Abgabe eines Übernahmeangebots gegenüber einem Leiharbeitnehmer - Tarifauslegung
Gesetze: § 1 TVG, § 77 Abs 1 BetrVG, § 77 Abs 4 S 1 BetrVG
Instanzenzug: Az: 1 Ca 14493/15 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 2 Sa 223/17 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über eine Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger einen unbefristeten Arbeitsvertrag anzubieten.
2Der Kläger ist Mitglied der IG Metall. Er war vom bis zum bei einem Leiharbeitsunternehmen beschäftigt. Jedenfalls in der Zeit ab dem war er - bis auf den Monat März 2013 - durchgängig bei der Beklagten als Kfz-Techniker mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden in deren Forschungs- und Innovationszentrum in M eingesetzt.
3Die Beklagte ist Mitglied im Verband der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie e.V. (VME). Sie unterzeichnete mit dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat am ein „Memorandum of Understanding Flexibilisierungsinstrument Zeitarbeit“ (MoU). Dieses lautet auszugsweise:
4Am trat der am selben Tag zwischen der IG Metall und dem VME geschlossene Tarifvertrag zum Einsatz von Leih-/Zeitarbeitnehmern für die bayerische Metall- und Elektroindustrie (TV LeiZ) in Kraft. Dieser bestimmt ua.:
5Unter dem unterzeichneten die Beklagte und der Gesamtbetriebsrat eine mit Unterzeichnung „in Kraft“ tretende „Protokollnotiz zur strategischen Flexibilität der B AG“ (Protokollnotiz). Ausweislich dieser sollte „gemäß den Tarifverträgen zum Einsatz von Leih-/Zeitarbeitnehmern in Erweiterung des Memorandum of Understanding ,Flexibilisierung Zeitarbeit‘ vom “ ua. sichergestellt werden, dass bei der Beklagten eine Basisflexibilität von 8 % Zeitarbeitskräften (ZAK) bezogen auf die Gesamtkapazität zugrunde gelegt und eine Höchstgrenze von 12 % ZAK im Jahresdurchschnitt nicht überschritten wird (Nr. 1 und Nr. 3 der Protokollnotiz).
6Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte müsse ihm nach § 4 Nr. 1 Spiegelstrich 2 TV LeiZ ein Angebot auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags unterbreiten. Die Voraussetzungen hierfür lägen vor. Die Protokollnotiz stelle keine Betriebsvereinbarung iSd. § 3 Nr. 1 TV LeiZ dar. Zumindest könne eine Gesamtbetriebsvereinbarung den Übernahmeanspruch nicht ausschließen. Auch sei der Gesamtbetriebsrat für deren Abschluss nicht zuständig.
7Der Kläger hat - soweit für die Revision von Interesse - zuletzt beantragt,
8Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht - soweit in der Revision noch von Bedeutung - seinem Hauptantrag stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Gründe
10Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Der zulässige Hauptantrag des Klägers ist unbegründet. Über den Hilfsantrag hatte der Senat mangels Bedingungseintritts nicht zu befinden.
11I. Der Kläger hat sein Begehren mit dem Hauptantrag zwar in zulässiger Weise angebracht; in der Sache hat es jedoch keinen Erfolg. Dem Kläger steht kein Anspruch gegen die Beklagte auf Abgabe eines Vertragsangebots nach § 4 Nr. 1 Spiegelstrich 2 TV LeiZ zu.
121. Der Hauptantrag ist zulässig.
13a) Der Antrag ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
14aa) Bei einem Antrag auf Abgabe einer Willenserklärung, die nach § 894 Satz 1 ZPO mit der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils als abgegeben gilt, erfordert das Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, dass der Klageantrag - ggf. in Verbindung mit der Klagebegründung - die wesentlichen Vertragsbedingungen festlegt. Dazu gehören neben der Art der Tätigkeit, dem Arbeitsumfang, der Vergütung und den übrigen Arbeitsbedingungen auch der Vertragsbeginn und die Angabe, ob der Vertrag befristet oder auf unbefristete Zeit abgeschlossen werden soll (vgl. etwa - Rn. 25 mwN).
15bb) Diesen Anforderungen wird der Antrag - bei entsprechender Auslegung - gerecht. Sowohl der Zeitpunkt, zu dem das Vertragsangebot der Beklagten Wirkung zeitigen soll, als auch die Art der Tätigkeit sind ausdrücklich genannt. Die Formulierung „Vollzeit“ beschreibt aufgrund des Verweises auf die bei Vertragsschluss kraft beidseitiger Tarifbindung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG) normativ für das Arbeitsverhältnis der Parteien geltenden Tarifverträge der bayerischen Metall- und Elektroindustrie in ihrer jeweiligen Fassung den begehrten Arbeitszeitumfang von 35 Wochenstunden. Die erstrebte Vergütung ist durch die Nennung der Entgeltgruppe 8 des Entgeltrahmentarifvertrags für die bayerische Metall- und Elektroindustrie (ERA-TV) in seiner jeweils geltenden Fassung hinreichend bezeichnet. Unschädlich ist, dass der Kläger die - die Entgelthöhe mitbestimmende - tarifliche Entgeltstufe nicht näher spezifiziert hat. Da sich diese entsprechend dem Inhalt des Klageantrags nach den Vorgaben in § 4 ERA-TV bestimmen soll, muss sie im Klageantrag nicht angegeben werden. Gleiches gilt für die sonstigen, sich aus dem normativ geltenden Tarifwerk der bayerischen Metall- und Elektroindustrie ergebenden Arbeitsbedingungen. Die Klagebegründung lässt zudem erkennen, dass der Kläger, wie in § 4 Nr. 1 Spiegelstrich 2 TV LeiZ vorgesehen, ein Angebot auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags erstrebt.
16b) Dem auf Abgabe eines Vertragsangebots durch die Beklagte gerichteten Antrag fehlt es nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (vgl. dazu ausführlich - Rn. 20 und 23 mwN).
172. Der Hauptantrag ist unbegründet. Die Beklagte ist nicht nach § 4 Nr. 1 Spiegelstrich 2 TV LeiZ verpflichtet, dem Kläger das von ihm begehrte Vertragsangebot zu unterbreiten. Nach § 4 Nr. 1 Einleitungshalbs. TV LeiZ hat der Entleiher dem Leiharbeitnehmer nach 24 Monaten Überlassung einen unbefristeten Arbeitsvertrag anzubieten, wenn keine „Betriebsvereinbarung gemäß § 3“ besteht. Das zwischen der Beklagten und dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossene MoU aus dem Jahr 2007 ist eine bei Inkrafttreten des TV LeiZ bereits bestehende betriebliche Regelung zum Einsatz von Leiharbeit, die nach § 3 Nr. 3 Satz 1 TV LeiZ als Betriebsvereinbarung in diesem Sinne gilt und damit den geltend gemachten Anspruch ausschließt. Das hat das Landesarbeitsgericht verkannt. Ob eine Übernahmepflicht der Beklagten auch an der Protokollnotiz vom scheitert, bedarf keiner Entscheidung.
18a) Entgegen der Ansicht des Klägers erfordert der Begriff der „betrieblichen Regelung“ iSd. § 3 Nr. 3 Satz 1 TV LeiZ nicht, dass im Betrieb eine - nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG normativ wirkende - Betriebsvereinbarung gilt. Vielmehr erfasst er auch sonstige Vereinbarungen zwischen den Betriebsparteien iSv. § 77 Abs. 1 BetrVG und damit auch Regelungsabsprachen. Dies ergibt die Auslegung der Norm (zu den Auslegungsgrundsätzen vgl. etwa - Rn. 26 mwN).
19aa) Sowohl der Wortlaut der Bestimmung als auch ihr Inhalt zeigen, dass es sich bei den betrieblichen Regelungen in formeller Hinsicht gerade nicht um eine Betriebsvereinbarung handeln muss. Die Vorschrift stellt die bei Inkrafttreten des TV LeiZ am schon in den Betrieben der bayerischen Metall- und Elektroindustrie vorhandenen Regelungen zum Einsatz von Leiharbeitnehmern ausdrücklich einer Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 2 Satz 2 BetrVG gleich. Sprachlich haben die Tarifvertragsparteien in der Norm ausdrücklich zwischen beiden Begriffen unterschieden.
20bb) Diese differenzierende Wortwahl findet sich auch in den sonstigen Normen des TV LeiZ. So verlangt § 3 Nr. 1 Satz 1 TV LeiZ ausdrücklich den Abschluss einer (freiwilligen) Betriebsvereinbarung. Auch § 3 Nr. 1 (II) Satz 1, Nr. 1 (II) Spiegelstrich 2 und Nr. 2 TV LeiZ knüpfen an diesen Begriff an. Soweit die Tarifvertragsparteien in § 3 Nr. 1 (I) TV LeiZ das Wort „Vereinbarung“ verwendet haben, zeigt das vorangestellte Demonstrativpronomen („diese“), dass es sich hierbei um die im vorhergehenden Satz genannte freiwillige Betriebsvereinbarung handelt. Entsprechendes gilt für § 3 Nr. 1 (II) Satz 1 TV LeiZ. Der dort angeführte Begriff „betriebliche Regelungen“ bezieht sich - wie der spezifizierende Zusatz „gemäß Ziffer 1 Abs. (I)“ verdeutlicht - lediglich auf die inhaltlich in der freiwilligen Betriebsvereinbarung nach § 3 Nr. 1 Satz 1 TV LeiZ vereinbarten Bestimmungen. Demgegenüber haben die Tarifvertragsparteien sowohl in § 6 als auch in § 7 TV LeiZ die sprachlich weitergehende Formulierung der betrieblichen Regelungen gewählt. Dies bestätigt, dass hiervon nicht nur Betriebsvereinbarungen, sondern auch sonstige, auf Regelungsabsprachen der Betriebsparteien beruhende und damit für die betrieblichen Verhältnisse maßgebende Vorgaben für den Einsatz von Leiharbeitnehmern im Betrieb erfasst werden sollten.
21cc) Der Sinn und Zweck von § 3 Nr. 3 TV LeiZ unterstreicht dieses Verständnis. Die Tarifvertragsparteien wollten bereits bestehende Regelungen im Betrieb zur Leiharbeit ausreichen lassen, um eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Abgabe des in § 4 TV LeiZ geregelten Übernahmeangebots auszuschließen. Die Betriebsparteien sollten in diesem Fall nicht zum Abschluss einer freiwilligen Betriebsvereinbarung nach § 3 Nr. 1 TV LeiZ angehalten werden, da dem hiermit verfolgten - und durch die andernfalls möglichen Übernahmeansprüche von Leiharbeitnehmern in § 4 Nr. 1 Spiegelstrich 2 TV LeiZ flankierten - Ziel, den Einsatz von Leiharbeitnehmern im Betrieb zu reglementieren, bereits Genüge getan war. Die Handlungspflicht der Betriebsparteien sollte sich lediglich darauf beschränken, die Gleichwertigkeit der schon vorhandenen betrieblichen Regelungen zu überprüfen (vgl. § 3 Nr. 3 Satz 2 TV LeiZ).
22b) Nach der Systematik und dem Normzweck von § 3 Nr. 3 TV LeiZ müssen sich die bei Inkrafttreten des TV LeiZ bereits im Betrieb anwendbaren Regelungen inhaltlich auf den in § 3 Nr. 1 Satz 1 TV LeiZ aufgeführten Regelungsgegenstand „Einsatz von Leih-/Zeitarbeit“ beziehen. Soweit dort auch die „Ausgestaltung der betrieblichen Flexibilität“ genannt ist, kann dahinstehen, ob es sich hierbei um einen weiteren - eigenständigen - Regelungsgegenstand handelt. Selbst wenn dies der Fall wäre, zeigen § 3 Nr. 1 (I) und (II) Satz 1 TV LeiZ, dass Bestimmungen zur Gestaltung der betrieblichen Flexibilität - etwa die Erhöhung der zulässigen Quote von Arbeitnehmern mit verlängerter individueller wöchentlicher Arbeitszeit nach § 3 Nr. 1 (II) Spiegelstrich 2 Satz 1 TV LeiZ - von den Betriebsparteien nicht zwingend vereinbart sein müssen („soll … genutzt werden“). Weitergehende inhaltliche Anforderungen an die schon bestehenden betrieblichen Regelungen zum Einsatz von Leiharbeitnehmern iSv. § 3 Nr. 3 TV LeiZ stellt der Tarifvertrag nicht auf. Die sprachliche Fassung von § 3 Nr. 1 (I) TV LeiZ („können“ und „u. a.“) verdeutlicht, dass es sich bei den dort genannten Inhalten lediglich um Beispiele für mögliche Inhalte von Regelungen handelt.
23c) Daran gemessen schließt das im Jahr 2007 geschossene MoU als bereits bestehende betriebliche Regelung zum „Einsatz von Leih-/Zeitarbeit“ iSv. § 3 Nr. 3 TV LeiZ einen Anspruch des Klägers nach § 4 Nr. 1 Spiegelstrich 2 TV LeiZ aus.
24aa) In Nr. 3 des MoU hat die Beklagte sich gegenüber dem Gesamtbetriebsrat verpflichtet, Verleihverträge nur mit Unternehmen zu schließen, die sich an den Grundentgelten der Metall- und Elektroindustrie orientieren. Die Höhe der in Verleihverträgen zu vereinbarenden Vergütung von Leiharbeitnehmern ist in § 3 Nr. 1 (I) TV LeiZ ausdrücklich als möglicher Regelungsinhalt erwähnt. Unschädlich ist, dass die Gesamtbetriebsparteien lediglich eine Orientierung des Entgelts einer bei der Beklagten eingesetzten Zeitarbeitskraft an den Grundentgelten der Metall- und Elektroindustrie vereinbart haben. Mit dieser Vereinbarung sollte die Arbeitgeberin angehalten werden, nur solche Leiharbeitsunternehmen zu beauftragen, die ihren Arbeitnehmern in etwa die Grundentgelte der bei der Beklagten tätigen Stammbelegschaft zahlen.
25bb) Das MoU stellt auch eine betriebliche Regelung dar. Diese erfordert nicht, dass die den Einsatz von Leiharbeit begrenzende oder zumindest ausgestaltende Vorgabe mit dem Betriebsrat vereinbart wurde. Die mit dem Gesamtbetriebsrat getroffene Regelungsabsprache reicht aus, da sie den Einsatz von Leiharbeitnehmern in allen Betrieben der Beklagten und damit auch im Betrieb, in dem der Kläger eingesetzt war, betrifft. Dies folgt aus Sinn und Zweck von § 3 Nr. 1 und § 4 TV LeiZ. Den Tarifvertragsparteien ging es darum, den Einsatz von Leiharbeitnehmern zugunsten der Stammbelegschaft zu beschränken. Daher kommt es auch im Rahmen von § 3 Nr. 3 TV LeiZ lediglich darauf an, ob für den Betrieb eine Regelung zur Anwendung gelangt, die diesen Einsatz in irgendeiner Art und Weise reglementiert.
26cc) Die in § 3 Nr. 3 Satz 2 TV LeiZ vorgesehene Prüfpflicht der Betriebsparteien steht dem durch das MoU bewirkten Ausschluss des Übernahmeanspruchs nach § 4 TV LeiZ nicht entgegen. Unabhängig davon, dass die Betriebsparteien dieser Aufgabe durch den Abschluss der Protokollnotiz - die das MoU ausdrücklich erweitert und damit bestätigt - nachgekommen sind, hätte ein Verstoß hiergegen weder die Unwirksamkeit der betrieblichen Regelungen noch den Wegfall der Fiktionswirkung nach § 3 Nr. 3 Satz 1 TV LeiZ zur Folge.
27II. Über den Hilfsantrag hatte der Senat nicht zu entscheiden. Dieser stand ersichtlich unter der Bedingung, dass das erkennende Gericht den Hauptantrag wegen des Inhalts des vom Kläger begehrten Vertragsangebots abweist. Diese Bedingung ist nicht eingetreten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:221019.U.1AZR217.18.0
Fundstelle(n):
BB 2020 S. 179 Nr. 4
BB 2020 S. 695 Nr. 12
ZAAAH-38928