kein Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG bei unterlassener Anfrage nach § 18e UStG betreffend Gültigkeit der Umsatzsteueridentifikationsnummer
des Leistungsempfängers und Kenntnis des FA über die Ungültigkeit
Leitsatz
1. Auch bei Bewegung von Waren (sog. Anschauungsware) im Kreis können Lieferungen i. S. d. § 3 Abs. 1 UStG vorliegen, die
den Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigen. Voraussetzung dafür ist u. a., dass tatsächlich Warenlieferungen bewirkt
worden sind, die Waren an den Leistungsempfänger, der weiter geliefert hat, nicht sogleich wieder zurückgekommen sind, und
dass der Leistungsempfänger nicht weiß oder hätte wissen können, dass er sich mit seinen Erwerben an Umsätzen beteiligt hat,
die in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen sind, und deswegen für die Zwecke der MwStSystRL als an dieser Hinterziehung
Beteiligter anzusehen wäre. Für die Versagung des Vorsteuerabzugs infolge eines Umsatzsteuerbetrugs ist es erforderlich, dass
es tatsächlich zu einer (nicht nur vorübergehenden) Verkürzung von Umsatzsteuer gekommen ist.
2. Dem „Strohmann” sind Leistungen umsatzsteuerlich zuzurechnen, die der „Hintermann” berechtigterweise im Namen des Strohmanns
tatsächlich ausgeführt hat. Unbeachtlich ist das „vorgeschobene” Strohmanngeschäft nach § 41 Abs. 2 AO aber, wenn es nur zum
Schein abgeschlossen wird, d. h. wenn die Vertragsparteien – der „Strohmann” und der Leistungsempfänger – einverständlich
oder stillschweigend davon ausgehen, dass die Rechtswirkungen des Geschäfts gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen
dem Leistungsempfänger und dem „Hintermann” eintreten sollen. Letzteres ist insbesondere dann zu bejahen, wenn der Leistungsempfänger
weiß oder wenigstens davon ausgehen muss, dass der Strohmann keine eigene Verpflichtung aus dem Rechtsgeschäft übernehmen
will und dementsprechend auch keine eigenen Leistungen versteuern will.
3. Soweit die Frage, wer im Falle eines Strohmanngeschäfts umsatzsteuerlich der Leistende ist, von der Kenntnis oder dem Kennenmüssen
von Umständen auf Seiten des Leistungsempfängers abhängt, muss die Kenntnis oder das Kennenmüssen auch nach den Verhältnissen
zum Zeitpunkt der Leistung beurteilt werden (vgl. auch und C-661/16 – Kollroß und Wirtl).
4. Werden zwei GmbH`s, die den Unternehmer beliefern, durch dieselbe Person vertreten, und werden die Leistungen nach der
Bestellung bei der einen GmbH 1 mit Billigung des Bestellers wiederholt und in engem zeitlichen Zusammenhang durch die andere
GmbH 2 abgerechnet, per Lieferschein dokumentiert und erfolgt die Lieferabwicklung (Warenannahme, Bezahlung) mit der anderen
GmbH 2, so ist davon auszugehen, dass eine ursprünglich abweichend vereinbarte Leistungsverpflichtung der GmbH 1 konkludent
auf die andere GmbH 2 übergegangen ist und dass insoweit kein vorgeschobenes Strohmanngeschäft vorliegt; der Leistende kann
bis zur (vollständigen) Ausführung der Leistung ausgetauscht werden.
5. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass hinter der Übertragung von Lieferverträgen auf einen anderen Lieferanten steuerunehrliche
Gestaltungen stecken müssen. Dafür kann es viele Gründe geben (mangelnde Verfügbarkeit der Ware beim ursprünglichen Vertragspartner,
Vertriebsbindungen durch den Vorlieferanten; der Wunsch, das andere Unternehmen stärker als Lieferanten beim Kunden zu profilieren
usw.).
6. Die Anforderung, dass der Unternehmer, der sich für die Steuerbefreiung innergemeinschaflicher Lieferungen auf den Vertrauensschutz
nach § 6a Abs. 4 S. 1 UStG berufen will, die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns hat walten lassen müssen, steht im Einklang
mit der Rechtsprechung des EuGH, wonach es Voraussetzung für die Gewährung des Vertrauensschutzes ist, dass alle Gesichtspunkte
und tatsächlichen Umstände der Rechtssache umfassend zu beurteilen sind, um festzustellen, ob der Lieferant in gutem Glauben
gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die von ihm vernünftigerweise verlangt werden konnten, um sicherzustellen, dass
er sich aufgrund des getätigten Umsatzes nicht an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat (vgl. „Traum”). U. a. muss hierzu die Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers zum Zeitpunkt der
Ausführung der Lieferungen geprüft und buchmäßig nachgewiesen werden.
7. Bei wiederholten innergemeinschaftlichen Lieferungen an einen Abnehmer besteht für den Unternehmer Anlass, unmittelbar
vor Ausführung der ersten Lieferung und darüber hinaus erneut in Abständen weniger Wochen Anfragen nach § 18e UStG zu stellen,
wenn es sich u. a. um einen neuen Abnehmer handelt, der Unternehmer nicht über für eine über die bloße rechtliche Existenz
des Abnehmers hinausgehende wirtschaftliche Tätigkeit des Abnehmers sprechende Unterlagen (z. B. Ausdrucke einer Website,
Hinweise auf Marktauftritte aus Internetrecherchen, aktuelle Wirtschaftsauskünfte) verfügt und es sich zudem um branchenunübliche
Warenbewegungen handelt.
8. Der Umstand, dass das FA den Unternehmer über Monate in Unkenntnis über die ihm bekannte Löschung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer
des Abnehmers gelassen hat, gibt ebenfalls keinen Anlass, dem Unternehmer den begehrten Vertrauensschutz gem. § 6a Abs. 4
S. 1 UStG zu gewähren, wenn der Unternehmer durch die für ihn gebotene Anfrage nach § 18e UStG schon früher, zeitlich vor
dem FA, Kenntnis von der Ungültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers und damit von den fehlenden Voraussetzungen
für eine innergemeinschaftliche Lieferung Kenntnis erlangt hätte können und müssen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n): EFG 2019 S. 211 Nr. 3 PStR 2020 S. 105 Nr. 5 NAAAH-22702
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