BSG Beschluss v. - B 13 R 361/12 B

Kürzung der Entgeltpunkte - Fremdrentenrecht - Spätaussiedler - grundsätzliche Bedeutung - wiederholte erfolglose Nichtzulassungsbeschwerde - Vorlagepflicht an den EuGH - Europarecht

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 22 Abs 4 FRG, Art 6 § 4c Abs 2 FANG vom , Art 14 Abs 1 GG, Art 3 GG, Art 267 AEUV

Instanzenzug: Az: S 8 R 2939/08vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 9 R 152/09 Urteil

Gründe

1Mit Urteil vom hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Altersrente ohne Kürzung der auf dem FRG beruhenden Entgeltpunkte (EP) auf 60 vH ihres Wertes (vgl § 22 Abs 4 FRG) verneint.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensfehler.

3Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die von ihrem Prozessbevollmächtigten vorgelegte, durchaus umfangreiche, Begründung genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

41. Grundsätzlich bedeutsam iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine derartige Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) und (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) aufzeigen (vgl zum Ganzen SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

6Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin damit konkrete Rechtsfragen im vorgenannten Sinne hinreichend bezeichnet hat. Jedenfalls hat sie deren Klärungsbedürftigkeit nicht dargelegt. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich, dass die Klägerin bzw ihr Prozessbevollmächtigter erkennen, dass das BVerfG in seinem Senatsbeschluss vom (BVerfGE 116, 96 = SozR 4-5050 § 22 Nr 5) die Regelung des § 22 Abs 4 FRG grundsätzlich für verfassungsgemäß erachtet hat und lediglich für FRG-Berechtigte, die vor dem nach Deutschland gekommen sind und deren Rente nach dem beginnt, eine zusätzliche Übergangsregelung gefordert hat. Der Klägerin ist offenbar auch bewusst, dass sie die Voraussetzungen der daraufhin vom Gesetzgeber erlassenen Übergangsregelung des Art 6 § 4c Abs 2 FANG idF vom nicht erfüllt. Auch diese Bestimmung hat das BVerfG - wie dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin bekannt ist - verfassungsrechtlich nicht beanstandet (BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 1201/10 - SozR 4-5050 § 22 Nr 11; ebenso - veröffentlicht in Juris und vom - SozR 4-5050 § 22 Nr 10; SozR 4-5050 § 22 Nr 9). Wenn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dennoch nach wie vor - wie schon die diversen früheren (erfolglosen) Nichtzulassungsbeschwerden zeigen (ua ; Senatsbeschluss vom - B 13 R 323/10 B; Senatsbeschluss vom - SozR 4-5050 § 22 Nr 12; Senatsbeschluss vom - B 13 R 187/11 B; Senatsbeschluss vom - B 13 R 380/11 B) - der Auffassung ist, dass die Kürzung der EP für FRG-Berechtigte nach § 22 Abs 4 FRG zu Unrecht erfolgt sei, reicht es zur Darlegung der (erneuten) Klärungsbedürftigkeit nicht aus, lediglich ein weiteres Mal die eigene Rechtsmeinung auszubreiten. Vielmehr ist zumindest eine substanzielle Auseinandersetzung mit den Entscheidungen des BVerfG und des BSG zu § 22 Abs 4 FRG unter Kenntnisnahme des dortigen Inhalts (insbesondere zum angesprochenen Anwendungsbereich des Art 14 Abs 1 GG und zu Art 3 GG) erforderlich. Hieran fehlt es.

7Zudem hat die Klägerin auch die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragen nicht aufgezeigt. Denn aus der Beschwerdebegründung erschließt sich nicht mit hinreichender Klarheit, inwieweit die von ihrem Prozessbevollmächtigten formulierten Fragen nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt für das angestrebte Revisionsverfahren noch entscheidungserheblich sein könnten.

82. Soweit die Klägerin meint, das LSG habe verfahrensfehlerhaft gehandelt, weil es nicht geprüft habe, ob europäische Normen einschlägig seien und ob die Sache dem "Europäischen Gerichtshof" vorzulegen sei, hat sie einen Verfahrensmangel nicht hinreichend aufgezeigt. Insbesondere hat sie einen Verstoß des LSG durch die Nichtvorlage der Sache gegen Art 267 Abs 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht ansatzweise schlüssig dargelegt (vgl zu den Anforderungen bereits ).

9Wird eine Frage über die Auslegung der Verträge (Art 267 Abs 1 Buchst a AEUV) oder die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union (Art 267 Abs 1 Buchst b AEUV) in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht gemäß Art 267 Abs 3 AEUV zur Anrufung des Gerichtshofes der Europäischen Union verpflichtet.

10Die Klägerin hat bereits nicht dargetan, welche Fragen über die Auslegung bzw die Gültigkeit welcher Norm welchen Unionsrechts sich ausgehend von der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts in dem Verfahren vor dem LSG gestellt hätten. Darüber hinaus hat sie nicht schlüssig aufgezeigt, warum Entscheidungen des LSG nicht mit Rechtsmitteln innerstaatlichen Rechts angegriffen werden können. Die Anfechtung von Entscheidungen eines nationalen Gerichts mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts ist auch dann möglich, wenn die Anfechtung nur nach vorheriger Zulassungserklärung durch das oberste Gericht geprüft werden kann ( - "Lyckeskog" - Juris RdNr 16).

11Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG für falsch hält, ist für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unerheblich.

12Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

13Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

14Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2012:101212BB13R36112B0

Fundstelle(n):
SAAAH-26753