Strafzumessung: Prüfungsreihenfolge zur Strafrahmenwahl bei Vorliegen eines minder schweren Falls und eines gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrundes beim Totschlag
Gesetze: § 49 Abs 1 StGB, § 212 StGB, § 213 Alt 2 StGB
Instanzenzug: LG Darmstadt Az: 1350 Js 97113/17 - 10 Ks
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Raubes, bewaffneten Diebstahls in zwei Fällen, Diebstahls in fünf Fällen, Betruges, Sachbeschädigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung, Bedrohung in einem weiteren Fall sowie Leistungserschleichung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hat das Landgericht die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 1.070,99 Euro angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Prüfung des angefochtenen Urteils hat im Schuldspruch und hinsichtlich der Einzelstrafaussprüche in den Fällen II. 1 bis 11 und II. 13 bis 17 der Urteilsgründe keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
32. Der Strafausspruch im Fall II. 12 der Urteilsgründe und der Gesamtstrafenausspruch halten revisionsrechtlicher Überprüfung hingegen nicht stand. Der Generalbundesanwalt hat insoweit in seiner Antragsschrift vom das Folgende ausgeführt:
„Für die Bemessung der Einzelstrafe (Einsatzstrafe) von vier Jahren für die Tat zu Ziffer 12 hat die Strafkammer den wegen alkoholbedingt erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit und wegen Versuchs doppelt gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt. Dies erweist sich als rechtsfehlerhaft, da die Kammer bei dem versuchten Tötungsdelikt – anders als bei den Raub- und qualifizierten Diebstahlstaten (UA S. 61) – ersichtlich die Prüfung eines (sonstigen) minder schweren Falls nach § 213 StGB nicht bedacht hat.
In den Fällen, in denen das Gesetz – wie hier – bei einer Straftat einen minder schweren Fall vorsieht und ein oder mehrere gesetzliche Milderungsgründe nach § 49 Abs. 1 StGB gegeben sind, ist bei der Strafrahmenwahl vorrangig zu prüfen, ob ein minder schweren Fall vorliegt. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind bei der weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, schrittweise gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen der gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgründe gemilderten Regelstrafrahmen zu Grunde legen (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschluss vom – 2 StR 404/17 – Rn. 2, juris; – Rn. 6, NStZ 2017, 524; Urteil vom – 1 StR 415/16, Rn. 13, NStZ-RR 2017, 168).
Das Landgericht hat diese Prüfungsreihenfolge nicht beachtet und erkennbar nicht erwogen, ob das Vorliegen eines vertypten Milderungsgrundes allein oder zusammen mit anderen Umständen (UA S. 60) das Vorliegen eines minder schweren Falls begründet. In diesem Fall hätte sich durch die dann mögliche Strafrahmenmilderung wegen des zweiten vertypten Milderungsgrundes für den Angeklagten ein günstigerer Strafrahmen von drei Monaten bis zu sieben Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe ergeben. Nur dann, wenn die tatrichterliche Beurteilung zu dem Ergebnis geführt hätte, dass beide vertypten Strafmilderungsgründe zur Begründung eines sonstigen minder schweren Falls im Sinne von § 213 StGB erforderlich sind, wäre der vom Landgericht zugrunde gelegte doppelt gemilderte Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB für den Angeklagten günstiger (vgl. Senatsbeschluss vom – 2 StR 449/07 – Rn. 6, NStZ-RR 2008, 105).
Da die Strafkammer die Einzelstrafe hier auf vier Jahre und damit erkennbar (knapp) unterhalb der Hälfte des – rechtsfehlerhaft auf sechs Monate bis acht Jahre und fünf Monate (UA S. 62) bestimmten – Strafrahmens festgesetzt hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie unter Beachtung der genannten Prüfungsreihenfolge zu einem dem Angeklagten günstigeren Strafrahmen gelangt und in dessen Rahmen eine mildere Freiheitsstrafe bestimmt hätte.
Die dem Strafausspruch zu Grunde liegenden Feststellungen sind im Übrigen rechtsfehlerfrei getroffen, weshalb sie aufrechterhalten bleiben können. Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wäre nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.“
4Dem kann sich der Senat nicht verschließen. Die Aufhebung im Ausspruch über die Einsatzstrafe zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.
53. Die Einziehungsentscheidung ist dahingehend klarzustellen, dass der Angeklagte für den gegen ihn angeordneten Einziehungsbetrag von 1.070,99 Euro in Höhe von 991 Euro als Gesamtschuldner haftet. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Angeklagte in den Fällen II. 16 und II. 17 der Urteilsgründe bestimmungsgemäß Mitgewahrsam an der jeweiligen Tatbeute erlangt, die hälftig zwischen den Beteiligten aufgeteilt wurde. Die gesamtschuldnerische Haftung hat der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO nachgeholt (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 245/18, Rn. 10, zit. nach juris).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:120319B2STR17.19.0
Fundstelle(n):
CAAAH-23225