Recht am eigenen Bild: Beurteilung der Zulässigkeit einer Bildberichterstattung nach dem abgestuften Schutzkonzept
Leitsatz
Die Zulässigkeit der Bildberichterstattung nach §§ 22, 23 KUG setzt nicht voraus, dass der Abgebildete einen berechtigten Anlass für die Verbreitung seines Bildnisses gegeben hat. Dieser Gesichtspunkt kann lediglich im Rahmen des abgestuften Schutzkonzepts der §§ 22, 23 KUG bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen von Bedeutung sein.
Gesetze: Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 GG, § 823 Abs 1 BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 1004 Abs 1 S 2 BGB, § 22 KunstUrhG, § 23 KunstUrhG
Instanzenzug: Hanseatisches Az: 7 U 100/14vorgehend Az: 324 O 12/14nachgehend Az: VI ZR 533/16 Beschluss
Tatbestand
1Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung einer Bildberichterstattung in Anspruch.
2Die Klägerin ist die 1995 geborene Tochter des Schauspielerehepaares M. und L. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2007 und der Mutter im Juli 2012 übernahm die Schauspielerin und Freundin der Familie G. C. die Vormundschaft für die Klägerin. Hierüber berichteten die Medien; auch die Vormundin äußerte im Beisein der Klägerin gegenüber der Presse, dass sie die Vormundschaft für die Klägerin übernommen habe.
3Im Juli 2013 besuchte die - nunmehr volljährige - Klägerin mit Frau C. die Berliner Fashion Week, eine Veranstaltung für Modeinteressierte, Einkäufer, Fachbesucher und Medienvertreter. Gemeinsam machten sie in Verkleidung mit einem großen Kuchenherz in der Hand in einem dort eigens aufgestellten Passbildautomaten Fotos. Auf dem Automatenausdruck befinden sich drei kleine Fotos beider in Passfotoformat und das Bild einer Colaflasche. Mit diesem Ausdruck und dem Herzen in der Hand posierten beide gemeinsam vor Fotografen. Ein hierbei erstelltes Foto veröffentlichte die Beklagte am unter der Rubrik "Der Bild am Sonntag Familienratgeber - Fürsorge" als Illustration zu einem Artikel mit der Überschrift "Eine Mutter für das Waisenkind" (nachfolgend "Fashion Week-Foto"). In das Herz war der Text eingefügt: "S. [Klägerin] und G. [Frau C.] bei der Fashion Week im Juli 2013. Die beiden haben viel Spaß miteinander, machen Faxen in einem Fotoautomaten." Die Unterüberschrift des Artikels kündigte an, dass Frau C. in dieser Ausgabe erstmals über die Übernahme der Vormundschaft für die Klägerin sprechen werde. Hintergrund war ein Interview, das Frau C. der Beklagten im Zusammenhang mit einem am selben Tag ausgestrahlten Spielfilm gegeben hatte, auf den am Ende des Artikels hingewiesen wurde. Gegenstand der Berichterstattung war die Übernahme der Vormundschaft. Mittig unterhalb des Berichts und des Fotos befindet sich ein eingerahmtes Textfeld mit der Überschrift "Eine Sorgerechtsverfügung klärt im Notfall, wer sich um Ihr Kind kümmern soll." Unten rechts auf der Seite ist ein dunkel abgesetzter Bereich eingefügt mit der Überschrift "Kinder ohne Eltern: Das traurige Erbe der Familie M.", der ein Foto der Familie M./L. mit der Klägerin aus dem Jahr 1999 zeigt, welches anlässlich eines offiziellen Presseevents im Disneyland Paris aufgenommen worden war (nachfolgend "Disneyland-Foto").
4Die Klägerin hat Klage auf Unterlassung der Veröffentlichung des "Fashion Week-Fotos", der "Passfotos" und des "Disneyland-Fotos" wie in "Bild am Sonntag" vom geschehen erhoben. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Gründe
I.
5Das Berufungsgericht hat die angegriffene Bildberichterstattung nach § 22, § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG für unzulässig erachtet. Es habe weder eine Einwilligung der Klägerin vorgelegen, noch habe es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte gehandelt. Mit Rücksicht darauf, dass der Begriff der Zeitgeschichte weit zu fassen sei, müsse der Abgebildete schon einen berechtigten Anlass bieten, weil ansonsten die Berechtigung zur Bildberichterstattung ins Uferlose ginge und damit das Recht am eigenen Bild ausgehöhlt würde. Die Fashion Week, auf der die Fotos gemacht worden seien, sei nicht das berichtete zeitgeschichtliche Ereignis. Für das von der Beklagten gewählte Thema des "Füreinander-Einstehens" habe die Klägerin keinen Anlass zur Berichterstattung gegeben. Die Einrichtung der Vormundschaft selbst könne keinen Anlass für die Berichterstattung geben, weil die Vormundschaft zum Berichtszeitpunkt nicht mehr bestanden und die Klägerin sie nie öffentlich zum Thema gemacht habe. Die Aussage von Frau C. bei der "Tribute to Bambi-Gala", sie sei Vormund, wirke sich bei der Abwägung nicht maßgeblich zu Lasten der Klägerin aus. Die Klägerin sei nicht im eigentlichen Sinne prominent, auch wenn sie aufgrund der Prominenz ihrer Eltern gleichsam eine gewisse abgeleitete Prominenz haben möge. Die von der Beklagten belegten öffentlichen Auftritte in den Jahren 2009 und 2010 seien nicht eben viele und lägen geraume Zeit zurück. Das von der Beklagten gewählte Thema der familiären Fürsorge und des menschlichen Füreinander-Einstehens sei so konturenlos, ausufernd und allgemein gehalten, dass letztlich jeder eine Bildberichterstattung hinnehmen müsste.
II.
6Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Unterlassung der Verbreitung der streitgegenständlichen Fotos.
71. Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen (grundlegend Senatsurteil vom - VI ZR 51/06, BGHZ 171, 275 Rn. 9 ff.; vgl. hiernach etwa , VersR 2018, 1136 Rn. 9; vom - VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rn. 9; vom - VI ZR 5/10, VersR 2012, 116 Rn. 8 f.; vom - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 23 f.; vom - VI ZR 125/12, VersR 2013, 1178 Rn. 10; vom - VI ZR 245/14, VersR 2015, 898 Rn. 14; vom - VI ZR 76/17, VersR 2018, 554 Rn. 10; jeweils mwN), das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. BVerfGE 120, 180, 210) als auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang steht (vgl. EGMR, NJW 2012, 1053 Rn. 114 ff. [Axel Springer v. Deutschland]). Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Die Veröffentlichung des Bildes einer Person begründet grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (BVerfG, NJW 2011, 740 Rn. 52 mwN). Die nicht von der Einwilligung des Abgebildeten gedeckte Verbreitung seines Bildes ist nur zulässig, wenn dieses Bild dem Bereich der Zeitgeschichte oder einem der weiteren Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 KUG positiv zuzuordnen ist und berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Dabei ist schon bei der Beurteilung, ob ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK andererseits vorzunehmen (, VersR 2018, 554 Rn. 10; vom - VI ZR 310/14, NJW 2017, 804 Rn. 5; vom - VI ZR 245/14, VersR 2015, 898 Rn. 14; vom - VI ZR 12/06, VersR 2007, 1135 Rn. 17). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setzt die Zulässigkeit der Bildberichterstattung nicht voraus, dass der Abgebildete einen berechtigten Anlass für die Verbreitung seines Bildnisses gegeben hat. Dieser Gesichtspunkt kann lediglich bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen von Bedeutung sein.
82. Es kann offen bleiben, ob die Klägerin, wie die Revision geltend macht, im Hinblick auf den Aussagegehalt des "Fashion Week-Fotos" in die Veröffentlichung im vorliegenden Zusammenhang konkludent eingewilligt hat (§ 22 Satz 1 KUG). Bei den beanstandeten Aufnahmen handelt es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG), deren Verbreitung kein berechtigtes Interesse der abgebildeten Klägerin verletzt (§ 23 Abs. 2 KUG).
9a) Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Er darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein das Geschehen der Zeit, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Er wird mithin vom Interesse der Öffentlichkeit bestimmt. Es gehört zum Kern der Presse- und Meinungsfreiheit, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht (vgl. , VersR 2018, 1136 Rn. 11 f.; vom - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 19; vom - VI ZR 230/08, BGHZ 187, 200 Rn. 20; vom - VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rn. 11; vom - VI ZR 67/08, VersR 2008, 1411 Rn. 14; BVerfGE 120, 180, 197; BVerfGE 101, 361, 389; jeweils mwN). Auch unterhaltende Beiträge, etwa über das Privat- und Alltagsleben prominenter Personen, nehmen grundsätzlich an diesem Schutz teil (vgl. , VersR 2012, 192 Rn. 19; vom - VI ZR 230/08, BGHZ 187, 200 Rn. 20; vom - VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rn. 11; vom - VI ZR 272/06, VersR 2009, 78 Rn. 14; vom - VI ZR 373/02, NJW 2004, 762, 764; BVerfGE 120, 180, 197, 205; 101, 361, 389 ff.), ohne dass dieser von der Eigenart oder dem Niveau des jeweiligen Beitrags oder des Presseerzeugnisses abhängt (vgl. , NJW 2013, 2890 Rn. 17; vom - VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rn. 11, 14; vom - VI ZR 51/06, BGHZ 171, 275 Rn. 32; jeweils mwN). Gerade prominente Personen können der Allgemeinheit Möglichkeiten der Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen bieten sowie Leitbild- und Kontrastfunktionen erfüllen. Auch Aspekte aus ihrem Privatleben wie beispielsweise die Normalität ihres Alltagslebens können der Meinungsbildung zu Fragen von allgemeinem Interesse dienen (, AfP 2017, 310 Rn. 24; vom - VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rn. 11; vom - VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 Rn. 13; BVerfG, NJW 2017, 1376 Rn. 15; BVerfGE 120, 180, 204; 101, 361, 390).
10Im Rahmen einer zulässigen Berichterstattung steht es den Medien grundsätzlich frei, Textberichte durch Bilder zu illustrieren (Senatsurteil vom - VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 Rn. 15). Es ist Sache der Medien, über Art und Weise der Berichterstattung und ihre Aufmachung zu entscheiden. Sie haben das Recht, Art und Ausrichtung, Inhalt und Form eines Publikationsorgans frei zu bestimmen (Senatsurteil vom - VI ZR 125/12, NJW 2013, 2890 Rn. 15 und 17; BVerfGE 101, 361, 389). Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt. Bildaussagen nehmen am verfassungsrechtlichen Schutz des Berichts teil, dessen Bebilderung sie dienen (Senatsurteil vom - VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 Rn. 15; BVerfGE 120, 180, 196).
11b) Ein Informationsinteresse besteht jedoch nicht schrankenlos, vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt (, NJW 2017, 804 Rn. 7; vom - VI ZR 209/12, VersR 2013, 1272 Rn. 9; vom - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 24; jeweils mwN). Nicht alles, wofür sich Menschen aus Langeweile, Neugier und Sensationslust interessieren, rechtfertigt dessen visuelle Darstellung in der breiten Medienöffentlichkeit. Wo konkret die Grenze für das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der aktuellen Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls entscheiden (Senatsurteil vom - VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 Rn. 14).
12c) Es bedarf mithin einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen (vgl. , AfP 2010, 259 Rn. 14; vom - VI ZR 243/06, AfP 2008, 507 Rn. 20; BVerfGE 120, 180, 205). Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen (, NJW 2017, 804 Rn. 8; vom - VI ZR 76/17, VersR 2018, 554 Rn. 16).
13aa) Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu, wobei der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung im Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, zu ermitteln ist, insbesondere unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung. Zu prüfen ist, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen oder ob sie lediglich die Neugier der Leser nach privaten Angelegenheiten prominenter Personen befriedigen (vgl. , VersR 2018, 554 Rn. 17; vom - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 25; vom - VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rn. 12; vom - VI ZR 272/06, VersR 2009, 78 Rn. 15; BVerfGE 101, 361, 391; 120, 180, 205; EGMR, NJW 2012, 1053 Rn. 108 ff. [von Hannover v. Deutschland II] und NJW 2012, 1058 Rn. 89 ff. [Axel Springer v. Deutschland]). Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen umso schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist (, BGHZ 187, 200 Rn. 10; vom - VI ZR 51/06, BGHZ 171, 275 Rn. 20).
14bb) Bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Ausmaß die Berichterstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leistet und welcher Informationswert ihr damit beizumessen ist, ist von erheblicher Bedeutung, welche Rolle dem Betroffenen in der Öffentlichkeit zukommt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unterscheidet zwischen Politikern ("politicians/personnes politiques"), sonstigen im öffentlichen Leben oder im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehenden Personen ("public figures/personnes publiques") und Privatpersonen ("ordinary persons/personnes ordinaires"), wobei einer Berichterstattung über letztere engere Grenzen als in Bezug auf den Kreis sonstiger Personen des öffentlichen Lebens gezogen seien und der Schutz der Politiker am schwächsten sei (vgl. EGMR, NJW 2015, 1501 Rn. 54 [Axel Springer v. Deutschland II]; EGMR, Urteil vom , Beschwerde-Nr. 20928/05, BeckRS 2012, 18730 Rn. 55). Er hat ausgeführt, dass eine in der Öffentlichkeit unbekannte Privatperson einen besonderen Schutz ihres Privatlebens beanspruchen kann, während gleiches nicht für Personen des öffentlichen Lebens gelte (EGMR, AfP 2016, 413 Rn. 84 mit Verweis auch auf EGMR, , Nr. 14991/02, Minelli c. Suisse). Dennoch könne auch eine der allgemeinen Öffentlichkeit bekannte Person unter bestimmten Umständen auf eine "berechtigte Erwartung" auf Schutz und auf Achtung ihres Privatlebens vertrauen (s. u.a. EGMR, NJW 2012, 1053 Rn. 97). Die Veröffentlichung eines Fotos könne deshalb auch dann das Privatleben einer Person beeinträchtigen, wenn diese eine Person des öffentlichen Lebens sei (EGMR, AfP 2016, 413 Rn. 85).
15cc) Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Berichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird (, VersR 2018, 554 Rn. 18; vom - VI ZR 310/14, NJW 2017, 804 Rn. 8; vom - VI ZR 125/12, VersR 2013, 1178 Rn. 13; vom - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 26).
16dd) Stets abwägungsrelevant ist die Intensität des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (vgl. BVerfGE 120, 180, 209).
17d) Nach diesen Grundsätzen stellen die angegriffenen Fotos Bildnisse der Zeitgeschichte dar. Die bereits im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorzunehmende Abwägung kann der erkennende Senat selbst vornehmen, da keine weiteren Tatsachenfeststellungen erforderlich sind. Sie fällt vorliegend zugunsten der Pressefreiheit aus.
18aa) Die auf der Fashion Week 2013 aufgenommenen streitgegenständlichen Fotos zeigen die Klägerin und ihre ehemalige Vormundin gemeinsam und gut gelaunt. Sie visualisieren die Bildinnenschrift und veranschaulichen die offenbar entspannte und vertraute Beziehung von ehemaligem Mündel und Vormundin. Damit illustrieren sie kontextgerecht die - von der Klägerin im Streitfall nicht angegriffene - Wortberichterstattung, die einen Beitrag zu einer Diskussion allgemeinen Interesses leistet. Sie befasst sich mit den rechtlichen Konsequenzen des Todes von Eltern minderjähriger Kinder und thematisiert mit der Übernahme der Vormundschaft für die Klägerin durch eine Freundin der Familie eine Möglichkeit, auch außerhalb der Familie eine dem Kindeswohl angemessene und aus Sicht der Eltern wünschenswerte Betreuung für die Kinder zu finden. Die Beklagte leistet mit ihrem Bericht über die Einrichtung und die Darstellung einer jedenfalls aus Sicht eines Außenstehenden erfolgreich verlaufenen Vormundschaft am Beispiel der Klägerin einen sachbezogenen Beitrag zur gesellschaftlichen Diskussion über Hilfeleistung, persönliches Engagement und Fürsorge, die über die Grenzen der eigenen Familie hinausgehen. Die Berichterstattung der Beklagten setzt sich sachbezogen mit der Regelung elterlicher Sorge für die Waisen und der Rechtsfigur der Vormundschaft auseinander. Sie veranschaulicht dieses eher abstrakte Thema für ihre Leserschaft durch die Darstellung am Beispiel der Klägerin, die beide Eltern verloren hat. Die Prominenz von Frau C. und der verstorbenen Eltern fördern die Wahrnehmung dieses Diskussionsbeitrages und damit des Themas in der Öffentlichkeit (vgl. , BGHZ 178, 213 Rn. 15; vom - VI ZR 75/08, VersR 2009, 841 Rn. 14; BVerfGE 101, 361, 390). So kann durch das Stilmittel der Personalisierung bei der Leserschaft der Beklagten das Interesse an (ggf. sie selbst betreffenden) Problemen und der Wunsch nach Sachinformation geweckt werden (Senatsurteil vom - VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 Rn. 15; BVerfGE 120, 180, 206).
19Gleiches gilt für das "Disneyland-Foto" aus dem Jahr 1999 in Paris. Es dokumentiert und ergänzt den Ausgangspunkt der Berichterstattung der Beklagten, dass bei unvorhersehbaren tragischen Ereignissen, hier dem Versterben beider Elternteile, eine Familie vor große Herausforderungen gestellt wird und sich die Frage stellt, wer für minderjährige Kinder die Ausübung der Personensorge in Form der Vormundschaft übernehmen kann und soll. Das Foto ist kontextgerecht und veranschaulicht den Umbruch und die Veränderungen, vor die die Kinder gestellt werden können, und damit die Notwendigkeit, Vorsorgemaßnahmen im Sinne einer bestmöglichen Regelung dieser Frage zu treffen.
20bb) In die Abwägung einzustellen sind auch der Bekanntheitsgrad der Klägerin sowie der Umstand, dass die Übernahme der Vormundschaft durch G. C. öffentlich bekannt war. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war die Klägerin bis zur angegriffenen Berichterstattung bei einigen Gelegenheiten, zum Teil neben ihren Eltern oder ihrer Vormundin, in der Öffentlichkeit präsent, so schon im Jahr 1999 in Paris mit der gesamten Familie. Die Klägerin war selbst bei mindestens drei öffentlichen Veranstaltungen vor die Kameras getreten, bei der Fashion Week im Januar 2009, einer Party anlässlich des Deutschen Filmpreises im April 2010 und mit ihrer Mutter bei der AIDS-Gala im November 2010. Außerdem besuchte sie gemeinsam mit ihrer Vormundin die "Tribute to Bambi-Gala" im Dezember 2012. Das öffentliche Interesse an ihrer Person wurde vertieft durch die Prominenz der Eltern, die beide international bekannte Schauspieler waren, und das große Medienecho bei deren frühem Tod, das auch die Frage aufwarf, wer sich nun um die noch minderjährigen Kinder, die Klägerin und ihren Bruder, kümmere. Hinzu kommt, dass die ehemalige Vormundin Frau C. ebenfalls eine sehr bekannte Schauspielerin war und ist. Angesichts dieses Bekanntheitsgrades handelt es sich bei der Klägerin nicht mehr um eine "in der Öffentlichkeit unbekannte Privatperson" im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser hat vielmehr bei einer "relativ prominenten Persönlichkeit" einen dem Schutz des "individu inconnu du public" vergleichbaren Schutz ihres Rechts auf Privatleben abgelehnt (EGMR, , Nr. 14991/02, Minelli c. Suisse).
21cc) Die streitgegenständliche Bildberichterstattung betrifft die Klägerin unmittelbar nur in ihrer Sozialsphäre. Das "Fashion Week-Foto" und die "Passfotos" aus dem Automaten sind auf einer medienwirksam inszenierten öffentlichen Veranstaltung aufgenommen worden. Dass die Klägerin mit Frau C. den aufgestellten Fotoautomaten benutzt und anschließend mit den dort erstellten Bildern für die Kameras posiert, verdeutlicht, dass ihr die Öffentlichkeit der Situation bewusst war und sie diese ersichtlich gewählt hat.
22Auch für das "Disneyland-Foto" gilt nichts Anderes. Es handelt sich um eine Aufnahme, die die Familie der Klägerin anlässlich eines offiziellen Presseevents im Disneyland in Paris zeigt. Die vom Veranstalter nach Paris eingeladenen Eltern der Klägerin posieren mit ihren drei Kindern für die Kamera, die damit gerade keinen privaten Moment der Entspannung oder des Sich-Gehen-Lassens außerhalb der beruflichen Pflichten abbildet (vgl. , VersR 2008, 1411 Rn. 24; vom - VI ZR 272/06, NJW 2009, 754 Rn. 17; vom - VI ZR 76/17, VersR 2018, 554 Rn. 28 [Wulff]).
23e) Bei dieser Sachlage und der gebotenen Würdigung der Berichterstattung in ihrer Gesamtheit (vgl. , BGHZ 171, 275 Rn. 33; vom - VI ZR 76/17, VersR 2018, 554 Rn. 29) stehen der Verbreitung der Bilder auch unter Berücksichtigung des sicher schmerzvollen Verlustes der Eltern keine berechtigten Interessen der abgebildeten Klägerin entgegen (§ 23 Abs. 2 KUG). Die Aufnahmen selbst weisen keinen eigenständigen Verletzungsgehalt auf. Sie würdigen die Klägerin nicht herab, sondern zeigen sie vielmehr sympathisch und zugewandt. Die Gewinnung der Bilder erfolgte ohne Belästigung, Ausnutzung von Heimlichkeit oder beharrlicher Nachstellung und nicht an Orten der Abgeschiedenheit; die Klägerin posierte vielmehr in der Medienvertretern geöffneten und breit angelegten Veranstaltungsöffentlichkeit für die Kamera, auch in ihrem Erscheinungsbild auf diese Öffentlichkeit vorbereitet und um die Prominenz ihrer ehemaligen Vormundin wissend.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:090419UVIZR533.16.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2019 S. 1134 Nr. 18
NAAAH-21435