Nichtzulassungsbeschwerde - Revisionszulassung - Divergenz - Verfahrensmangel - Verletzung des Amtsermittlungsprinzips
Gesetze: § 62 SGG, § 103 SGG, § 128 Abs 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, Art 103 GG
Instanzenzug: Az: S 14 R 1000/15 Urteilvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 2 BA 8/18 Urteil
Gründe
1I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit ist die Festsetzung von Sozialversicherungsbeiträgen sowie Säumniszuschlägen streitig. Die klagende GmbH & Co KG vertreibt Einbauküchen. Nach einer Betriebsprüfung forderte die Beklagte von ihr für die Beschäftigung des Beigeladenen zu 2., Vater des Geschäftsführers der Klägerin, die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen sowie Säumniszuschlägen in Höhe von zusammen 179 469,36 Euro (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Das SG Hannover hat die Bescheide aufgehoben, soweit Beiträge für die Jahre 2004 bis 2009 erhoben wurden, und im Übrigen die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das LSG Niedersachsen-Bremen hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG geändert sowie die Klage insgesamt abgewiesen. Nach einer Gesamtabwägung sei von einer Beschäftigung des in den Betrieb der Klägerin eingegliederten Beigeladenen zu 2. auszugehen. Ohne dessen Tätigkeit hätte eine andere Arbeitskraft beschäftigt werden müssen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Höhe des ihm gewährten Entgelts deutlich den Arbeitsverdienst eines sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit vergleichbarer Qualifikation und Erfahrung überstiegen haben könnte. Der Beigeladene zu 2. habe auch weder eigenes Kapital noch die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlusts eingesetzt (Urteil vom ). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
2II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG). Die Klägerin hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
31. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschlüsse vom - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN). Eine solche Abweichung hat die Klägerin nicht dargetan.
4Die Klägerin entnimmt dem angegriffenen Urteil des LSG eine Vielzahl von Rechtssätzen und stellt diesen die Rechtsprechung des BSG und daraus abgeleitete Rechtssätze gegenüber. Es kann dahingestellt bleiben, ob damit sich widersprechende Rechtssätze aufgezeigt worden sind. Jedenfalls ist nicht dargelegt worden, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG nicht nur nicht beachtet oder unzutreffend angewandt, sondern auch infrage gestellt hätte. Soweit die Beschwerde ausführt, das LSG "verkennt" und "verstößt gegen die Rechtsprechung des BSG", dessen Grundsätze seien nicht "beachtet" worden und es werde "die vom LSG vorgenommene Bewertung zur vorsätzlichen Beitragsvorenthaltung" und "die rechtliche Bewertung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 2. als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung" gerügt, wird vielmehr die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung beanstandet. Die Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18).
52. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt ( - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
6Die Klägerin hat keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht ( - Juris RdNr 11 mwN) formuliert. Das Vorbringen, die "herausgearbeiteten Rechtssätze des LSG" dürften nicht unbeanstandet bleiben, genügt insoweit nicht. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist aber unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann ( B 10 ÜG 3/14 B - Juris RdNr 11 mwN).
73. Die Klägerin macht mit der Begründung, das LSG sei fehlerhaft von den Feststellungen des SG abgewichen, die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 GG, §§ 62, 128 Abs 2 SGG) geltend. Mit ihm soll zwar verhindert werden, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten ( - SozR 4-3100 § 60 Nr 7 RdNr 26; - BVerfGE 84, 188, 190). Unabhängig davon, dass ein Prozessgericht grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern( - SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 mwN),ist eine Überraschungsentscheidung aber nur dargetan, wenn aufgezeigt wird, welches Vorbringen gegebenenfalls verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann ( - Juris RdNr 15). Daher wäre von der Klägerin darzulegen gewesen, dass das LSG bei Gewährung rechtlichen Gehörs zu einem für sie günstigeren Ergebnis und damit zu einer gegenteiligen rechtlichen Würdigung gekommen wäre (vgl - Juris RdNr 12). Dass der wegen der gerügten Gehörsverletzung unterbliebene Vortrag geeignet gewesen wäre, die Entscheidung zu beeinflussen (vgl - Juris RdNr 6), geht aus der Beschwerdebegründung aber nicht hervor.
8Sollte die Klägerin zudem eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) rügen, hat sie nicht aufgezeigt, weshalb das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei. "Ohne hinreichende Begründung" ist nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen ( - SozR 1500 § 160 Nr 5 S 6). Da sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben ( - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9), ist darzulegen, inwiefern nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind, damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat und die so zu ermittelnden Tatsachen nach der Rechtsauffassung des LSG entscheidungserheblich sind ( - Juris RdNr 6; - mwN). Auch daran fehlt es hier.
94. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
105. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und § 162 Abs 3 VwGO.
11Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und 3 S 1, § 47 Abs 1 S 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 S 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2019:120319BB12KR8418B0
Fundstelle(n):
KAAAH-21906