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LSG Berlin-Brandenburg Urteil v. - L 9 KR 534/15

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadenersatz in Höhe von 9.926,58 Euro aufgrund eines ohne Einvernehmen der Klägerin von der Beklagten abgeschlossenen Vergleiches. Die Beklagte ist die zuständige Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, den die M GmbH für diverse Arbeitnehmer zu entrichten hatte. Im Zuge von Zahlungsschwierigkeiten entrichtete die M GmbH in der Zeit von Januar 1997 bis Oktober 1997 fällige Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 309.241,16 DM an die Beklagte nicht. Mit Beschluss vom 19. Oktober 2018 eröffnete das Amtsgericht Stendal das Gesamtvollstreckungsverfahren gegenüber der M GmbH. Im Jahr 2000 schlug die Beklagte den Großteil der Forderung wegen Erfolglosigkeit der Einziehung befristet nieder. Im Juli 2001 erhob die Beklagte gegen den Geschäftsführer der M GmbH, dem am 7. April 1962 geborenen Herrn M (nachfolgend Schuldner), Schadensersatzklage gemäß § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. § 266a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) wegen nicht erfolgter Weiterleitung der Arbeitnehmeranteile zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die Zeit von Februar 1997 bis August 1997. Mit Versäumnisurteil vom 23. Januar 2002 verurteilte das Landgericht Stendal den Schuldner zur Zahlung von 88.561,18 DM zzgl. 4 % Zinsen seit dem 24. Februar 2000 an die Beklagte. Am 10. Dezember 2004 bat die Beklagte die damals zuständige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte aufgrund der titulierten Forderung im Wege der Amtshilfe um Verrechnung der Ansprüche nach § 52 i.V.m. § 51 Sozialgesetzbuch/ Erstes Buch (SGB I) mit Leistungsansprüchen des Schuldners. Dies merkte die Klägerin für den Fall eines späteren Leistungsbezuges entsprechend vor. Nachdem durch Beschluss des Amtsgerichtes Celle vom 15. Dezember 2005 das Privatinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden war, meldete die Beklagte die Grundforderung gemäß dem Versäumnisurteil vom 23. Januar 2002 i.H.v. 45.280,62 Euro zuzüglich Zinsen i.H.v. 11.285,06 Euro sowie Verfahrenskosten gemäß Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27. Februar 2002 i.H.v. 2.985,93 Euro, mithin eine Gesamtforderung von 59.551,61 Euro zur Insolvenztabelle mit dem Hinweis an, dass diese nach § 302 InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommen sei, da sie auf einer unerlaubten Handlung beruhe. Hinsichtlich der rückständigen Beiträge entfielen 21.574,17 Euro und hinsichtlich der Zinsen 5.441,49 Euro auf die Träger der Rentenversicherung. Im Zuge eines hiergegen vom Schuldner angebrachten Widerrufs und eines daraufhin eingeleiteten Gerichtsverfahrens kam es nach Rücknahme des Verfahrens am 11. Dezember 2007 zu einem Kostenfestsetzungsbeschluss des OLG Naumburg, wonach der Schuldner an die Beklagte einen weiteren Betrag i.H.v. 5.460,84 Euro zu zahlen hatte. Nachdem 2008 das Gesamtvollstreckungsverfahren gegen die M GmbH mangels Masse eingestellt und dem Schuldner im Dezember 2011 im Zuge seines Privatinsolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung erteilt worden war, machte die Beklagte am 22. Februar 2012 gegenüber dem Schuldner eine Gesamtforderung i.H.v. 59.551,61 Euro geltend. Daraufhin unterbreitete der Bevollmächtigte des Schuldners der Beklagten mit Schreiben vom 20. April 2012 unter Vorlage der Gehaltsbescheinigung des Klägers für den Monat Januar 2012 den Vorschlag, dass der Schuldner zur Abgeltung der Gesamtforderung an die Beklagte 7000 Euro in Raten zahle. Mit Schreiben vom 2. Mai 2012 fragte die Beklagte bei der Klägerin und bei der Bundesagentur für Arbeit an, ob diese mit einem entsprechenden Vergleichsvorschlag einverstanden seien. Mit Schreiben vom 25. Mai 2012 unterbreitete der Bevollmächtigte des Schuldners der Beklagten einen konkretisierten Vergleichsvorschlag mit dem Inhalt, dass dieser die Gesamtforderung i.H.v. 59.551,61 Euro nebst Nebenkosten und weiteren 5.460,84 Euro aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 3. Dezember 2007 nebst Zinsen anerkenne und die Beklagte als Gläubigerin sich bereit erkläre, Ansprüche aus den zu Grunde liegenden Schuldtiteln nicht herzuleiten, wenn der Schuldner insgesamt 7000 Euro in Raten i.H.v. 584 Euro monatlich zahle. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 483, 484 der Verwaltungsakte verwiesen. Am 4. Juni 2012 führte die zuständige Mitarbeiterin der Klägerin mit der zuständigen Mitarbeiterin der Beklagten ein Telefonat, dessen Inhalt streitig ist. Im Anschluss hieran unterschrieb die zuständige Mitarbeiterin der Beklagten das Vergleichsangebot und schickte es dem Bevollmächtigten des Schuldners zu. Mit Schreiben vom gleichen Tag lehnte die Klägerin eine Zustimmung zum Vergleichsabschluss mangels ausreichender Quote und aufgrund der in Aussicht gestellten Ratenzahlung ab. Mit Schreiben vom 4. Juli 2012 lehnte auch die Bundesagentur für Arbeit den unterbreiteten Vergleichsvorschlag ab. Mit Schreiben vom 17. August 2012 forderte die Klägerin auch für die anderen Sozialversicherungsträger von der Beklagten wegen der Verletzung des öffentlich-rechtlichen Treuhandverhältnisses die Ersetzung des entstandenen Vermögensschadens i.H.v. 58.012, 45 Euro. Nachdem die Beklagte dies mit Schreiben vom 25. März 2013 abgelehnt hatte, erhob die Klägerin am 4. Dezember 2013 gegen die Beklagte vor dem Sozialgericht Berlin Klage auf Ersatz des ihr aufgrund des Vergleichsabschlusses entstandenen Schadens in Höhe von 9.926,58 Euro, hilfsweise auf Feststellung, dass ein Vergleich über im Rahmen der Geschäftsführerhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB geschuldete Arbeitnehmeranteile, deren Höhe die Bezugsgröße übersteige, nur im Einvernehmen mit den beteiligten Fremdversicherungsträgern schließen dürfe. Der Schuldner hat die vereinbarte Vergleichssumme im Zeitraum vom 3. Juli 2012 bis zum 4. Juni 2014 vollständig abgezahlt. Auf die Rentenversicherung entfiel dabei ein Anteil von 3.335,83 Euro. Mit Urteil vom 7. Oktober 2015 hat das Sozialgericht Berlin die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 9.126,58 Euro zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der von der Klägerin gegen die Beklagte geltend gemachte Schadensersatzanspruch i.H.v. 9.926,58 Euro bestehe. Dieser ergebe sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 675 BGB aufgrund einer sich aus einem treuhandähnlichen Rechtsverhältnis ergebenden Nebenpflicht in entsprechender Anwendung des § 76 Abs. 4 S. 2 Sozialgesetzbuch/ Viertes Buch (SGB IV). Der Anwendung des § 280 Abs. 1 BGB stehe die Regelung des § 28r SGB IV nicht entgegen, da sich dieser nur auf Pflichtverletzungen des Dritten Abschnitts des SGB IV beziehe, nicht jedoch auf eine Haftung wegen Verletzung der Herstellung des Einvernehmens nach § 76 Abs. 4 SGB IV. Es sei auch nicht ersichtlich, dass § 28r SGB IV eine abschließende Regelung für Schadensersatzansprüche zwischen Leistungsträgern darstelle. Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehe ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis im Sinne eines Treuhandverhältnisses, da die Einzugsstelle Inhaberin der Beitragsforderung gegenüber den Beitragsschuldnern sei, diese jedoch im Innenverhältnis zu den Leistungsträgern ein für die Einzugsstelle fremdes Recht bleibe. Das Treuhandverhältnis ähnele dem Auftragsrecht des § 675 BGB. Dieses Treuhandverhältnis aus dem Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags setzte sich fort, soweit an die Stelle des Beitragsanspruches der Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB trete. Soweit der Schaden im Rahmen des geltend gemachten Schadensersatzanspruches durch die Verkürzung des Rentenversicherungsbeitrages begründet worden sei, handele es sich um eine Drittschadensliquidation, welche die Beklagte legitimiere, den bei der Klägerin eingetretenen Schaden geltend zu machen. Daher umfasse das öffentlich-rechtliche Treuhandverhältnis auch die Abwicklung des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches. Im Rahmen dieses Treuhandverhältnisses habe der Beklagten die Pflicht oblegen, vor Abschluss eines Vergleiches das Einvernehmen mit den beteiligten Trägern der Rentenversicherung herzustellen. Dies ergebe sich aus dem Rechtsgedanken des § 76 Abs. 4 S. 1 SGB IV sowie aus dem Treuhandverhältnis, welches weitreichende Treue- und Interessenwahrungspflichten begründe. Diese Pflicht habe die Beklagte verletzt, indem sie einen Vergleich abgeschlossen habe ohne das Einvernehmen der Klägerin abzuwarten. Hierdurch sei der Klägerin ein Schaden in der Höhe des Betrages entstanden, den sie hätte beanspruchen können, wenn der Schuldner den Schadensersatzanspruch vollständig befriedigt hätte. Demgegenüber könne sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass ein Schaden nicht oder nicht in dieser Höhe entstanden sei, weil der Schuldner vermögenslos sei und ein Anspruch damit nicht durchsetzbar gewesen wäre, denn hiermit stelle sie lediglich ihre eigenen Erwägungen zur Sinnhaftigkeit des Vergleiches dar. Schutzzweck der Herstellung des Einvernehmens bei Vergleichsabschlüssen sei es jedoch, dass jeder Sozialversicherungsträger eigene Erwägungen zur Sinnhaftigkeit eines Vergleichsabschlusses anstellen könne. Damit müsse aber bei der Ermittlung des Schadens unberücksichtigt bleiben, ob sich die Prognose der Einzugsstelle im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit der Forderung als zutreffend erweise. Zu berücksichtigen sei insofern auch, dass nicht feststehe, ob der Schuldner leistungsfähig gewesen sei, denn die Beklagte habe sich lediglich auf die Feststellung der aktuellen Einkommensverhältnisse des Schuldners beschränkt und nicht hinreichend in den Blick genommen, dass die titulierten Forderungen erst in 30 Jahren verjähren und der zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses erst 50-jährige Schuldner durchaus noch hätte Einkommens- und Vermögenszuwächse erzielen können. Die Klägerin habe zudem die Höhe des ihr zustehenden Schadensersatzanspruches zutreffend ermittelt. Eine Prüfung der hilfsweise gestellten Feststellungsklage habe mangels Eintretens der innerprozessualen Bedingung nicht zu erfolgen. Gegen das ihr am 12. November 2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10. Dezember 2015 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte nicht bestehe. Ein solcher könne nicht aus § 280 BGB hergeleitet werden, da § 28r SGB IV als spezialgesetzliche Norm den Rückgriff auf § 280 BGB verdränge. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm und dem Vergleich zu den Vorgängerregelungen der §§ 1399 ff. Reichsversicherungsordnung (RVO), die eine entsprechende Anwendung der Schadenersatzregelungen des BGB bestimmte. Für einen Schadenersatzanspruch aus § 28r SGB IV lägen die Anspruchsvoraussetzungen nicht vor, da sich der behauptete Pflichtverstoß aus § 76 Abs. 4 SGB IV ergebe und damit keine Pflicht nach dem Dritten Abschnitt des SGB IV verletzt sei. Für eine Einbeziehung dieses Pflichtenverstoßes in § 28r SGB IV im Wege der Analogie sei kein Raum, da es an der insofern erforderlichen Regelungslücke fehle. Überdies bestehe ein Treuhandverhältnis zwischen den Beteiligten nur im Rahmen des Einzuges des Gesamtsozialversicherungsbeitrages, nicht jedoch bei der Geltendmachung von Schadensersatzforderungen aus unerlaubter Handlung. Die Geltendmachung von zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen sei nicht - auch nicht im Wege der erweiternden Gesetzesauslegung - Gegenstand des Beitragseinzuges. § 28r SGB IV sei nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf Beitragsansprüche anzuwenden, einer anderweitigen Auslegung stehe die Wortlautgrenze entgegen. Es liege auch kein Verstoß gegen § 76 Abs. 4 SGB IV vor, da die Beklagte keinen Vergleich über Beitragsansprüche, sondern einen solchen über Schadenersatzansprüche geschlossen habe. Auf einen solchen könne die Regelung des § 76 Abs. 4 SGB IV nicht angewendet werden, denn es liege keine Gleichartigkeit der Beitragsansprüche mit den Ansprüchen aus unerlaubter Handlung vor, da bereits die jeweiligen Schuldner unterschiedlich seien. Zudem bestehe keine wirtschaftliche Identität der Ansprüche; diese bestünden vielmehr nebeneinander. Nur wenn tatsächlich eine Zahlung auf die Forderung aus unerlaubter Handlung erfolge, reduziere sich auch die Forderung aus dem Gesamtsozialversicherungs-beitrag. Ein Vergleich bezüglich der Forderung aus unerlaubter Handlung berühre daher den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrages nur insoweit, als Zahlungen auf den Gesamtversicherungsbeitrag erfolgen. Ein solcher Vergleich reduziere auch nicht die Beitragsforderung gegen den Arbeitgeber. Daher würden durch einen Vergleich über eine Schadensersatzforderung wegen Beitragsvorenthaltung die wirtschaftlichen Interessen der Fremdversicherungsträger grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Die Befugnis zum Abschluss eines Vergleiches für Schadenersatzforderungen ergebe sich für die Beklagte uneingeschränkt aus § 76 Abs. 1 SGB IV. Selbst wenn man eine gewisse Ähnlichkeit von Beitragsansprüchen und Schadenersatzansprüchen nach § 823 Abs. 2 iVm § 266a StGB sowie diesbezüglich gleichfalls ein Treueverhältnis annehmen würde, so beschränke sich dieses darauf, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin auskunfts- und rechenschaftspflichtig sei. Es müsse jedoch kein Einvernehmen hergestellt werden. Vielmehr habe die Beklagte ihre Treuepflicht bereits dadurch erfüllt, dass sie gegenüber dem Schuldner den Anspruch auf zivilrechtlichem Wege geltend gemacht habe. Schließlich könne der zuständigen Mitarbeiterin kein Verschuldensvorwurf gemacht werden, da diese hinsichtlich der Frage, ob überhaupt ein Einvernehmen mit der Klägerin habe hergestellt werden müssen, einem Rechtsirrtum unterlegen habe. Darüber hinaus bestünden Zweifel an der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden, denn die Klägerin habe nicht ausreichend dargelegt, dass ohne den Vergleichsabschluss die Forderung einbringlich gewesen wäre. Nach dem Vergleichsabschluss vorliegende Erkenntnisse müssten bei der Frage der haftungsausfüllenden Kausalität unbeachtlich bleiben. § 28r SGB IV stelle lediglich einen Schadenersatzanspruch, nicht jedoch eine Sanktionsnorm dar.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
OAAAH-30991

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