Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung
Gesetze: § 62 StGB, § 63 StGB, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 46 KLs 8/18
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen in drei Fällen, Sachbeschädigung, räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mi Bedrohung, wegen Besitzes von Betäubungsmitteln, Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung und wegen Diebstahls in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Der Senat beschränkt nach § 154a Abs. 2 StPO die Strafverfolgung im Fall II.1.g der Urteilsgründe mit Zustimmung des Generalbundesanwalts auf den Vorwurf des räuberischen Diebstahls. Dadurch kommt die tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB in Wegfall. Dies entzieht der für diese Tat verhängten Einzelstrafe die Grundlage.
32. Die Verurteilung wegen Diebstahls mit Waffen in zwei Fällen im Fall II.1.o der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Auch die Verurteilung wegen tateinheitlicher Beleidigung in den Fällen II.1.m und II.1.o der Urteilsgründe hat keinen Bestand. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift vom zutreffend ausgeführt:
„Im Fall II.1.m) der Urteilsgründe hat das Landgericht übersehen, dass die Zeugin Y. B. keinen Strafantrag nach §§ 194 Abs. 1, 230 StGB gestellt hat (…). Hinsichtlich der vorsätzlichen Körperverletzung halte ich wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten, § 230 Abs. 1 S. 1, 2. HS StGB. Für die Verfolgung der Beleidigung fehlt es jedoch an einer Verfahrensvoraussetzung. Der Schuldspruch ist daher insoweit zu berichtigen, dass der Angeklagte sich des Diebstahls mit Waffen sowie der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung schuldig gemacht hat.
Im Hinblick auf die Strafzumessungserwägungen (UA S. 42) ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht eine niedrigere Einzelstrafe festgesetzt hätte, wenn es im zweiten Tatkomplex des Falles lediglich auf vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung erkannt hätte. Die Abänderung des Schuldspruchs zieht daher auch die Aufhebung der festgesetzten Einzelstrafe nach sich.
Auch im Fall II.1.o) der Urteilsgründe hat der Zeuge L. keinen Strafantrag wegen Beleidigung gestellt (…). Es fehlt auch insofern an einer Verfahrensvoraussetzung. Der Angeklagte hat sich folglich einer Bedrohung schuldig gemacht.
Auch hier ist im Hinblick auf die Strafzumessungserwägungen (UA S. 43) die Aufhebung der festgesetzten Einzelstrafe erforderlich.
Im ersten Tatkomplex dieses Falles (zweifacher Diebstahl mit Waffen) lässt sich den Feststellungen (UA S. 13 f.) nicht zweifelsfrei entnehmen, ob die Wegnahmen des Rucksacks und kurze Zeit später des Hemdes bereits vollendet waren, als der Angeklagte vom Zeugen L. jeweils angesprochen wurde. Es bleibt offen, ob der Angeklagte das Geschäft S. bereits mit dem Rucksack verlassen, Gewahrsam daran begründet und inwieweit er das Herrenhemd schon eingesteckt hatte. Näheres lässt sich auch den weiteren Urteilsgründen – insbesondere der Beweiswürdigung (UA S. 25) – nicht entnehmen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in einer neuen Hauptverhandlung durch Befragung des Zeugen L. noch weitere Feststellungen getroffen werden können.“
43. Die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II.1.g, II.1.m und II.1.o der Urteilsgründe sowie der Verurteilung wegen Diebstahls mit Waffen in zwei Fällen unter II.1.o der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
54. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass die Anordnung der Unterbringung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.
6a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN; und vom – 4 StR 65/15, juris Rn. 4). Der Tatrichter muss die eine Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 349/13, juris Rn. 5; vom – 1 StR 594/16, BGHR StGB § 63 Anordnung 2).
7b) Darüber hinaus muss die Anordnung verhältnismäßig sein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. In § 62 StGB hat ihn der Gesetzgeber ausdrücklich nochmals einfachgesetzlich geregelt, um seine Bedeutung bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung hervorzuheben. Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300, 301; vom – 4 StR 65/15, juris Rn. 5). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen. Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Betroffenen und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken (, NStZ-RR 2013, 339, 340).
8c) Das Landgericht hat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht erwähnt; das begründet hier einen durchgreifenden Erörterungsmangel. Der Senat kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass die Strafkammer diese Frage geprüft und zumindest (konkludent) bejaht hat. Eine Erörterung war jedoch unverzichtbar. Das Landgericht ist zwar mit Recht davon ausgegangen, dass der räuberische Diebstahl, die Körperverletzung zum Nachteil der Be. B. und die Bedrohungen zum Nachteil der Zeugen Y. B. und L. in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen. Gleichwohl war nach den Feststellungen die Schwelle zur Erheblichkeit nicht wesentlich überschritten. Hinzu kommt, dass nicht davon auszugehen ist, dass der Angeklagte ein etwaig mitgeführtes Messer auch einsetzen wird, da er diesbezüglich über eine ausgeprägte Hemmschwelle verfügt (UA S. 49). Ob die daraus resultierenden erhöhten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Maßregelanordnung gewahrt sind (vgl. , juris Rn. 11), kann der Senat nicht überprüfen.
95. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
106. Soweit die Schuldsprüche wegen Diebstahls mit Waffen unter II.1.o der Urteilsgründe aufgehoben worden sind, wird der neue Tatrichter die Frage der Schuldfähigkeit neu zu prüfen haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:061218B4STR367.18.0
Fundstelle(n):
GAAAH-11204