Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung - fehlende erneute Anhörung - absoluter Revisionsgrund
Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 62 SGG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 547 Nr 1 ZPO
Instanzenzug: Sozialgericht für das Saarland Az: S 26 AS 181/14vorgehend Landessozialgericht für das Saarland Az: L 9 AS 12/14 Beschluss
Gründe
1Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im ist zulässig, denn er hat mit ihr einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art 101 Abs 1 Satz 2 GG wegen einer Verletzung von § 153 Abs 4 SGG hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Die Beschwerde ist insoweit auch begründet.
2Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält, falls die mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung des SG kein Gerichtsbescheid ist. Nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG sind die Beteiligten vorher zu hören. Diesem rechtlichen Gehör ist Genüge getan, wenn den Beteiligten mit der Anhörungsmitteilung Gelegenheit sowohl zur Äußerung von etwaigen Bedenken, die sie gegen eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter haben, als auch zur Stellungnahme in der Sache selbst eingeräumt wird. Wenn nach einer ersten Anhörungsmitteilung in qualifizierter Weise vorgetragen wird und das LSG auch unter Würdigung dieses neuen Vorbringens an seiner Absicht festhalten will, über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nur durch die Berufsrichter zu entscheiden, bedarf es einer erneuten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG mit Gelegenheit zur Äußerung hierzu. Denn das Anhörungserfordernis nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG ist aus verfassungsrechtlichen Gründen zugunsten der Beteiligten weit auszulegen, weil die Anhörungsmitteilung die ansonsten durch die mündliche Verhandlung ermöglichte umfassende Anhörung der Beteiligten adäquat kompensieren soll. Eine erneute Anhörung ist indes aus Gründen der Prozessökonomie nicht erforderlich, wenn das nach der ersten Anhörungsmitteilung erfolgte Vorbringen nicht entscheidungserheblich, ohne jegliche Substanz oder bloß wiederholend ist. Doch muss das neue Vorbringen entscheidungserheblich nicht in dem Sinne sein, dass es auch Grundlage für eine zulässige und begründete, nicht auf die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gestützte Verfahrensrüge sein könnte. Denn sonst würde in diesen Konstellationen die prozessuale Absicherung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf den gesetzlichen Richter ins Leere laufen (vgl zu diesen Maßstäben letztens etwa - juris RdNr 12 ff; - juris RdNr 7 f; jeweils mit Nachweisen älterer Rechtsprechung; zur Kritik an diesen Maßstäben vgl Burkiczak, NVwZ 2016, 806, 811 ff).
3Vorliegend fehlt es an der erforderlichen erneuten Anhörung. Nach der Anhörungsmitteilung durch das mit einer Gelegenheit zur Äußerung innerhalb von drei Wochen, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am , äußerte sich der Kläger persönlich mit Schriftsätzen vom und . Hierin setzte er sich mit der Begründung des LSG in dessen Beschluss vom über die Ablehnung von PKH für das Berufungsverfahren auseinander und ergänzte zudem in der Sache die bereits am von seinem Prozessbevollmächtigten vorgelegte Berufungsbegründung vom , insbesondere durch seinen Vortrag zu einer verfassungsrechtlich gebotenen besonderen Regelbedarfsbemessung für behinderte Menschen. Hierauf hat der Kläger eine erneute Mitteilung des LSG erwarten dürfen, über die Berufung zu seinen Ungunsten durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nur durch die Berufsrichter entscheiden zu wollen, wenn es an diesem Vorhaben festhalten wollte. Denn seine Schriftsätze enthalten weder eine bloße Wiederholung der Berufungsbegründung noch sonst bloß Entscheidungsunerhebliches oder Substanzloses, sondern mit ihnen ist erneut umfangreich und substantiiert vorgetragen worden. Hierdurch hat sich die Prozesssituation nach der ersten Anhörung im oben beschriebenen Sinne entscheidungserheblich geändert. Das LSG hat indes nach Eingang der Schriftsätze des Klägers nicht durch eine neue Anhörungsmitteilung deutlich gemacht, an seiner beabsichtigten Entscheidung über die Berufung durch Beschluss festhalten zu wollen, sondern am durch den angefochtenen Beschluss entschieden. In diesem Beschluss gibt das LSG den Inhalt des Berufungsvorbringens nicht näher wieder, bewertet die vom Kläger vorgebrachten Argumente indes nicht als von vornherein unmaßgeblich, sondern als Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens.
4Wegen des vorliegenden Verfahrensmangels der unterbliebenen notwendigen erneuten Anhörung war das LSG bei seinem Beschluss nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn eine Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG durch eine unterbliebene Anhörung führt zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG), bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist (vgl letztens etwa - juris RdNr 15; - juris RdNr 6, 10; jeweils mit Nachweisen älterer Rechtsprechung). Dieser die angefochtene Entscheidung des LSG insgesamt betreffende absolute Revisionsgrund führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG). Die Verweisung an einen anderen Senat des LSG (§ 563 Abs 1 Satz 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) ist nicht geboten.
5Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:191016BB14AS15616B0
Fundstelle(n):
CAAAH-27149