BSG Urteil v. - B 2 U 15/17 R

Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - sachlicher Zusammenhang - Handlungstendenz - Studentin - Hochschulsport - organisatorischer Verantwortungsbereich der Hochschule - Bildungsauftrag der Hochschule - Landesrecht - soziale, kulturelle und sportliche Aktivitäten - Nikolausturnier

Leitsatz

Die Aus- und Fortbildung an staatlichen Hochschulen erschöpft sich nicht in der Vermittlung und dem Erwerb studienfachbezogener Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern erstreckt sich nach Maßgabe des Landesrechts auch auf soziale, kulturelle und sportliche Aktivitäten der Studierenden im organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule.

Gesetze: § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c SGB 7, § 8 Abs 1 S 1 SGB 7, § 2 Abs 2 S 1 HSchulG NW 2006, § 3 Abs 5 S 5 HSchulG NW 2006, § 58 Abs 1 HSchulG NW 2006, Art 16 Abs 1 Verf NW, Art 5 Abs 3 S 1 GG

Instanzenzug: Az: S 10 U 141/10 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 17 U 182/13 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin am einen Arbeitsunfall erlitten hat.

3Neben den Spielen am Freitag und Samstag fand am Freitagabend eine Party in der Mensa statt, die der Förderkreis Hochschulsport e.V. und das Studentenwerk organisiert hatten. An dem Turnier nahmen insgesamt 1720 Personen teil, davon 648 von Münsteraner Hochschulen, 1067 von deutschen Hochschulen außerhalb Münsters und fünf Personen von der Universität Bern. Am Unfalltag verdrehte sich die Klägerin im Rahmen des "Nikolausturniers" beim Basketballspielen das rechte Knie und zog sich "zumindest" eine Distorsion zu.

4Die Beklagte lehnte es ab, diesen Unfall als Versicherungsfall anzuerkennen (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Die Klägerin sei außerhalb des allgemeinen Hochschulsportprogramms während eines Turniers verunglückt, das im Internet als größte Breitensportveranstaltung an deutschen Hochschulen angekündigt worden sei. Ein Großteil der Teilnehmer sei von anderen deutschen oder sogar ausländischen Hochschulen gekommen und die Veranstaltung habe an einem Wochenende und räumlich außerhalb der Universität stattgefunden. Das vorwiegende Interesse an der Teilnahme habe bei Spaß, Spiel und Party gelegen.

5Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das LSG hat auf die Berufung der Klägerin festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis um einen Arbeitsunfall gehandelt hat (Urteil vom ): Die dem Unfall unmittelbar vorausgehende Verrichtung des Basketballspielens habe mit der Hochschulausbildung der Klägerin in einem wesentlichen sachlichen Zusammenhang gestanden. Denn die Aus- und Fortbildung an einer Hochschule beschränke sich nicht nur auf die Teilnahme an studienfachbezogenen Veranstaltungen, sondern umfasse auch die Teilnahme an sportlichen Veranstaltungen im Rahmen des Hochschulsports. Nach § 3 Abs 5 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz NW - vom , GV NRW 473 in seiner vom bis geltenden Altfassung <aF>) bestehe der Bildungsauftrag der Hochschulen auch in der sozialen Förderung der Studierenden und im Bereich Sport und Kultur. Dem Studienbezug stehe nicht entgegen, dass es sich um keine regelmäßige Veranstaltung, sondern um ein einmal jährlich stattfindendes Turnier handele. Der Versicherungsschutz scheitere nicht daran, dass das Nikolausturnier Studierenden anderer Universitäten offen gestanden habe. Der organisatorische Verantwortungsbereich der Hochschule sei nicht dadurch entfallen, dass die Wettbewerbe überwiegend in zusätzlich angemieteten Hallen stattgefunden hätten.

6Mit ihrer Revision rügt die Beklagte Verletzungen formellen (§ 128 Abs 1 SGG) und materiellen Rechts (§ 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c), § 8 Abs 1 SGB VII). Das LSG verletze die Grenzen der freien Beweiswürdigung, wenn es zwar aus der Einladung zitiere, aber verschweige, dass Übernachtung und Party integraler Bestandteil des Nikolausturniers gewesen seien. Da das Meldeentgelt zugleich den Eintritt zur Nikolausparty enthalten habe, hätte das LSG den Gesamtcharakter des Turniers nicht als Bildungsveranstaltung, sondern als "Spektakel" und Festival mit Freizeitcharakter auffassen müssen, wie auch dessen Einordnung unter der Rubrik "Events" auf der Internetseite des Hochschulsportbüros belege. In materiell-rechtlicher Hinsicht sei darauf hinzuweisen, dass Studierende, die sich während einer bundes- und europaweit allen Studierenden offenstehenden Sportgroßveranstaltung verletzten, jedenfalls nicht infolge ihrer versicherten Tätigkeit verunglückten. Unter Versicherungsschutz nach § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c) SGB VII stünden nur solche Sportveranstaltungen, mit denen die Hochschule den landesrechtlich definierten Bildungsauftrag umsetze, der sich stets nur auf die eigenen Studierenden beziehen könne. Auch ziele die Schaffung bundesweiter Kontakte nicht auf die Integration Studierender an ihrem Hochschulort.

9Zutreffend habe das LSG das Landesrecht bindend dahin ausgelegt, dass die Universität das Nikolausturnier in Erfüllung ihres Bildungsauftrags veranstaltet habe. Es sei dabei unerheblich, ob auch Studierende anderer Hochschulen bei dem Turnier unfallversichert gewesen wären.

Gründe

10Die Revision der Beklagten ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Die geltend gemachten Verletzungen des § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c) iVm § 8 Abs 1 SGB VII und des § 128 Abs 1 SGG liegen nicht vor. Zu Recht hat das LSG der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1, § 55 Abs 1 Nr 1, § 56 SGG) stattgegeben und das klageabweisende geändert. Denn die Ablehnungsentscheidung in dem Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (§ 95 SGG) ist rechtswidrig. Die Klägerin hat am einen Arbeitsunfall erlitten. Soweit sie vor dem SG die Feststellung eines Unfalls vom 12 als Versicherungsfall beantragt hat, war das Gericht an die Fassung dieses Antrags nicht gebunden, weil die Klägerin offensichtlich die Feststellung des Unfalls vom als Arbeitsunfall begehrt hat (§ 123 SGG).

11Nach § 8 Abs 1 S 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs 1 S 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; stRspr, vgl zuletzt - SozR 4-2700 § 2 Nr 46 <vorgesehen> = Juris RdNr 13; vom - B 2 U 5/15 R - BSGE 122, 1 = SozR 4-2700 § 2 Nr 35, RdNr 13; vom - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55 RdNr 9; vom - B 2 U 7/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 53 RdNr 11; vom - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 10 und B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 14; vom - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 12; vom - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 20 und vom - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 26 f). Die Klägerin hat einen "Unfall" (A.) als grundsätzlich Versicherte (B.) erlitten, und zwar während der Hochschulausbildung "infolge" ihrer versicherten Tätigkeit als Studierende (C.).

12A. Die Klägerin hat einen Unfall iS des § 8 Abs 1 S 2 SGB VII erlitten, als sie sich nach den nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsgründen angegriffenen und damit bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) beim Basketballspielen während des Nikolausturniers das rechte Knie verdrehte und "zumindest" eine Distorsion zuzog. Dabei wirkte der Turnhallenboden - als Teil der Außenwelt ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 14 und vom - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31 RdNr 10) - zeitlich begrenzt auf ihr rechtes Knie ein und diese Einwirkung führte zu einer Zerrung als Gesundheitserstschaden. Dass ein degenerativer Vorschaden überragende Bedeutung für die Distorsion gehabt haben könnte, kann nach dem Gesamtzusammenhang der tatrichterlichen Feststellungen ausgeschlossen werden.

13B. Im Unfallzeitpunkt gehörte die Klägerin gemäß § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c) SGB VII zum grundsätzlich versicherten Personenkreis. Danach sind "kraft Gesetzes … versichert Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen". Als immatrikulierte Studierende an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster war die Klägerin grundsätzlich "Versicherte" (vgl zum zwingenden Erfordernis der Immatrikulation für den Versicherungsschutz Studierender - SozR 4-2200 § 539 Nr 2; Schlaeger in ders/Linder, Unfallversicherung für Kinder in Tagesbetreuung, Schüler und Studierende, 2011, § 5 RdNr 23).

14C. Der Unfall geschah auch während der Ausbildung an einer Hochschule "infolge" einer versicherten Tätigkeit iS des § 8 Abs 1 S 1 SGB VII. Die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses (das Basketballspielen) stand (noch) im sachlichen Zusammenhang mit der grundsätzlich versicherten Tätigkeit der Klägerin als Studierende der Fächer Sport und Pädagogik. Eine versicherte Tätigkeit wird ausgeübt, wenn, solange und soweit der Versicherte den jeweiligen Versicherungspflichttatbestand - hier § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c) SGB VII - durch eigene Verrichtungen erfüllt. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln, das objektiv seiner Art nach von Dritten beobachtbar und subjektiv - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese innere Tatsache der subjektiven Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten wird auch als "Handlungstendenz" bezeichnet (dazu vgl - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 RdNr 14 und vom - B 2 U 5/15 R - BSGE 122, 1 = SozR 4-2700 § 2 Nr 35, RdNr 15). Die Klägerin ist als Studierende während der Hochschulausbildung verunglückt, weil das Basketballspiel im Rahmen des Hochschulsports objektiv und subjektiv studienbezogen (I.) war und im organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule (II.) stattfand (zu diesen Erfordernissen vgl - BSGE 118, 1 = SozR 4-2700 § 2 Nr 32 - "Hochschulmeisterschaften", B 2 U 13/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 31 - "Skikurs" und B 2 U 14/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 30 - "AStA-Fußballturnier"; teilweise kritisch zu diesen Entscheidungen: Schlaeger, SGb 2016, 80 ff).

15I. Obwohl die Teilnahme der Klägerin am Basketballspiel im Rahmen des Nikolausturniers keinen unmittelbaren Ausbildungsbezug hatte (dazu 1.), lag der notwendige Studienbezug der konkreten Verrichtung im Moment vor dem Eintritt des Unfallereignisses vor. Denn nach gefestigter Rechtsprechung des Senats ( - BSGE 118, 1 = SozR 4-2700 § 2 Nr 32 - "Hochschulmeisterschaften" und B 2 U 13/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 31 - "Skikurs") gehört auch die Teilnahme am Hochschulsport zur Aus- und Fortbildung an einer Hochschule und vermittelt Studierenden in aller Regel den notwendigen Studienbezug ihrer jeweiligen sportlichen Betätigung (dazu 2.).

161. Für die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit als "Studierende" iS des § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c) SGB VII kommt es objektiv auf den Aus- und Fortbildungsbezug der jeweiligen Verrichtung und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare oder mittelbare Vorteile für das eigene Studium bringen soll. Das Vorliegen dieser subjektiven Komponente wird (widerlegbar) vermutet, wenn sich der Versicherte bei objektiv studienfachbezogenen Tätigkeiten verletzt, die als solche im Vorlesungsverzeichnis enthalten oder die zur Erlangung eines Studienabschlusses erforderlich sind. Da die Klägerin nicht beim speziellen "Ausbildungssport", für den sie als Sportstudentin immatrikuliert war, sondern beim "Breitensport" im Rahmen des allgemeinen Hochschulsports verunglückt ist, bestand kein unmittelbarer Ausbildungsbezug. Weder hat die Klägerin behauptet noch das LSG festgestellt, dass sie während der Teilnahme am Nikolausturnier ihr Basketballspiel ernsthaft verbessern oder perfektionieren wollte. Ebenso wenig ist festgestellt, dass sie Mitspielern oder sonstigen Dritten theoretische Kenntnisse und praktische Fähigkeiten des Basketballspiels vermitteln und dabei ihr Sport- und Pädagogikstudium fördern wollte. Vielmehr hat das LSG eine Tätigkeit der Klägerin als Übungsleiterin ausdrücklich verneint. Schließlich ist auch nicht festgestellt, dass sie meisterschaftsreife Basketballspielerin gewesen sei und sich zB im Rahmen von Hochschulmeisterschaften als Mitglied der Hochschulmannschaft ihrer Heimuniversität wettkampfmäßig mit anderen messen wollte (vgl dazu - BSGE 118, 1 = SozR 4-2700 § 2 Nr 32 - "Hochschulmeisterschaften"). Wenn das LSG schließlich darauf hinweist, (Hochschul-)Sport biete Studierenden, die typischerweise in beengten Wohnverhältnissen lebten, einen gesundheitlichen Ausgleich zur oft einseitigen Körperhaltung bei hoher geistiger Belastung, hat es der Sportveranstaltung gerade keine krankheitsverhütende Funktion im Sinne eines Belastungsausgleichs zugeschrieben, sondern lediglich festgestellt, dass das Nikolausturnier der "Förderung der Kommunikation, Interkulturalität und Integration zwischen Studierenden" diente.

172. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände der Aus- und Fortbildung an Hochschulen ist der Versicherungsschutz Studierender indes nicht auf studienfachbezogene Verrichtungen beschränkt (BSGE 118, 1 = SozR 4-2700 § 2 Nr 32 RdNr 16). Denn Studierende können - an-ders als Schüler - frei entscheiden, an welchen - auch fachfremden - (Lehr-)Veranstaltungen sie teilnehmen, um sich über die fachspezifische Berufsvorbereitung hinaus eigenverantwortlich, fachübergreifend und möglichst ganzheitlich zu bilden. Studierende sind deshalb in aller Regel versichert, wenn sie Hochschuleinrichtungen aufsuchen, deren (Bildungs-)Angebote nutzen und zB an Veranstaltungen, Exkursionen oder dem Hochschulsport teilnehmen ( - SozR 3-2200 § 539 Nr 1 S 4; vom - 2 RU 43/92 - BSGE 73, 5, 6 = SozR 3-2200 § 539 Nr 26 S 91 f; vom - 2 RU 45/94 - Juris; zur Fortgeltung dieser Rechtsprechung auch im SGB VII vgl - SozR 4-2700 § 2 Nr 31 RdNr 16 - "Skikurs"). Nach den bindenden Feststellungen des LSG zum Inhalt des nicht revisiblen (§ 162 SGG) Hochschulgesetzes NW aF "besteht der Bildungsauftrag der Hochschulen auch in der sozialen Förderung der Studierenden und im Bereich Sport und Kultur". Folglich erschöpft sich der Bildungsauftrag staatlicher Hochschulen nicht in der Vermittlung und dem Erwerb theoretischer Kenntnisse ("Wissen") und praktischer Fähigkeiten ("Können"), sondern erstreckt sich auch auf die sozialen, kulturellen und körperlich-motorischen Aktivitäten der Studierenden im organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule. Ebenso wie allgemeinbildende Schulen (dazu - BSGE <vorgesehen> = SozR 4-2700 § 2 Nr 38 RdNr 17) sind Hochschulen Orte gesellschaftlicher Integration, in denen (Hoch-)Schüler auch ihre personalen, sozialen und methodischen (Schlüssel-)Kompetenzen (soft skills) ausbauen (sollen), um neben der Berufsbildung auch ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Hieran anknüpfend hat die Hochschule das Nikolausturnier zur "Förderung der Kommunikation, Interkulturalität und Integration zwischen Studierenden" organisiert und das LSG das Landesrecht den Senat bindend so ausgelegt, dass der Hochschulsport "neben der gesundheitlichen Ausgleichsfunktion … zugleich u.a. der sozialen Integration … der Identifikation mit der eigenen Hochschule und nicht zuletzt der Persönlichkeitsentwicklung" diene. Erschließt sich der Mensch die Welt im Wesentlichen durch Bewegung (vgl Hildebrandt-Stramann, Mit Bewegung die Welt erschließen, in Bewegungspädagogik 2010, 233 f), so hat (Bewegungs-)Sport a priori einen grundlegenden Bildungsbezug und gehört als "Sportwissenschaft" auch zu den akademischen Disziplinen. Der für den Versicherungstatbestand des § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c) SGB VII erforderliche Bildungsbezug besteht beim Hochschulsport ua darin, das "bewegungsaktive Weltverstehen" (Hildebrandt-Stramann, aaO) zu fördern, Sportarten zu erlernen und Anreize zum selbstständigen (postuniversitären) Sporttreiben zu schaffen, für einen körperlichen Belastungsausgleich zu sorgen und das gegenseitige fachübergreifende (§ 58 Abs 1 Hochschulgesetz NW aF) Kennenlernen der Studierenden untereinander zu ermöglichen, um so das gegenseitige Verständnis füreinander und die Identifikation mit der eigenen Hochschule zu fördern. Diese Bildungsziele rechtfertigen es, die sportliche Betätigung Studierender unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu stellen, wenn die Hochschule in ihrem organisatorischen Verantwortungsbereich Sportveranstaltungen durchführt, um ihren landesgesetzlichen Sportförderungsauftrag zu erfüllen.

18Die konkrete Verrichtung der Klägerin unmittelbar vor Eintritt des Unfallereignisses - das Basketballspielen im Rahmen des Nikolausturniers in ihrer Eigenschaft als Studierende - war in diesem Sinne objektiv und subjektiv studienbezogen. Mit der Organisation des Nikolausturniers bewegte sich die Hochschule innerhalb ihres gesetzlichen Auftrags der Sportförderung. Denn sie nimmt ihre Bildungsaufgaben als Selbstverwaltungsangelegenheiten (Art 5 Abs 3 S 1 GG, Art 16 Abs 1 Verfassung für das Land NW, § 2 Abs 2 S 1 Hochschulgesetz NW aF) wahr und ist deshalb bei der Ausgestaltung sozialer Fördermaßnahmen im Bereich Sport und Kultur weitgehend frei. Folglich erfüllt sie ihre gesetzliche Sportförderungsaufgabe ua dadurch, dass sie Sportturniere veranstaltet, an denen auch Studierende anderer Hochschulen teilnehmen und bei denen nicht der Wettkampfgedanke, sondern der Spaß am gemeinsamen Sporttreiben im Vordergrund steht. Das Sportangebot für Mannschaften, auf die das Nikolausturnier zugeschnitten war, fördert die gemeinsame sportliche Betätigung und ermöglicht es, auswärtige, ausländische und behinderte Studierende innerhalb und außerhalb der eigenen Hochschule zu integrieren. Sportturniere, an denen Studierende anderer Hochschulen teilnehmen, sind geeignet, die genannten Aufgaben des Hochschulsports zu erfüllen. Die Möglichkeit eines Kräftemessens ist Ansporn und Motivation für sportliche Leistungen; das vorangehende universitätsinterne Training erhält damit einen Sinn. Innerhalb einer Mannschaft lernen sich Studierende kennen und stellen durch gemeinsames Sporttreiben stabile soziale Beziehungen her, die der Vereinsamung in der Anonymität des Hochschulbetriebs und der sozialen Isolation vorbeugen. Werden - wie hier - Studierende anderer Universitäten eingeladen, ermöglicht gerade dies die Identifikation mit der eigenen Hochschule, die damit zugleich gesundheitliche, soziale und persönlichkeitsbildende Aufgaben gegenüber den eigenen Studierenden erfüllt und so den Sport "in ihrem Bereich" fördert (§ 3 Abs 5 S 5 Hochschulgesetz NW aF; vgl auch § 2 Abs 4 S 3 HRG). Mit dieser Formulierung verdeutlicht das Gesetz, dass die Hochschulen den Sport ihrer Studierenden und Mitarbeiter durch eigene Angebote und Veranstaltungen fördern müssen und bloße Kooperationen mit Sportvereinen nicht genügen (vgl Reich, HRG, 10. Aufl 2007, § 2 RdNr 7).

19Der Rahmen des Nikolausturniers war weder dadurch zu weit gezogen, weil die Einladung Studierende in der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz erfasste, und auch nicht zu eng, weil sonstige Hochschulangehörige ausgeschlossen waren. Denn mit Blick auf seine soziale und kulturelle Funktion ist der allgemeine Hochschulsport räumlich nicht auf das (regionale) Einzugsgebiet der Hochschule beschränkt. Das Nikolausturnier verlor seinen Charakter als Hochschulsportveranstaltung auch nicht deshalb, weil nur Studierende teilnahmeberechtigt ("zwischen Studierenden") und sonstige Angehörige bzw Mitglieder der Hochschule (vgl zur Differenzierung zwischen Hochschulangehörigen und Mitgliedern: Schlaeger, SGb 2016, 80, 82 f) ausgeschlossen waren. Denn nach der Rechtsprechung des Senats liegt eine Hochschulsportveranstaltung gerade und insbesondere dann vor, wenn sich der Teilnehmerkreis auf Studierende beschränkt ( - SozR 4-2700 § 2 Nr 31 - "Skikurs"; vgl zur versicherungsschädlichen Teilnahme betriebsfremder Personen bei einem Betriebsfußballturnier - SozR 4-2700 § 2 Nr 37). Schließlich ist unerheblich, dass das Nikolausturnier nur einmal jährlich und nicht in kürzeren Abständen regelmäßig wiederkehrend stattfindet ( - SozR 4-2700 § 2 Nr 31 - "Skikurs").

20Die Verfahrensrüge, das LSG habe die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) überschritten und den Gesamtcharakter der Veranstaltung unrichtig dargestellt, weil die Hochschule das Nikolausturnier selbst als "Spektakel" und "Event" und nicht als "Sport" beworben habe, greift nicht durch (§ 170 Abs 3 S 1 SGG). Vielmehr sind die vom LSG getroffenen Feststellungen über den Charakter der Veranstaltung gemäß § 163 SGG für den Senat bindend. Der Senat teilt allerdings die Zweifel der Revision, ob ein reines "Nikolausspektakel" noch unter den Schutzbereich der Norm fiele, weil es nicht Aufgabe der sog unechten Unfallversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c) SGB VII sein dürfte, reine Spaßveranstaltungen von Studierenden zu versichern (vgl hierzu die sog Kittelverbrennung durch Studierende - Juris). Nach den bindenden Feststellungen des LSG war das Nikolausturnier aber Bestandteil des hochschuleigenen Sportprogramms und die Verrichtung des Basketballspielens damit - wie soeben dargelegt - studienbezogen.

21II. Schließlich fand die Sportveranstaltung auch im organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule statt. Dies erfordert grundsätzlich, dass ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang der Verrichtung zur Hochschule besteht, der verlassen wird, wenn eine Einwirkung auf die Verrichtung durch Aufsichtsmaßnahmen nicht mehr gewährleistet ist ( - SozR 4-2700 § 2 Nr 31 - "Skikurs" und vom - B 2 U 5/99 R - SozR 3-2200 § 539 Nr 49). Der organisatorische Verantwortungsbereich ist aber auch dann gegeben, wenn die Hochschule zumindest organisatorische Mitverantwortung für die Teilnahme an der Veranstaltung trägt, die Studierenden in der Ausgestaltung der Verrichtung nicht völlig frei sind und sich die Tätigkeit der Hochschule nicht auf eine reine Unterstützungsleistung einer ansonsten in der Organisationshoheit der Studierenden liegenden Verrichtung beschränkt (vgl - SozR 4-2700 § 2 Nr 31 RdNr 23 - "Skikurs" und B 2 U 10/13 R - BSGE 118, 1 = SozR 4-2700 § 2 Nr 32, RdNr 26 - "Hochschulmeisterschaften" und vom - 2 RU 43/92 - BSGE 73, 5, 7 f = SozR 3-2200 § 539 Nr 26 S 92 f). Nach den bindenden Feststellungen des LSG trat die Universität als Veranstalterin des Nikolausturniers auf, organisierte die Sportveranstaltungen, gab das Programm, den Turnierverlauf sowie den Zeitplan vor, stellte Aufsichtspersonen in den Sporthallen an und sorgte für die Übernachtung und Verpflegung der Teilnehmer. Keinesfalls entfiel der organisatorische Verantwortungsbereich der Hochschule und mit ihm der Versicherungsschutz der Klägerin deshalb, weil sie sich nicht in den Räumlichkeiten der Hochschule und außerhalb der Vorlesungszeit an einem Samstag verletzte. Denn die Zwecke des Hochschulsports lassen sich auch ohne zeitlichen und örtlichen Bezug zum Studium an einer Hochschule verwirklichen (vgl - SozR 4-2700 § 2 Nr 31 - "Skikurs").

22Der Unfall der Klägerin während des Basketballspiels am ist somit ein versicherter Arbeitsunfall, weil sie zu diesem Zeitpunkt Studierende der ausrichtenden Hochschule war, in deren organisatorischen Verantwortungsbereich das Nikolausturnier stattfand. Dass an dem Nikolausturnier teilnehmende Studierende anderer Hochschulen möglicherweise nicht nach § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst c) SGB VII kraft Gesetzes versichert waren (vgl hierzu Schlaeger, SGb 2016, 80, 82), ist insofern unerheblich, weil die Klägerin gerade an der veranstaltenden Hochschule immatrikuliert war und es nur auf ihren Versicherungsschutz ankommt.

23Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2018:271118UB2U1517R0

Fundstelle(n):
XAAAH-12500