BSG Beschluss v. - B 11 AL 120/13 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung rechtlichen Gehörs - keine ausreichende Bezeichnung des Verfahrensmangels)

Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG

Instanzenzug: SG Speyer Az: S 4 AL 252/10 Urteilvorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Az: L 1 AL 55/12 Urteil

Gründe

1I. Streitig ist, ob eine vom Kläger bezogene französische Invaliditätsrente zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) geführt hat.

2Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers, ihm ab Alg zu gewähren, mit der Begründung ab, der Anspruch ruhe, weil der Kläger eine der Rente wegen voller Erwerbsminderung vergleichbare französische Rente der Kategorie 2 beziehe (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Während das Sozialgericht (SG) entsprechend dem Antrag des Klägers die Beklagte verurteilt hat, ab Alg unter Anrechnung der französischen Rente zu zahlen (Urteil vom ), hat das Landessozialgericht (LSG) auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das LSG hat die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des Alg im streitgegenständlichen Zeitraum offen gelassen, weil jedenfalls der Anspruch nach § 142 Abs 1 Nr 3, Abs 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der bis geltenden Fassung (aF) geruht habe. Bei dem Anspruch des Klägers auf die französische Rente handle es sich um einen von einem ausländischen Träger zuerkannten vergleichbaren Anspruch iS des § 142 Abs 3 SGB III aF. Maßgebend seien verschiedene, im Internet abrufbare Bestimmungen des Code de la sécurité sociale. Die französische Rente der Kategorie 2 weise die gleichen gemeinsamen und typischen Merkmale auf wie die deutsche Rente wegen voller Erwerbsminderung.

3Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.

4Er rügt zunächst eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass das LSG sich auf einen aus dem Internet besorgten, in französischer Sprache gehaltenen Gesetzestext habe stützen wollen. Hiervon habe er erst aus den Gründen des Berufungsurteils erfahren. Durch den Verweis auf die im Urteil genannten Bestimmungen des Code de la sécurité sociale, die das LSG nicht in das Verfahren eingeführt habe und bei denen es sich nicht um allgemeinkundige Tatsachen handle, sei er überrascht worden. Er habe auch keine Möglichkeit gehabt, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Durch die Vorgehensweise des LSG sei er daran gehindert worden, zu den Bestimmungen des Code de la sécurité sociale Stellung zu nehmen. Er hätte vorgetragen, dass das Internet keine Gewähr für einen korrekten und vollständigen Abruf von Rechtsvorschriften biete und Übersetzungen französischer Rechtstexte nicht rechtsverbindlich seien; er hätte auch auf die Notwendigkeit einer Übersetzung und die Zugänglichmachung der Texte in französischer und deutscher Sprache sowie auf Einholung eines rechtsvergleichenden Gutachtens bestanden.

5Ferner rügt der Kläger den Verfahrensmangel der ermessensfehlerhaften Ermittlung des ausländischen Rechts. Soweit nach § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Rüge der Verletzung des § 103 SGG nur möglich sei, wenn sie sich auf einen Beweisantrag beziehe, sei zu beachten, dass die über § 202 SGG anwendbare Verfahrensvorschrift des § 293 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht unter die Ausnahmevorschrift des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG falle. Dass es sich bei der Verletzung der prozessrechtlichen Ermittlungsverpflichtung aus § 293 ZPO um einen rügbaren Verfahrensmangel handle, sei für die ZPO anerkannt. Auch sei zu beachten, dass ausländische Rechtsnormen für den deutschen Richter Rechtssätze und nicht Tatsachen seien.

6II. Die Beschwerde ist nicht zulässig. Die geltend gemachten Verfahrensfehler - Verletzung des rechtlichen Gehörs und Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das LSG - sind nicht in der nach § 160a Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet.

7Zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels, auf dem das Urteil des LSG beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), sind in der Begründung der Beschwerde die den Mangel (angeblich) begründenden Tatsachen substanziiert und schlüssig darzutun (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14; SozR 3-1500 § 73 Nr 10; stRspr). Das Bundessozialgericht (BSG) muss allein anhand des Beschwerdevorbringens darüber entscheiden können, ob ein die Revisionsinstanz eröffnender Verfahrensmangel in Betracht kommt (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 4). Diese Anforderungen verfehlt die vorgelegte Beschwerdebegründung vom .

8Soweit der Kläger und Beschwerdeführer unter Hinweis auf die §§ 62 und 128 Abs 2 SGG beanstandet, dass das LSG erstmals im Berufungsurteil auf einzelne Bestimmungen des Code de la sécurité sociale verwiesen hat, zu denen er sich nicht habe äußern können, legt er eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das LSG nicht schlüssig dar. Dem Vorbringen der Beschwerdebegründung ist insbesondere nicht zu entnehmen, das Urteil des LSG einschließlich der gegebenen Begründung sei für den Kläger eine Überraschungsentscheidung gewesen, weil das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gegeben habe, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 86, 133; Beschluss des Senats vom - B 11 AL 233/02 B -; BSG SozR 4-2500 § 103 Nr 6).

9Aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, die insoweit auch im Wesentlichen in der Beschwerdebegründung dargestellt werden, ergibt sich vielmehr, dass das LSG genau die Argumentation aufgegriffen hat, die bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils und insbesondere der Berufungsbegründung der Beklagten (mit Hinweisen ua auf ein Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom - S 26 AL 2/11 WA) war. Die entscheidende Frage, ob die französische Rente der Kategorie 2 der deutschen Rente wegen voller Erwerbsminderung vergleichbar ist oder nicht, hat das LSG unter Eingehen auf die während des Verfahrens bereits vorgetragenen bzw aus den Akten ersichtlichen Argumente erörtert. Soweit das angefochtene Urteil (vorwiegend zusätzlich in Klammerzusätzen) Hinweise auf die eingangs genannten französischen Vorschriften enthält, ist nicht ersichtlich, inwiefern der im Berufungsverfahren rechtskundig vertretene Kläger gehindert gewesen sein sollte, zu diesen Vorschriften Stellung zu nehmen und sich insoweit rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl zu dieser Obliegenheit ua ; BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1).

10Eine schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt im Übrigen auch deshalb nicht vor, weil der Beschwerdeführer im Kern seines Vorbringens geltend macht, die Ermittlungen des LSG zum Inhalt des einschlägigen französischen Rechts seien unzureichend gewesen (vgl zur Einbeziehung der Ermittlung ausländischen Rechts in den Amtsermittlungsgrundsatz ua BSGE 21, 151, 154 = SozR Nr 2 zu § 1 FRG; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 7). Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) eröffnet den Revisionsrechtszug gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nur, wenn geltend gemacht wird, das LSG sei einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Der Kläger und Beschwerdeführer macht gerade nicht geltend, er habe im Berufungsverfahren einen Beweisantrag gestellt, dem das LSG nicht gefolgt sei. Die Anforderungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG können aber nicht dadurch umgangen werden, dass der Beschwerdeführer gleichzeitig oder zusätzlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 13; SozR 4-1500 § 160 Nr 18; stRspr).

11Soweit sich der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung der Amtsermittlungspflicht auch auf § 293 ZPO beruft und vorträgt, diese Vorschrift falle nicht unter die "Ausnahmevorschrift" des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, vermag ihm der Senat nicht zu folgen. Eine entsprechende Anwendung des § 293 ZPO kommt gemäß § 202 S 1 SGG nur in Betracht, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der Verfahrensarten dies nicht ausschließen. Für das sozialgerichtliche Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§§ 160, 160a SGG) bedeutet dies, dass die Regelung des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zum grundsätzlichen Erfordernis eines Beweisantrags vorrangig zu beachten ist. Für die Entscheidung im vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren spielt somit die Handhabung der Ermittlung ausländischen Rechts in den der ZPO unterfallenden Verfahren keine Rolle.

12Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Hinweisen der Beschwerdebegründung auf Rechtsprechung bzw Literatur, wonach ausländische Rechtsnormen als "Rechtssätze" anzusehen seien. Denn die Charakterisierung ausländischer Rechtsnormen ändert nichts daran, dass sie nach der Rechtsprechung des BSG in den Tatsacheninstanzen wie Tatsachen zu ermitteln sind (so beispielsweise ausdrücklich die in der Beschwerdebegründung zitierte Entscheidung des - Juris RdNr 23). § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist deshalb im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unabhängig davon anzuwenden, ob in einem Revisionsverfahren uU ausländische Rechtsnormen durch das Revisionsgericht in rechtlicher Hinsicht überprüft werden können (vgl dazu etwa BSGE 102, 211, 213 = SozR 4-4300 § 142 Nr 4).

13Da der Beschwerdeführer somit die behaupteten Verfahrensfehler nicht schlüssig bezeichnet hat, ist nicht näher darauf einzugehen, dass es auch an hinreichenden Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit eines etwaigen Verfahrensmangels fehlt (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG). Denn die Beschwerdebegründung äußert sich nicht zu der vom LSG offen gelassenen Frage, ob im streitgegenständlichen Zeitraum die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Alg überhaupt erfüllt waren.

14Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

15Die unzulässige Beschwerde ist zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1, § 169 SGG).

16Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2014:110414BB11AL12013B0

Fundstelle(n):
IAAAH-26992