StuB Nr. 3 vom Seite 1

Aktive latente Steuern: Ansatzwahlrecht oder -pflicht?

PD Dr. Andreas Haaker, CIIA, CEFA | Berlin

Das nach § 274 Abs. 1 HGB bestehende Ansatzwahlrecht für den Überhang an aktiven latenten Steuern kann gem. § 298 HGB an den Konzernabschluss „durchgereicht“ werden, während nach § 306 HGB eine Aktivierungspflicht besteht. In der Bilanzwelt von gestern gab es keine Aktivierung von latenten Steuern. Warum wurde sie eingeführt? Laut Begründung des Bilanzrichtliniengesetzes sollte Unternehmen, welche sich für die Passivierung von steuerlich nicht anerkannten Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 2 HGB a. F. (z. B. für Serienwechsel in der Automobilindustrie) entschieden, nach § 274 HGB die Möglichkeit eingeräumt werden, den betreffenden Steueraufwand abzugrenzen (vgl. Biener/Berneke, Bilanzrichtlinien-Gesetz, Düsseldorf 1986, S. 206). Die Mehrzahl der Unternehmen war daran jedoch „überhaupt nicht interessiert“ (S. 204). Der „§ 274 ist auf den Konzernabschluß entsprechend anzuwenden, weil die Konzernunternehmen und nicht der Konzern Steuerschuldner ist“ (S. 353). Hiervon unterscheidet sich die Steuerabgrenzung nach § 306 HGB, soweit sie eine aus Sicht des Konzernergebnisses zu hohe Gesamtbelastung korrigiert (S. 353 f.). Insofern kann die derzeitige Rechtslage wegen der konzeptionellen Unterschiede der jeweiligen Steuerlatenzen auch im Lichte des Einheitsgrundsatzes gerechtfertigt werden. Demgegenüber hält der DRSC „eine unterschiedliche Behandlung von aktiven latenten Steuern im Konzernabschluss in Abhängigkeit von deren Entstehung – Aktivierungswahlrecht nach § 274 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit § 298 Abs. 1 HGB vs. Aktivierungspflicht nach § 306 HGB – systematisch für nicht gerechtfertigt. Die Verankerung eines Ansatzwahlrechts für aktive latente Steuern an Stelle einer Aktivierungspflicht erfolgte durch den Gesetzgeber, im Rahmen der Einführung von § 274 HGB durch das BilMoG, hauptsächlich aus Kosten-Nutzen-Erwägungen.“ Dennoch sei eine „unterschiedliche Behandlung von aktiven latenten Steuern im Konzernabschluss [...] nicht mit dem Einheitsgrundsatzes“ vereinbar (E-DRÄS 11, S. 2).

Aus § 274 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit § 298 Abs. 1 HGB ergibt sich eindeutig, dass auch für den handelsrechtlichen Konzernabschluss ein nicht durch DRS 18 aufhebbares Aktivierungswahlrecht für die sich aus § 274 HGB ergebenden Steuerlatenzen besteht. Eine Aktivierungspflicht kann nach dem Gesetzeswortlaut sowie dem auch auf den Konzernabschluss zu übertragenden Vereinfachungszweck lediglich für die allein auf Grundlage des § 306 HGB zu aktivierenden Steuerlatenzen bestehen. Nach § 298 HGB ist also der § 274 HGB, in dem das Wahlrecht für den Jahresabschluss kodifiziert wird, auf den Konzernabschluss entsprechend anzuwenden. Diese Übertragung des Wahlrechts auf den Konzernabschluss ist nicht nur unter Kosten-Nutzen-Aspekten notwendig. Vielmehr erweist sich der Informationsnutzen einer Aktivierung ungewisser Steuervorteile (insbesondere solcher aus Verlustvorträgen) als höchst fraglich, weshalb dem Mutterunternehmen im Interesse der Adressaten zumindest die Möglichkeit eingeräumt bleiben muss, auch im Konzernabschluss auf den Ausweis der betreffenden aktiven latenten Steuern zu verzichten. Ein generelles Verbot der Aktivierung in Jahres- und Konzernabschluss wäre gewiss die bessere Lösung. Keinesfalls dürfte die geltende Rechtslage zugunsten einer generellen Aktivierungspflicht im Konzernabschluss (mit drohender Ausstrahlung auf den Jahresabschluss!) geändert werden. Zu bevorzugen wäre es, wenn auch für die in den Anwendungsbereich des § 306 HGB fallenden aktiven latenten Steuern analog zu § 274 HGB ein Wahlrecht bestehen würde. Das könnte durch Streichung des § 306 HGB erreicht werden.

Andreas Haaker

Fundstelle(n):
StuB 3/2020 Seite 1
NWB CAAAH-41220