Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss vor Ablauf der Anhörungsfrist - absoluter Revisionsgrund
Gesetze: § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO
Instanzenzug: SG Frankfurt Az: S 1 AL 108/09vorgehend Hessisches Landessozialgericht Az: L 7 AL 109/15 Beschluss
Gründe
1I. Streitig ist ein Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld (InsG) für die Zeit vom 1.8. bis wegen Insolvenz der H C (HC) Ltd, F, als möglicher Arbeitgeberin. Fraglich ist insbesondere, ob der Anspruch wegen der Insolvenz dieses Unternehmens entstanden ist, oder ob der Kläger Arbeitnehmer der HC GmbH, H, war, nach deren Insolvenz ihm InsG gezahlt worden ist.
2Das SG Frankfurt am Main hat die auf InsG wegen des mangels Masse abgewiesenen Insolvenzantrags der HC Ltd. gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das Hessische LSG hat die Berufung des Klägers durch Beschluss ohne ehrenamtliche Richter vom zurückgewiesen.
3Der Kläger rügt mit der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfahrensfehler des LSG. Dieses habe vor der durch Beschluss getroffenen Entscheidung die Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG verletzt. Zwar habe es ihm mit Verfügung vom mitgeteilt, dass es beabsichtige, durch Beschluss zu entscheiden und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme bis gegeben. Er habe auf den richterlichen Hinweis vom mit Telefax vom die Ansicht vertreten, dass dieser nicht den prozessrechtlichen Anforderungen an einen wirksamen Hinweis genüge. Darauf habe das LSG bereits am durch Beschluss entschieden. Da er keine Gelegenheit gehabt habe, sich weiter zu äußern, stehe die Entscheidung vor Fristablauf dem Ausfall der Anhörung gleich. In diesen Fällen werde das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler unwiderleglich vermutet.
4II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Die fristgerecht eingelegte Beschwerde genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG, denn sie bezeichnet substantiiert Tatsachen (vgl dazu BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 34, 36), aus denen sich eine Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG ergeben kann.
5Die Beschwerde ist auch begründet, denn die gerügte Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG liegt vor. Das LSG hat gemäß § 153 Abs 4 S 1 SGG durch Beschluss entschieden, obwohl die von ihm gesetzte Frist zur Stellungnahme noch nicht abgelaufen war und der Kläger sich auch nicht abschließend zur Sache geäußert hatte.
6Zwar hat das LSG den Kläger unter dem darauf hingewiesen, dass es in Betracht ziehe, dessen Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter zurückzuweisen. Die Anhörungsmitteilung hat - entgegen der Auffassung des Klägers - den prozessrechtlichen Anforderungen entsprochen (vgl Burkiczak, NVwZ 2016, 806, 809; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 19 mwN). Auch die dem Kläger gesetzte Frist zur Äußerung bis ist angemessen gewesen.
7Vor Ablauf der vom Gericht gesetzten Anhörungsfrist darf das Gericht aber grundsätzlich nicht entscheiden ( - HVBG-Info 1995, 2372; Burkiczak, NVwZ 2016, 806, 811). Ausnahmsweise muss es den Ablauf der von ihm gesetzten, angemessenen Frist zur Stellungnahme dann nicht abwarten, wenn ein Beteiligter sich vor Fristablauf abschließend geäußert hat (Roller in HK-SGG, § 105 RdNr 8; E. Hauck in Hennig, SGG, § 105 RdNr 51).
8Der Kläger hat sich nach Zugang der Anhörungsmitteilung am geäußert und geltend gemacht, diese Mitteilung genüge nicht den prozessrechtlichen Anforderungen. Der Stellungnahme des Klägers lässt sich aber nicht entnehmen, dass dieser sich zu dem Rechtstreit oder der Absicht, über diesen ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, abschließend geäußert hat. Dem Inhalt der Äußerung und den sie begleitenden Umständen ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich damit zur Sache selbst oder zur in Aussicht genommenen Verfahrensweise abschließend geäußert hätte. Nach seinem (nur) formalen Einwand hätte er sich möglicherweise veranlasst gesehen, vor Ablauf der Frist eine Stellungnahme zur Sache oder zum weiteren Verfahren abzugeben, wenn das LSG seinen Einwand entweder zurückgewiesen hätte oder er bis kurz vor Ablauf der Frist ohne Reaktion geblieben wäre. Denn in einer solchen prozessualen Situationen hätte er damit rechnen müssen, dass das LSG ohne weiteres Vorbringen wie angekündigt verfahren werde.
9Da das LSG vor Ablauf der von ihm gesetzten Anhörungsfrist entscheiden hat, liegt eine Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG vor. Der darin liegende Anhörungsmangel ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO), bei dem das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler vermutet wird. Denn der Verfahrensfehler führt auch zu einer unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (; ).
10Der Senat macht von dem ihm durch § 160a Abs 5 SGG eingeräumten Ermessen dahingehend Gebrauch, dass das Urteil des LSG aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen wird.
11Das LSG wird in der abschließenden Kostenentscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entschieden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:121016BB11AL4816B0
Fundstelle(n):
OAAAH-27145