BGH Beschluss v. - KRB 10/17

Bestimmung eines kartellbedingten Mehrerlöses

Gesetze: § 67 Abs 2 OWiG, § 1 GWB, § 19 GWB, § 81 Abs 2 GWB

Instanzenzug: Az: VI-4 Kart 8/10 (OWi)

Gründe

1Das Oberlandesgericht hat gegen die Nebenbetroffene wegen einer in dem Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts vom festgestellten Kartellordnungswidrigkeit eine Geldbuße in Höhe von sechs Millionen Euro festgesetzt. Mit ihrer Rechtsbeschwerde rügt die Nebenbetroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg und führt zur Aufhebung des Bußgeldausspruchs.

A.

2Nach den Feststellungen des Bußgeldbescheids vom , der sich unter anderem gegen die Nebenbetroffene richtete, bestand im Tatzeitraum vom bis zum eine bundesweit wirkende Kundenschutzabsprache zwischen den Mitgliedsunternehmen des D.               e.V. (D. ) für die Belieferung von Endkunden mit Flüssiggas, das in Tankbehälter eingefüllt wurde.

3Die Marktverhältnisse stellten sich zusammengefasst wie folgt dar: Die Versorgungsunternehmen bezogen Flüssiggas bei Raffinerien oder importierten es insbesondere aus den Niederlanden und Belgien. Flüssiggas für Haushalts- und Gewerbekunden wurde üblicherweise in oberirdische oder erdgedeckte Tanks mit einem Fassungsvermögen bis zu 2,9 Tonnen gefüllt. Die Belieferung erfolgte durch Straßentankwagen. Daneben vertrieben die Versorgungsunternehmen Flüssiggas auch abgefüllt in Pfand- oder Eigentumsflaschen für den mobilen Einsatz. Der Tankgasmarkt bestand bis etwa Mitte der 1990er Jahre nahezu ausschließlich aus den im D.  organisierten Anbietern. Erst seit etwa Mitte der 1990er Jahre fand ein "nennenswerter Außenwettbewerb" durch nicht im D.  organisierte Anbieter (freie Anbieter) statt. Zu dieser Zeit ging der Absatz von Flüssiggas infolge des Ausbaus der Erdgasnetze zurück. Anfang des Jahres 2005 betrug der Marktanteil der freien Anbieter schätzungsweise 15 Prozent. Einige große, im D.  organisierte Versorgungsunternehmen wickelten ab dem Jahr 1997 über ihr Gemeinschaftsunternehmen Tr.   bundesweit den Transport von Tankgas zu den Endkunden ab. Hierfür nutzte die Tr.   eigene Läger und Läger ihrer Gesellschafterinnen. Die Nebenbetroffene, die zu den führenden Flüssiggasanbietern zählt, und andere D. Mitglieder nutzten zum selben Zweck das 1995 gegründete gemeinschaftliche Transport- und Logistikunternehmen f. .

4Die Wettbewerbsregeln des D. , zu deren Einhaltung seine Mitglieder sich verpflichteten, sahen "lauteren Wettbewerb" vor und untersagten die Belieferung von Endverbrauchern unter vorsätzlicher Verleitung zum Vertragsbruch. Sie wurden spätestens seit Ende der 1980er Jahre im Tankgasgeschäft von den Verbandsmitgliedern inklusive der Nebenbetroffenen einvernehmlich in einer über ihren Wortlaut hinausgehenden Weise derart ausgelegt und praktiziert, dass Kunden anderer Verbandsmitglieder nicht aktiv abgeworben werden durften. Der Außendienst und der Vertrieb waren entsprechend zu instruieren. Weder wurden vertraglich gebundene Kunden auf Kündigungsmöglichkeiten hingewiesen, noch erhielten sie auf Anfrage günstige Angebotspreise. Statt dessen nannten die Kartellmitglieder auf Anfrage entweder keinen Preis oder den weit überhöhten Listenpreis. Bei einem Verstoß gegen die Kartelldisziplin ("Wettbewerbsfall") war der bisherige Lieferant zu entschädigen, d.h. der Verlust war durch Überlassung eines Kunden mit vergleichbarem Verbrauch auszugleichen. Wurde der gewünschte Ausgleich auf Vertriebsebene nicht geleistet, wurde der Austausch durch "Gegenwettbewerb" herbeigeführt und/oder auf der Ebene der Geschäftsführer geklärt.

5Nicht anders als die Tr.   -Gesellschafterinnen nutzten die Gesellschafterinnen der f. - unter anderem die Nebenbetroffene - die Gemeinschaftsunternehmen nach deren Gründung, um die Vertriebsaktivitäten der Kartellmitglieder zu kontrollieren und das Kartell zu stützen. Wie bei der Tr.   war auch bei der f. jeder Kunde über seine Behälternummer nur einem Lieferanten zugeordnet, so dass "Wettbewerbsfälle" erkannt und gemeldet wurden. Zudem tauschten die Gesellschafterinnen als zusätzliches Instrument zur Einhaltung der Kartelldisziplin Statistiken mit wettbewerbsrelevanten Vertriebsdaten aus, die die Markttransparenz weiter erhöhten.

6Der vormals Betroffene O.      war seit dem Jahr 1991 als Prokurist in leitender Stellung im Flüssiggasgeschäft der Nebenbetroffenen tätig. In dieser Funktion nahm er persönlich an der Organisation der auf den Wettbewerbsregeln des D.  aufbauenden Kundenschutzabsprache im Tankgasgeschäft teil und sorgte für deren Umsetzung. Er nahm etwa Kontakt mit der Leitungsperson eines anderen Kartellmitglieds zur Klärung von Wettbewerbsfällen auf und sorgte in einem anderen Fall für die Rücknahme eines Konkurrenzangebots. Das System der "Wettbewerbsmeldungen" der f. war ihm bekannt. Er schlug darüber hinaus vor, die Daten der f. und der Tr.   miteinander zu vernetzen. Die Kartellmitglieder vollzogen die Kundenschutzabsprache mindestens bis zu den kartellbehördlichen Durchsuchungen bei den Gesellschafterinnen der Tr.   am .

7Das Bundeskartellamt hat die Verfolgung des Kartellvorwurfs auf den Zeitraum vom bis zum begrenzt. Dessen Beginn knüpft an das Inkrafttreten einer Organisationsrichtlinie der Tr.   an. Wegen der Zuwiderhandlung im Tankgasgeschäft setzte das Bundeskartellamt gegen die Nebenbetroffene eine zugleich die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils bezweckende Geldbuße in Höhe von 18,5 Millionen Euro fest. Für eine weitere Zuwiderhandlung gegen § 1 GWB im Tatzeitraum vom bis zum durch eine Kundenschutzabsprache auch im Flaschengasgeschäft setzte das Bundeskartellamt zudem eine Geldbuße in Höhe von 250.000 Euro gegen die Nebenbetroffene fest.

8Die Nebenbetroffene hat in der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf, das mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf den Tatkomplex Flaschengas eingestellt hat, im Rahmen einer Verfahrensabsprache ihren Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt (UA S. 4). Das Oberlandesgericht hat nunmehr gegen die Nebenbetroffene eine reine Ahndungsgeldbuße in Höhe von sechs Millionen Euro verhängt, die es dem Bußgeldrahmen des § 81 Abs. 2 GWB 1999 - der von ihm als das günstigste Recht angesehenen Gesetzesfassung (§ 4 Abs. 3 OWiG) - entnommen hat. Den Mehrerlös hat das Oberlandesgericht geschätzt, indem es die Preise der Nebenbetroffenen mit den - nach den Urteilsgründen nicht durch einen Preisschirmeffekt beeinflussten - Preisen freier Anbieter aus demselben Markt während desselben Zeitraums verglichen hat. In die Berechnungen der monatlichen Durchschnittspreise sind die zusammengeführten Preisdaten der Vergleichsunternehmen nach Maßgabe des Absatzes der Nebenbetroffenen in den einzelnen Postleitregionen eingeflossen. Zudem hat das Oberlandesgericht dabei nach Kunden mit eigenem Tank und Kunden mit gemietetem Tank unterschieden (vgl. UA S. 38 ff.). Die so ermittelten monatlichen Wettbewerbspreise hat das Oberlandesgericht mit dem monatlichen Absatz der Nebenbetroffenen an ihre Bestandskunden multipliziert und die Ergebnisse addiert. Die Differenz zwischen dieser Summe und dem Ergebnis des gleichen Rechenvorgangs mit den realen monatlichen Durchschnittspreisen der Nebenbetroffenen hat es bei den Kunden mit eigenem Tank - vermindert um einen Sicherheitsabschlag von zehn Prozent - als den kartellbedingten Mehrerlös angesehen (rund 3,66 Millionen Euro). Bei den Kunden mit gemietetem Tank ergab sich hingegen ein "Mindererlös", den das Oberlandesgericht für unbeachtlich gehalten hat. Ferner hat es eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von "knapp vier Monaten" festgestellt.

B.

9I. Die Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid vom auf den Rechtsfolgenausspruch ist - was der Senat von Amts wegen zu prüfen hat (vgl. , BGHSt 27, 70, 72) - wirksam.

101. Die Feststellungen im Bußgeldbescheid zum Kartellvorwurf belegen die Tatbestandsvoraussetzungen von § 1 GWB und sind eine ausreichende Grundlage für die Rechtsfolgenbemessung (vgl. , BGHSt 43, 293, 300), so dass die teilweise Einspruchsrücknahme aus diesem Grund keinen Bedenken begegnet.

112. Der begrenzte Anfechtungswille (vgl. § 67 Abs. 2 OWiG) der Nebenbetroffenen ist zudem mit den tatsächlichen Feststellungen des Bußgeldbescheids zur Tat zu vereinbaren. Die Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung setzt zusätzlich voraus, dass der Beschwerdepunkt nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil rechtlich und tatsächlich unabhängig beurteilt werden kann, ohne eine Überprüfung im Übrigen erforderlich zu machen, und dass die nach dem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (vgl. nur , Rn. 8; LR/Gössel, StPO, 26. Aufl., § 318 Rn. 67; jeweils mwN). Dies ist hier für den Rechtsfolgenausspruch im Verhältnis zum nicht mehr angefochtenen Schuldspruch der Fall. Bei dem - weiter angefochtenen - kartellbedingten Mehrerlös geht es nicht um doppelrelevante, also zugleich für den Schuldspruch relevante Tatsachen. Die Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von § 1 GWB zielt auf das Verhalten der Kartellmitglieder in ihrem Auftreten am Markt. Sie betrifft die Beschränkung der Handlungsfreiheit der Unternehmen im Widerspruch zum Selbständigkeitspostulat (Krauß in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl., § 1 GWB Rn. 129 f. mwN; vgl. Art. 101 Abs. 1 AEUV). Ein erzielter Mehrerlös zählt daher nicht zum Tatgeschehen und gibt dem geschichtlichen Vorgang der Tat auch nicht sein wesentliches Gepräge. Nicht anders als sonstige Tatfolgen (vgl. , NStZ 2015, 182, 183; Beschluss vom - 3 StR 301/09, Rn. 4; Beschluss vom - 4 StR 190/06, StV 2007, 23) sind kartellbedingte Mehrerlöse einzig der Rechtsfolgenfrage zuzuordnen. In deren Rahmen kennzeichnet die Höhe des erlangten Mehrerlöses Ausmaß und Gewicht der Zuwiderhandlung (vgl. , WuW/E BGH 2718 - Bußgeldbemessung).

12II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg, soweit sie sich mit der Sachrüge gegen den Bußgeldausspruch richtet. Auf die Verfahrensrügen, mit denen sich die Beschwerdeführerin ebenfalls gegen die Geldbuße wendet, kommt es daher nicht an.

131. Die Mehrerlösschätzung, die für die Bußgeldobergrenze nach § 81 Abs. 2 GWB 1999 entscheidend ist, wird den rechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Denn das Oberlandesgericht hat die Geeignetheit seiner marktinternen Vergleichsanalyse in den Urteilsgründen nicht nachprüfbar dargelegt.

14a) Unter Mehrerlös ist der Differenzbetrag zwischen den tatsächlichen Einnahmen, die aufgrund des Wettbewerbsverstoßes erzielt werden, und den Einnahmen zu verstehen, die das durch die Kartellabsprachen bevorzugte Unternehmen ohne den Wettbewerbsverstoß erzielt hätte (vgl. , WuW/E BGH 2718, 2719 - Bußgeldbemessung; Beschluss vom - KRB 22/04, WuW/E DE-R 1487, 1488 - steuerfreier Mehrerlös; Beschluss vom - KRB 2/05, WuW/E DE-R 1567, 1569 - Berliner Transportbeton I; Beschluss vom - KRB 12/07, BGHSt 52, 1 Rn. 10 - Papiergroßhandel).

15Dieser Differenzbetrag kann nur durch Schätzung ermittelt werden, da der hypothetische Wettbewerbspreis nicht beobachtbar ist, sondern allein aufgrund von Anknüpfungstatsachen näherungsweise bestimmt werden kann. Die ökonomische Gültigkeit und rechtliche Brauchbarkeit der Annäherung hängt dabei zum einen von der Genauigkeit und Validität der Beobachtungen ab, die auf einem Vergleichsmarkt oder zu anderen tatsächlichen Umständen wie den Kosten der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen gemacht werden können, die nach der gewählten Methode die Grundlage der Ermittlung des hypothetischen Wettbewerbspreises bilden sollen. Zum anderen hängen sie davon ab, wie genau und wie verlässlich die Unterschiede erfasst werden können, die zwischen dem beobachteten und dem hypothetischen Szenario bestehen.

16Der kartellbedingte Mehrerlös kann danach zunächst anhand der Preisentwicklung auf kartellfreien Vergleichsmärkten bestimmt werden (vgl. BGHSt 52, 1 Rn. 13, 19 - Papiergroßhandel; , BGHSt 58, 158 Rn. 78 - Grauzementkartell I). Soweit strukturelle Unterschiede der verglichenen Märkte dies erfordern, sind Korrekturzuschläge oder -abschläge vorzunehmen, die dazu dienen, den Einfluss der strukturellen Unterschiede auf das Ergebnis der Schätzung möglichst weitgehend auszugleichen (vgl. , BGHZ 68, 23, 33 - Valium; Beschluss vom - KVR 13/83, WuW/E BGH 2103, 2104 - Favorit; ferner , WuW/E DE-R 3145 Rn. 18 - Entega II zu § 19 Abs. 4 Nr. 3 a.F. GWB). Ein zwingender Vorrang kommt einem Vergleich mit den Preisen auf einem - zeitlich, räumlich oder sachlich - anderen, kartellfreien Markt gegenüber weiteren Schätzmethoden allerdings nicht zu (vgl. , WuW/E DE-R 3632 Rn. 14 - Wasserpreise Calw I; Beschluss vom - KVR 77/13, BGHZ 206, 229 Rn. 22 ff. - Wasserpreise Calw II). Den Kartellbehörden und -gerichten ist es grundsätzlich unbenommen, stattdessen eine andere, zur Bestimmung des Mehrerlöses ebenfalls geeignete Methode heranzuziehen. So können sie die Wettbewerbspreise auch durch einen kostenbasierten Vergleich anhand einer Überprüfung von Preisbildungsfaktoren bestimmen (vgl. BGH, WuW/E DE-R 3632 Rn. 13 ff. - Wasserpreise Calw I; BGHZ 206, 229 Rn. 22 ff. - Wasserpreise Calw II; Urteil vom - KZR 2/15, NZKart 2017, 198 Rn. 27 f. - Kabelkanalanlagen; jeweils zu § 19 GWB). Ein anderes Vorgehen als eine Vergleichsmarktanalyse kann vor allem angezeigt sein, wenn - wie hier auch vom Oberlandesgericht bejaht (UA S. 35 ff.) - keine hinreichend ähnlichen Märkte mit wirksamem Wettbewerb existieren.

17Von wesentlicher Bedeutung für die Rechtsfehlerfreiheit der Mehrerlösschätzung nach § 81 GWB ist - ebenso wie im Rahmen von § 19 GWB (vgl. BGHZ 206, 229 Rn. 22 - Wasserpreise Calw II) - die Beachtung derjenigen Faktoren, die die Preisbildung im Markt bestimmen oder jedenfalls beeinflussen können ("anerkannte ökonomische Theorien", vgl. BT-Drucks. 16/5847, S. 11). Die Schätzungsbefugnis räumt dem Tatrichter vor diesem Hintergrund einen erheblichen methodischen Spielraum ein (vgl. BGHZ 206, 229 Rn. 25 - Wasserpreise Calw II). Letztlich ist entscheidend, ob die von dem Tatgericht durchgeführte Mehrerlösschätzung schlüssig ist und zu wirtschaftlich vernünftigen und möglichen Ergebnissen führt (vgl. BGHSt 52, 1 Rn. 12 - Papiergroßhandel; , NStZ 2016, 728, 729; Beschluss vom - 5 StR 655/91, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Steuerschätzung 5). Dabei hat der Tatrichter selbst zu entscheiden, welche Schätzungsmethode dem vorgegebenen Ziel, der Wirklichkeit durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen möglichst nahe zu kommen, am besten gerecht wird (BGHSt 52, 1 Rn. 12 - Papiergroßhandel).

18In den Urteilsgründen hat das Tatgericht für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar darzulegen, warum es sich der gewählten Schätzungsmethode bedient hat und weshalb diese geeignet ist (vgl. , NStZ 2010, 635, 636). Stehen ihm unterschiedliche methodische Vorgehensweisen zur Verfügung, ist der Tatrichter zwar regelmäßig nicht zu einer umfassenden Darstellung sämtlicher Vor- und Nachteile der verschiedenen Methoden gehalten. Das Urteil muss jedoch erkennen lassen, aus welchen Gründen sich der Tatrichter für eine von mehreren möglichen Methoden entschieden hat und dass ihm dabei jedenfalls die wesentlichen Vor- oder Nachteile der in Betracht kommenden Alternativen bewusst waren. Zu diesen Vor- oder Nachteilen gehören insbesondere die mit einer bestimmten Vorgehensweise verbundenen Unsicherheiten, namentlich die Wahrscheinlichkeit und der Umfang systematischer Schätzfehler, die das Schätzungsergebnis in eine bestimmte oder auch in eine nicht bestimmbare Richtung verfälschen können. Darüber hinaus muss die Schätzung den strafprozessualen Vorgaben - etwa dem Zweifelssatz - genügen.

19b) Die marktinterne Vergleichsanalyse, wie sie das Oberlandesgericht unter Heranziehung der Preisdaten von Kartellaußenseitern bevorzugt hat, ist nach dem aufgezeigten (begrenzten) Prüfungsmaßstab nicht grundsätzlich zu verwerfen. Entscheidend ist - wie ausgeführt - allein, ob die gewählten Vergleichsparameter im Einzelfall eine sachgerechte Quantifizierbarkeit des Mehrerlöses zulassen (vgl. auch , NZKart 2017, 371 Rn. 35 f., 39 f. - Gemeinschaftsprogramme). Bei einem Kundenschutzkartell ist es grundsätzlich nachvollziehbar, dass sich die Preise der Kartellmitglieder ohne die Zuwiderhandlung den niedrigeren Preisen von Kartellaußenseitern angenähert hätten. Denn ohne die protektive Wirkung durch das Kartell hätte sich der Wettbewerbsdruck auf die Kartellmitglieder erhöht, was für eine (hypothetische) Verringerung auch von deren Preisniveau spricht. Das Oberlandesgericht hat jedoch nicht beachtet, dass diese Erwägung noch keine Quantifizierung der hypothetischen Preisentwicklung erlaubt.

20Eine marktinterne Vergleichsanalyse gilt vielmehr als mit hohen Schätzunsicherheiten behaftet (vgl. Coppik/Haucap, WuW 2016, 50, 57; siehe auch Stock, Der Schadensnachweis bei Hardcore-Kartellen, S. 115 f.). So sind etwa Einflüsse des Kartells auf die Preissetzung der Kartellaußenseiter zu erwarten (sog. umbrella effect, Preisschirmeffekt). Die Methode zählt denn auch nicht zu den ökonomisch allgemein anerkannten Schätzverfahren (vgl. etwa Europäische Kommission, Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 oder 102 AEUV vom - SWD (2013) 205, Rn. 26 ff.; Oxera, Quantifying antitrust damages, 2009, S. 42 ff.; Ellger, FS Möschel 2011, 191, 202 ff.; Stock, Der Schadensnachweis bei Hardcore-Kartellen, S. 86 ff.). In aller Regel wird daher die Betrachtung eines kartellfreien Vergleichsmarkts oder ein kostenbasierter Vergleich einer marktinternen Analyse vorzuziehen sein. Vor diesem Hintergrund wäre es erforderlich gewesen, dass das Oberlandesgericht die Geeignetheit der - in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bisher nicht anerkannten - Methode darlegt und dabei auch deren Schwachpunkte im konkreten Fall und den Korrekturbedarf wegen möglicher systematischer Schätzfehler eingehend analysiert und in den Urteilsgründen mitteilt.

21c) Das Oberlandesgericht hat jedoch schon ohne eine zureichende Begründung angenommen, dass die Preise der Vergleichsunternehmen nicht durch das Kartell beeinflusst waren (UA S. 35, 37). Die bindenden Feststellungen des Bußgeldbescheids vom legen allerdings einen solchen Preisschirmeffekt (vgl. EuGH, WuW/E EU-R 3030 - Kone) nahe. Insbesondere ein hoher Grad der Marktabdeckung, eine längere Dauer der Zuwiderhandlung und eine Produkthomogenität sprechen dafür, dass sich auch die Preissetzung von Kartellaußenseitern - bewusst oder unbewusst - an den Kartellpreisen orientiert (vgl. Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 327 ff.; Stühmeier, WuW 2017, 379; Beth/Pinter, WuW 2013, 228, 230 ff.). Die kartellbeteiligten Mitgliedsunternehmen des D.  verfügten über große Marktanteile und praktizierten die Kartellierung über eine lange Zeit. Daher reicht die in den Urteilsgründen allein zu findende bloße Annahme, die zum Vergleich herangezogenen Preise der freien Anbieter seien nicht durch das Kartell beeinflusst, nicht aus, um einen Preisschirmeffekt rechtsfehlerfrei zu verneinen. Beweiswürdigend erörtert das Oberlandesgericht diesen Gesichtspunkt nicht näher.

22d) Darüber hinaus steht die Mehrerlösschätzung nicht im Einklang mit den marktimmanenten Umständen und möglichen Preissetzungsanreizen der Nebenbetroffenen. Vielmehr fehlt es an nachprüfbar dargelegten, realistischen Anhaltspunkten für die der Schätzung zugrunde liegende Wahrscheinlichkeitsaussage, dass die Durchschnittspreise der Nebenbetroffenen unter Wettbewerbsbedingungen jenen der Vergleichsunternehmen entsprochen hätten (vgl. zu den Erfordernissen Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl., § 34 GWB Rn. 13; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., § 34 GWB Rn. 21). Die Annahmen des Oberlandesgerichts, dass einerseits die freien Anbieter ihre Preise unabhängig von den Preisen der Kartellmitglieder gesetzt, andererseits aber die Kartellmitglieder, hätte es das Kartell nicht gegeben, ihre Preise an den Preisen der freien Anbieter orientiert hätten, sind nicht ohne weiteres miteinander vereinbar. Denn in demselben Markt tätige, rational handelnde Unternehmen werden ihre Preise grundsätzlich nicht vollkommen unabhängig voneinander setzen. Der Ansatz des Oberlandesgerichts lässt besorgen, dass es aus dem Blick verloren hat, die Preise zu ermitteln, die von der Nebenbetroffenen wahrscheinlich gesetzt worden wären, hätte es das Kartell nicht gegeben, und statt dessen auf Preise gezielt hat, die die Nebenbetroffene in einem idealen Markt nicht hätte überschreiten können. Ein solches Vorgehen ist jedoch mit der - nicht quantifizierbaren - Gefahr einer systematischen Fehleinschätzung kartellbedingter Preiseffekte verbunden.

23aa) Auch bei einer marktinternen Vergleichsanalyse sind zur Vermeidung systematischer Schätzfehler wettbewerbsimmanente Gründe für Preisunterschiede zwischen der Nebenbetroffenen und den Vergleichsunternehmen korrigierend zu berücksichtigen (vgl. Coppik/Haucap, WuW 2016, 50, 56 f.). Denn trotz der notwendig identischen Gesamtstruktur des Marktes kann ein unterschiedliches Preisniveau der Unternehmen von marktimmanenten und demnach nicht kartellbedingten Preisdeterminanten abhängen. Dies hat das Oberlandesgericht im Grundsatz auch erkannt. Denn als solche strukturellen Elemente hat es zutreffend (etwa durch schwankende Einkaufspreise verursachte) zeitliche und zudem regionale Preisunterschiede identifiziert und seine Schätzung entsprechend modifiziert.

24bb) Als einen weiteren Strukturunterschied hat das Oberlandesgericht zudem die verschiedenen "Tankmodelle" erkannt. Einen kartellbedingten Mehrerlös hat es nur bei den Kunden mit eigenem Tank festgestellt. Indes hat es hierbei nicht erläutert, ob ein höherer Anteil an Stammkunden mit teureren Alttarifen bei der Nebenbetroffenen zu einer systematischen Differenz in den Durchschnittspreisen der Anbieter geführt haben könnte (vgl. Coppik/Haucap, WuW 2016, 50, 57 Fn. 62). Die Vergleichsunternehmen könnten anteilig über mehr "Wechselkunden" - denen sie aufgrund von Wechselkosten (Tankerwerb) besonders günstige Konditionen bieten mussten - verfügt haben als die Nebenbetroffene. Hierfür sprechen die Feststellungen des Bußgeldbescheids, wonach erst seit etwa Mitte der 1990er Jahre ein "nennenswerter Außenwettbewerb" durch freie Anbieter mit steigenden Marktanteilen stattfand (BA S. 6). Zudem hat das Oberlandesgericht die Transaktionsdaten von "Landwirtschaftskunden", denen ebenfalls besonders attraktive Preise gewährt wurden, mit dem - wohl höheren - Anteil in die Vergleichsbetrachtung eingehen lassen, den diese Kunden am Absatz der Vergleichsunternehmen hatten (vgl. UA S. 46 ff.). Dass die Nebenbetroffene ohne die Zuwiderhandlung über einen vergleichbar hohen Anteil an preissensiblen Kunden mit günstigen Tarifen verfügt hätte, zeigen die Urteilsgründe nicht auf. Dass eine subjektive Kundenbindung auch bei den freien Anbietern vorzufinden sei (UA S. 47), ist hierfür keine ausreichende Begründung.

25cc) Rechtsfehlerhaft hat das Oberlandesgericht zudem eine Kostenheterogenität der verglichenen Flüssiggasanbieter nicht überprüft. Insbesondere Transportkosten in anderer Höhe zählen zu den objektiven Strukturunterschieden (vgl. Barth/Bongard, WuW 2009, 30, 34 mwN), die kartellunabhängig das Preissetzungsverhalten beeinflussen und daher notwendige Abschläge von dem an sich ermittelten Mehrerlös bedingen können. Es ist trotz der von der Nebenbetroffenen genutzten Ausfuhrkooperation keineswegs ausgeschlossen, dass die als Vergleichsunternehmen herangezogenen freien Anbieter geringere Lieferkosten hatten. Denn sie waren den Urteilsgründen zufolge überwiegend mit regionalen Schwerpunkten tätig, was ebenfalls eine effiziente Transportkostenstruktur nahelegt. Auch der im Miettankbereich errechnete "Mindererlös" der Nebenbetroffenen - deren Preise also insoweit günstiger als die der freien Anbieter gewesen sein sollen - schließt einen Transportkostenvorteil der Vergleichsunternehmen nicht aus. Dieser "Mindererlös" ist schon deshalb nicht aussagekräftig, weil das Oberlandesgericht die Mietpreise für den Tank und damit das "Leistungsbündel" (vgl. , WuW/E BGH 2103, 2105 - Favorit) außer Betracht gelassen hat.

26e) Durch die aufgezeigten Darlegungsmängel ist die Beschwerdeführerin im Ergebnis beschwert. Das Oberlandesgericht hätte den kartellbedingten Mehrerlös allerdings lediglich unterschätzt, sollte es einen positiven, zu einer Preissteigerung der Kartellaußenseiter führenden Preisschirmeffekt außer Acht gelassen haben. Einen negativen Preisschirmeffekt (vgl. dazu Coppik/Haucap, WuW 2016, 50, 55; Inderst/Maier-Rigaud/Schwalbe, WuW 2014, 1043, 1047 Fn. 10) legen die sonstigen Feststellungen nicht nahe. Indes ist die Nebenbetroffene durch die weiteren (möglichen) Schätzfehler beschwert, denn diese könnten einzeln wie gemeinsam dazu geführt haben, dass das Oberlandesgericht den Mehrerlös zu hoch festgesetzt hat. Dass ein übersehener positiver Preisschirmeffekt diese Schätzunsicherheiten jedenfalls kompensiert, vermag der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Grundlagen in den Urteilsgründen nicht sicher festzustellen. Da der systematische Schätzfehler nicht quantifizierbar ist, kann daran auch der vom Oberlandesgericht vorgenommene Sicherheitsabschlag nichts ändern.

27f) Nicht zu entscheiden braucht der Senat, ob die Datenauswahl - die weitaus meisten Vergleichspreise stammen nur von der H.     - und die Datendichte den rechtlichen Anforderungen gerecht werden. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob ein (rechtsfehlerfrei festgestellter) "Mindererlös" im Miettankbereich den kartellbedingten Mehrerlös schmälern könnte.

282. Die rechtsfehlerhafte Mehrerlösschätzung, auf der der Bußgeldausspruch beruht (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 337 StPO), nötigt zu dessen Aufhebung mit den zugehörigen Feststellungen. Auch die Feststellungen zu den Gesamtumsätzen der Nebenbetroffenen nach § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB 2005/2007 haben keinen Bestand. Das neue Tatgericht wird - soweit wie für den Günstigkeitsvergleich erforderlich - die Gesamtumsätze der Nebenbetroffenen in dem seiner (neuen) Entscheidung vorausgehenden Geschäftsjahr festzustellen haben (§ 81 Abs. 4 Satz 2 GWB 2005; vgl. BGHSt 58, 158 Rn. 65, 73 - Grauzementkartell I). Um dem neuen Tatgericht eine insgesamt widerspruchsfreie Beurteilung der wirtschaftlichen Einheiten zu ermöglichen, hat der Senat die Feststellungen ebenfalls aufgehoben, die den Gesamtumsätzen des Jahres 2008 (und des nunmehr bedeutungslosen Jahres 2013) zugrunde liegen.

293. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Aufgrund der komplexen Marktverhältnisse empfiehlt sich die Einschaltung eines Sachverständigen, um den kartellbedingten Mehrerlös der Nebenbetroffenen bestimmen zu können. Angesichts (und trotz) des weiteren Zeitablaufs seit der Verkündung des angefochtenen Urteils wird sich dabei die Frage neu stellen, ob eine zeitliche Vergleichsmarktanalyse die vorzugswürdige Schätzmethode ist. Auch kann als kostenbasiertes Verfahren die "gesamtwirtschaftliche Analyse" (vgl. dazu BGHSt 52, 1 Rn. 19 - Papiergroßhandel) in Betracht zu ziehen sein.

30III. Von der Aufhebung des Bußgeldausspruchs unberührt bleibt die Entscheidung des Oberlandesgerichts, eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von "knapp vier Monaten" zugunsten der Nebenbetroffenen festzustellen (UA S. 63). Wie ihr auf die Rechtsfolgen bezogener Aufhebungsantrag (RBB S. 2) belegt, wendet sich die Rechtsbeschwerde mit der Sachrüge auch hiergegen. Insoweit bleibt das Rechtsmittel erfolglos. Die Kompensationsentscheidung weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Nebenbetroffenen auf, auch wenn sich die pauschalen Feststellungen der rechtlichen Überprüfung entziehen. Mehr als die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kam aufgrund der kurzen Dauer der Verzögerung ohnehin nicht in Betracht. Eine weitergehende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung drängt sich nach den Urteilsgründen nicht auf.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:091018BKRB10.17.0

Fundstelle(n):
WuW 2019 S. 201 Nr. 4
FAAAH-09811