BGH Beschluss v. - II ZR 451/18

Erforderlichkeit eines richterlichen Hinweises bei Aufgabe einer früher vertretenen Rechtsauffassung

Leitsatz

Ein richterlicher Hinweis darauf, dass das Gericht an einer entscheidungserheblichen Rechtsauffassung nicht mehr festhalten will, kann auch dann geboten sein, wenn das Gericht diese Rechtsauffassung in einem früher zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit vertreten hat und eine Partei in einem weiteren zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit, für das Gericht erkennbar, davon ausgeht, dass das Gericht auch in diesem Verfahren keine abweichende Auffassung vertreten werde.

Gesetze: § 139 Abs 2 ZPO, § 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Saarländisches Az: 1 U 163/17vorgehend Az: 16 O 144/15

Gründe

1I. Der Beklagte war mit einem Gesellschaftsanteil von 95 % Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der im Jahr 1993 gegründeten W.      GbR. Deren Gegenstand war u.a. die Verwaltung und Nutzung einer Immobilie, die zum Betrieb einer Altenwohnanlage vermietet ist. Weitere Gesellschafterin der GbR mit einem Gesellschaftsanteil von 5 % war die Klägerin, eine GmbH, die am wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht wurde. Mit Beschluss des Amtsgerichts C.          vom wurde die Nachtragsliquidation angeordnet. Mit weiterem Beschluss vom wurde der Wirkungskreis des Nachtragsliquidators auf die Wahrnehmung der Rechte aus der Beteiligung der Klägerin an der GbR erweitert.

2Nach § 9 des Gesellschaftsvertrags der GbR (im Folgenden: GV) war der Beklagte verpflichtet, zum Abschluss eines jeden Geschäftsjahres eine Abrechnung des Überschusses und Ermittlung des Vermögens der Gesellschaft sowie der Vermögensanteile der Gesellschafter vorzunehmen.

3Das Landgericht hat eine auf diese Regelung gestützte, auf Auskunft gerichtete Klage wegen Verjährung abgewiesen. Das Berufungsgericht hat nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils der Klage überwiegend stattgegeben und den Beklagten verurteilt, über die Überschüsse der W.      GbR in den Jahren 1996 bis 2014 Auskunft zu erteilen durch Vorlage der entsprechenden Einnahme- /Überschussrechnungen nebst Buchungsunterlagen und Rechnungsbelege über Einnahmen und Ausgaben sowie durch Vorlage der zugunsten nach § 9 des Gesellschaftsvertrags vom zu erstellenden Abrechnungen der Vermögensanteile der Gesellschafter.

4II. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung unter anderem ausgeführt:

5Der Durchsetzbarkeit des der Klägerin zustehenden Anspruchs aus §§ 721, 666 BGB stehe nicht die von dem Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe die Löschung der Klägerin im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit am nicht analog § 13 GV zu ihrem Ausscheiden aus der GbR geführt. Soweit der Beklagte im nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen, nicht nachgelassenen Schriftsatz vom erstmals vorgetragen habe, dass die Klägerin selbst mit Schreiben ihres damaligen Geschäftsführers vom den Gesellschaftsvertrag der W.       GbR zum gekündigt habe, sei sein Vortrag gemäß § 296a ZPO nicht mehr zu berücksichtigen.

6III. Die Beschwerde der Beklagten hat Erfolg, soweit der Beklagte auf die Berufung der Klägerin hin verurteilt wurde, und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht ist seiner Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO nicht nachgekommen und hat dadurch den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO).

71. Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör. Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen hat, darf das Gericht nach § 139 Abs. 2 ZPO seine Entscheidung nur stützen, wenn es auf diesen hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Eine Partei übersieht einen Gesichtspunkt auch dann, wenn das Gericht bei ihr etwa durch einen gerichtlichen Hinweis den Eindruck erweckt hat, eine bestimmte Rechtsauffassung zu vertreten und hieran bei seiner Entscheidung nicht mehr festhalten will. In diesem Fall ist ein Hinweis auf die geänderte Auffassung erforderlich (vgl. , NJW 2002, 3317, 3320; Beschluss vom - VI ZR 530/12, NJW 2014, 2796 Rn. 5; Beschluss vom - V ZR 235/16, juris Rn. 6; Beschluss vom - VI ZR 116/16, MDR 2017, 355; BVerfG, NJW 1996, 3202). Ein richterlicher Hinweis darauf, dass das Gericht an einer entscheidungserheblichen Rechtsauffassung nicht mehr festhalten will, kann auch dann geboten sein, wenn das Gericht diese Rechtsauffassung in einem früher zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit vertreten hat und eine Partei in einem weiteren zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit, für das Gericht erkennbar, davon ausgeht, dass das Gericht auch in diesem Verfahren keine abweichende Auffassung vertreten werde.

8Ein danach erforderlicher Hinweis ist nach § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO so früh wie möglich zu erteilen, das heißt so rechtzeitig, dass darauf noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagiert werden kann (, WM 2006, 2328 Rn. 4; Beschluss vom - V ZR 151/12, NJW-RR 2014, 177 Rn. 8; Beschluss vom - V ZR 276/18, juris Rn. 5). Erteilt das Gericht entgegen § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO den Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Kann eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, darf die mündliche Verhandlung nicht ohne weiteres geschlossen werden. Vielmehr muss das Gericht die mündliche Verhandlung dann vertagen, soweit dies im Einzelfall sachgerecht erscheint, ins schriftliche Verfahren übergehen oder, wenn von der betroffenen Partei nach § 139 Abs. 5 ZPO beantragt, einen Schriftsatznachlass gewähren (, WM 2006, 2328 Rn. 4; Beschluss vom - V ZR 276/18, juris Rn. 5). Unterlässt das Gericht die derart gebotenen prozessualen Reaktionen und erkennt es sodann aus einem nicht nachgelassenen Schriftsatz, dass die betroffene Partei sich in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend hat erklären können, ist es gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet (, WM 2006, 2328 Rn. 4; Beschluss vom - V ZR 151/12, NJW-RR 2014, 177 Rn. 12). Dies gilt auch dann, wenn die Partei einen Antrag nach § 139 Abs. 5 ZPO nicht gestellt hat (, WM 2006, 2328 Rn. 6; Beschluss vom - V ZR 151/12, NJW-RR 2014, 177 Rn. 13; Urteil vom - V ZR 43/12, MDR 2014, 47 Rn. 15; Beschluss vom - V ZR 276/18, juris Rn. 5).

92. Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

10a) Die Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg, weil das Landgericht von einem Ausscheiden der Klägerin aus der Gesellschaft in Folge der Amtslöschung wegen Vermögenslosigkeit im Jahr 2005 sowie einem auf diesen Zeitpunkt bezogenen Abfindungsanspruch der Klägerin ausgegangen ist und die insoweit verbleibenden, auf diesen Abfindungsanspruch bezogenen Auskunftsansprüche der Klägerin als verjährt angesehen hat. In einem Parallelverfahren zwischen den Parteien vor demselben Senat in derselben Besetzung hat das Berufungsgericht während des vorliegenden Berufungsverfahrens diese Auffassung des Landgerichts, wenn auch dort nicht entscheidungstragend, in seinem Urteil vom geteilt. Der Beklagte hat im vorliegenden Verfahren um Verlängerung der Frist zur Berufungserwiderung gebeten, um die Entscheidungsgründe des Urteils aus dem Parallelverfahren noch einfließen zu lassen. In seiner am eingegangenen Berufungserwiderung hat der Beklagte auf die Entscheidung in dem Parallelverfahren verwiesen und ausgeführt, dass das Berufungsgericht dort die Rechtsauffassung der Vorinstanz bestätigt habe, wonach die GbR nach der Löschung von Amts wegen gemäß § 141a FGG aufgrund analoger Anwendung der Regelungen im Gesellschaftsvertrag bereits im Jahre 2005 beendet worden sei. Es war somit offensichtlich, dass der Beklagte davon ausging, das Berufungsgericht werde auch im vorliegenden Verfahren keine abweichende Auffassung vertreten. Der erstmals in der mündlichen Verhandlung vom erteilte Hinweis, dass das Gericht von einem Ausscheiden der Klägerin aus der GbR frühestens zum Dezember 2014 ausgehe und ein Ausscheiden bereits mit der Löschung der Klägerin wegen Vermögenslosigkeit nicht in Betracht komme, kam für den Beklagten danach überraschend und im Hinblick auf die Vorgabe des § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO zu spät.

11Eine sofortige Äußerung auf die entgegen dem Landgericht und entgegen der bisher vom Berufungsgericht vertretenen, nunmehr geänderten Auffassung konnte nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, schon weil der Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht persönlich anwesend war. Sein persönliches Erscheinen war auch nicht angeordnet worden. Bei dieser Sachlage war das Berufungsgericht auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz des Beklagten vom gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet, durfte nicht ohne weitere Begründung an dem Verkündungstermin vom festhalten und lediglich unter Verweis auf § 296a ZPO das im Schriftsatz enthaltene Vorbringen unberücksichtigt lassen. Bei einer solchen Verfahrensweise war der Hinweis in der mündlichen Verhandlung sinnlos und verfehlte den mit der gerichtlichen Hinweispflicht und dem Verbot von Überraschungsentscheidungen verfolgten Zweck (vgl. , NJW-RR 2007, 17 Rn. 4).

12b) Die Gehörsverletzung ist nach der maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts erheblich. Der Beklagte hat in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz unter Vorlage eines entsprechenden Schreibens vom vorgetragen, die Klägerin habe die GbR bereits zum gekündigt und der Beklagte habe fristgerecht von seinem Fortsetzungsrecht Gebrauch gemacht. Nachdem das Berufungsgericht die Verjährung der Ansprüche der Klägerin aufgrund ihrer Löschung am geprüft und nur deshalb verneint hat, weil es nicht von einer Vollbeendigung der Klägerin und aus diesem Grund nicht von einem Ausscheiden der Klägerin aus der GbR ausgegangen ist, ist der Vortrag, die Klägerin sei bereits durch Kündigung zum aus der GbR ausgeschieden, erheblich.

13III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

14Eine unterstellt wirksame Kündigung der GbR zum wäre unabhängig von der Frage der Verjährung von entscheidungserheblicher Bedeutung. Mit dem Ausscheiden der Klägerin zu diesem Zeitpunkt würde den ausgeurteilten Auskunftsansprüchen für die Jahre 2001 bis 2014 der Boden entzogen werden. Aber auch die den Zeitraum ab 1996 betreffenden, vom Berufungsgericht zugesprochenen Ansprüche wären von einer wirksamen Kündigung zum betroffen. Denn die Klägerin hätte in diesem Fall nur noch einen Anspruch auf ihr nach den Vorgaben des Gesellschaftsvertrags zu bemessendes Abfindungsguthaben. Den vom Berufungsgericht angenommenen Ansprüchen auf Auszahlung von Gewinnanteilen und hierauf gerichteten Auskunftsansprüchen könnte dann die Durchsetzungssperre entgegenstehen (vgl. , ZIP 2013, 361 Rn. 42 ff.; Beschluss vom - II ZR 360/12, ZInsO 2015, 2440 Rn. 12; Urteil vom - II ZR 335/13, ZIP 2015, 1116; Urteil vom - II ZR 214/13, ZIP 2016, 216 Rn. 18).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:101219BIIZR451.18.0

Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 10 Nr. 11
WM 2020 S. 277 Nr. 6
ZIP 2020 S. 583 Nr. 12
ZAAAH-41059