Sozialgerichtliches Verfahren - Revisionszulassung - Verfahrensmangel - Prozessurteil - Verwerfung der Berufung als unzulässig wegen Versäumung der Berufungsfrist
Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 158 SGG, § 151 Abs 1 SGG, § 123 SGG
Instanzenzug: SG Magdeburg Az: S 22 AS 1511/12 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Az: L 5 AS 626/12 Beschluss
Gründe
1I. Der im dauernden Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) stehende Kläger, der schon mehrere Verfahren vor dem Sozialgericht Magdeburg (SG) geführt und anhängig hatte, beantragte mit Schreiben vom , eingegangen beim SG am , das beklagte Jobcenter zur Zahlung von 5000 Euro für eine Wohnungsgrundausstattung entsprechend seinem Antrag vom an den Beklagten zu verurteilen, zumal sich dieser in Untätigkeit übe. Nach Anhörung der Beteiligten hat das dem Kläger zugestellt am , die Klage abgewiesen, weil diese mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig sei; der Antrag des Klägers vom habe sich durch seinen nachfolgenden Antrag vom auf Zahlung von 7500 Euro erledigt, der zu dem Verfahren mit dem Aktenzeichen - S 11 AS 11800/11 - vor dem SG geführt habe. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet.
2In der Folgezeit hat der Kläger sich in mehreren Schreiben an das SG zu diesem und auch anderen Aktenzeichen geäußert. Mit an das SG Magdeburg adressiertem Schreiben vom , nach dem Stempelaufdruck beim SG am eingegangen, hat der Kläger sich ua zu dem vorliegenden Aktenzeichen geäußert und bemängelt, dass ihm das in dem Gerichtsbescheid genannte Verfahren mit dem Aktenzeichen - "S 11 AS 11800/12" - unbekannt sei, die Entscheidung sei "aufzuheben" und an die 1. Instanz "zurückzuverweisen". Nachdem der Kläger mit Schreiben vom , adressiert an SG Magdeburg, dort eingegangen am - einem Dienstag - ua zum Aktenzeichen - "S 11 AS 1511/12" - ua "Sachbeschwerde" erhoben hat, ist dieses Schreiben mit den übrigen Akten an das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) weitergeleitet und dort als Berufung eingetragen worden.
3Nach Anhörung des Klägers zu einer möglichen Verfristung der Berufung hat das die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid vom nach § 158 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig verworfen, weil die Berufungsfrist von einem Monat (§ 151 Abs 1 SGG) versäumt sei, da ihm der Gerichtsbescheid am zugestellt worden und die Berufung erst am Dienstag, den beim SG eingegangen sei.
4Gegen diesen Beschluss hat der Kläger persönlich fristgemäß Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt, die ihm vom Senat bewilligt wurde. In der von seinem Prozessbevollmächtigten eingelegten und begründeten Nichtzulassungsbeschwerde wird als Verfahrensmangel ua gerügt, das LSG habe durch Prozessurteil entschieden, obwohl es in der Sache hätte entscheiden müssen, weil der Kläger schon mit Schreiben vom (Bl 41 SG-Akte), (Bl 42, 43 SG-Akte), (Bl 46 SG-Akte) und (Bl 52 SG-Akte) Rechtsmittel gegen die Entscheidung des SG eingelegt habe, die allesamt als Berufungseinlegung zu werten seien. Insbesondere im Schreiben vom (Bl 46, Seite 3, dritter Absatz) bittet der Kläger ausdrücklich zu dem Aktenzeichen - S 22 AS 1511/12 - um die Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung an die 1. Instanz.
5II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der angefochtene ist aufzuheben und die Sache an das LSG gemäß § 160a Abs 5 SGG zurückzuverweisen, weil diese Entscheidung des LSG auf einem Verfahrensmangel nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG beruht.
6Dass dem Kläger Wiedereinsetzung in die Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren ist (vgl § 67 SGG), folgt aus seiner fristgerechten Stellung eines PKH-Antrags und der fristgerechten Beschwerdeeinlegung und -begründung seines Prozessbevollmächtigten nach der Bewilligung der PKH.
7Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist ua begründet, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil es sich bei der angefochtenen Entscheidung des LSG um ein Prozessurteil handelt, das nicht ergehen darf, wenn seine Voraussetzungen nicht vorliegen, da es sich bei einem Prozessurteil um eine qualitativ andere Entscheidung gegenüber dem sonst erforderlichen Sachurteil handelt (seit BSGE 1, 283; BSGE 2, 245, 252 ff; BSGE 15, 169, 172; BSG SozR 1500 § 160a Nr 55).
8Hiergegen hat das LSG verstoßen, weil es die Berufung des Klägers nicht wegen Versäumung der einmonatigen Berufungsfrist nach § 151 Abs 1 SGG als unzulässig hätte verwerfen dürfen, da er schon vor Ablauf dieser Frist erkennbar Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG eingelegt hat. Zumindest die im Schreiben des Klägers vom auf S 3 von ihm geäußerte Auffassung zu dem Aktenzeichen des Gerichtsbescheides, die Entscheidung sei aufzuheben und die Sache an die 1. Instanz zurückzuverweisen, kann nicht anders verstanden werden. Auch wenn der damals nicht rechtskundig vertretene Kläger die Begriffe "Berufung" oder "Rechtsmittel" nicht gebraucht, kann seinen gegen den Gerichtsbescheid als instanzbeendende Entscheidung erhobenen Eingaben keine andere Zielrichtung oder anderes Begehren entnommen werden, zumal das Gericht nach § 123 SGG über die vom Kläger erhobenen Ansprüche zu entscheiden hat, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.
9Der Senat verkennt nicht, dass durch die zahlreichen Schreiben des Klägers, die sich zudem ausweislich der angegebenen Aktenzeichen zumeist auf mehrere Verfahren beziehen, ein Erkennen des wahren Begehrens des Klägers nach § 123 SGG zum Teil erschwert ist. Dass das Anliegen des § 123 SGG von SG und LSG nicht dem Grunde nach verkannt wird, zeigt die Auslegung des Schreibens des Klägers vom , in dem dieser "Sachbeschwerde" erhoben hat und das als Berufung angesehen wurde.
10Angesichts dessen kann eine Entscheidung über die vom Kläger außerdem erhobenen Rügen dahingestellt bleiben.
11Der Senat macht von der durch § 160a Abs 5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, den angefochtenen Beschluss wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, weil für eine abschließende Entscheidung in der Sache Tatsachenfeststellungen notwendig sind.
12Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2014:040614BB14AS7213B0
Fundstelle(n):
GAAAH-39701