BGH Urteil v. - III ZR 244/18

Fehlerhafte Kapitalanlageberatung: Zurechenbarkeit einer späteren Anlageentscheidung ohne erneute Beratung - Kapitalanlageberatung, Zurechnung

Leitsatz

Kapitalanlageberatung, Zurechnung

Der Schutzzweck einer Auskunfts- oder Beratungspflicht ist nicht stets auf den ersten Erwerb einer Anlage auf der Grundlage der Empfehlung begrenzt. Es steht den Vertragsparteien frei, auch größere oder unbestimmte Risiken einzugehen. Insofern kann der Schutzzweck haftungserweiternd wirken. Deshalb können auch spätere Anlageentscheidungen, die der Anleger auf der Grundlage der pflichtwidrig erteilten Empfehlung, jedoch ohne erneute Beratung/Vermittlung trifft, dem Berater oder Vermittler zuzurechnen sein.

Gesetze: § 280 Abs 1 BGB

Instanzenzug: OLG Celle Az: 11 U 40/18vorgehend LG Verden Az: 4 O 262/16

Tatbestand

1Der Kläger verlangt von der beklagten Gesellschaft Schadensersatz aufgrund behaupteter fehlerhafter Beratung im Zusammenhang mit Vermögensanlagen.

2Die Beklagte, insbesondere ihr später im Rechtsstreit als Zeuge vernommener Mitarbeiter M.   , beriet den Kläger über einen Zeitraum von rund 20 Jahren hinweg, vor allem in Versicherungsangelegenheiten. Als der Kläger Ende 2005 auf der Suche nach einer Altersversorgung war, stellte der Zeuge dem Kläger verschiedene Renten- oder Lebensversicherungsprodukte vor, die jedoch die Bedürfnisse des Klägers nach hoher Rendite und kurzer Laufzeit nicht erfüllen konnten. In einem Gespräch Ende 2006 wies der Zeuge M.    auf die Anlagemöglichkeit bei einem Rechtsanwalt S.    hin, der nebenbei auch kurzfristige Kapitalanlagen zu guten und individuell auszuhandelnden Festzinsen anbiete. Auch die Beklagte beziehungsweise ihre Mitarbeiter würden diese Möglichkeit nutzen. Über die nähere Art der Anlage sprachen der Kläger und der Zeuge nicht.

3In der Folgezeit legte der Kläger Gelder bei Rechtsanwalt S.     an. Dieser starb im Mai 2014. Über seinen Nachlass ist ein Insolvenzverfahren eröffnet, in welchem einer Masse von rd. 400.000 € Forderungen im Umfang von über 8 Mio. € gegenüberstehen.

4Der Kläger begehrt die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten. Der Zeuge M.   habe ihm die Anlagemöglichkeit bei Rechtsanwalt S.   als absolut sicher, geeignet für seine Bedürfnisse, vertrauenswürdig und seriös empfohlen und eine Rendite von 8 % in Aussicht gestellt. Er, der Kläger, habe im Februar 2007 erstmals die Mindestanlage von 10.000 € und zwischen dem und dem insgesamt weitere 200.000 € an Rechtsanwalt S.    überwiesen.

5Die Beklagte macht geltend, der Zeuge M.   habe den Kläger auf die Anlagemöglichkeit lediglich verwiesen und den Kontakt zu Rechtsanwalt S.    hergestellt.

6Das Landgericht hat festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, die diesem aus der Verletzung der Pflichten aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Beratungsvertrag zur Alterssicherung entstanden sind und noch entstehen werden. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers.

Gründe

7Die zulässige Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

8Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, die Feststellungsklage sei zulässig, aber unbegründet. Es sei zwischen den Parteien ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen. Mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, sein Kapital bei Rechtsanwalt S.      anzulegen, wo er eine Rendite von 8 % erzielen werde, habe die Beklagte dem Kläger, der sich ersichtlich im Unklaren gewesen sei, wie er sein Kapital anlegen wollte, nach vorangegangener Beratung über andere Anlagemöglichkeiten eine konkrete Anlageempfehlung gegeben und sich überdies auch noch um die praktische Umsetzung gekümmert.

9Dass die Beklagte ohne Rechtsbindungswillen gehandelt habe, sei aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten nicht erkennbar gewesen. Insbesondere habe der Kläger nicht erkennen müssen, dass die Beklagte bei Abschluss eines Beratungsvertrags ein hohes Haftungsrisiko eingegangen sei, ohne einen wirtschaftlichen Gegenwert zu erhalten. Die Beklagte habe nicht substantiiert vorgetragen, mit dem Kläger über diese Frage gesprochen zu haben, und für diese Behauptung auch keinen Beweis angeboten. Dass der Zeuge die Empfehlung womöglich damit eingeleitet habe, er persönlich habe sein Geld bei Rechtsanwalt S.    angelegt, sei nicht dahin zu verstehen, dass der Zeuge M.    die Empfehlung nicht als Versicherungs- und Anlageberater, sondern als Privatmann habe geben wollen. Gegen einen Beratungsvertrag spreche schließlich nicht, dass es ein den Vorgaben der Rechtsprechung entsprechendes Beratungsgespräch nicht gegeben habe. Denn der persönliche und wirtschaftliche Hintergrund sowie die Anlageziele des Klägers seien schon zuvor ermittelt worden. Die Beklagte habe daher nur noch einen konkreten Anlagevorschlag unterbreiten und die wesentlichen Eigenschaften und Risiken der empfohlenen Anlage erläutern müssen.

10Die Beklagte habe die sich aus dem Beratungsvertrag ergebenden Pflichten verletzt, denn es habe jedenfalls an einer objektgerechten Aufklärung gefehlt.

11Es fehle aber der Zurechnungszusammenhang zwischen dem geltend gemachten Schaden und der Beratungspflichtverletzung. Erteile ein Anlageberater die Empfehlung zur Zeichnung einer bestimmten Kapitalbeteiligung und gehe der Anleger diese Beteiligung sodann nicht nur einmal ein, sondern später noch ein zweites Mal, liege eine den Zurechnungszusammenhang unterbrechende neue Anlageentscheidung vor, für die der Anlageberater nur haftbar sei, wenn sie auf einer gesonderten vorhergehenden Beratung beruhe. Der Berater müsste anderenfalls befürchten, dass ihm Anlageentscheidungen seines Kunden angelastet würden, die dieser Jahre später ohne seine erneute Beteiligung treffe. Die für die Beratung maßgeblichen Umstände - sowohl hinsichtlich des Anlageinteressenten als auch hinsichtlich der empfohlenen Anlage - könnten sich ändern. Der Berater hafte für spätere Anlageentscheidungen des Kunden daher nur dann, wenn dieser ihm Gelegenheit gegeben habe, die ursprünglich gegebene Empfehlung im Rahmen eines neuen Beratungsgesprächs zu überprüfen. Diese Erwägungen seien zwar abstrakt, da im Streitfall nicht ersichtlich sei, dass die Beklagte die von ihr anfangs erteilte Empfehlung bei nochmaliger Nachfrage des Klägers später revidiert hätte. Die Erwägungen dienten indes der Begründung eines abstrakten Rechtssatzes.

12Ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Gespräch mit dem Zeugen M.    und dem im Februar 2007 geschlossenen ersten Anlagevertrag über 10.000 € sei nachvollziehbar. Der Kläger habe aber zu einem erneuten Beratungsgespräch vor Abschluss eines der weiteren "Anlageverträge" ab August 2008 nicht vorgetragen. Damit fehle es am Zurechnungszusammenhang der späteren Anlageentscheidungen zu dem Beratungsgespräch. Auch wenn die Beklagte darauf bestanden haben sollte, die administrative Abwicklung aller weiteren Beteiligungen durchzuführen, folge daraus nicht, dass es eine erneute Beratung gegeben habe.

13Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstelle, dass er dem Zeugen M.   gegenüber deutlich gemacht habe, über mehrere Jahre hinweg in unregelmäßigen Abständen und gegebenenfalls auch mit Unterbrechungen Kapital anlegen zu wollen, bestünde der erforderliche Zurechnungszusammenhang nicht. Hierfür hätte der Zeuge M.    dem Kläger ein jedenfalls mittelfristiges Anlagekonzept mit einer von vornherein vorgesehenen anzulegenden Gesamtsumme und irgendwie vorherbestimmten Einzahlungsabschnitten vorschlagen müssen. Ein solches verbindliches Konzept habe es aber nicht gegeben.

14Auch hinsichtlich des im Februar 2007 gezeichneten "Anlagevertrags" (über die zuerst investierten 10.000 €) fehle es im Ergebnis am Zurechnungszusammenhang. Zwar sei die Beratungsleistung der Beklagten für den Abschluss dieses Vertrags ursächlich gewesen, die "Anlageverträge" seien jedoch immer nur über zwölf Monate geschlossen worden. Danach habe der Kläger entweder das gesamte betroffene Kapital zurückerhalten oder eine erneute Entscheidung über die Verwendung dieses Kapitals treffen können. Eine Einbeziehung der Beklagten in diese erneute Entscheidung habe er jedoch nicht dargelegt.

II.

15Diese Ausführungen halten der rechtlichen Prüfung nicht in allen Punkten stand.

161. Anders als die Revisionserwiderung mit ihrer Gegenrüge geltend macht, hat das Berufungsgericht jedoch rechtsfehlerfrei angenommen, dass zwischen den Parteien ein Vertrag mit Haftungsfolgen zustande gekommen ist. Zwar hat die Beklagte - worauf die Revisionserwiderung insoweit zutreffend hinweist - den ursprünglichen Beratungsvertrag durch die (ergebnislose) Beratung des Klägers erfüllt, so dass dieser beendet war (vgl. , BGHZ 205, 117 Rn. 23). Das Oberlandesgericht hat aber den Sachverhalt ohne Rechtsfehler dahin gewürdigt, dass die Parteien in dem Telefonat des Klägers mit dem die Beklagte vertretenden Zeugen M.    einen neuen Vertrag schlossen, der jedenfalls Auskunftspflichten der Beklagten begründete.

17a) Ein solcher Vertrag mit Haftungsfolgen kommt zumindest stillschweigend zu Stande, wenn der Interessent deutlich macht, dass er auf eine (bestimmte) Anlageentscheidung bezogen die besonderen Kenntnisse und Verbindungen einer Person, die geschäftlich Beratungs- und Auskunftstätigkeit in Bezug auf Geldanlagen anbietet, in Anspruch nehmen will; dann liegt darin sein Angebot auf Abschluss eines Auskunfts- oder Beratungsvertrags (st. Rspr. vgl. z.B. Senat, Urteil vom - III ZR 100/06, VersR 2008, 352 Rn. 7; IVa ZR 122/85, BGHZ 100, 117, 118 jew. mwN und vom - XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126, 128). Eine solche Erklärung hat den erforderlichen Rechtsbindungswillen, denn durch sie wird erkennbar, dass für den Anleger wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er sich auf die Angaben des Dienstleisters verlässt (vgl. Senat, Urteil vom - III ZR 291/11, NJW 2012, 3366 Rn. 14). Ein solches Verhalten kann daher nicht als unverbindlich verstanden werden (vgl. aaO, S. 119).

18Dieses Angebot nimmt der Dienstleister stillschweigend jedenfalls dadurch an, dass er die gewünschte Tätigkeit beginnt (vgl. Senat, Urteil vom aaO; aaO, S. 118 f und vom aaO). Eine Entgeltvereinbarung ist keine Voraussetzung für einen verbindlichen Vertrag ( aaO, S. 119). Auch ist es unerheblich, wie lange das Gespräch gedauert hat. Dies kann für die Qualität der Beratung bedeutsam sein; für das Zustandekommen eines Vertrags ist dies dagegen ohne Belang (vgl. , NJW 2005, 820, 822).

19b) Das Berufungsgericht hat diese Voraussetzungen beachtet und ist in nicht zu beanstandender tatrichterlicher Würdigung des Sachverhalts zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Vertrag zwischen den Parteien zustande gekommen ist. Der für die Beklagte beruflich mit der Anlageberatung betraute Zeuge M.    hat den Kläger, von dem er wusste, dass dieser nach einer Anlagemöglichkeit suchte, auf eine solche hingewiesen. Es war ihm daher erkennbar, dass der Kläger seine besonderen Kenntnisse, die er in seiner beruflichen Funktion für die Beklagte erworben hatte, in Anspruch nehmen und sich auf diese verlassen wollte.

20Die Revisionserwiderung rügt zu Unrecht, das Berufungsgericht habe in diesem Zusammenhang mit seiner Feststellung, keine Partei habe vorgetragen, dass zwischen dem Kläger und dem Mitarbeiter M.   über die geschäftlichen Belange hinaus eine private Bekanntschaft oder Freundschaft bestanden habe, gegenteiligen Vortrag unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG übergangen. Die Beklagte verweist insoweit auf das Vorbringen, der Kläger habe seine Versicherungsangelegenheiten seit zirka 20 Jahren über die Beklagte (gemeint wohl in Vertretung durch Herrn M.   ) abgewickelt, und auf eine von der Beklagten vorgelegte E-Mail, in der der Zeuge M.   den Kläger mit "Hallo G.    " anredete. Beidem lässt sich kein Vortrag entnehmen, dass es neben den geschäftlichen auch private Kontakte zwischen dem Kläger und dem Zeugen gab.

21Dementsprechend sind auch die erstmals in der Revisionserwiderung geäußerten Zweifel daran unbegründet, ob der Zeuge M.    gemäß § 164 Abs. 1 BGB im Namen der Beklagten auftrat. Da es sich um ein Geschäft handelte, das typischerweise in den Geschäftsbereich der Beklagten fiel, hätte der Zeuge M.   es erkennbar zum Ausdruck bringen müssen, wenn er nicht für diese, sondern im eigenen Namen hätte handeln wollen (vgl. z.B. , NJW 1984, 1347, 1348 mwN).

222. Ebenso rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, die Beklagte habe ihre Pflichten aus diesem Vertrag verletzt.

23a) Der Vertrag verpflichtete die Beklagte jedenfalls dazu, die Plausibilität der Anlage zu untersuchen und dem Kläger ihre diesbezüglichen Erkenntnisse mitzuteilen. Ob der Vertrag, wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist, auf eine Anlageberatung gerichtet war oder lediglich eine Anlagevermittlung zum Gegenstand hatte, kann auf sich beruhen.

24In beiden Fällen ist der Dienstleister jedenfalls zu richtiger und vollständiger Information über diejenigen tatsächlichen Umstände verpflichtet, die für den Anlageentschluss des Interessenten von besonderer Bedeutung sind (z.B. Senat, Urteile vom - III ZR 25/92, NJW-RR 1993, 1114, 1115; vom - III ZR 62/99, NJW-RR 2000, 998 und vom - III ZR 83/06, NJW-RR 2007, 1690 Rn. 8). Dazu ist es - jedenfalls grundsätzlich - erforderlich, dass sich der Dienstleister vorab selbst hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Kapitalanlage und der Bonität des Kapitalsuchenden informiert. Liegen dazu objektive Daten nicht vor oder verfügt der Dienstleister mangels Einholung entsprechender Informationen insoweit nur über unzureichende Kenntnisse, so muss er dies dem anderen Teil offenlegen (Senat, Urteile vom und vom jew. aaO; vgl. auch , BGHZ 178, 149, 153 Rn. 14).

25b) Diese Auskunftspflichten hat die Beklagte verletzt. Sie hat weder die Wirtschaftlichkeit und Plausibilität der Anlage noch die Bonität des Rechtsanwalts S.     überprüft. Sie hat auch nicht - was in diesem Fall ihre Pflicht gewesen wäre - den Kläger auf die unterlassene Prüfung hingewiesen. Soweit der Zeuge M.    - worauf die Revisionserwiderung abstellt - dem Kläger kommuniziert hat, keine Kenntnis von der Anlagestrategie des Rechtsanwalts S.    zu haben, genügt dies nicht. Die Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Zeuge M.    - so er sich überhaupt zur Plausibilität der Anlage geäußert hat - seine Unkenntnis durch den Hinweis auf die Anlage von Geldern durch die Beklagte und ihre Mitarbeiter eher überspielt als offengelegt hätte, ist naheliegend und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

264. Die Zurechnung der Anlageentscheidungen des Klägers zu dieser Pflichtverletzung kann indessen nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen allgemeinen Begründung verneint werden.

27a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat die Vorinstanz ausgeführt, dass der Zurechnungszusammenhang zwischen einer Beratungs- beziehungsweise Auskunftspflichtverletzung und späteren Anlageentscheidungen des Kunden fehlen kann, auch wenn diese adäquat kausal auf die pflichtwidrige Empfehlung zurückzuführen sind. Die Zurechnung erfährt eine Einschränkung beziehungsweise Korrektur durch die Schutzzwecklehre, nach der eine Haftung nur für diejenigen äquivalenten und adäquaten Schadensfolgen besteht, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte Vertragspflicht übernommen wurde (st. Rspr., z.B. Senat, Urteil vom - III ZR 446/15, BGHZ 211, 201 Rn. 29 mwN; grundlegend: , BGHZ 27, 137, 139 ff). Der geltend gemachte Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein äußerlicher, gleichsam zufälliger Zusammenhang genügt nicht. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten. Dem Schädiger sollen nur solche Folgen zugerechnet werden, die durch den Schutzzweck der Norm beziehungsweise Vertragspflicht verhindert werden sollen. Hiernach sind Sinn und Tragweite der verletzten Norm beziehungsweise der verletzten vertraglichen oder vorvertraglichen Pflicht zu untersuchen, um zu klären, ob der geltend gemachte Schaden durch die verletzte Bestimmung verhütet werden sollte (vgl. Senat, Urteil vom aaO; , NJW 2013, 1679 Rn. 12 jew. mwN). Auf diese Weise wird - wie vom Berufungsgericht im Kern zutreffend postuliert - dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit des Haftungsrisikos Rechnung getragen (vgl. bereits Rabel, Das Recht des Warenkaufs I, S. 497).

28Danach ist der Schutzzweck einer Auskunfts- oder Beratungspflicht, entgegen dem vom Berufungsgericht aufgestellten abstrakten Rechtssatz, nicht stets auf den ersten Erwerb einer Anlage nach dem Gespräch, in dem die Empfehlung ausgesprochen worden ist, begrenzt. Vielmehr ist der Schutzzweck anhand des konkreten Vertrags im Wege der Auslegung (vgl. Rabel aaO, S. 452 f; Lange, JZ 1976, 198, 202) im Einzelfall zu ermitteln. Zwar bestehen im Normalfall einer Anlageberatung, die sich auf die Anlage eines Geldbetrags bezieht, Pflichten nur hinsichtlich dieser konkreten Anlageentscheidung (vgl. , BGHZ 205, 117, 127 Rn. 23). Es steht den Vertragsparteien jedoch frei, auch größere oder unbestimmte Risiken einzugehen. Insofern kann der Schutzzweck sogar haftungserweiternd wirken (vgl. Schiemann in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2017, § 249 Rn. 27 f). Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn ein Interessent um einen Rat für die Anlage nicht lediglich eines (bestimmten) Geldbetrags nachsucht und der Berater in Kenntnis dessen eine Empfehlung abgibt, die sich nicht auf eine einmalige Geldanlage beschränkt, sondern eine fortbestehende Möglichkeit zur wiederholten Anlage noch unbestimmter Geldbeträge umfasst.

29b) Das Berufungsgericht hat von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig die nach diesen Maßstäben erforderlichen Feststellungen bisher nicht getroffen. Dies ist nachzuholen, um sodann wertend unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob die neuen Anlageentscheidungen des Klägers jeweils vom Schutzzweck der durch die Beklagte verletzten Pflicht umfasst sind. Dabei wird das Oberlandesgericht insbesondere auch die in der Revisionsinstanz von beiden Parteien vorgebrachten Gesichtspunkte zur Sachverhaltswürdigung in seine Betrachtung mit einzubeziehen haben.

III.

30Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dabei wird es - wie es dies in der Begründung des Streitwertbeschlusses zutreffend zum Ausdruck gebracht hat - alle Anlageentscheidungen in dem behaupteten Umfang von 210.000 € zu prüfen haben.

31Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung dessen, dass das Landgericht in seinem zusprechenden Urteil keine Teilabweisung ausgesprochen sowie die Kosten des Rechtsstreits vollständig der Beklagten auferlegt hat, geht der Senat davon aus, dass die Abweichung des Hauptsachetenors ("die diesem aus der Verletzung der Pflichten aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Beratungsvertrag zur Alterssicherung entstanden sind und noch entstehen werden") vom Klageantrag ("die diesem aus der Verletzung der Pflichten aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Vermögensverwaltungsvertrag, insbesondere aus der Verpflichtung zur Alterssicherung geeignete Anlagen bezüglich der Beklagten überlassenen Beträgen von insgesamt 210.000 € auszuwählen, entstanden sind und noch entstehen werden") keine Einschränkung der Feststellungsverurteilung gegenüber dem Antrag bedeutet. Gegebenenfalls wird im neuen Berufungsverfahren noch eine Klarstellung notwendig werden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:211119UIIIZR244.18.0

Fundstelle(n):
BB 2020 S. 65 Nr. 3
DB 2019 S. 2861 Nr. 51
DStR 2020 S. 12 Nr. 1
NJW 2020 S. 387 Nr. 6
NJW 2020 S. 9 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 2/2020 S. 78
WM 2020 S. 119 Nr. 3
WM 2021 S. 261 Nr. 6
ZIP 2020 S. 1 Nr. 1
ZIP 2020 S. 125 Nr. 3
MAAAH-38714