BSG Beschluss v. - B 13 R 83/13 B

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Entscheidung in Abwesenheit eines Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war

Gesetze: § 62 SGG, § 110 Abs 1 S 1 SGG, § 124 Abs 1 SGG, § 126 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 202 SGG, § 227 Abs 1 ZPO, Art 103 Abs 1 GG, § 93 Abs 1 Nr 1 SGB 6, § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB 6

Instanzenzug: Az: S 26 R 2736/11 Gerichtsbescheidvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 6 R 594/12 Urteil

Gründe

1I. In der Sache ist die Anrechnung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf die Altersrente des Klägers streitig.

2Der im Jahr 1947 geborene Kläger bezieht seit eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Auf diese Rente wird seine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung angerechnet. Nach bereits vorangegangenem Klageverfahren wegen dieser Anrechnung (Bayerisches ; Senatsbeschluss vom - B 13 R 143/08 B; Bayerisches WA) hat sich der Kläger erneut gegen die Anrechnung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf seine Altersrente durch Bescheid vom gewendet.

3Das Widerspruchsverfahren (Bescheid vom ) sowie das Klage- und Berufungsverfahren blieben ebenfalls erfolglos (Gerichtsbescheid vom ; Urteil des Bayerischen ). Das LSG hat im Wesentlichen ausgeführt, dass die Anrechnung der Verletztenrente rechtmäßig erfolgt sei (§ 93 Abs 1 Nr 1 SGB VI), wobei ein nach der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bei einer MdE von 30 vH entsprechender Betrag unberücksichtigt geblieben sei (§ 93 Abs 2 Nr 2a SGB VI). Diese Gesetzeslage habe das BSG für rechtens erachtet (Hinweis auf - BSGE 95, 159 = SozR 4-2600 § 93 Nr 7; Senatsurteil vom - B 13 R 14/09 R - BSGE 104, 108 = SozR 4-2600 § 93 Nr 13).

5In diesem, wie auch in den vorangegangenen Schriftsätzen vom und vom hat er zur Sache vorgetragen.

8Das LSG hat den Rechtsstreit aufgrund der mündlichen Verhandlung vom entschieden und seine Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG München zurückgewiesen.

9Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger Verfahrensmängel und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG). Er rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG). Das LSG habe den Rechtsstreit nicht in seiner Abwesenheit entscheiden dürfen. Mit Schriftsatz vom habe er zumindest konkludent einen Verlegungsantrag gestellt, den das LSG nicht beachtet habe.

10II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.

11Der Kläger hat den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) formgerecht (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) gerügt.

12Der Verfahrensmangel liegt auch vor. Denn das LSG hat mit der Entscheidung über die Berufung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verletzt.

13Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne der aufgezeigten Vorschriften gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 1 SGG), muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 4 S 5 mwN). Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 S 1 SGG), der Beteiligte bzw sein Prozessbevollmächtigter ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung kann - und ggf muss - jedoch gemäß § 202 SGG iVm dem entsprechend anwendbaren § 227 Abs 1 ZPO bei Vorliegen erheblicher Gründe aufgehoben werden. Ein erheblicher Grund in diesem Sinn liegt vor, wenn der Beteiligte, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, sich für den Termin begründet entschuldigt hat. Er darf dann darauf vertrauen, dass er noch Gelegenheit zur Äußerung erhält. Eines ausdrücklichen Vertagungsantrages bedarf es dann nicht mehr (stRspr, vgl - Juris RdNr 17; vom - 7 RAr 42/77 - Juris RdNr 13).

14Dies gilt auch dann, wenn wie hier die Ladung einen Hinweis auf § 126 SGG enthielt, wonach im Falle des Ausbleibens des Klägers Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden könne und die Entscheidung auch nach Lage der Akten ergehen könne. Denn ungeachtet des Hinweises auf § 126 SGG hat das Gericht durch die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers zum Ausdruck gebracht, dass es auf seine Anwesenheit Wert lege bzw diese für erforderlich halte. Daher muss das Gericht in jedem Fall prüfen, ob es ohne Anhörung eines der Beteiligten entscheiden kann. Hat sich der Beteiligte vor dem Termin ordnungsgemäß entschuldigt, hat das Gericht diesen - jedenfalls wenn er nicht rechtskundig vertreten ist - auch ohne Vorliegen eines förmlichen Terminverlegungsantrags umgehend zu verständigen, sofern die mündliche Verhandlung gleichwohl stattfinden und der Rechtsstreit durch Urteil entschieden werden soll. Denn das Gericht ändert damit seine erkennbare Einstellung zur Gebotenheit einer persönlichen Anhörung des Beteiligten und hat ihm dies im Rahmen einer fairen Verfahrensführung zur Vermeidung von Überraschungen rechtzeitig vor dem Termin bekanntzugeben (stRspr, vgl Senatsbeschluss vom - 13 RJ 37/93 - Juris RdNr 19; - Juris RdNr 6; vom - B 9 VG 11/99 B - Juris RdNr 6).

15So liegt der Fall hier. Nachdem der Kläger seine Abwesenheit im Schriftsatz vom wegen einer Erkältung mit Hals- und Sprechbeschwerden auch nach Ansicht des LSG entschuldigt hatte, hätte das Gericht den Kläger über die beabsichtigte Entscheidung in seiner Abwesenheit informieren müssen. Das ist hier nicht erfolgt. Denn ausweislich der Akten des LSG ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass das LSG auch nur versucht hätte, vor seiner Entscheidung Kontakt mit dem Kläger aufzunehmen. Daher kann der Senat offenlassen, wie zu verfahren wäre, wenn bei einer am Tag der mündlichen Verhandlung eingehenden Entschuldigung kein Kontakt mit dem Kläger hergestellt werden kann.

16Die unterbliebene Vertagung des Termins stellt sich als Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs im gerichtlichen Verfahren dar (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) und ist damit ein wesentlicher Mangel des Verfahrens. Die angefochtene Entscheidung kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst hat; einer Angabe, welches Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden ist, bedarf es nicht (, Juris RdNr 13; SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 62; Senatsbeschluss vom - B 13 R 277/08 B, Juris RdNr 18).

17Auf der Grundlage von § 160a Abs 5 SGG macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Daher kann dahinstehen, ob der Kläger auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache formgerecht dargelegt hat.

18Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2013:241013BB13R8313B0

Fundstelle(n):
AAAAH-26814