Rechtsbeschwerde gegen die Kostenentscheidung nach Berufungsrücknahme: Bindungswirkung einer nachträglichen Zulassungsentscheidung für das Rechtsbeschwerdegericht; Gehörsverletzung durch das Berufungsgericht
Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 97 Abs 2 ZPO, § 269 Abs 3 S 2 ZPO, § 269 Abs 4 S 1 ZPO, § 318 ZPO, § 574 Abs 3 S 2 ZPO
Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 16 U 209/14vorgehend LG Gießen Az: 3 O 173/12
Gründe
I.
1Die Klägerin, eine Sparkasse, nimmt den Beklagten aus eigenem und abgetretenem Recht im Zusammenhang mit einem zur Absicherung eines Zins-Swap-Vertrages gegebenen Garantieversprechen auf Aufwendungsersatz in Anspruch. Der Beklagte begehrt widerklagend Auskunft über die wirtschaftlichen Vorteile, die die Klägerin im Zusammenhang mit dem Zinssicherungsgeschäft erlangt hat. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Im Berufungsverfahren sind Klage und Widerklage zurückgenommen worden. Das Berufungsgericht hat durch Beschluss vom nach § 269 Abs. 3 Satz 2, § 97 Abs. 2 ZPO der Klägerin die Kosten der ersten Instanz und dem Beklagten die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithelferin auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte habe erst in der Berufungsinstanz zu seiner Verteidigung Vortrag gehalten, den er bereits in erster Instanz hätte vorbringen können und der möglicherweise zu einer Abweisung der Klage geführt hätte. Durch Beschluss vom hat das Berufungsgericht den Beschluss vom dahingehend abgeändert, dass die Rechtsbeschwerde zugelassen wird. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Rechtsbeschwerde habe weder nach § 319 ZPO noch nach § 321 ZPO, wohl aber nach § 321a ZPO Erfolg. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sei gegeben, weil der Beklagte vor Erlass des Beschlusses vom nicht darauf hingewiesen worden sei, dass der Senat § 97 Abs. 2 ZPO auch im Rahmen des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO für anwendbar halte. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Beklagte, die Beschlüsse vom und aufzuheben, soweit ihm die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithelferin auferlegt worden sind, und die Kosten des Berufungsverfahrens der Klägerin aufzuerlegen mit Ausnahme der Kosten der Streithelferin, die diese selbst zu tragen hat.
II.
2Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft und daher als unzulässig zu verwerfen (§ 577 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Eine das Rechtsbeschwerdegericht nach § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO bindende Zulassung durch das Berufungsgericht liegt nicht vor.
31. Lässt das Berufungsgericht die Rechtsbeschwerde ausdrücklich nicht zu, entfaltet eine nachträgliche, auf eine Anhörungsrüge oder Gegenvorstellung ergangene stattgebende Zulassungsentscheidung für das Rechtsbeschwerdegericht keine Bindungswirkung, wenn die ursprüngliche Entscheidung nicht auf Verstößen gegen Verfahrensgrundrechte beruht (, NJW-RR 2016, 955 Rn. 4 mwN). Dies gilt auch, wenn, wie im vorliegenden Fall, das Berufungsgericht die Rechtsbeschwerde nicht ausdrücklich nicht zugelassen hat, sondern der angefochtene Beschluss keinen Ausspruch der Zulassung enthält.
4Eine prozessual nicht vorgesehene nachträgliche Zulassungsentscheidung ist unwirksam, weil sie die Bindung des Gerichts an seine eigene Entscheidung (§ 318 ZPO) außer Kraft setzen würde (, NJW-RR 2016, 955 Rn. 4 mwN). Dies trifft nicht nur zu, wenn das Berufungsgericht die Rechtsbeschwerde ausdrücklich nicht zugelassen hat, sondern auch dann, wenn im angefochtenen Beschluss ein Ausspruch der Zulassung fehlt. Enthält ein Beschluss keinen Ausspruch der Zulassung, so heißt dies, dass die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen wird. Eine nachträgliche Zulassung holt nicht eine unterbliebene Entscheidung nach, sondern widerspricht entgegen § 318 ZPO der bereits getroffenen Entscheidung und ändert sie ab. Dies gilt sowohl für die Zulassung der Revision als auch für die der Rechtsbeschwerde (, WM 2009, 1058 Rn. 7 mwN).
52. Der Beschluss vom beruht nicht auf einem Verstoß gegen ein Verfahrensgrundrecht.
6Das Berufungsgericht hat, anders als es selbst meint, den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt.
7Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (BVerfG, NJW 2003, 3687 mwN). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das Berufungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom unstreitig auf die Anwendbarkeit von § 97 Abs. 2 ZPO im Fall einer streitigen Entscheidung hingewiesen und eine entsprechende Kostenverteilung auch in seinen protokollierten Vergleichsvorschlag aufgenommen. Nach diesem Prozessverlauf musste der Beklagte damit rechnen, dass das Berufungsgericht § 97 Abs. 2 ZPO auch in anderen Fällen einer Verfahrensbeendigung ohne streitige Endentscheidung für anwendbar hielt. Zudem wird auch in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten, dass § 97 Abs. 2 ZPO im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 4 Satz 1 ZPO als anderer Grund im Sinne des § 269 Abs. 3 Satz 2 Fall 2 ZPO berücksichtigt werden kann (OLG Nürnberg, NJW 2013, 243; , juris Rn. 4; Foerste in Musielak, ZPO, 15. Aufl., § 269 Rn. 12; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 269 Rn. 18b; Roth in Stein-Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 269 Rn. 49; vgl. auch MünchKommZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl., § 269 Rn. 41). Gegenstimmen zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf.
83. Da die Rechtsbeschwerde somit unstatthaft ist, bedürfen die Frage der Wahrung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde sowie die diesbezüglichen Anträge des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keiner Entscheidung.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:201118BXIZB9.17.0
Fundstelle(n):
JAAAH-11417