Reisezeiten für Fortbildungsveranstaltungen - Dienstreisezeiten iSv. § 12 Abs. 8 MDK-T
Gesetze: § 139 Abs 2 ZPO, § 611 BGB, § 1 TVG
Instanzenzug: Az: 8 Ca 2075/16 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 3 Sa 611/16 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Anerkennung von Reisezeiten zu Fortbildungen als vergütungspflichtige Arbeitszeit.
2Der Kläger ist seit 2001 als ärztlicher Gutachter mit Dienstort L beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft Bezugnahme der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten (Arbeitnehmer/innen und Auszubildende) der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) und des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) vom (MDK-T) in der jeweils gültigen Fassung anzuwenden. Dieser lautet auszugsweise wie folgt:
3Die Anlage 3 zum MDK-T „Reisekostenregelung“ bestimmt ua. folgendes:
4Daneben besteht eine Betriebsvereinbarung (BV) „Flexible Arbeitszeit“, auf deren Grundlage für den Kläger ein Arbeitszeitkonto geführt wird. Die BV enthält auszugsweise folgende Regelungen:
5Der Kläger nahm im Auftrag des Beklagten an einer von diesem jährlich organisierten Pflichtveranstaltung für ärztliche Gutachter sowie an drei vom MDS veranstalteten Spezialseminaren teil, die zum Fortbildungskonzept der MDK-Gemeinschaft gehören und im Bildungsplan des Beklagten aufgeführt sind. Dem ging jeweils eine Genehmigung des Beklagten voraus. Die Fortbildungen lagen in dessen dienstlichem Interesse. Sie fanden in Fulda, Essen, Düsseldorf bzw. Dresden statt. Sie nahmen den Kläger an den Tagen , 24./, 4./ sowie 2./ einschließlich der An- und Abreise insgesamt 64,17 Stunden in Anspruch. Zudem erledigte der Kläger am , und Büroarbeiten im Umfang von insgesamt 13,94 Stunden.
6Der Beklagte übernahm für alle Fortbildungen die Kosten einschließlich der vom Kläger geltend gemachten Reisekosten in voller Höhe und buchte die erbrachte Büroarbeit am und in Höhe von 2,85 bzw. 4,92 Stunden als Arbeitszeit in das Arbeitszeitkonto ein. Der Kläger forderte den Beklagten zur Korrektur des Arbeitszeitkontos dergestalt auf, dass insgesamt 75,72 Stunden als Arbeitszeit anzuerkennen seien. Dabei beschränkte er seine Forderung für den ungeachtet der Büroarbeit von 6,17 Stunden und der Anreisezeit von 3,92 Stunden der Höhe nach auf 7,7 Stunden. Das Korrekturbegehren lehnte der Beklagte ab. Er erklärte sich im Laufe des Rechtsstreits bereit, die Zeiten der Fortbildungen, nicht aber die An- und Abreisezeiten als Arbeitszeit gutzuschreiben, ohne jedoch ein Anerkenntnis abzugeben.
7Der Kläger hat die Ansicht vertreten, bei den Fortbildungen handele es sich um Dienstreisen iSd. § 12 Abs. 8 MDK-T, so dass auch die Reisezeiten Arbeitszeit seien. Für diese Norm sei - davon gehen die Parteien übereinstimmend aus - die tarifvertragliche Definition des Dienstreisebegriffs in § 2 der Anlage 3 zum MDK-T heranzuziehen. Mit den Fortbildungen habe er ein Dienstgeschäft wahrgenommen. Die in § 10 Abs. 1 der Anlage 3 zum MDK-T enthaltene Regelung für Reisen im Zusammenhang mit Fortbildungsmaßnahmen betreffe nur die Reisekostenerstattung, nicht aber Fragen der Arbeitszeit.
8Der Kläger hat zuletzt beantragt,
9Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat gemeint, § 10 Abs. 1 der Anlage 3 zum MDK-T sei zu entnehmen, dass Reisen im Zusammenhang mit Fortbildungsmaßnahmen Reisen aus besonderem Anlass und damit keine Dienstreisen iSd. § 2 Abs. 1 der Anlage 3 zum MDK-T, § 12 Abs. 8 MDK-T seien. Andernfalls bedürfe es dieser Sonderregelung nicht. Auch sei die Erstellung von Gutachten für Krankenkassen auf der Grundlage des § 275 SGB V die unmittelbare vertragliche Aufgabe des Klägers, nicht hingegen der Besuch von Fortbildungen. Der Begriff des Dienstgeschäfts knüpfe aber ausschließlich an die unmittelbare Arbeitsaufgabe des Beschäftigten an. Da § 12 Abs. 8 MDK-T somit für die streitgegenständlichen Reisen im Zusammenhang mit Fortbildungsmaßnahmen nicht gelte, richte sich der Umfang anzurechnender Arbeitszeit nach Ziff. 5 der BV „Flexible Arbeitszeit“, ohne dass dies gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoße. Danach seien Reisezeiten nicht und Fortbildungszeiten nur mit 7,7 Stunden pro Tag zu berücksichtigen.
10Das Arbeitsgericht hat dem Leistungsantrag des Klägers im Hinblick auf die Büroarbeit am , und im Umfang von 6 Stunden, 2,85 Stunden und 4,92 Stunden sowie bezogen auf die Teilnahme an den Fortbildungen am , , und im Umfang von jeweils 7,7 Stunden auf der Grundlage der BV „Flexible Arbeitszeit“ stattgegeben. Im Hinblick auf die An- und Abreisezeiten zu und von den Fortbildungen hat es den Leistungsantrag, ebenso wie den Feststellungsantrag abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts dem Leistungsantrag auch in Bezug auf die An- und Abreisezeiten und damit in vollem Umfang entsprochen. Hinsichtlich des Feststellungsantrags hat es die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, bei diesem handele es sich um einen unbegründeten Globalantrag. Er umfasse auch die Fälle einer An- oder Abreise aus dienstlichen Gründen an einem arbeitsfreien Tag, für die § 12 Abs. 8 Satz 3 MDK-T nur die hälftige Anerkennung als Arbeitszeit vorsehe.
11Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Im Wege der Anschlussrevision verfolgt der Kläger den Feststellungsantrag unter Ausklammerung der Fälle der An- oder Abreise an einem arbeitsfreien Tag weiter. Er rügt, das Landesarbeitsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es ohne vorherigen richterlichen Hinweis den Antrag als zu weitgehenden Globalantrag abgewiesen habe.
Gründe
12Die Revision ist zurückzuweisen. Die Anschlussrevision hat hingegen Erfolg und führt im Ergebnis zum vollständigen Obsiegen des Klägers einschließlich der von ihm begehrten Feststellung.
13I. Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat über die vom Arbeitsgericht rechtskräftig zugesprochene Arbeitszeitgutschrift im Umfang von 44,57 Stunden hinaus gegen den Beklagten einen Anspruch auf Gutschrift weiterer 31,15 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto, § 611 BGB iVm. § 12 Abs. 8 MDK-T, Ziff. 6 BV „Flexible Arbeitszeit“. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
141. Der MDK-T ist kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme in seiner jeweils gültigen Fassung auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden. Das ist im Streitzeitraum der MDK-T idF des 16. Änderungstarifvertrags vom , der rückwirkend zum in Kraft getreten ist.
152. Regelungen zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit enthält § 12 MDK-T. Danach beträgt die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für den Kläger als Beschäftigten der Vergütungsgruppen 7 bis 16 ausschließlich der Pausen 38,5 Stunden (§ 12 Abs. 1 MDK-T). Bei Dienstreisen wird gemäß § 12 Abs. 8 Satz 1 MDK-T für jeden Werktag die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme einschließlich An- und Abreise berücksichtigt. Dass § 12 Abs. 8 Satz 1 bis Satz 3 MDK-T die Frage der Vergütungspflicht von Reisezeiten und nicht lediglich deren Einordnung als Arbeitszeit iSd. Arbeitsschutzrechts regelt, ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang mit den sonstigen Bestimmungen dieses Paragrafen, insbesondere einem Umkehrschluss zu § 12 Abs. 8 Satz 4 MDK-T.
163. Bei den Fortbildungsveranstaltungen im April und November 2015 sowie Januar und Februar 2016 handelte es sich um Dienstreisen iSd. § 12 Abs. 8 MDK-T. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrags (vgl. zum Auslegungsmaßstab zuletzt - Rn. 33, BAGE 160, 192).
17a) Die Tarifvertragsparteien haben die Dienstreise in § 12 Abs. 8 MDK-T selbst nicht definiert. Eine Begriffsbestimmung findet sich jedoch in der Reisekostenregelung in § 2 Abs. 1 der Anlage 3 zum MDK-T. Danach gelten als Dienstreisen Reisen zur vorübergehenden Erledigung von Dienstgeschäften außerhalb des Dienstortes des/der Beschäftigten, die schriftlich angeordnet oder genehmigt sind. Das deckt sich mit dem allgemeinen Sprachgebrauch, wonach eine Dienstreise eine Reise in einer dienstlichen Angelegenheit bzw. in dienstlichem Auftrag ist (vgl. zum Stichwort „Dienstreise“: Duden Deutsches Universalwörterbuch 8. Aufl.; Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl.). Auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts versteht unter einer Dienstreise gemeinhin die Fahrt an einen Ort, an dem ein Dienstgeschäft zu erledigen ist (vgl. - Rn. 26; - 1 ABR 17/96 - zu B II 2 b aa der Gründe; vgl. zu § 17 Abs. 2 BAT - Rn. 13, BAGE 119, 41; vgl. zu § 5 Nr. 1 MTV Stahl - zu 1 b aa der Gründe).
18b) Dienstgeschäfte eines Arbeitnehmers sind die ihm zur unmittelbaren Erledigung übertragenen Arbeitsaufgaben. Ob das der Fall ist, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Dabei kommt es insbesondere auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers und den Inhalt der Fortbildung an (vgl. - Rn. 24; zu den Dienstgeschäften eines Beamten vgl. 6 C 23.78 - zu II der Gründe). Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts knüpft der Begriff des Dienstgeschäfts an das Amt im konkret-funktionellen Sinne an. Als Dienstgeschäft sind die dem Beamten zur Erledigung übertragenen dienstlichen Aufgaben anzusehen ( 5 A 1.12 - Rn. 13; - 2 A 3.08 - Rn. 21).
19c) Es kann dahinstehen, ob an dem Kriterium der Unmittelbarkeit der zur Erledigung übertragenen Arbeitsaufgaben festzuhalten oder ob insoweit auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers abzustellen ist. Die Teilnahme an den streitbefangenen Fortbildungsveranstaltungen stellt auch bei Heranziehung des erstgenannten Kriteriums ein Dienstgeschäft dar. Der Beklagte hat den Kläger mit der Teilnahme an diesen Veranstaltungen, die eine Pflichtveranstaltung für ärztliche Gutachter waren bzw. zum Fortbildungskonzept der MDK-Gemeinschaft gehören und im Bildungsplan des Beklagten aufgeführt sind, beauftragt. Damit hat er zum Ausdruck gebracht, dass er die Teilnahme daran als unerlässlich ansieht, um die Gutachtertätigkeit weiterhin fachgerecht ausüben zu können. Zwar ist Aufgabe des Klägers als ärztlicher Gutachter die Erstellung von Gutachten für Krankenkassen auf der Grundlage von § 275 SGB V. Mit dieser Aufgabe sowie der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar verbunden ist jedoch entgegen der Auffassung der Revision auch die Teilnahme an den streitbefangenen Fortbildungen. Diese dienen dem Erhalt bzw. Neuerwerb von Wissen, das der Kläger für die Gutachtenerstellung benötigt. Die Teilnahme an den Fortbildungen dient deshalb unmittelbar der Erhaltung der Leistungsmöglichkeit, dh. der Vorbereitung, Unterstützung, Förderung und ordnungsgemäßen Durchführung der Gutachtenerstellung sowie deren Sicherung. Demgemäß stellt auch die Revision nicht in Abrede, dass alle streitbefangenen Fortbildungen (ausschließlich) im dienstlichen Interesse des Beklagten lagen, weswegen er dem Kläger die Teilnahme daran im Rahmen seines Direktionsrechts abverlangt hat. Dadurch wurde die Teilnahme an den Fortbildungen Teil der dem Kläger unmittelbar übertragenen Arbeitsaufgabe und damit zu seinem Dienstgeschäft (vgl. für eine interne Fortbildung einer Beamtin 5 A 1.12 - Rn. 13; für die Teilnahme an einem Lehrgang zur EDV-Schulung Reimann in Meyer/Fricke Reisekosten im öffentlichen Dienst 4. Aufl. Stand Mai 2010 BRKG/Kommentar § 2 Rn. 19 Beispiel b). Das sieht letztlich auch der Beklagte so, der sich im Verlauf des vorliegenden Verfahrens bereit erklärt hat, dem Kläger die Zeiten der Fortbildungen als Arbeitszeit gutzuschreiben.
20Die Reisen zu den außerhalb von L als Dienstort des Klägers (vgl. § 2 Abs. 3 der Anlage 3 zum MDK-T) stattfindenden Fortbildungen waren vom Beklagten genehmigt. Es handelt sich auch um die nur vorübergehende Erledigung eines Dienstgeschäfts. Der Kläger sollte nicht dauerhaft an einem anderen Dienstort tätig werden.
21d) Dem steht, anders als die Revision meint, die Regelung des § 10 Abs. 1 der Anlage 3 zum MDK-T nicht entgegen. Dies folgt bereits daraus, dass sich dessen Regelungsgehalt auf die Höhe der zu erstattenden Reisekosten beschränkt, hingegen keine Aussage dazu enthält, inwiefern Reisezeiten bei Dienstreisen vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellen. Zu Letzterem verhält sich ausschließlich § 12 Abs. 8 MDK-T, der eine Differenzierung zwischen Dienstreisen und Reisen aus besonderem Anlass gerade nicht enthält. Darüber hinaus bringt § 10 Abs. 1 der Anlage 3 zum MDK-T lediglich den Willen der Tarifvertragsparteien zum Ausdruck, bei Reisen aus besonderem Anlass, zu denen auch Reisen zu Fortbildungsmaßnahmen gehören, im Rahmen der Reisekostenerstattung anders als bei sonstigen Dienstreisen das Maß des dienstlichen Interesses zu berücksichtigen. Die Tarifvertragsparteien erachteten eine spezielle Regelung für diese Art von Dienstreisen gegenüber der allgemeinen Regelung zur Kostenerstattung in den §§ 4 bis 9 der Anlage 3 zum MDK-T als erforderlich. § 10 Abs. 1 Satz 1 der Anlage 3 zum MDK-T soll Auseinandersetzungen über die Höhe der zu erstattenden Reisekosten bei Reisen im Zusammenhang mit Fortbildungsmaßnahmen insbesondere vor dem Hintergrund vermeiden, dass diese Maßnahmen nicht zwingend im ausschließlichen dienstlichen Interesse des Arbeitgebers liegen müssen, sondern zugleich auch im privaten Interesse des Arbeitnehmers erfolgen können. Darum sieht diese Bestimmung als Spezialregelung zu § 4 Abs. 1 der Anlage 3 zum MDK-T vor, dass der Umfang der Erstattung notwendiger Kosten bereits im Vorfeld der Maßnahme mit deren Genehmigung festgesetzt wird. Daraus folgt zugleich, dass entgegen der Annahme der Revision § 10 Abs. 1 der Anlage 3 zum MDK-T gegenüber § 4 der Anlage 3 zum MDK-T ein eigenständiger Anwendungsbereich zukommt.
224. Nach der eindeutigen Regelung des § 12 Abs. 8 Satz 1 MDK-T war bei den vom Kläger im April und November 2015 sowie Januar und Februar 2016 besuchten und als Dienstreise einzuordnenden Fortbildungsveranstaltungen neben der Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme auch die Zeit der An- und Abreise als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu berücksichtigen. Aufgrund dieser Tarifregelung ist es, anders als die Revision meint, unerheblich, dass der Kläger mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu und von den Fortbildungsveranstaltungen an- und abgereist ist und der Beklagte die Erledigung von Arbeiten während dieser Zeiten nicht vorgegeben hat. Die von der Revision in diesem Zusammenhang angeführte Entscheidung des - 9 AZR 519/05 - BAGE 119, 41) betraf eine anderslautende Tarifvorschrift sowie die Einordnung von Wegezeiten als Arbeitszeit iSd. § 2 Abs. 1 ArbZG, Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, nicht aber Fragen der Vergütungspflicht.
235. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Reisezeiten in vollem Umfang als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu berücksichtigen sind.
24a) Mit ihrer Einordnung als Arbeitszeit ist noch nicht geklärt, ob die Reisezeiten wie Vollarbeit zu vergüten sind. Durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag kann eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit getroffen werden (vgl. - Rn. 31 mwN [Umkleidezeiten]; - 9 AZR 574/15 - Rn. 27 [Umkleidezeiten]; - 5 AZR 355/12 - Rn. 18 [Fahrzeiten vom Betrieb zur auswärtigen Arbeitsstelle]; - 5 AZR 200/10 - Rn. 32, BAGE 137, 366 [Beifahrerzeiten]; - 6 AZR 341/06 - Rn. 13, BAGE 120, 361). Dabei gilt es zu beachten, dass die Vergütung der „versprochenen Dienste“ nicht nur in Geld, sondern auch durch eine Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto erfolgen kann. Denn dieses drückt im Allgemeinen aus, in welchem Umfang der Arbeitnehmer Arbeit geleistet hat und deshalb Vergütung beanspruchen kann bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte Vergütung erbringen muss ( - Rn. 28; - 5 AZR 296/09 - Rn. 15).
25b) Es kann dahinstehen, ob durch Tarifvertrag eine geringere Vergütung auch für solche Reisezeiten festgelegt werden kann, die im Zusammenhang mit einer Dienstreise und damit mit einem Dienstgeschäft stehen, das seinerseits nur vorliegt, wenn der Arbeitnehmer ihm zur (unmittelbaren) Erledigung übertragene Aufgaben erfüllt (siehe oben Rn. 18). Eine solche gesonderte Vergütungsregelung besteht vorliegend nicht. Das folgt insbesondere aus einem Umkehrschluss zu § 12 Abs. 8 Satz 3 MDK-T, wonach bei An- oder Abreise aus dienstlichen Gründen an einem arbeitsfreien Tag die Fahrzeit zur Hälfte als Arbeitszeit berücksichtigt wird. Daher sind die Reisezeiten in der tatsächlich angefallenen Höhe wie Vollarbeit als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu berücksichtigen. Über die vom Arbeitsgericht zugesprochenen Gutschriften hinaus sind demzufolge, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend entschieden hat, auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers die von ihm begehrten weiteren Gutschriften durch die Abteilung Personal (vgl. Ziff. 6 der BV „Flexible Arbeitszeit“) vorzunehmen.
266. Dem Anspruch des Klägers aus der keine Öffnungsklausel enthaltenden Regelung des § 12 Abs. 8 MDK-T steht Ziff. 5 der BV „Flexible Arbeitszeit“, die eine Berücksichtigung nur im Umfang von täglich 7,7 Stunden vorsieht, nicht entgegen. Diese ist insoweit unwirksam (§ 77 Abs. 3 BetrVG).
27II. Die Anschlussrevision des Klägers ist zulässig und begründet. Der Beklagte hat bei nach dem stattfindenden arbeitgeberseitig angeordneten und genehmigten Fortbildungsveranstaltungen die Zeiten der An- bzw. Abreise als vergütungspflichtige Arbeitszeit im Arbeitszeitkonto des jeweiligen Reisetages unter der Spalte „Arb.zeit“ gutzuschreiben, soweit die An- oder Abreise nicht an einem arbeitsfreien Tag erfolgt und eine Dienstreise iSd. § 12 Abs. 8 MDK-T vorliegt.
281. Die Anschlussrevision ist ungeachtet der Nichtzulassung der Revision für den Kläger durch das Landesarbeitsgericht statthaft (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 554 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Der Kläger, dem die Revisionsbegründung vom am zugestellt worden ist, hat die Anschlussrevision mit einem am beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom fristgerecht eingelegt (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Er hat die Anschließung formgerecht in der Anschlussschrift begründet (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 554 Abs. 3, § 551 Abs. 3 ZPO).
29a) Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Verfahrensrügen müssen nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO die Bezeichnung der Tatsachen enthalten, die den Mangel ergeben, auf den sich die Revision stützen will. Zudem muss die Kausalität zwischen Verfahrensmangel und Ergebnis des Berufungsurteils dargelegt werden ( - Rn. 14, BAGE 155, 44; - 3 AZR 56/14 - Rn. 16). Wird eine Verletzung der dem Landesarbeitsgericht obliegenden Hinweispflicht nach § 139 ZPO gerügt, muss im Einzelnen vorgetragen werden, welchen konkreten Hinweis das Landesarbeitsgericht dem Revisionskläger aufgrund welcher Tatsachen hätte erteilen müssen und was dieser auf einen entsprechenden Hinweis vorgebracht hätte ( - aaO; - 9 AZR 680/02 - zu II 3 e aa der Gründe, BAGE 109, 145). Der zunächst unterbliebene Vortrag muss vollständig nachgeholt und über die Rüge aus § 139 ZPO schlüssig gemacht werden. Nur so kann das Revisionsgericht beurteilen, ob das Urteil auf dem unterlassenen Hinweis beruht ( - aaO; - 6 AZR 120/10 - Rn. 24).
30b) Der Kläger hat mit Recht gerügt, das Landesarbeitsgericht habe ihn entgegen § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht auf den von ihm erkennbar übersehenen Gesichtspunkt hingewiesen, dass der Feststellungsantrag als Globalantrag eine Fallgestaltung umfasse, für die der Anspruch nach dem Tarifvertrag nicht gegeben sei, und entgegen § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht darauf hingewirkt, dass er einen sachdienlichen Antrag stelle. Er hat des Weiteren vorgetragen, was er auf einen entsprechenden Hinweis vorgebracht hätte.
31aa) Nach § 139 Abs. 2 ZPO darf das Gericht seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat oder den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien, nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Die gerichtlichen Hinweispflichten nach § 139 ZPO dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (vgl. - Rn. 18, BVerfGK 19, 377; - Rn. 16, BAGE 155, 44). Die Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO besteht auch gegenüber der anwaltlich vertretenen Partei, wenn der Prozessbevollmächtigte der substantiierungspflichtigen Partei ersichtlich darauf vertraut, dass sein schriftlicher Vortrag ausreicht ( - Rn. 19). Nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat das Gericht darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden.
32bb) Wegen § 139 Abs. 2, Abs. 1 Satz 2 ZPO hätte das Landesarbeitsgericht den Kläger auf Bedenken bezüglich der Begründetheit des Feststellungsantrags hinweisen und auf eine dies berücksichtigende Antragstellung hinwirken müssen. Die vom Kläger im Wege der Leistungsklage vorgebrachten Fälle bezogen sich sämtlich auf An- und Abreisen an nicht arbeitsfreien Tagen. Darauf bezogen hat er den Feststellungsantrag erhoben, um für „derartige“ auch zukünftig aufgrund der ärztlichen Fortbildungsverpflichtung regelmäßig anfallende Fortbildungsveranstaltungen eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Der Kläger hat dabei erkennbar übersehen, dass die Fahrzeit bei einer An- und Abreise, die aus dienstlichen Gründen an einem arbeitsfreien Tag erfolgt, nur zur Hälfte als Arbeitszeit berücksichtigt wird (§ 12 Abs. 8 Satz 3 MDK-T). Der erforderliche Hinweis durch das Landesarbeitsgericht war nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger anwaltlich vertreten war.
33cc) Der Kläger hat zur Begründung seiner Verfahrensrüge des Weiteren ausgeführt, im Falle eines richterlichen Hinweises auf das Vorliegen eines unbegründeten Globalantrags hätte er diesen auf künftige Fortbildungsveranstaltungen beschränkt, bei denen die An- und Abreise nicht an einem arbeitsfreien Tag erfolgt. Er hat auch dargelegt, dass die angefochtene Entscheidung auf der gerügten Verletzung der Hinweispflicht beruhe. Der Kläger hat vorgebracht, aus den Entscheidungsgründen zum Leistungsantrag folge, dass das Landesarbeitsgericht die Reisezeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit ansehe. Den Feststellungsantrag habe es nur deswegen als unbegründet angesehen, weil er sich auch auf Konstellationen bezog, in denen die Fahrzeit nicht in vollem Umfang, sondern nur zur Hälfte als Arbeitszeit zu berücksichtigen sei.
342. Die Anschlussrevision ist begründet. Dabei kann dahinstehen, ob die Verfahrensrüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, begründet ist.
35a) Das Landesarbeitsgericht hat den Feststellungsantrag des Klägers fehlerhaft dahingehend verstanden, dass er auch Zeiten der An- oder Abreise an einem arbeitsfreien Tag in vollem Umfang als vergütungspflichtige Arbeitszeit anerkannt haben und eine entsprechende Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto erreichen möchte. Dem ist jedoch nicht so. Der Kläger begehrte von Anfang an die volle Berücksichtigung der Reisezeit als Arbeitszeit nur für solche Fälle, in denen die An- oder Abreise nicht an einem arbeitsfreien Tag erfolgt. Nach dem Vorbringen des Klägers und unter Berücksichtigung der dem Leistungsantrag zugrunde liegenden Sachverhalte ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger meint, entgegen § 12 Abs. 8 Satz 3 MDK-T auch bei einer An- oder Abreise an einem arbeitsfreien Tag die volle Berücksichtigung der Fahrzeit als Arbeitszeit beanspruchen zu können. Solche Fälle sind nicht Gegenstand seines Feststellungsantrags. Ebenso wenig sind Fälle von dem Antrag erfasst, in denen es an einer Dienstreise fehlt, weil kein Dienstgeschäft vorliegt. Der Kläger stützt sein Begehren ausdrücklich auf § 12 Abs. 8 MDK-T. Er verlangt deshalb nur für solche Fortbildungsmaßnahmen, die eine Dienstreise iSd. § 12 Abs. 8 MDK-T sind, die Berücksichtigung von Zeiten der An- und Abreise in der im Feststellungsantrag umschriebenen Weise. Diese rechtsschutzgewährende Auslegung des Sachantrags als prozessuale Willenserklärung, der schutzwürdige Belange des Beklagten nicht entgegenstehen, kann der Senat selbst vornehmen ( - Rn. 20; - 6 AZR 221/11 - Rn. 29).
36b) Dem so zu verstehenden Feststellungsantrag ist aus den zum Leistungsantrag ausgeführten Gründen stattzugeben. Er erweist sich entgegen der Annahme der Revision auch nicht deswegen als unbegründeter Globalantrag, weil der Kläger keine zeitliche Begrenzung auf den unveränderten Fortbestand der tarifvertraglichen Regelung vorgenommen hat (vgl. - Rn. 66). Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich der Kläger auch dann auf § 12 Abs. 8 MDK-T berufen will, wenn dieser nicht oder nur noch mit geändertem Inhalt anzuwenden ist.
37III. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 97 Abs. 1, § 91 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2018:151118.U.6AZR294.17.0
Fundstelle(n):
NAAAH-10863