BSG Beschluss v. - B 9 V 39/12 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage - inhaltliche Auseinandersetzung mit einschlägiger Rechtsprechung - Gewaltopferentschädigung

Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 1 Abs 1 S 1 OEG

Instanzenzug: SG Braunschweig Az: S 42 VG 17/07 Urteilvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 10 VG 26/09 Urteil

Gründe

1Mit Urteil vom hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) einen Anspruch der 1987 geborenen Klägerin auf Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz wegen der Folgen der vom und Mitte September 2004 an ihr vorgenommenen sexuellen Handlungen verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Als Grund für die Zulassung der Revision macht sie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

2Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

3Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung der Klägerin nicht.

5Abgesehen davon, dass diese Frage im Wesentlichen auch tatrichterliche Einschätzungen betrifft, fehlt es an hinreichenden Ausführungen der Klägerin zur Klärungsbedürftigkeit der darin enthaltenen rechtlichen Problematik (s in der jüngeren Senatsrechtsprechung zur Auslegung des § 1 Abs 1 S 1 OEG: , BSGE 108, 97 RdNr 32 ff = SozR 4-3800 § 1 Nr 18). Insoweit wäre eine intensive Auseinandersetzung mit der vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung erforderlich gewesen um darzulegen, inwiefern sich darin keine genügenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der angesprochenen Frage finden lassen. Denn eine Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65) oder wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen ist (BSG SozR 1300 § 13 Nr 1; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 7), wenn sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17), wenn sie praktisch außer Zweifel steht (BSGE 40, 40 = SozR 1500 § 160a Nr 4) oder wenn vorliegende höchstrichterliche Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte für die Antwort enthalten (BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 und § 160 Nr 8).

6Die Klägerin hätte demnach anhand der auch vom LSG umfangreich benannten Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG darstellen müssen, dass sich die - erkennbare Rechtsfrage - anhand dieser Rechtsprechung nicht beantworten lasse. Die bloße Behauptung, dass eine Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage vorliege, weil diese bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden sei, genügt diesen Darlegungserfordernissen nicht. Die Beschwerdeführerin hätte sich vielmehr inhaltlich mit der einschlägigen Rechtsprechung des BSG auseinandersetzen und dann aufzeigen müssen, in welchem Rahmen auch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich ist (vgl Becker, Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG <Teil I>, SGb 2007, 261, 266 zu Fußnote 58). So hat sich der Senat zuletzt mit Urteil vom (- B 9 VG 2/10 R - aaO) umfangreich zur Auslegung von § 1 Abs 1 S 1 OEG geäußert. Insbesondere hätte die Klägerin auch auf das Senatsurteil vom (- B 9 VG 1/01 R -, BSGE 89, 199 = SozR 3-3800 § 1 Nr 21) eingehen müssen, wonach für die Annahme eines tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG bei einer (strafbaren) Inzestbeziehung zwischen einem Vater und seiner (allerdings volljährigen) Tochter das Erzwingen des maßgeblichen Geschlechtsverkehrs verlangt wird. Dies hat sie versäumt.

7Die Beschwerde ist daher ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

8Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2012:081012BB9V3912B0

Fundstelle(n):
WAAAH-24251