BSG Beschluss v. - B 12 R 3/19 R

Sozialgerichtliches Verfahren - Versäumung der Revisionsbegründungsfrist - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Voraussetzung einer wirksamen Zustellung gegen Empfangsbekenntnis - Empfangswille - Empfangsbereitschaft

Gesetze: § 164 Abs 2 S 1 SGG, § 63 Abs 1 SGG, § 63 Abs 2 SGG, § 67 Abs 1 SGG, § 169 SGG, § 174 Abs 1 ZPO, § 189 ZPO, § 416 ZPO

Instanzenzug: SG Hildesheim Az: S 14 R 469/14 Urteilvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 2 R 477/16 Beschluss

Gründe

1I. Die Beteiligten streiten über den sozialversicherungsrechtlichen Status der beigeladenen Anästhesistin in ihrer Tätigkeit für das in der Trägerschaft der klagenden gGmbH betriebene Krankenhaus in der Zeit vom bis (mit Unterbrechungen).

2Die Beklagte stellte auf einen Statusfeststellungsantrag der Klägerin und der Beigeladenen fest, dass die Tätigkeit als Honorarärztin bei der Klägerin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe (Bescheide vom , Widerspruchsbescheide vom ). Klage und Berufung haben keinen Erfolg gehabt ( ).

3Mit Beschluss vom hat der Senat die Revision zugelassen. Am hat die Klägerin per Fax (Eingang des Originals am ) mit einem von ihrem Prozessbevollmächtigten unterschriebenen Schriftsatz "nach Zulassung der Revision durch das Bundessozialgericht aufgrund des Beschlusses vom […] uns zugestellt am " Revision eingelegt. Einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist hat sie nicht gestellt.

4Am hat die Klägerin ihre Revision begründet. Nach Hinweis des Senats auf die verspätet eingegangene Revisionsbegründung hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

5II. Die Revision der Klägerin ist unzulässig. Das Rechtsmittel ist zwar frist- und formgerecht eingelegt, aber nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet worden. Gründe für eine Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist bestehen nicht. Die Revision ist daher zu verwerfen (§ 169 S 2 und 3 SGG).

61. Die Frist zur Revisionsbegründung ist am bereits abgelaufen gewesen. Nach § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen.

7Der die Revision zulassende Senatsbeschluss vom ist der Klägerin am wirksam zugestellt worden. Gemäß § 63 Abs 1 und 2 SGG sind Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, den Beteiligten nach den Vorschriften der ZPO zuzustellen. An einen Anwalt kann die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis bewirkt werden (§ 174 Abs 1 ZPO). Für eine wirksame Zustellung nach § 174 Abs 1 ZPO ist entscheidend, dass das in Zustellabsicht übersandte Schriftstück vom Empfänger mit dem Willen entgegengenommen wird, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen. Dieser Empfangswille wird in der Regel durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet (vgl - SozR 4-1750 § 174 Nr 1; - NJW 1994, 2295). Ein solches Empfangsbekenntnis enthält das am per Fax aus der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin übersandte, mit dem Datum versehene Empfangsbekenntnisformular nicht, denn es ist nicht unterzeichnet.

8Eine wirksame Zustellung setzt jedoch nicht voraus, dass das Empfangsbekenntnis auf dem üblichen gerichtlichen Vordruck abgegeben wird, vielmehr ist es ausreichend, wenn der als Adressat genannte Rechtsanwalt auf andere Weise bekundet, das Schriftstück willentlich als zugestellt angenommen zu haben ( - NJW 1994, 2297). Die erforderliche Bereitschaft zur Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstücks ist bei dem Adressaten, der das Empfangsbekenntnisformular nicht zurückschickt, vorhanden, wenn er gegen das zuzustellende Urteil oder aufgrund des zuzustellenden Beschlusses ein Rechtsmittel einlegt und dabei auf die Beschlussausfertigung Bezug nimmt (vgl - NJW 2007, 3223; anders - NJW 1994, 2295 nur für den Fall der Beauftragung eines anderen Rechtsanwalts im Rechtsmittelverfahren). Bestätigt der Adressat darüber hinaus den Zeitpunkt der Zustellung, macht er nicht nur deutlich, dass er zur Entgegennahme des Schriftstücks zum Zwecke der Zustellung bereit gewesen ist, sondern bekundet auch den Zeitpunkt der Zustellung.

9So verhält es sich hier. Der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt hat mit seiner Revisionsschrift gleichzeitig ein wirksames Empfangsbekenntnis abgegeben. Darin hat er nicht nur den Zugang des Senatsbeschlusses vom als solchen bestätigt, sondern vielmehr bekundet, dass dieser Beschluss ihm am zugestellt worden sei. Er hat damit in einer das Formular "Empfangsbekenntnis" ersetzenden Weise nicht nur die Kenntnisnahme des Beschlusses vom beurkundet, sondern auch die Entgegennahme zum Zwecke der Zustellung am mit seiner Unterschrift bestätigt.

10Sofern der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nunmehr behauptet, am wegen Urlaubs nicht empfangsbereit gewesen zu sein, genügt dieses Vorbringen nicht, den mit der zuvor abgegebenen Erklärung geführten Zustellnachweis zu widerlegen. Ein Empfangsbekenntnis erbringt als Privaturkunde nach § 416 ZPO grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks, sondern auch für den Zeitpunkt von dessen Empfang. Der Gegenbeweis für die Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist zulässig. Dafür ist jedoch erforderlich, dass die Richtigkeit der Angaben im Empfangsbekenntnis nicht nur erschüttert, sondern die Möglichkeit, die Angaben in dem Empfangsbekenntnis könnten richtig sein, ausgeschlossen ist ( - Juris RdNr 5). Die bloße Möglichkeit der Unrichtigkeit der Angaben ist nicht ausreichend (vgl - Juris RdNr 6 mwN).

11Der Gegenbeweis ist hier nicht geführt. Der Prozessbevollmächtigte hat lediglich behauptet, am in Urlaub gewesen zu sein. Belege zu seiner ganztägigen Orts- und Kanzleiabwesenheit hat er nicht vorgelegt, solche ergeben sich auch nicht aus der eidesstattlichen Versicherung seiner Kanzleiangestellten, die lediglich seinen Urlaub, nicht aber seine fehlende Empfangsbereitschaft für Zustellungen des Bundessozialgerichts, also seine tatsächliche Ortsabwesenheit bestätigt hat. Es finden sich auch keine Angaben zu Regelungen bei Ortsabwesenheit des Rechtsanwalts innerhalb der Kanzlei. Die Richtigkeit des abgegebenen Empfangsbekenntnisses ist deshalb nicht ausgeschlossen.

12Unabhängig davon wahrt die Revisionsbegründung vom auch dann die Frist des § 164 Abs 2 SGG nicht, wenn das Empfangsbekenntnis in der Revisionsschrift tatsächlich hinsichtlich des Zeitpunkts der Zustellung unrichtig und der Vortrag der Klägerin im Antrag auf Wiedereinsetzung zutreffend wäre. Den fehlenden Willen zur Entgegennahme des Senatsbeschlusses zum Zwecke der Zustellung hat die Klägerin weder behauptet noch bewiesen. Nach der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ist der Senat davon überzeugt, dass der Beschluss vom spätestens am dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt worden ist, denn spätestens an diesem Tag nach seinen Seminarreisen am 8., 9. und hat er tatsächlich Kenntnis vom Beschluss genommen (vgl § 189 ZPO). Es kann deshalb dahinstehen, ob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin tatsächlich bereits am von dem Zulassungsbeschluss des Senats Kenntnis genommen hat.

132. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist ist abzulehnen. Die Klägerin hat keine Gründe dafür vorgetragen, dass sie an der Einhaltung der Frist des § 164 Abs 2 SGG ohne Verschulden gehindert gewesen sei (§ 67 Abs 1 SGG). Ihr Vortrag beschränkt sich darauf, die Unwirksamkeit der Zustellung geltend zu machen. Gründe für ein unverschuldetes Versäumen der Frist sind auch nicht ersichtlich.

143. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 und 3 VwGO.

154. Die Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Es war der Auffangstreitwert festzusetzen (vgl zB - BSGE 103, 17 = SozR 4-2400 § 7a Nr 2, RdNr 29-31; - Juris RdNr 37; - Juris RdNr 44), weil Gegenstand des Rechtsstreits nicht (auch) eine Beitrags(nach)forderung war.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2019:050619BB12R319R0

Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 422 Nr. 6
XAAAH-38223