BGH Beschluss v. - 4 StR 40/19

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung: Zäsurwirkung bei mehreren Vorverurteilungen

Gesetze: § 55 Abs 1 S 1 StGB

Instanzenzug: LG Stendal Az: 502 Ks 4/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung, wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen, wegen Hausfriedensbruchs und wegen Körperverletzung unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einem Strafbefehl vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten, wegen Beleidigung sowie wegen Beleidigung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einem Strafbefehl vom zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten und schließlich wegen falscher Verdächtigung sowie wegen Beleidigung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 210 Tagessätzen verurteilt.

2Die Angeklagte hat es wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einem Strafbefehl vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten, wegen falscher Verdächtigung unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einem Strafbefehl vom und unter Auflösung der durch einen Beschluss vom gebildeten nachträglichen Gesamtstrafe zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen und ferner wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt. Darüber hinaus hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen.

3Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision und die Angeklagte mit ihrer auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

41. Die von der Angeklagten erhobene Verfahrensrüge genügt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist daher unzulässig.

52. Die Schuldsprüche, die Einzelstrafaussprüche und die Einziehungsentscheidung halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.

63. Die Gesamtstrafenaussprüche können indes keinen Bestand haben.

7a) Mit Blick auf den Angeklagten erweist sich die von der Strafkammer vorgenommene nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB in zweifacher Hinsicht als rechtsfehlerhaft.

8aa) Zum einen hat das Landgericht unzutreffend eine Zäsurwirkung des Strafbefehls vom angenommen. Es hat dabei außer Betracht gelassen, dass die diesem Strafbefehl zugrundeliegende Tat (Tatzeit 1. bis ) noch vor einem am gegen den Angeklagten verhängten rechtskräftigen und nicht erledigten weiteren Strafbefehl lag und daher ebenfalls durch diesen hätte geahndet werden können, so dass aus den in den Strafbefehlen vom und vom erkannten Strafen eine nachträgliche Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB zu bilden gewesen wäre. Zäsurwirkung kam daher bereits dem Strafbefehl vom als erste Vorverurteilung zu, während der Strafbefehl vom gesamtstrafenrechtlich keine eigene Bedeutung hatte (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 111/13, wistra 2013, 354; vom – 1 StR 340/97, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13; vom – 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193).

9bb) Zum anderen hält die Annahme der Strafkammer, dass auch der Strafbefehl vom Zäsurwirkung entfaltete, rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Insoweit erweisen sich die Feststellungen als lückenhaft, da sich aus dem angefochtenen Urteil nicht ergibt, wann die diesem Strafbefehl zugrundeliegende Tat – ein Hausfriedensbruch – begangen wurde; das Urteil teilt lediglich das Datum des dem Angeklagten erteilten Hausverbots mit (UA S. 8). Ohne Kenntnis des Tatzeitpunkts lässt sich nicht nachvollziehen, ob das Landgericht dem Strafbefehl vom zurecht eine Zäsurwirkung beigemessen hat. Denn es besteht die Möglichkeit, dass die abgeurteilte Tat noch vor dem begangen wurde, sodass auch insoweit mit der Strafe aus dem noch nicht erledigten Strafbefehl vom eine (nachträgliche) Gesamtstrafe zu bilden wäre. Dies hätte zur Folge, dass auch der Strafbefehl vom gesamtstrafenrechtlich verbraucht wäre und keine Zäsurwirkung mehr entfalten könnte. Soweit der Generalbundesanwalt darauf verweist, dass in den Urteilsgründen ein Datum genannt worden sei, bezieht sich dies nicht auf die Tatzeit, sondern den Zeitpunkt des (übertretenen) Hausverbots.

10b) Auch im Hinblick auf die Angeklagte begegnet die von der Strafkammer vorgenommene nachträgliche Gesamtstrafenbildung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

11Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Das Landgericht hat nicht bedacht, dass dem Strafbefehl vom keine Zäsurwirkung zukommt. Die diesem Strafbefehl zugrundeliegende Tat hat die Angeklagte am begangen (UA S. 9) und damit vor dem Erlass des Strafbefehls vom . Daher ist zutreffend mit Beschluss vom eine nachträgliche Gesamtstrafe gebildet worden (UA S. 10). Der Strafbefehl des Amtsgerichts Salzwedel vom , durch den die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 3 Euro verurteilt wurde, ist gesamtstrafenrechtlich daher verbraucht. Ihm kommt keine eigenständige Bedeutung im Sinne einer Zäsur zu. In einem solchen Fall bildet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ( – Rn. 3, juris) nur die erste Vorverurteilung eine Zäsur. Da die Straftaten aus den beiden Strafbefehlen und die Straftat zu II. 2 der Urteilsgründe vor dem lagen, hätten diese (frühestmöglich) am gemeinsam geahndet werden können. Aus den Einzelstrafen zu den Taten II. 9 (Tatzeit ) und II. 11 (Tatzeit ) der Urteilsgründe hätte eine zweite Gesamtstrafe gebildet werden müssen.“

12Dem tritt der Senat bei.

13Es ist nicht auszuschließen, dass sich die rechtsfehlerhafte Bildung der Gesamtstrafen zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt hat.

14c) Die vorgenannten Rechtsfehler zwingen jedoch nicht zur Zurückverweisung der Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO. Der Senat macht stattdessen von der Möglichkeit Gebrauch, gemäß § 354 Abs. 1b StPO zu entscheiden, der bei Rechtsfehlern, die ausschließlich die Bildung einer Gesamtstrafe betreffen, die Möglichkeit eröffnet, das Tatgericht auf eine Entscheidung im Beschlusswege nach den §§ 460, 462 StPO zu verweisen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 494/17, juris, Rn. 6; vom – 3 StR 245/14, NStZ-RR 2015, 20). Diesem Beschlussverfahren bleibt auch die abschließende Kostenentscheidung vorbehalten.

154. Das Schreiben des Angeklagten vom stellt keine wirksame Rücknahme der Revision der Angeklagten dar. Dem steht bereits entgegen, dass die Rücknahme des Rechtsmittels nicht unbedingt erklärt wird, sondern an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Zudem fehlt ein Nachweis einer Bevollmächtigung des Angeklagten zur Abgabe einer solchen Erklärung für die Angeklagte.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:120919B4STR40.19.0

Fundstelle(n):
SAAAH-34519