Gehörsverletzung im Schadensersatzprozess: Überspannte Anforderungen an die hinreichende Substantiierung des Klägervortrags bei Inanspruchnahme eines Herstellers von Schließzylindern unter dem Gesichtspunkt der Haftung für wirkungslose Produkte
Leitsatz
Zum Vorliegen eines Gehörsverstoßes wegen überspannter Anforderungen an die hinreichende Substantiierung des Klägervortrags.
Gesetze: § 823 Abs 1 BGB, Art 103 Abs 1 GG, § 1 Abs 1 ProdHaftG
Instanzenzug: Az: 3 U 29/17vorgehend LG Duisburg Az: 10 O 106/16
Gründe
I.
1Die Klägerin nimmt den beklagten Hersteller von Schließzylindern aus übergegangenem Recht ihres Ehemannes auf Ersatz materiellen Schadens unter dem Gesichtspunkt der Haftung für wirkungslose Produkte in Anspruch. Sie macht geltend, in der Zeit zwischen dem 2. und sei es zu einem Einbruch in das Haus ihres Ehemannes gekommen, bei dem Wertgegenstände mit einem Gesamtwert von rund 69.000 € entwendet worden seien. Als einzig denkbare Einbruchstechnik komme das sogenannte Lockpicking, nämlich das Öffnen des Türschlosses mittels eines Weichholzes, etwa einem einfachen Zahnstocher, in Betracht. Sämtliche Türen seien zum Zeitpunkt des Einbruchs ordnungsgemäß verschlossen gewesen. Ein Nachschlüsseldiebstahl scheide aus. Die Polizei habe bis auf leichte Hebelspuren an einer der Türen keine Einbruchsspuren festgestellt. Die Schlösser seien mit Schließanlagen der von der Beklagten hergestellten K. Serie versehen gewesen. Diese hätten keinen ausreichenden Schutz gegen Lockpicking geboten.
2Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
II.
3Das Berufungsgericht hat Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB und § 1 Abs. 1 Produkthaftungsgesetz mit der Begründung verneint, dass die Klägerin das Vorliegen eines Produktfehlers nicht ausreichend konkret dargelegt habe. Dass die Schließzylinder tatsächlich dem sogenannten Lockpicking nicht standgehalten haben könnten und es deshalb zu dem von der Klägerin behaupteten Einbruch gekommen sei, habe die Klägerin nicht schlüssig vorgetragen. Nach ihrem Vortrag habe dem Täter ein Zeitraum von drei Tagen zur Verfügung gestanden, um die Schließzylinder zu überwinden, weshalb keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der behaupteten Öffnung des Schließzylinders innerhalb eines Zeitraums von wenigen Minuten vorlägen. Gegen die behauptete Überwindung des Schließzylinders durch einen Täter, der das Lockpicking beherrsche, spreche zudem der Umstand, dass nach dem Vortrag der Klägerin an der rückwärtigen Eingangstür leichte Hebelspuren zu finden gewesen seien. Auch auf der Basis des Vortrags der Klägerin zu dem erwarteten Sicherheitsstandard der Schließzylinder sei ein Fehler der streitgegenständlichen Zylinder nicht ersichtlich. Die Klägerin habe ausgeführt, die Beklagte bewerbe die von ihr hergestellten Zylinder als "unknackbar". Näherer Vortrag hierzu fehle indes. Etwaige Werbegrundlagen oder Produktbeschreibungen lege die Klägerin nicht vor. Nicht weiterführend sei auch der weitere Vortrag der Klägerin, die Profilzylinder gehörten zu der Angriffswiderstandsklasse 2. So lege die Klägerin die vertraglichen Vereinbarungen mit der Firma K., bei der der Zedent die streitgegenständlichen Schließzylinder erworben haben solle, nicht vor. Es fehle konkreter Vortrag der Klägerin zu dem Widerstand der streitgegenständlichen Schließzylinder gegen Aufsperrversuche.
III.
4Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nicht schlüssig vorgetragen, dass die von der Beklagten hergestellten Schließzylinder dem sogenannten Lockpicking nicht standgehalten haben könnten und es deshalb zu dem von der Klägerin behaupteten Einbruch gekommen sei, beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
5a) Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfGE 19, 32, 36; 49, 325, 328; 55, 1, 6; 60, 175, 210; 64, 135, 143 f.). Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (Senatsbeschluss vom - VI ZR 370/17, VersR 2018, 1001 Rn. 8; BVerfGE 60, 1, 5; 65, 227, 234; 84, 188, 190; 86, 133, 144 ff.; , NJW 2017, 3218 Rn. 47). Dabei darf das Gericht die Anforderungen an die Substantiierung des Parteivortrags nicht überspannen. Da die Handhabung der Substantiierungsanforderungen dieselben einschneidenden Folgen hat wie die Anwendung von Präklusionsvorschriften, verstößt sie gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie offenkundig unrichtig ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IV ZR 259/12, NJW 2014, 149 Rn. 15; vom - XI ZR 532/14, NZG 2016, 70 Rn. 12; vom - XI ZR 388/16, BKR 2019, 51, juris Rn. 15; vom - II ZR 132/17; vom - XI ZR 74/17, MDR 2019, 692 Rn. 20; vom - II ZR 132/17, juris Rn. 14).
6b) So verhält es sich im Streitfall. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nicht schlüssig vorgetragen, dass die von der Beklagten hergestellten Schließzylinder dem sogenannten Lockpicking nicht standgehalten haben könnten und es deshalb zu dem von der Klägerin behaupteten Einbruch gekommen sein könne, beruht auf einer offenkundigen Überspannung der Substantiierungsanforderungen. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht, hatte die Klägerin in den Tatsacheninstanzen vorgetragen,
7- dass es sich beim Lockpicking um eine Form der Schlossöffnung handle, zu der das LKA Berlin unter dem Aktenzeichen "LKA PTU 23" einen Feldversuch durchgeführt habe, dessen Zweck der Nachweis gewesen sei, dass von der Beklagten produzierte Zylinder mit Hilfe von Weichhölzern, vorzugsweise Zahnstochern, zu öffnen seien,
8- dass das Lockpicking auch im Nachhinein nachweis- und belegbar sei, dass im Streitfall lediglich drei Zylinder (die an der vorderen Eingangstür, der hinteren Eingangstür und der Kellertür) in Betracht kämen und anhand dieser noch vorliegenden Zylinder durch Sachverständigenbeweis belegbar sei, dass sie mittels des Lockpickings geöffnet worden seien, wobei vieles dafür spreche, dass der oder die Diebe durch den rückwärtigen Eingang eingedrungen seien,
9- dass die Klägerin bei dem Kauf der Schließanlage nicht damit habe rechnen müssen, dass ein Schließzylinder der vorliegenden Art, der seinerzeit etwa 120 € gekostet habe, mit primitivsten Werkzeugen wie einem Weichholz habe geöffnet werden können.
10Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass diesem Vortrag der Klägerin nicht mit der Begründung die Schlüssigkeit abgesprochen werden kann, für die Täter habe ein Zeitraum von drei Tagen zur Verfügung gestanden, um die Schließzylinder zu überwinden, weshalb keine Anhaltspunkte dafür beständen, dass der Schließzylinder innerhalb weniger Minuten geöffnet worden sei. Diese Erwägung des Berufungsgerichts läuft auf eine unzulässige antizipierte Beweiswürdigung hinaus. Gleiches gilt, soweit das Berufungsgericht darauf abgestellt hat, dass die an der rückwärtigen Eingangstür festgestellten Hebelspuren gegen Lockpicking sprächen und die Klägerin weder Produktbeschreibungen der "unknackbaren" Zylinder noch vertragliche Vereinbarungen über den Erwerb der Schließzylinder vorgelegt habe.
11Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts oblag es der Klägerin auch nicht, konkret zu dem Widerstand der streitgegenständlichen Schließzylinder gegen Aufsperrversuche vorzutragen. Nach den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Klägerin behauptet, die Profilzylinder hätten nach den Angaben der Beklagten zu der Angriffswiderstandsklasse 2 gehört. Dies genügt. Welchen tatsächlichen Widerstand die Schließzylinder gegen Aufsperrversuche hatten, kann die Klägerin mangels näherer Kenntnisse von der Bauart der Zylinder und mangels Sachkunde nicht beurteilen. Unter anderem zur Klärung dieser Frage hatte sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt.
12c) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre.
III.
13Der angegriffene Beschluss war deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird dabei die Rechtsprechung des Senats zur Haftung des Herstellers für wirkungslose Produkte zu berücksichtigen haben (vgl. , BGHZ 80, 186 und VI ZR 286/78, BGHZ 80, 199; vom - VI ZR 51/83, VersR 1984, 1151).
Der Beschluss vom wird dahingehend berichtigt, dass der letzte Halbsatz in Randnummer 4 wie folgt lautet:
„..., beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art 103 Abs. 1 GG.“
Der Beschluss des Senats vom wird dahingehend berichtigt, dass es in den Randnummern 4 und 13 statt „Beschluss“ jeweils „Urteil“ heißt (§ 319 Abs. 1 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:020719BVIZR42.18.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2019 S. 1530 Nr. 24
JAAAH-30086