BSG Beschluss v. - B 14 AS 68/19 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - absoluter Revisionsgrund - nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts - Mitwirkung abgelehnter Richter - Verwerfung bzw Zurückweisung der Ablehnungsgesuche - ausschließlich mündliche Begründung in Abwesenheit der Beteiligten - Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter

Gesetze: § 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 60 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, Art 19 Abs 4 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Instanzenzug: SG Konstanz Az: S 5 AS 393/15vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 9 AS 214/18 Urteil

Gründe

1Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im ist zulässig, soweit er mit ihr eine Verletzung von § 60 SGG und zugleich einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG hinreichend bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

2Die Beschwerde ist insoweit auch begründet. Der gerügte Verfahrensmangel der unzulässigen Mitwirkung abgelehnter Richter liegt vor. Das LSG war bei seinem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom ergangenen Urteil nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG). Denn an diesem Urteil haben Berufsrichter mitgewirkt, die der Kläger zuvor eingangs der vorangegangenen mündlichen Verhandlung im Verfahren L 9 AS 3758/15 (B 14 AS 67/19 B) zwar erfolglos abgelehnt hatte, deren Mitwirkung am Urteil aber gleichwohl das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt hat. Die Verwerfung der den Vorsitzenden Richter und die Mitberichterstatterin betreffenden Ablehnungsgesuche als unzulässig unter Mitwirkung beider abgelehnten Richter und die Zurückweisung des den Berichterstatter betreffenden Ablehnungsgesuchs als unbegründet ohne dessen Mitwirkung haben jeweils Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt (vgl zu den Maßstäben zuletzt BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 436/17 - juris RdNr 19 mwN; vgl auch - juris; - juris), weshalb der Senat an die Verwerfung und Zurückweisung der Ablehnungsgesuche vorliegend entgegen § 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG nicht gebunden ist (vgl letztens nur - juris RdNr 12 unter Hinweis auf - SozR 4-1500 § 160a Nr 1 und - SozR 4-1100 Art 101 Nr 3).

3Ausweislich der Verfahrensakten und insbesondere der Protokolle der mündlichen Verhandlungen in den Verfahren L 9 AS 3758/15 (B 14 AS 67/19 B) und L 9 AS 214/18 (B 14 AS 68/19 B) war zur Verhandlung im Verfahren L 9 AS 3758/15 von den Beteiligten nur der Kläger erschienen, der nach deren Eröffnung beide Verfahren betreffende schriftliche, mehrseitig begründete Ablehnungsgesuche gegen die jeweils namentlich benannten drei Berufsrichter des Senats übergab und anschließend den Saal verließ mit der Erklärung, er habe nun eine Prozesshandlung vorgenommen und das Ganze werde seinen Gang gehen nach dem Prozessrecht. Einen Hinweis auf das vom LSG beabsichtigte weitere Verfahren erhielt der rechtskundig nicht vertretene Kläger zuvor nicht. Nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung und Wiedereintritt in diese verkündete der Senat in der Besetzung mit dem abgelehnten Vorsitzenden, der abgelehnten Mitberichterstatterin, einer Vertreterin für den abgelehnten Berichterstatter und den beiden ehrenamtlichen Richtern die Beschlüsse, dass in beiden Verfahren die Ablehnungsgesuche gegen den Vorsitzenden und die Mitberichterstatterin als offensichtlich unzulässig verworfen und gegen den Berichterstatter als unbegründet zurückgewiesen werden. Anschließend wurden die Beschlüsse vom Vorsitzenden mündlich begründet, wobei von den Beteiligten niemand anwesend war. Der Inhalt der Begründungen ist im Protokoll nicht wiedergegeben. Nach erneuter Unterbrechung der mündlichen Verhandlung wurde diese unter Mitwirkung des Berichterstatters fortgeführt. Das aufgrund der mündlichen Verhandlung ergangene, die Berufung des Klägers zurückweisende Urteil im Verfahren L 9 AS 3758/15 enthält keine Begründungen für die Verwerfung und Zurückweisung der Ablehnungsgesuche. Die Einholung einer dienstlichen Stellungnahme vom abgelehnten Berichterstatter lässt sich dieser Verfahrensakte nicht entnehmen.

4Zur anschließenden Verhandlung im Verfahren L 9 AS 214/18 war von den Beteiligten niemand erschienen. Die auch dieses Verfahren betreffenden Ablehnungsgesuche des Klägers finden im Protokoll dieser mündlichen Verhandlung keine Erwähnung. Das aufgrund der mündlichen Verhandlung ergangene Urteil im Verfahren L 9 AS 214/18, durch das die Erledigung des Berufungsverfahrens L 9 AS 3757/15 durch eine zuvor vom Kläger erklärte Berufungsrücknahme festgestellt wurde, enthält keine Begründungen für die Verwerfung und Zurückweisung der Ablehnungsgesuche. Die Einholung einer dienstlichen Stellungnahme vom abgelehnten Berichterstatter lässt sich auch dieser Verfahrensakte nicht entnehmen.

5Zu Recht rügt die Beschwerde, dass mangels Kenntnis der Gründe für die Entscheidungen des LSG über die Ablehnungsgesuche eine Auseinandersetzung mit diesen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil verwehrt sei und dies nicht zu Lasten des Klägers gehen könne. Weder die Einhaltung oder Überschreitung der Grenzen der zulässigen Selbstentscheidung noch die Einhaltung oder Überschreitung der verfassungsrechtlichen Grenzen für die Zurückweisung von Ablehnungsgesuchen lassen sich durch den rechtsschutzsuchenden Kläger wie das daraufhin zur Entscheidung aufgerufene BSG prüfen. Die Beachtung dieser rechtlichen Grenzen kann grundsätzlich nur durch die Begründung für die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch dokumentiert und anhand dieser überprüft werden (vgl Flint in jurisPK-SGG, § 60 RdNr 144, Stand ; zur Angabe von Gründen zur Ermöglichung von Kontrolle vgl auch BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 1631/08 - juris RdNr 49; BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 1863/12 - juris RdNr 14; BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 1320/14 - juris RdNr 16 ff).

6Durch seine den Rechtsschutz erschwerende Verfahrensweise hat das LSG vorliegend entgegen den Anforderungen des Art 19 Abs 4 GG die Überprüfung seiner Entscheidungen über die Ablehnungsgesuche auf Beachtung der für diese geltenden rechtlichen Grenzen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG verhindert (zu den Gewährleistungsinhalten der Garantie eines wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutzes vgl letztens nur - Juris RdNr 33 ff mwN). Damit hat es zugleich die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt.

7Bei seiner Entscheidung durch Urteil darüber, ob das Berufungsverfahren L 9 AS 3757/15 erledigt ist, war das LSG nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn eine grundlegende Verkennung von Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG führt ebenso wie Willkür bei der Behandlung von Ablehnungsgesuchen zur nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts mit den abgelehnten Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG), bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist. Dieser die angefochtene Entscheidung des LSG insgesamt betreffende absolute Revisionsgrund führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG). Die Verweisung an einen anderen Senat des LSG (§ 563 Abs 1 Satz 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) ist nicht geboten.

8Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2019:290819BB14AS6819B0

Fundstelle(n):
OAAAH-34273