BVerwG Beschluss v. - 4 B 8/19

Zum Vorliegen eines Bebauungszusammenhangs

Gesetze: § 34 Abs 1 S 1 BauGB, § 37 Abs 3 S 1 Nr 7 BauGB

Instanzenzug: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Az: 2 Bf 161/15 Urteilvorgehend Az: 7 K 1166/14 Urteil

Gründe

1Der Kläger begehrt noch einen Bauvorbescheid für die Errichtung von zwei Einfamilienhäusern in dritter Baureihe. Die Klage blieb in den Vorinstanzen insoweit erfolglos (; - BauR 2019, 619). Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts liegt das Vorhabengrundstück im Außenbereich. Die Errichtung der Gebäude sei unzulässig, weil sie die Erweiterung einer Splittersiedlung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB befürchten lasse.

2Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

3I. Die Beschwerde zeigt im Hinblick auf § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB keinen Grund für die Zulassung der Revision auf.

41. Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich klären lassen,

ob eine Regelvermutung besteht, dass eine unbebaute Fläche im Anschluss an den unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) mit tatsächlich ausgeübter und grundsätzlich zulässiger Wohnnutzung den Bebauungszusammenhang jedenfalls dann nicht unterbricht, wenn sie

- auf der einen Seite begrenzt ist durch den ständigem Aufenthalt von Menschen dienende (Wohn-)Gebäude, die Teil eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils sind,

- auf der anderen Seite begrenzt ist von zumindest zwei Wohnhäusern, jenseits derer sich der unbebaute Außenbereich (§ 35 BauGB) anschließt, und die so nahe beieinander stehen, dass nach der Siedlungsstruktur in der näheren Umgebung zwischen ihnen nicht ein weiteres Wohngebäude errichtet werden könnte und

- nur so breit bzw. tief ist, dass sie nicht mehr als zwei Wohngebäude aufnehmen kann, die nach der überbauten Grundfläche der Siedlungsstruktur der maßgeblichen näheren Umgebung entsprechen.

5Darauf aufbauend möchte die Beschwerde rechtsgrundsätzlich klären lassen,

ob eine solche Regelvermutung auch für die Beurteilung gilt, bis zu welcher Tiefe sich ein zusammenhängend bebauter Ortsteil in den rückwärtigen, der öffentlichen Straße abgewandten Raum ausdehnt.

6Sollten die vorgenannten Fragen zu verneinen sein, will die Beschwerde grundsätzlich klären lassen,

ob eine solche Regelvermutung zumindest dann gilt, wenn zu den "nach außen" begrenzenden Wohnhäusern ein weiteres, nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienendes Betriebsgebäude hinzutritt, das nach seiner überbauten Grundfläche, Höhe und sonstigen Kubatur den Wohnhäusern entspricht, und zwischen diesem und den Wohnhäusern kein weiteres ähnlich großes Gebäude errichtet werden könnte.

7Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>).

8Die Beschwerde möchte als Rechtssatz eine Regelvermutung bestätigt sehen, dass unter den genannten Voraussetzungen eine unbebaute Fläche, die maximal zwei Wohngebäude aufnehmen kann, den Bebauungszusammenhang nicht unterbricht, sondern als Baulücke Teil des Bebauungszusammenhangs ist. Die aufgeworfene Frage ist indes nicht klärungsbedürftig. Eine solche Regelvermutung ist dem § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht zu entnehmen. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB setzt u.a. einen Bebauungszusammenhang voraus. Ausschlaggebend für dessen Bestehen ist, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden (stRspr, vgl. 4 C 7.10 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 212 Rn. 11 und Beschluss vom - 4 B 28.15 - UPR 2016, 68 Rn. 5). Mit dieser Rechtsprechung ist ein geografisch-mathematischer Maßstab nicht vereinbar, der die Zahl der Bauplätze für ausschlaggebend hält. Dass die Beschwerde diesen Maßstab nicht als ausnahmslos geltenden Rechtssatz, sondern unter Maßgabe weiterer Voraussetzungen als Regelvermutung formuliert, ändert daran nichts.

9Allerdings nehmen einige Oberverwaltungsgerichte als "Faustformel" an, dass eine unbebaute Fläche von zwei bis drei Bauplätzen als Baulücke angesehen werden kann, die den Bebauungszusammenhang nicht unterbricht (insbesondere VGH Mannheim, Urteile vom - 5 S 747/02 - BRS 66 Nr. 96, vom - 5 S 330/06 - BauR 2007, 1378 <1380> und vom - 8 S 600/09 - NVwZ-RR 2011, 393 <394>; ebenso - juris Rn. 20; - ZfBR 2019, 476 <477> und vom - 8 C 10121/19 - juris Rn. 42; OVG Magdeburg, Beschluss vom - 2 L 54/09 - NVwZ-RR 2010, 465 <466>; ablehnend - juris Rn. 9; VGH Mannheim, Urteil vom - 3 S 1673/12 - NVwZ-RR 2014, 931 Rn. 33 <für drei bis vier Bauplätze>). Dagegen ist aus revisionsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern. Denn es entspricht einer aus der Erfahrung abzuleitenden Faustformel, dass die wachsende Größe einer unbebauten Fläche als Indiz gegen einen Bebauungszusammenhang spricht ( 4 B 112.98 - NVwZ 1999, 763 <765>). Eine Faustformel ist indes kein grundsätzlich klärungsfähiger Rechtssatz. Sie bezeichnet lediglich einen gedanklichen Ausgangspunkt für den Tatrichter, der von einer Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall nicht entbindet (vgl. 4 B 71.88 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG/BauGB Nr. 127 S. 27 f. <zu Geländehindernissen> und Beschluss vom - 4 B 38.13 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 217 Rn. 9 <zur Reichweite der näheren Umgebung>; Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl., Stand August 2018, § 34 Rn. 9).

10Die Beschwerde erklärt im Übrigen nicht, warum bestimmte, dem Einzelfall entlehnte Umstände Eingang in die Regelvermutung finden sollen, während andere Umstände wie die Entfernung der im Außenbereich gelegenen Wohnhäuser von der Straße und der Eindruck ihrer isolierten Stellung (UA S. 13) lediglich als - aus Sicht der Beschwerde nicht hinreichend konkrete - Ausnahmegründe Berücksichtigung finden dürften. Die formulierte Regelvermutung dient so der Kritik an der Tatsachenwürdigung im Einzelfall. Dies gilt auch und besonders für die zur Ausgangsfrage formulierten Varianten zur rückwärtigen Bebauung und zur Gestalt der "nach außen" begrenzenden Bebauung. Dies steht einer Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung entgegen.

112. Die Beschwerde will zu § 34 Abs. 1 BauGB weiter klären lassen,

ob zu der den Bebauungszusammenhang bildenden Bebauung auch nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienende Gebäude wie Lager- oder Betriebshallen gehören, die nach ihrer Grundfläche, Höhe und sonstigen Kubatur den übrigen Wohngebäuden entsprechen und sich nicht als Nebenanlagen unterordnen, wenn diese den Wohngebäuden so nahe stehen, dass nach der Siedlungsstruktur in der näheren Umgebung zwischen ihnen und den Wohngebäuden weitere Wohn- oder gleichartige Betriebsgebäude nicht errichtet werden können.

12Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Die Beschwerde zielt darauf, das auf dem Auszug aus dem Liegenschaftskataster auf dem Flurstück 4141 mit "(3)" verzeichnete, auf UA S. 13 als "Schuppen" benannte Gebäude als Gebäude anzusehen, das ausreichende maßstabsbildende Kraft hätte, um einen Bebauungszusammenhang herzustellen. Die Beschwerde legt indes die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage nicht dar. Sollte sie zu bejahen sein, bedürfte es tatrichterlicher Würdigung, ob die Wohnhäuser N. H. 289/289a/289b und 291 und der "Schuppen" ausreichendes Gewicht haben, dass sie Teil eines Bebauungszusammenhangs mit der straßennahen Bebauung sind und auch dem Vorhabengrundstück diesen Bebauungszusammenhang vermitteln. Es widerspricht aber dem Ziel der Grundsatzrevision, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wenn die Revision im Hinblick auf Fragen zugelassen würde, deren Entscheidungserheblichkeit nicht feststeht ( 4 BN 36.15 - BRS 84 Nr. 17 Rn. 12 m.w.N.). Soweit die Frage darüber hinaus bestimmte Umstände des Einzelfalls aufgreift - Grundfläche, Höhe und Kubatur der Bebauung, Entfernung zum nächsten Wohngebäude - legt sie keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf dar, sondern beanstandet im Gewand der Grundsatzrüge allein die Entscheidung des konkreten Einzelfalls.

13Die Frage wäre auch im Übrigen nicht entscheidungserheblich. Zur "Bebauung" im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gehören grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinne "Nebenanlagen" zu einer landwirtschaftlichen, (klein-)gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen ( 4 C 5.14 - BVerwGE 152, 275 Rn. 15 m.w.N.). Die Beschwerde möchte klären lassen, wann solche Bauten nicht "für sich genommen" zu beurteilen sind. Diese Frage wirft der Fall nicht auf. Denn die Formulierung des Senats nennt nur ein Hilfskriterium für die maßstabsbildende Kraft von Bauwerken. Maßgeblich bleibt, ob die Bebauung geeignet ist, dem Gebiet im Sinne einer nach der Siedlungsstruktur angemessenen Fortentwicklung ein bestimmtes städtebauliches Gepräge zu verleihen (BVerwG, Beschlüsse vom - 4 B 46.16 - ZfBR 2017, 471 Rn. 9 und vom - 4 B 4.18 - juris Rn. 8). Eine solche prägende Kraft hat das Oberverwaltungsgericht dem Gebäude (3) auf dem Flurstück 4141 auf der Grundlage einer Ortsbesichtigung abgesprochen (UA S. 13), ohne sich eines Hilfskriteriums zu bedienen.

14II. Die Beschwerde zeigt auch zu § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB keinen Revisionszulassungsgrund auf.

151. Die Beschwerde will insoweit rechtsgrundsätzlich klären lassen,

ob die bauliche Auffüllung eines unbebauten Grundstücksbereichs zwischen dem im Zusammenhang bebauten Ortsteil und einer sich daran anschließenden Splittersiedlung mit dem unbebauten Außenbereich "dahinter" eine Splittersiedlung im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB nicht erweitert sondern verfestigt, wenn der Grundstücksbereich nicht mehr als zwei Bauplätze für Wohngebäude aufnehmen kann, die nach ihrer überbauten Grundfläche der Siedlungsstruktur in der näheren Umgebung entsprechen.

16Dies führt nicht zur Zulassung der Revision. Die Beschwerde möchte zur Abgrenzung zwischen den Tatbestandsmerkmalen der Verfestigung und der Erweiterung einer Splittersiedlung in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB beitragen. Die Begriffe sind indes geklärt: Eine Splittersiedlung wird erweitert, wenn sie räumlich ausgedehnt wird. Die Verfestigung einer Splittersiedlung meint die Auffüllung eines schon bisher in Anspruch genommenen räumlichen Bereichs ( 4 C 37.75 - BVerwGE 54, 73 <76 f.>, vom - 4 C 10.11 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 386 Rn. 21 und Beschluss vom - 4 B 45.14 - UPR 2015, 312 Rn. 8).

17Rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt auch der Hinweis auf den Senatsbeschluss vom - 4 B 77.99 - (ZfBR 2000, 425) nicht auf. Danach beeinträchtigt die Ausweitung eines Ortsteils über den Bebauungszusammenhang hinaus in den Außenbereich als Vorgang einer siedlungsstrukturell zu missbilligenden Entwicklung öffentliche Belange. Dies gilt erst recht für ein Vorhaben, durch das unter Auffüllung von Freiflächen zwischen Splittersiedlungen erst ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil entsteht oder ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil durch Bebauung eines Zwischenraums zu einer vorhandenen Splittersiedlung erweitert würde. Diesen Vorgang hat der Senat als Erweiterung einer Splittersiedlung angesehen (a.a.O. S. 426 = juris Rn. 8 a.E.); dem entspricht das vorinstanzliche Urteil.

182. Die Revision ist schließlich nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

19Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

20Die Beschwerde entnimmt dem Senatsurteil vom - 4 C 10.11 - (Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 386 Rn. 21) den Rechtssatz, dass die regelhafte Annahme eines (unerwünschten) Vorgangs der Zersiedlung eine konkrete Begründung erfordere. Dies führt schon deswegen nicht zur Zulassung der Revision, weil sich der Rechtssatz des Senats nur zur Verfestigung einer Splittersiedlung äußert ("- zumindest in Fällen der Verfestigung -"). Dass die Beschwerde es für geboten hält, ihn auf Fälle der Erweiterung zu erstrecken, begründet keine Divergenz. Die Beschwerde geht im Übrigen daran vorbei, dass sich nach dem angeführten Senatsurteil die Missbilligung einer Erweiterung in der Regel ohne Weiteres rechtfertigt (a.a.O. Rn. 25).

21Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:300819B4B8.19.0

Fundstelle(n):
FAAAH-31418