitnehmer, die zugleich der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel Rechnung trägt, stellen rechtmäßige Ziele iSd. § 3 Abs. 2 AGG dar. Sie sind an sich geeignet, eine Ungleichbehandlung wegen der Behinderung sachlich zu rechtfertigen (vgl.  - [Bedi] Rn. 61 f.; - C-152/11 - [Odar] Rn. 42 ff.).

28(c) Eine Regelung ist nur dann geeignet, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, das verfolgte Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen ( - [Hartlauer] Rn. 55;  - Rn. 19, BAGE 139, 226). Die Einstellung der Ausgleichszahlung an Arbeitnehmer, die ungekürzte Altersrente wegen Schwerbehinderung beziehen können, wird jedoch dem Zweck des § 11 TV UmBw nicht in kohärenter Weise gerecht. Vielmehr besteht ein Widerspruch zwischen dem Regelungszweck der Ausgleichszahlung und dem Inhalt der Ausschlussregelung des § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw. Wie ausgeführt, soll die Zahlung den im aktiven Arbeitsverhältnis erdienten Besitzstand für die Dauer des ruhenden Arbeitsverhältnisses sichern. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw beendet das Arbeitsverhältnis jedoch nicht, sondern lässt nur den Anspruch auf Ausgleichszahlung im weiter fortbestehenden ruhenden Arbeitsverhältnis erlöschen. Das Bedürfnis zur Sicherung des Besitzstands in diesem Arbeitsverhältnis besteht damit fort. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw konterkariert damit den Zweck des § 11 TV UmBw, den Lebensunterhalt für die Dauer des ruhenden Arbeitsverhältnisses zu sichern. Zudem hängt der erdiente Besitzstand nicht davon ab, ob der Beschäftigte schwerbehindert ist und deshalb vorzeitig ungekürzte Altersrente in Anspruch nehmen kann. Dieser Besitzstand ist vielmehr unabhängig von einer etwaigen Schwerbehinderung.

292. Da § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstößt, ist er nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Die Tarifnorm ist im Fall eines Arbeitnehmers, der - wie die Beklagte - die Voraussetzungen für den Bezug einer ungekürzten Altersrente für schwerbehinderte Menschen erfüllt, nicht anzuwenden. Aus diesem Grund hat die Beklagte die Ausgleichszahlungen, die sie als nicht behinderter Mensch im Zeitraum von September 2013 bis August 2015 unstreitig zu Recht hätte beziehen können, auch als schwerbehinderter Mensch mit Rechtsgrund bezogen. Ein Rückforderungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB besteht nicht.

303. Aufgrund des Vorstehenden kann offenbleiben, ob der Rückforderungsanspruch der Klägerin nach § 37 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) - Allgemeiner Teil - (teilweise) verfallen oder nach § 242 BGB verwirkt ist bzw. ob sich die Beklagte erfolgreich auf eine Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB berufen kann.

31III. Der Senat braucht in der vorliegenden Konstellation nicht zu entscheiden, ob er zur Wahrung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) verpflichtet ist, § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw insgesamt die Durchsetzung zu verweigern, weil sich auch der Anspruchsausschluss weiterer Versichertengruppen wie beispielsweise der besonders langjährig Versicherten, die ebenfalls vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine ungekürzte gesetzliche Altersrente beanspruchen können, als systemwidrig darstellt und deshalb das von den Tarifvertragsparteien verfolgte tarifliche Regelungskonzept insgesamt nicht mehr trägt, oder ob die Regelung unter Berücksichtigung des Grundrechts der Tarifvertragsparteien aus Art. 9 Abs. 3 GG insoweit Bestand hat.

32IV. Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:050919.U.6AZR533.18.0

Fundstelle(n):
BB 2020 S. 435 Nr. 8
VAAAH-41513