EuGH Urteil v. - C-691/17

Instanzenzug:

Gründe

Zu den Vorlagefragen

27Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2006/112 sowie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der Grundsatz der Steuerneutralität und der Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen sind, dass sie einer Praxis der Steuerbehörde entgegenstehen, wonach diese, ohne dass ein Betrugsverdacht vorliegt, einem Unternehmen das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer verweigert, die dieses als Empfänger von Dienstleistungen deren Erbringer aufgrund einer Rechnung rechtsgrundlos gezahlt hat, die der Erbringer gemäß der gewöhnlichen Mehrwertsteuerregelung ausgestellt hat, obwohl der betreffende Umsatz dem Mechanismus der Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger unterlag, ohne dass die Steuerbehörde

– vor der Verweigerung des Rechts auf Steuerabzug prüft, ob der Aussteller dieser falschen Rechnung ihrem Empfänger die rechtsgrundlos gezahlte Mehrwertsteuer erstatten und die betreffende Rechnung im Wege der Eigenrevision gemäß der einschlägigen nationalen Regelung berichtigen kann, um die von ihm rechtsgrundlos an den Fiskus abgeführte Steuer zurückzuerlangen, oder

– beschließt, selbst dem Empfänger der betreffenden Rechnung die Steuer zu erstatten, die dieser rechtsgrundlos an deren Aussteller gezahlt und dieser anschließend rechtsgrundlos an den Fiskus abgeführt hat.

28Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Vorlageentscheidung keinen Anhaltspunkt enthält, der es dem Gerichtshof ermöglicht, zu beurteilen, inwiefern eine Auslegung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Beantwortung der Vorlagefragen sinnvoll ist. Die Antwort auf diese Fragen beschränkt sich daher auf die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 sowie des Grundsatzes der Steuerneutralität und des Effektivitätsgrundsatzes.

29An erster Stelle muss geprüft werden, ob es mit diesen Bestimmungen und diesen Grundsätzen vereinbar ist, dass einem Dienstleistungsempfänger in einer Situation wie der von PORR das Recht auf Vorsteuerabzug verweigert wird.

30Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass im Fall der Anwendung der Regelung über die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers zwischen dem Erbringer von Dienstleistungen und deren Empfänger keine Mehrwertsteuerzahlung erfolgt. Der Empfänger hat für die getätigten Umsätze Vorsteuer zu entrichten, kann diese aber grundsätzlich in Abzug bringen, so dass der Steuerverwaltung kein Betrag geschuldet wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Farkas, C-564/15, EU:C:2017:302, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31Außerdem ist zu betonen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann (Urteile vom , Pannon Gép Centrum, C-368/09, EU:C:2010:441, Rn. 37, und vom , Farkas, C-564/15, EU:C:2017:302, Rn. 42).

32Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Steuerpflichtige vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet somit die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (Urteile vom , Abbey National, C-408/98, EU:C:2001:110, Rn. 24, und vom , Farkas, C-564/15, EU:C:2017:302, Rn. 43).

33Zu den Modalitäten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug im Fall der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach Art. 199 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 ist überdies darauf hinzuweisen, dass ein Steuerpflichtiger, der als Empfänger einer Dienstleistung die darauf anfallende Mehrwertsteuer schuldet, für die Ausübung seines Vorsteuerabzugsrechts keine gemäß den Formvorgaben dieser Richtlinie ausgestellte Rechnung zu besitzen braucht und nur die Förmlichkeiten erfüllen muss, die der betreffende Mitgliedstaat in Wahrnehmung der ihm nach Art. 178 Buchst. f dieser Richtlinie eröffneten Möglichkeit vorgeschrieben hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Farkas, C-564/15, EU:C:2017:302, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechnungen nicht die in § 169 Abs. 1 Buchst. k des Umsatzsteuergesetzes geforderten Pflichtangaben enthielten und PORR den in diesen Rechnungen zu Unrecht ausgewiesenen Mehrwertsteuerbetrag irrtümlich an deren Aussteller überwiesen hat, obwohl sie als Empfängerin der Dienstleistungen in Anwendung der Regelung über die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers gemäß § 142 Abs. 1 Buchst. b dieses Gesetzes, mit dem Ungarn die in Art. 199 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Option umgesetzt hat, die Umsatzsteuer unmittelbar an die Steuerbehörden hätte entrichten müssen.

35Somit ist – abgesehen davon, dass die betreffenden Rechnungen nicht den Formvorgaben entsprechen, die die nationalen Rechtsvorschriften vorsehen, mit denen diese Richtlinie umgesetzt worden ist – ein materielles Erfordernis dieser Regelung nicht erfüllt, nämlich die Entrichtung der Umsatzsteuer an die Steuerbehörden durch den Steuerpflichtigen, der den Steuerabzug beantragt. Diese Situation hat die zuständige Steuerbehörde gehindert, die Anwendung der Regelung über die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers zu überwachen, und die Gefahr von Steuerausfällen für den betreffenden Mitgliedstaat herbeigeführt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Farkas, C-564/15, EU:C:2017:302, Rn. 45 und 46).

36Im Übrigen war die Umsatzsteuer, die PORR an die Dienstleistungserbringer, die die Rechnungen ausgestellt hatten, entrichtet hat, nicht geschuldet, während das Recht auf Vorsteuerabzug nur für diejenigen Steuern besteht, die geschuldet werden – d. h. mit einem der Mehrwertsteuer unterworfenen Umsatz in Zusammenhang stehen – oder die entrichtet worden sind, soweit sie geschuldet wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Farkas, C-564/15, EU:C:2017:302, Rn. 47).

37Da PORR ein materielles Erfordernis der Regelung über die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft nicht beachtet hat und die Mehrwertsteuer, die sie an die Dienstleistungserbringer entrichtet hat, nicht geschuldet wurde, kann sie sich nicht auf ein Recht zum Abzug dieser Steuer berufen.

38An zweiter Stelle ist zu prüfen, ob die Steuerbehörde – gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs und wie PORR sinngemäß geltend macht – vor einer Verweigerung des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer, die ein Steuerpflichtiger irrtümlich an Rechnungsaussteller wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden überwiesen hat, prüfen muss, ob die Rechnungsaussteller in der Lage sind, diese Rechnungen zu berichtigen und dem betreffenden Steuerpflichtigen den dort ausgewiesenen Mehrwertsteuerbetrag zu erstatten. PORR ist der Auffassung, dass der Rechnungsempfänger, wenn ihm die Steuerbehörde das Recht auf Vorsteuerabzug verweigern dürfte, ohne gleichzeitig von den Rechnungsausstellern zu verlangen, dass diese die Regelung über die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft anwenden und ihre Rechnungen berichtigen, doppelt besteuert werde. Im vorliegenden Fall erlaubten die nationalen Vorschriften für Steuerprüfungen den Rechnungsausstellern nicht, ihre Rechnungen zu berichtigen.

39Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in Ermangelung einer Unionsregelung über die Erstattung von Abgaben die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten ist; die Voraussetzungen, unter denen eine solche Erstattung verlangt werden kann, müssen dem Äquivalenzprinzip und dem Effektivitätsprinzip entsprechen, d. h., sie dürfen nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Forderungen, die auf Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts gestützt sind, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Farkas, C-564/15, EU:C:2017:302, Rn. 50 und 52 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

40In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof bejaht, dass ein System, in dem zum einen der Dienstleistungserbringer, der die Mehrwertsteuer irrtümlich an die Steuerbehörden entrichtet hat, deren Erstattung verlangen kann, und zum anderen der Dienstleistungsempfänger gegen diesen Erbringer eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erheben kann, die Grundsätze der Neutralität und der Effektivität beachtet. Denn ein solches System ermöglicht es dem Dienstleistungsempfänger, der mit der irrtümlich in Rechnung gestellten Steuer belastet war, die rechtsgrundlos gezahlten Beträge erstattet zu bekommen (Urteile vom , Reemtsma Cigarettenfabriken, C-35/05, EU:C:2007:167, Rn. 38 und 39, sowie vom , Farkas, C-564/15, EU:C:2017:302, Rn. 51).

41Im vorliegenden Fall hat die ungarische Regierung – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Überprüfungen – sowohl in ihren schriftlichen Erklärungen als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof bestätigt, dass das ungarische Rechtssystem, insbesondere die Verfahrensmodalitäten, die dieses für die Erstattung zu Unrecht in Rechnung gestellter Steuern vorsieht, es ermöglicht, dass zum einen der Dienstleistungsempfänger, der der Empfänger der Rechnungen ist, mit denen die Mehrwertsteuer irrtümlich in Rechnung gestellt worden ist, gegen die Dienstleistungserbringer, die diese Rechnungen ausgestellt haben, eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erhebt, um die rechtsgrundlos gezahlten Beträge zurückzuerlangen, und zum anderen die betreffenden Dienstleistungserbringer bei der Steuerbehörde die Erstattung der Mehrwertsteuer beantragen, die sie rechtsgrundlos entrichtet haben.

42Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Effektivitätsgrundsatz gebieten kann, dass der Dienstleistungsempfänger seinen Erstattungsantrag unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann, falls sich in einer Situation, in der der Dienstleistungserbringer die Mehrwertsteuer tatsächlich an den Fiskus entrichtet hat, ihre Erstattung an den Dienstleistungsempfänger durch den Dienstleistungserbringer – insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers – als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist. In einem solchen Fall müssen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Mittel und Verfahrensmodalitäten vorsehen, die es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen, damit der Grundsatz der Effektivität gewahrt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Farkas, C-564/15, EU:C:2017:302, Rn. 53).

43In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof hat PORR angegeben, dass über das Vermögen eines der Dienstleistungserbringer, die die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechnungen ausgestellt hätten, ein Insolvenzverfahren anhängig sei oder gewesen sei. Eine solche Feststellung stellt – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Überprüfungen – ein Indiz dafür dar, dass es für PORR unmöglich oder übermäßig schwierig sein könnte, die Mehrwertsteuer zurückzuerlangen, die ihr dieser Dienstleistungserbringer rechtsgrundlos in Rechnung gestellt hat.

44Ferner ist darauf hinzuweisen, dass es nach den Angaben des vorlegenden Gerichts im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte für einen Betrug gibt und die Dienstleistungserbringer, die die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechnungen ausgestellt haben, die Mehrwertsteuer an den Fiskus abgeführt haben, so dass diesem daraus, dass diese Rechnungen fälschlicherweise nach der gewöhnlichen Steuerregelung statt nach der Regelung über die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ausgestellt wurden, kein Schaden entstanden ist.

45Unter diesen Umständen müsste PORR ihren Erstattungsantrag unmittelbar an die Steuerbehörde richten können, falls sich die Erstattung der rechtsgrundlos in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer an PORR durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungserbringer – insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit der Dienstleistungserbringer – als unmöglich oder übermäßig schwierig erweisen sollte. Ein solcher Anspruch unterscheidet sich allerdings von dem Anspruch auf Vorsteuerabzug, der Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist.

46Was im Übrigen die vom vorlegenden Gericht aufgeworfene Frage betrifft, ob die Steuerbehörde möglicherweise verpflichtet ist, zu prüfen, ob die Berichtigung der in Rede stehenden Rechnungen und eine Rückforderung der rechtsgrundlos an den Fiskus entrichteten Steuer durch die Aussteller dieser Rechnungen rechtlich möglich sind, ist darauf hinzuweisen, dass es im Ausgangsrechtsstreit um die Ablehnung eines vom Empfänger dieser Rechnungen gestellten Antrags auf Vorsteuerabzug durch die Steuerbehörde geht. Die Möglichkeit für die Aussteller solcher Rechnungen, diese zu berichtigen oder die rechtsgrundlos an den Fiskus entrichtete Steuer zurückzuerlangen, ist zwar, wie in den Rn. 42 bis 45 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ein Gesichtspunkt, der bei der Feststellung geprüft werden muss, ob der Empfänger der betreffenden Rechnungen einen Erstattungsantrag unmittelbar an die Steuerbehörde richten können muss. Dieser Gesichtspunkt spielt jedoch keine Rolle für die Prüfung, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn die Steuerbehörde in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden den vom Empfänger der betreffenden Rechnungen gestellten Antrag auf Vorsteuerabzug ablehnt.

47Sofern das ungarische System PORR ermöglicht, die Mehrwertsteuer zurückzuerlangen, die sie rechtsgrundlos an die Aussteller der in Rede stehenden Rechnungen gezahlt hat, ist die Steuerbehörde folglich nicht verpflichtet, vor der Ablehnung des Antrags auf Vorsteuerabzug zu prüfen, ob diese Rechnungen auf der Grundlage der nationalen Regelung von ihren Ausstellern berichtigt werden können, oder eine solche Berichtigung anzuordnen.

48Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Richtlinie 2006/112 sowie der Grundsatz der Steuerneutralität und der Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen sind, dass sie einer Praxis der Steuerbehörde nicht entgegenstehen, wonach diese, ohne dass ein Betrugsverdacht vorliegt, einem Unternehmen das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer verweigert, die dieses als Empfänger von Dienstleistungen deren Erbringer rechtsgrundlos aufgrund einer Rechnung gezahlt hat, die der Erbringer gemäß der gewöhnlichen Mehrwertsteuerregelung ausgestellt hat, obwohl der betreffende Umsatz dem Mechanismus der Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger unterlag, ohne dass die Steuerbehörde

– vor der Verweigerung des Rechts auf Steuerabzug prüft, ob der Aussteller dieser falschen Rechnung ihrem Empfänger die rechtsgrundlos gezahlte Mehrwertsteuer erstatten und die betreffende Rechnung im Wege der Eigenrevision gemäß der einschlägigen nationalen Regelung berichtigen konnte, um die von ihm rechtsgrundlos an den Fiskus abgeführte Steuer zurückzuerlangen, oder

– beschließt, selbst dem Empfänger der betreffenden Rechnung die Steuer zu erstatten, die dieser rechtsgrundlos an deren Aussteller gezahlt und dieser anschließend rechtsgrundlos an den Fiskus abgeführt hat.

Die genannten Grundsätze erfordern allerdings, dass der Dienstleistungsempfänger seinen Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer unmittelbar an die Steuerbehörde richten kann, falls sich die Rückzahlung durch den Erbringer der Dienstleistungen an deren Empfänger – insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Erbringers – als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist.

Kosten

49Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom geänderten Fassung sowie der Grundsatz der Steuerneutralität und der Effektivitätsgrundsatz sind dahin auszulegen, dass sie einer Praxis der Steuerbehörde nicht entgegenstehen, wonach diese, ohne dass ein Betrugsverdacht vorliegt, einem Unternehmen das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer verweigert, die dieses als Empfänger von Dienstleistungen deren Erbringer rechtsgrundlos aufgrund einer Rechnung gezahlt hat, die der Erbringer gemäß der gewöhnlichen Mehrwertsteuerregelung ausgestellt hat, obwohl der betreffende Umsatz dem Mechanismus der Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger unterlag, ohne dass die Steuerbehörde

vor der Verweigerung des Rechts auf Vorsteuerabzug prüft, ob der Aussteller dieser falschen Rechnung ihrem Empfänger die rechtsgrundlos gezahlte Mehrwertsteuer erstatten und die betreffende Rechnung im Wege der Eigenrevision gemäß der einschlägigen nationalen Regelung berichtigen konnte, um die von ihm rechtsgrundlos an den Fiskus abgeführte Steuer zurückzuerlangen, oder

beschließt, selbst dem Empfänger der betreffenden Rechnung die Steuer zu erstatten, die dieser rechtsgrundlos an deren Aussteller gezahlt und dieser anschließend rechtsgrundlos an den Fiskus abgeführt hat.

Die genannten Grundsätze erfordern allerdings, dass der Dienstleistungsempfänger seinen Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer unmittelbar an die Steuerbehörde richten kann, falls sich die Rückzahlung durch den Erbringer der Dienstleistungen an ihren Empfänger – insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Erbringers – als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist.

Fundstelle(n):
GAAAH-35881