BGH Beschluss v. - 5 BGs 48/18

Anwendung von unmittelbarem Zwang bei Durchsuchungsmaßnahmen

Gesetze: § 81b StPO, § 98 Abs 2 S 2 StPO, § 127 Abs 2 StPO, § 163b StPO, § 164 StPO

Gründe

Auszüge aus den Gründen gem. Veröffentlichung in StraFO 2019, 66-67:

1"I. Der GBA beim BGH führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gern. § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 S. 1 und 2 StGB, §§ 1, 3, 105 JGG. Mit Beschluss des Ermittlungsrichters des BGH ... wurde die Durchsuchung der Person des Beschuldigten, seiner mitgeführten Sachen sowie der von ihm genutzten Räumlichkeiten in der Wohnung zum Zwecke der Sicherstellung von Beweismitteln angeordnet....

2Der GBA beim BGH ließ diesen Beschluss am durch Beamte des Bayerischen Landeskriminalamtes vollziehen.

3Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 98 Abs. 2 S. 2 StPO (analog)... wendet sich der Beschuldigte ... gegen seine Festnahme am sowie die Art und Weise der am durchgeführten Durchsuchung und Beschlagnahme. Die Fesselung des Beschuldigten während der gesamten Dauer der Durchsuchung und die anschließende Verbringung des Beschuldigten in gefesseltem Zustand zur Polizeiinspektion seien durch keine Rechtsgrundlage gedeckt, insbesondere hätten die Voraussetzungen der vorläufigen Festnahme gern. § 127 Abs. 2 StPO nicht vorgelegen, da ein dringender Tatverdacht nicht bestanden habe....

4Hinsichtlich der Fesselung des Beschuldigten stellt der GBA beim BGH in Frage, ob das Verfahren analog § 98 Abs. 2 StPO insoweit statthaft ist, und verweist hinsichtlich der Zulässigkeit der Maßnahme auf den Durchsuchungsbericht des Bayerischen Landeskriminalamts vom sowie die Stellungnahmen desselben vom und . Dort ist im Wesentlichen ausgeführt, die Fesselung des Beschuldigten während der Durchsuchung und der anschließenden Verbringung desselben zur Polizeiinspektion in gefesseltem Zustand sei von der Rechtsgrundlage des 82 Nr. 1 und 2 PAG gedeckt. Das Verhalten des Beschuldigten und seines mitbeschuldigten Bruders während der Maßnahme habe darauf schließen lassen, dass der Vollzug des Durchsuchungsbeschlusses gestört werden solle. Ferner habe die Gefahr eines Widerstandes gegen Einsatzkräfte sowie eines Fluchtverhaltens bestanden. Die Verbringung zur Polizeiinspektion habe neben der abschließenden Identitätsfeststellung nach § 163b StPO der Durchführung einer repressiven Maßnahme nach § 81b 1. Alt. StPO gedient....

5II.2. Soweit der Beschuldigte seine Fesselung während der Durchsuchungsmaßnahme sowie die anschließende Verbringung zur Polizeiinspektion in gefesseltem Zustand rügt, ist der Antrag zulässig und begründet, da für diesen Eingriff in den Rechtskreis des Beschuldigten keine Rechtsgrundlage gegeben war.

6a) Die Voraussetzungen der vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO lagen nicht vor, denn ein dringender Tatverdacht war nicht gegeben. In dem Durchsuchungsbeschluss des Ermittlungsrichters des ist dargelegt, dass die den Beschluss tragenden Beweismittel ausreichend seien, einen Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO zu begründen. Dass nach Durchführung der Durchsuchung weitere Beweismittel hinzugekommen wären, die den bestehenden Anfangsverdacht zu einem dringenden Tatverdacht i.S.d. § 127 Abs. 2 StPO hätten erstarken lassen, ist weder aus den Akten ersichtlich noch seitens der Ermittlungsbehörden dargetan.

7b) Die Fesselung des Beschuldigten während der Durchsuchung sowie die anschließende Verbringung zur Polizeiinspektion in gefesseltem Zustand ist vorliegend auch nicht unter dem Aspekt der Sicherung der Durchsuchungsmaßnahme bzw. der Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nach §§ 163b, 81b StPO gerechtfertigt.

8Die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchführung von richterlich angeordneten Durchsuchungen bemisst sich grundsätzlich nach den Vorschriften der Strafprozessordnung; die Bestimmungen über die Anwendung unmittelbaren Zwanges in den Landespolizeigesetzen sind insoweit nicht anwendbar (SK-StPO/Wohlers/Jäger, 5. Aufl., § 105 Rn 63; vgl. auch MüKo-StPO/Hauschild, § 105 Rn 31; BeckOK-StPO/Hegmann, Stand , § 105 Rn 24 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 105 Rn 13; KK-StPO/Bruns, 7. Aufl., § 105 Rn 14a). Zwar enthält die Strafprozessordnung bzw. die jeweiligen Eingriffsnormen insoweit keine explizite Regelung, eine entspre-chende Auslegung der Eingriffsnormen ergibt jedoch, dass mit diesen konkludent auch die Ermächtigung zu solchen Vorbereitungs- und Begleitmaßnahmen verbunden ist, die mit der Durchführung der Maßnahmen typischerweise unerlässlich verbunden sind (, StV 1997,400; SK-StPO/Wohlers/Jäger, 5. Aufl., § 105 Rn 63).

9Bei der Anwendung von unmittelbarem Zwang gegen von Durchsuchungsmaßnahmen betroffene Personen ist dabei Zurückhaltung geboten. Sie sind grundsätzlich nur in dem Maß zulässig, in dem dies notwendig ist, um eine andernfalls konkret zu befürchtende Beeinträchtigung oder Vereitelung des Zwecks der Durchsuchung zu verhindern. Bei Störungen des Vollzugs, die keine Gefährdung des Zwecks der Durchsuchung beinhalten, können Abwehrmaßnahmen allein aufgrund von § 164 StPO ergriffen werden (SK-StPO/Wohlers/Jäger, 5. Aufl., § 105 Rn 68; vgl. auch MüKo-StPO/Hauschild, § 105 Rn 31; BeckOK-StPO/Hegmann, Stand: , § 105 Rn 25; Meyer-Goßner/Schmitt, 61. Aufl., § 105 Rn 13; KK-StPO/Bruns, 1. Aufl., § 105 Rn 14).

10Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Denn weder aus den Akten noch aus den Stellungnahmen des Bayerischen Landeskriminalamts ergibt sich, dass aufgrund des Verhaltens des Beschuldigten die konkrete Gefahr bestanden hätte, dass dieser die Durchsuchungsmaßnahme hätte vereiteln wollen. Insoweit ist lediglich ausgeführt, die anwesende Mutter der Beschuldigten hätte in einem aufgewühlten und harten Tonfall mit diesen gesprochen. Ihre Worte hätten eine weiterführende Verhaltensänderung bei dem Beschuldigten, der widerstrebender geworden sei und verbal und körperlich präsenter aufgetreten sei, hervorgerufen. Der Beschuldigte hätte die Durchsuchungsmaßnahme nicht in Ruhe erdulden wollen. Ein bestimmtes Verhalten des Beschuldigten, das konkret hätte befürchten lassen, dieser wolle dadurch die Durchführung der Durchsuchung vereiteln, wird dabei nicht näher beschrieben. Auch Anhaltspunkte für Störungen des Vollzugs, die keine Gefährdung des Zwecks der Durchsuchung beinhalten, sind nicht konkret ersichtlich.

11Die Fesselung des Beschuldigten während der Durchführung der Durchsuchungsmaßnahme war daher rechtswidrig.

12Ebenso findet die anschließende Verbringung des Beschuldigten (in gefesseltem Zustand) zur Polizeiinspektion keine Grundlage im Gesetz.

13In seiner Stellungnahme vom führt das Bayerische Landeskriminalamt aus, die Verbringung des Beschuldigten zur Polizeiinspektion habe der abschließenden Identitätsfeststellung nach § 163b StPO und der Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zu repressiven Zwecken, § 81b 1. Alt. StPO, gedient. Die sich aus den Akten und den Stellungnahmen des Bayerischen Landeskriminalamts ergebenden Aspekte rechtfertigen indes diese Maßnahme nicht. Denn unklar bleibt, warum eine Identitätsfeststellung nach § 163b StPO nicht in der durchsuchten Wohnung hat erfolgen können. Zu Recht weist die Verteidigung in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die ermittelnden Polizeibeamten den Beschuldigten in der durchsuchten Wohnung identifizieren und von seinem Zwillingsbruder offenbar unterscheiden konnten. Auch ergeben sich weder aus den Akten noch aus den Stellungnahmen des Bayerischen Landeskriminalamts hinreichende Aspekte, dass eine erkennungsdienstliche Maßnahme nach § 81b 1. Alt. StPO zum Zwecke der Durchführung des Ermittlungsverfahrens erforderlich gewesen wäre. Insbesondere bleibt unklar, warum entsprechende Maßnahmen wie die Fertigung von Lichtbildern bzw. Abnahme von Fingerabdrücken zur Durchführung des Ermittlungsverfahrens erforderlich gewesen wären (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 81b Rn 2). Die Maßnahme war mithin auch insoweit rechtswidrig. ..."

Fundstelle(n):
XAAAH-22982