BGH Beschluss v. - 4 StR 283/18

Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport: Verfassungsmäßigkeit der Bezugnahme auf den jährlich aktualisierten Anhang zum Übereinkommen gegen Doping

Gesetze: § 6a Abs 1 AMG vom , § 6a Abs 2 AMG vom , § 95 Abs 1 Nr 2a AMG vom , Art 100 Abs 1 S 1 GG, Art 103 Abs 2 GG, Art 2 Anh DopingÜbk

Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 43 KLs 8/15

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen des unerlaubten Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit dem verbotenen Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport, unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus dem Berufungsurteil des Landgerichts Hagen vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiervon hat es drei Monate wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt. Gegen dieses Urteil richtet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zu einer Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.

3Soweit der Angeklagte im Fall III. 1. der Urteilsgründe unter anderem wegen des verbotenen Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG in der vom bis zum gültigen Fassung verurteilt worden ist, hat der Senat die für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG erforderliche Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm nicht gewonnen (vgl. hierzu BVerfGE 68, 352, 359; BVerfGE 80, 54, 58 f.; Müller-Terpitz in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 14. Aufl., Art. 100 Rn. 16). Dies gilt auch angesichts der vom 3. Strafsenat im Beschluss vom (3 StR 345/17, SpuRt 2019, 28) - in nicht tragenden Entscheidungsgründen - geäußerten Bedenken, ob die in § 95 Abs. 1 Nr. 2a i.V.m. § 6a Abs. 1 und 2 AMG aF enthaltene Verweisung auf die jeweils geltende Fassung des Anhangs des Übereinkommens gegen Doping (Gesetz vom zu dem Übereinkommen vom gegen Doping, BGBl. 1994 II, S. 334) mit der nach Art. 103 Abs. 2 GG gebotenen gesetzgeberischen Rechtssetzungshoheit in Einklang zu bringen ist.

4Einer Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der in § 95 Abs. 1 Nr. 2a i.V.m. § 6a Abs. 1 und 2 AMG aF geregelten dynamischen Verweisung - eine solche ist auch bei einem Verweis auf einen Rechtsakt außerhalb der nationalen Rechtsordnung in einer Strafnorm nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfGE 143, 38, 55 ff. mwN [Verweis auf einen Rechtsakt der Europäischen Union]; Schmahl in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, aaO, Art. 103 Rn. 64; vgl. auch Dreier/Schulze-Fielitz, GG, 3. Aufl., Art. 103 Rn. 34) - steht insbesondere entgegen, dass in § 95 Abs. 1 Nr. 2a i.V.m. § 6a Abs. 1 und 2 AMG aF nicht ohne gesetzliche Konkretisierung auf das Dopingübereinkommen verwiesen wird. Vielmehr enthalten die genannten Vorschriften bereits eine eigene Umschreibung des verbotenen Stoffes, indem dieser konkret als ein Arzneimittel gekennzeichnet wird, das zu Dopingzwecken im Sport in Verkehr gebracht wird.

5Es kommt hinzu, dass es sich bei dem von dem Angeklagten zu Verkaufszwecken aus China importierten Stoff um Testosteron handelte - eine Substanz, die bereits im ursprünglichen Anhang zum Dopingübereinkommen aufgeführt wurde (vgl. BGBl. 1994 II, S. 351) und daher unzweifelhaft vom Gesetzgeber zum Kernbestand der verbotenen Stoffe gezählt und als solche unter ein strafrechtliches Verbot gestellt werden sollte (vgl. , BGHSt 59, 11 ff.).

62. Auch die Einzelstrafaussprüche halten rechtlicher Nachprüfung stand. Soweit in der konkreten Strafzumessung zu den Fällen III. 2. bis 4. der Urteilsgründe - jeweils betreffend das unerlaubte Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG aF - die Sicherstellung der von dem Angeklagten aus China bestellten Testosteronpräparate nicht ausdrücklich als strafmildernder Umstand benannt wird (vgl. hierzu , NStZ-RR 2012, 153), schließt der Senat aus, dass der Strafkammer dieser Gesichtspunkt bei der Bemessung der Einzelstrafen aus dem Blick geraten ist, da die erfolgte Sicherstellung in der rechtlichen Würdigung ausdrücklich zur Ablehnung einer Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG aF in den genannten Fällen herangezogen wird.

73. Dagegen kann der Gesamtstrafenausspruch nicht bestehen bleiben. Die Strafkammer hat eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von neun Monaten aus dem Berufungsurteil des Landgerichts Hagen vom - die zugrunde liegende Tat ereignete sich im Jahr 2011 - gemäß § 55 Abs. 1 StGB in die Gesamtstrafenbildung einbezogen. Insoweit sind die Urteilsgründe jedoch lückenhaft und ermöglichen keine revisionsrichterliche Nachprüfung, ob die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 StGB vom Landgericht zu Recht angenommen worden sind.

8a) Es ist bereits unklar, ob die einbezogene Strafe mangels Erledigung überhaupt noch gesamtstrafenfähig ist.

9Die in einem früheren Urteil verhängte Strafe darf nach § 55 Abs. 1 StGB nur einbezogen werden, wenn sie zum Zeitpunkt des letzten tatrichterlichen Sachurteils noch nicht vollstreckt, verjährt oder - im Fall einer Bewährungsstrafe - formell erlassen ist (vgl. , NStZ 1993, 235; vom - 5 StR 419/58, BGHSt 12, 94, 95; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 55 Rn. 6; LK-StGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 55 Rn. 22 f.). Die Nichterledigung der früheren Strafe muss in dem späteren Urteil als Voraussetzung für die Anwendbarkeit von § 55 Abs. 1 StGB festgestellt werden (, wistra 1995, 306, 307; Rissing-van Saan, aaO). Bezüglich der einbezogenen Bewährungsstrafe werden im angefochtenen Urteil jedoch weder die Dauer der Bewährungszeit noch das Fehlen eines Straferlasses mitgeteilt - mithin ist das Fehlen der Erledigung für den Senat nicht nachprüfbar.

10b) Hinzu kommt, dass offen bleibt, ob die einbezogene Strafe ihrerseits mit einer weiteren - möglicherweise zäsurbildenden - Vorverurteilung gesamtstrafenfähig ist. Auch dies würde einer Einbeziehung in vorliegender Sache entgegenstehen (vgl. zu einer entsprechenden Konstellation , StV 2018, 411). Ausweislich der getroffenen Feststellungen wurde gegen den Angeklagten durch Strafbefehl des Amtsgerichts Hagen vom eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen verhängt. Da in dem angefochtenen Urteil jedoch keine Feststellungen dazu getroffen sind, ob und wann diese Geldstrafe vollstreckt worden ist, ist nicht nachprüfbar, ob diesbezüglich eine Gesamtstrafenbildung mit der Strafe aus dem Berufungsurteil des Landgerichts Hagen vom - die zugrundeliegende Tat ereignete sich im Jahr 2011 - angezeigt ist.

114. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO Gebrauch, die Entscheidung über den Gesamtstrafenausspruch dem Nachverfahren gemäß den §§ 460, 462 StPO zuzuweisen. Diesem Beschlussverfahren bleibt auch die abschließende Kostenentscheidung vorbehalten.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:140219B4STR283.18.0

Fundstelle(n):
wistra 2019 S. 248 Nr. 6
WAAAH-13961