BSG Beschluss v. - B 9 SB 98/12 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Darlegungsanforderungen - Divergenz - abstrakter Rechtssatz - unterschiedliche Gesichtspunkte - grundsätzliche Bedeutung - vorhandene Rechtsprechung - verbleibende Klärungsbedürftigkeit - Schwerbehinderteneigenschaft bei Wohnsitz im Ausland

Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 2 Abs 2 SGB 9, § 69 Abs 1 S 1 SGB 9, § 69 Abs 5 S 1 SGB 9

Instanzenzug: Sozialgericht für das Saarland Az: S 10 SB 516 /09 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Saarland Az: L 5 SB 9/11 Urteil

Gründe

1Mit Urteil vom hat das Landessozialgericht für das Saarland (LSG) einen Anspruch der Klägerin auf Aufhebung der aufgrund ihrer Wohnsitznahme in Frankreich getroffenen Feststellung, dass sie kein schwerbehinderter Mensch im Sinne des SGB IX sei, verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sowie mit einer grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) begründet.

2Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden.

3Zur formgerechten Rüge einer Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin eine Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss schlüssig darlegen, mit welchem genau bestimmten entscheidungserheblichen Rechtssatz das angegriffene Urteil des LSG von welcher genau bestimmten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 21, 29 und 54). Es reicht hingegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Ebenso wenig genügt es, die Unrichtigkeit der Entscheidung betreffend den Einzelfall darzutun. Entscheidend ist vielmehr die Darlegung der Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen, in der abstrakten Aussage (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX, RdNr 196 mwN). Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29). Diesen Begründungserfordernissen hat die Klägerin nicht genügend Rechnung getragen.

5Aus dieser Gegenüberstellung zieht die Klägerin sinngemäß den Schluss, das LSG hätte ihren Anspruch auf Nichtaufhebung der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft aufgrund des bei ihr bestehenden GdB von 100 bejahen müssen. Dabei hat die Klägerin allerdings nicht hinreichend dargelegt, worin eine Abweichung des Rechtssatzes des LSG gegenüber den (vermeintlichen) Rechtssätzen des BSG zu sehen sein soll. Nähere Ausführungen dazu wären insofern erforderlich gewesen, als sich die von der Klägerin herangezogenen Aussagen des BSG und des LSG auf unterschiedliche Gesichtspunkte bei der Beurteilung der Voraussetzungen der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft beziehen. Insgesamt hätte die Klägerin eingehend darstellen müssen, warum und wie die von ihr genannte Rechtsprechung des BSG, die ausschließlich zum Anspruch auf Feststellung eines GdB ergangen ist, Auswirkungen auf ihren Anspruch auf Aufrechterhaltung der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (zur Unterscheidung s BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 2 Nr 2) habe.

6Die Klägerin hat auch nicht behauptet, dass sich das LSG ausdrücklich von der Rechtsprechung des BSG distanziert habe. Sie ist insbesondere nicht darauf eingegangen, dass sich das LSG bei seiner Entscheidung auf die dort benannte Rechtsprechung des (B 9/9a SB 2/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 5) gestützt hat. Schließlich hat die Klägerin auch nicht dargelegt, dass die Entscheidung des LSG auf der gerügten vermeintlichen Divergenz beruhe. Im Grunde macht die Klägerin nur geltend, das LSG habe die Rechtsprechung des BSG nicht genügend berücksichtigt oder im Einzelfall falsch angewendet. Ein solcher Umstand stellt jedoch, auch wenn er vorläge, keine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG dar (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 67; BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26). Es ist nicht zulässiger Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde, ob das LSG richtig entschieden hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

7Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin folgendes aufzeigen: (1) Eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

9Die Klägerin hat die Klärungsbedürftigkeit dieser von ihr aufgeworfenen vermeintlichen Rechtsfragen nach den rechtlichen Kriterien für den Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Ausland wohnender Bundesbürger nicht dargetan (zB zur Auslegung der § 2 Abs 2, § 69 Abs 5 SGB IX). Eine Klärungsbedürftigkeit ist ua dann nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65) oder wenn sich für die Antwort in höchstrichterlichen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte finden lassen (vgl BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Die Klägerin hätte daher die Klärungsbedürftigkeit der von ihr angesprochenen Fragestellungen unter Einbeziehung der vorhandenen Rechtsprechung des BSG näher begründen müssen. Insoweit hätte sie sich insbesondere mit der zur Divergenz aufgeführten Rechtsprechung des BSG zur GdB-Feststellung bei im Ausland wohnenden behinderten Menschen sowie mit der Rechtsprechung zum Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (vgl hierzu - BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 2 Nr 2) inhaltlich auseinandersetzen müssen, um einen noch verbleibenden höchstrichterlichen Klärungsbedarf darzulegen. Entsprechend verhält es sich, soweit die Klägerin der Ansicht ist, die gesetzliche Regelung im SGB IX verstoße gegen europarechtliche Vorschriften.

10Die Beschwerde ist daher ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

11Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2013:310713BB9SB9812B0

Fundstelle(n):
TAAAH-24385