Zum Entziehungsanstalts-Symptomcharakter einer Tat
Gesetze: § 64 S 1 StGB
Instanzenzug: LG Heilbronn Az: 15 Js 39089/17 - 1 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung unter Einbeziehung einer Strafe aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts Heilbronn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zwei Monaten verurteilt, eine in dem Strafbefehl angeordnete führerscheinrechtliche Maßnahme aufrechterhalten sowie festgestellt, dass der Angeklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld zu zahlen.
2Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
31. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift ausgeführt:
„Keinen Bestand haben kann hingegen die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt.
a) Bereits die Annahme, bei dem Angeklagten liege kein Hang im Sinne des § 64 StGB vor, da - unabhängig von seinem Konsumverhalten - jedenfalls sicher habe festgestellt werden können, dass auf der Arbeitsstelle des Angeklagten eventuelle Drogen- und Alkoholprobleme nicht aufgefallen seien (UA S. 68), lässt befürchten, dass die Kammer von einem zu engen Verständnis des Hangs ausgegangen ist.
Für die Annahme eines Hangs ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht haben muss (Senat, Beschluss vom - 1 StR 348/17, juris Rn. 9 mwN). Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (Senat, Beschluss vom - 1 StR 587/16, juris Rn. 9; Urteil vom - 1 StR 415/15, juris Rn. 7; , juris Rn. 10). Insoweit kann der Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen. Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (Senat, Beschluss vom - 1 StR 482/15, juris Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 103/15, juris Rn. 6; und vom - 4 StR 56/08, juris Rn. 6). Auch stehen das Fehlen ausgeprägter Entzugssyndrome sowie Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hangs nicht entgegen (, juris Rn. 12 mwN). Das Vorliegen eines Hangs setzt auch nicht voraus, dass die Rauschmittelgewöhnung auf täglichen oder häufig wiederholten Genuss zurückgeht; vielmehr kann es genügen, wenn der Täter von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit seiner Neigung zum Rauschmittelkonsum folgt (, juris Rn. 12 mwN).
Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte in der Vergangenheit Alkohol und Marihuana und Kokain, wobei er in jüngerer Vergangenheit jedenfalls keinen dauerhaften Konsum praktizierte (UA S. 7). Aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Heilbronn vom ergibt sich, dass der Angeklagte am im Zustand alkohol- und drogenbedingter Fahruntüchtigkeit ein Fahrzeug führte, wobei die Untersuchung einer ihm entnommenen Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,37 ‰ sowie den Konsum von Cannabis und Kokain ergab (UA S. 9). Auch während der kurzen Ehe des Angeklagten mit der Zeugin C. spielten Betäubungsmittel eine Rolle (UA S. 10). Aus dem toxikologischen Gutachten vom ergab sich ein Konsum von Cannabis und Kokain bei der Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin C. (UA S. 21 f.). Schließlich konsumierte der Angeklagte am Abend des bis zum , 00:51 Uhr, eine Flasche Jägermeister à 0,7 Liter (UA S. 13) sowie bis 00:51 Uhr mindestens einen Joint (UA S. 13, 22) und bis 9:00 Uhr mindestens noch einen weiteren Joint (UA S. 14, 22).
Nach diesen Feststellungen lag die Annahme eines Hangs nahe. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte nach Angaben des Sachverständigen nach seiner Inhaftierung nicht unter Entzugserscheinungen litt (UA S. 22) und dass sein Drogen- und Alkoholkonsum bei seinem Arbeitgeber nicht aufgefallen war (UA S. 23).
b) Auch die Annahme der Kammer, es fehle an einer hinreichenden Erfolgsaussicht, da der Angeklagte keine Einsicht in seine Drogenproblematik zeige und es an einer Behandlungsmotivation fehlen lasse (UA S. 68 f), vermag nicht zu überzeugen. Das aktuelle Fehlen von Therapiewilligkeit steht einer Anordnung nicht entgegen; ein nicht näher erläuterter bloßer Hinweis, der Angeklagte sei therapieunwillig, kann das Fehlen der Erfolgsaussicht nicht belegen. Das Tatgericht hat zu prüfen, ob die konkrete Aussicht besteht, dass eine Therapiebereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden kann (vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, 65. Auflage 2018, § 64 Rn. 20 mwN). Diesen Anforderungen werden die überaus knappen Ausführungen der Kammer nicht gerecht.
c) Schließlich erscheint ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten und der verfahrensgegenständlichen Tat nicht von vorneherein ausgeschlossen. Eine Tat hat dann Symptomcharakter, wenn sie in dem Hang ihre Wurzel findet, mithin Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln hat, also - zumindest mitursächlich - auf den Hang zurückgeht (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom - 1 StR 348/17, juris Rn. 10). Typisch sind hierfür Delikte, die der Täter begeht, um in den Besitz von Rauschmitteln oder des für ihre Beschaffung notwendigen Geldes zu kommen (Senat, Beschluss vom - 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113, 114; , NStZ-RR 2014, 75). Bei Sexualdelikten, die erfahrungsgemäß nur selten als Anlasstat für eine Unterbringung in Erscheinung treten, ist ein solcher Zusammenhang zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, seine Annahme bedarf jedoch besonderer Anhaltspunkte (Senat, Urteil vom - 1 StR 693/96, juris Rn. 10; , juris Rn. 9).
Im vorliegenden Fall war der Angeklagte nicht unerheblich alkoholisiert und stand unter dem Einfluss von Cannabis (UA S. 16). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die festgestellte Berauschung des Angeklagten zu einer tatbegünstigenden Enthemmung und Entdifferenzierung der Persönlichkeit des Angeklagten geführt hat. Angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte auch bei dem Angriff auf die Zeugin C. am unter dem Einfluss von Cannabis und Kokain stand (UA S. 10 f, 21), lässt vermuten, dass er unter dem Einfluss berauschender Mittel zu Aggressionen insbesondere gegenüber Frauen neigt, so dass ein symptomatischer Zusammenhang naheliegt.“
4Dem schließt sich der Senat an. Ergänzend ist anzumerken, dass bei der Prüfung des Hangs auch zu berücksichtigen sein wird, dass nach den Feststellungen des Landgerichts bereits während der Unterbringung des Angeklagten im K. in W. vom bis neben einer psychotischen Störung ein „akuter Cannabiskonsum“ festgestellt wurde (UA S. 61).
52. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist im vorliegenden Fall auszuschließen, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:201218B1STR600.18.0
Fundstelle(n):
WAAAH-11524