Instanzenzug: Az: 2 Ca 363/17 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 15 Sa 1417/17 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Klägers, Dienste mit einer täglichen Arbeitszeit von mehr als zehn Stunden zu leisten.
2Der Kläger ist seit dem bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Mitarbeiter im Rettungsdienst beschäftigt. Alleinige Gesellschafterin der Beklagten ist die H Kliniken GmbH. Deren Gesellschaftsanteile werden zu 100 % vom Landkreis H gehalten, der auf seinem Gebiet Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes ist.
3Die Beklagte ist nicht Mitglied in einem Arbeitgeberverband. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet. Sie führt den bodengebundenen Rettungsdienst im Landkreis H nach Maßgabe eines mit dem Landkreis geschlossenen Vertrags vom durch. In dem Vertrag heißt es ua.:
4Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft individualvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD [VKA]) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Im Anhang zu § 9 TVöD (VKA) ist unter Abschn. B bestimmt:
5Der Kläger ist im Bereich der Rettungswachen F und B tätig. Die Beklagte teilt ihn regelmäßig zu Schichten im Rettungsdienst mit einer täglichen Arbeitszeit von mehr als zehn Stunden und bis zu zwölf Stunden ein.
6Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Anordnung von Schichtzeiten mit einer täglichen Arbeitszeit von mehr als zehn Stunden verstoße gegen § 3 Satz 2 ArbZG. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Abweichung von der dort geregelten täglichen Höchstarbeitszeit lägen nicht vor.
7Der Kläger hat - soweit für die Revision von Relevanz - zuletzt beantragt
8Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag darauf gestützt, dass sie nach § 7 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 3 ArbZG iVm. Abschn. B des Anhangs zu § 9 TVöD (VKA) berechtigt sei, Schichtzeiten bis zu zwölf Stunden täglich anzuordnen. Sie finanziere die Kosten ihres Betriebs überwiegend durch Zuwendungen im Sinne des Haushaltsrechts. In diesem Zusammenhang hat sie behauptet, ihre Auslagen zu 95 % mit Zuwendungen des Landkreises H zu decken.
9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Gründe
10Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Die zulässige Klage ist begründet. Die Beklagte ist nicht berechtigt, dem Kläger Schichtzeiten im Rettungsdienst zuzuweisen, die eine tägliche Arbeitszeit von zehn Stunden überschreiten.
11A. Der Feststellungsantrag ist in der gebotenen rechtsschutzgewährenden Auslegung (vgl. - Rn. 16, BAGE 153, 271) zulässig.
12I. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er nicht nach § 7 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 3 ArbZG iVm. Abschn. B des Anhangs zu § 9 TVöD (VKA) verpflichtet ist, innerhalb der von der Beklagten für den Rettungsdienst angeordneten Schichten eine täglich zehn Stunden überschreitende Arbeitszeit abzuleisten. Es geht ihm nicht darum, für sämtliche denkbaren Fälle feststellen zu lassen, nicht länger als täglich zehn Stunden arbeiten zu müssen. Der Klageantrag bezieht sich auf die den Anlass für die Klage bildende, konkret behauptete Form des Verstoßes gegen § 3 Satz 2 ArbZG. Der Kläger stellt darauf ab, die Beklagte dürfe keine von § 3 Satz 2 ArbZG abweichende Arbeitszeit festlegen, weil die Voraussetzungen für die Anordnung einer täglichen Arbeitszeit von bis zu zwölf Stunden nach § 7 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 3 ArbZG iVm. Abschn. B des Anhangs zu § 9 TVöD (VKA) nicht vorlägen. Weitere ggf. erst künftig eintretende Fallkonstellationen sollen von dem Feststellungsantrag nicht erfasst werden.
13II. Mit diesem Inhalt ist das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Der angestrebte Entscheidungsausspruch ist trotz seiner nicht vollstreckbaren Wirkung geeignet, den Streit der Parteien über die Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme an den bis zu zwölf Arbeitsstunden umfassenden Schichten beizulegen und insoweit weitere Prozesse zwischen ihnen zu vermeiden. Dies rechtfertigt die Annahme eines rechtlichen Interesses (vgl. - Rn. 15).
14B. Der Feststellungsantrag ist begründet. Der Kläger ist nicht verpflichtet, die von der Beklagten angeordneten Schichten im Rettungsdienst abzuleisten, soweit sie abweichend von § 3 Satz 2 ArbZG eine tägliche Arbeitszeit von zehn Stunden überschreiten. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts kann die Beklagte die Anordnung von Schichtzeiten bis zu zwölf Stunden nicht auf § 7 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 3 ArbZG iVm. Abschn. B des Anhangs zu § 9 TVöD (VKA) stützen.
15I. Nach § 3 ArbZG darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. § 3 ArbZG ist ein Verbotsgesetz iSv. § 134 BGB ( - Rn. 30 mwN, BAGE 156, 157), das den Arbeitnehmer vor Überforderung durch übermäßige zeitliche Inanspruchnahme schützen soll. Die Vorschrift begründet ein gesetzliches Beschäftigungsverbot, aufgrund dessen es dem Arbeitgeber untersagt ist, Arbeitsleistungen in einem die gesetzlichen Höchstgrenzen übersteigenden Umfang anzuordnen oder entgegenzunehmen ( - Rn. 33, aaO). Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 ArbZG ist Arbeitszeit die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst sind arbeitszeitrechtlich Arbeitszeit (vgl. - Rn. 16, BAGE 150, 82). Sie müssen bei der Berechnung des zulässigen Umfangs der Arbeitszeit in vollem Umfang und nicht nur im Umfang des tatsächlichen Arbeitseinsatzes berücksichtigt werden (vgl. - Rn. 18, BAGE 135, 34).
16II. Sofern der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer durch einen entsprechenden Zeitausgleich gewährleistet wird, kann gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 4 ArbZG in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung ua. zugelassen werden, die Regelung des § 3 ArbZG über die zulässige werktägliche Arbeitszeit bei Verwaltungen und Betrieben des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie bei anderen Arbeitgebern, die der Tarifbindung eines für den öffentlichen Dienst geltenden oder eines im wesentlichen inhaltsgleichen Tarifvertrags unterliegen, der Eigenart der Tätigkeit bei diesen Stellen anzupassen. Nach § 7 Abs. 3 Satz 3 ArbZG hat eine nach § 7 Abs. 2 Nr. 4 ArbZG getroffene abweichende tarifvertragliche Regelung zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Geltung, wenn zwischen ihnen die Anwendung der für den öffentlichen Dienst geltenden tarifvertraglichen Bestimmungen vereinbart ist und die Arbeitgeber die Kosten des Betriebs überwiegend mit Zuwendungen im Sinne des Haushaltsrechts decken.
17III. Im Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der privatrechtlich organisierten, nicht tarifgebundenen Beklagten findet § 7 Abs. 3 Satz 3 ArbZG bereits deshalb keine Anwendung, weil die Beklagte die Kosten ihres Betriebs nicht überwiegend mit Zuwendungen im Sinne des Haushaltsrechts deckt. Das Landesarbeitsgericht hat das Entgelt, das der Landkreis H aufgrund des Vertrags vom als Gegenleistung für die Erbringung des bodengebundenen Rettungsdienstes an die Beklagte zahlt, rechtsfehlerhaft als eine solche Zuwendung qualifiziert.
181. § 7 Abs. 3 Satz 3 ArbZG geht seinem Wortlaut nach von dem Begriff der „Zuwendung im Sinne des Haushaltrechts“ aus. Danach erlaubt nicht der Erhalt jedweder, sondern nur bestimmter öffentlicher Mittel - namentlich von „Zuwendungen im Sinne des Haushaltsrechts“ - eine einzelvertragliche Bezugnahme auf tarifvertragliche Abweichungen nach § 7 Abs. 2 Nr. 4 ArbZG (vgl. Anzinger/Koberski ArbZG 4. Aufl. § 7 Rn. 92; Baeck/Deutsch ArbZG 3. Aufl. § 7 Rn. 131; Pfeiffer in Hahn/Pfeiffer/Schubert Arbeitszeitrecht 2. Aufl. § 7 ArbZG Rn. 83).
19a) Der Begriff der „Zuwendung im Sinne des Haushaltsrechts“ ist rahmenmäßig in § 14 HGrG sowie für den Bund in § 23 BHO und für die Länder in den entsprechenden landesrechtlichen Haushaltsordnungen bestimmt. Nach § 23 BHO und dem inhaltsgleichen § 23 der Landeshaushaltsordnung des Landes Brandenburg (LHO) werden Zuwendungen als Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen für Leistungen an Stellen außerhalb der Bundes- bzw. Landesverwaltung zur Erfüllung bestimmter Zwecke definiert. Zuwendungen dürfen danach nur veranschlagt werden, wenn der Bund bzw. das Land an der Erfüllung durch solche Stellen ein erhebliches Interesse hat, das ohne die Zuwendungen nicht oder nicht im notwendigen Umfang befriedigt werden kann. Eine nähere Konkretisierung des Begriffs der Zuwendung im haushaltsrechtlichen Sinne nehmen die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften (VV) zu den Haushaltsordnungen durch Positivabgrenzungen sowie durch Negativabgrenzungen zu anderen Leistungen vor (vgl. von Lewinski/Burbat BHO § 23 Rn. 8). Nach der VV Nr. 1.1 zu § 23 BHO/LHO können Zuwendungen sowohl zweckgebundene Zuschüsse, Zuweisungen, Schuldendiensthilfen als auch andere nicht rückzahlbare Leistungen sowie zweckgebundene Darlehen und andere bedingt oder unbedingt rückzahlbare Leistungen sein. Keine Zuwendungen im haushaltsrechtlichen Sinne sind hingegen nach der VV Nr. 1.2 zu § 23 BHO/LHO ua. Entgelte aufgrund von öffentlichen Aufträgen (VV Nr. 1.2.4 zu § 23 BHO) bzw. Verträgen, die den Preisvorschriften für öffentliche Aufträge unterliegen (VV Nr. 1.2.4 zu § 23 LHO). Zu den öffentlichen Aufträgen zählen insbesondere Kauf-, Miet-, Pacht-, Werk- und Werklieferungsverträge sowie sonstige gegenseitige Verträge, sofern der Entgeltsverpflichtung des Bundes eine für dieses Entgelt zu erbringende Leistung gegenübersteht (Nr. 1 der Anlage zur VV Nr. 1.2.4 zu § 23 BHO).
20b) Zuwendungen sind danach von Entgelten aus einem öffentlichen Auftrag abzugrenzen. Im Falle eines öffentlichen Auftrags ist der Auftragnehmer verpflichtet, die vertraglich vereinbarten Leistungen auch tatsächlich zu erbringen. Im Unterschied dazu stellt eine Zuwendung die Gewährung wirtschaftlicher Vorteile in Form von Geldleistungen zur Erreichung eines im Allgemeininteresse liegenden Zwecks dar, ohne dass der verfolgte Zweck und die gewährten Vorteile ein marktkonformes Geschehen widerspiegeln. Bei einer Zuwendung kommt es vorrangig darauf an, dass die Fördermittel zweckentsprechend eingesetzt werden, ohne dass eine einklagbare Leistungspflicht besteht (vgl. VII-Verg 1/18 - zu II 2 a der Gründe). Zuwendungen iSv. § 7 Abs. 3 Satz 3 ArbZG können somit nicht aufgrund gegenseitiger Verträge, in denen die Erbringung von Leistungen gegen Entgelt vereinbart wird, gewährt werden (vgl. Anzinger/Koberski ArbZG 4. Aufl. § 7 Rn. 92; vgl. auch zur insoweit inhaltsgleichen Norm des § 22 Abs. 2 TzBfG: APS/Backhaus 5. Aufl. TzBfG § 22 Rn. 12; HK-TzBfG/Boecken 5. Aufl. § 22 Rn. 19). Bei einem Leistungsaustausch zur Deckung eines Beschaffungsbedarfs der öffentlichen Hand gegen Entgelt liegt mithin ein der Annahme einer Zuwendung entgegenstehender öffentlicher Auftrag vor.
21c) Dieses Verständnis liegt entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts auch dem Zuwendungsbegriff des § 2 Nr. 52 der durch den Minister des Innern des Landes Brandenburg erlassenen Verordnung über die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans der Gemeinden (KomHKV) vom (GVBl. II [Nr. 3] S. 14) idF vom (GVBl. II [Nr. 15]) zugrunde. Diese Bestimmung verwendet den Fachbegriff „Zuwendung“ in seinem haushaltsrechtlichen Kontext und unterscheidet ebenso wie die VV Nr. 1.1 zu § 23 BHO/LHO zwischen Zuweisungen (Finanzhilfen innerhalb des öffentlichen Bereichs) und Zuschüssen (Finanzhilfen an den unternehmerischen oder privaten Bereich). Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass dem Begriff der Zuwendung durch die KomHKV für das kommunale Haushaltsrecht ein von § 23 LHO abweichender Bedeutungsgehalt beigemessen werden sollte.
222. Daran gemessen sind die aufgrund des Vertrags zur Durchführung des Rettungsdienstes im Landkreis H vom gezahlten Entgelte nicht als Zuwendungen im haushaltsrechtlichen Sinne zu qualifizieren. Die Vertragsparteien haben aufgrund eines konkreten Beschaffungsinteresses des Landkreises eine bestimmbare Leistungspflicht der Beklagten (Durchführung des bodengebundenen Rettungsdienstes nach den vertraglich vereinbarten Maßgaben) gegen Entgelt vereinbart. Dabei stellt das Entgelt die synallagmatische Gegenleistung für die Durchführung des bodengebundenen Rettungsdienstes dar (vgl. zur Einordnung von Verträgen über Rettungsdienstleistungen im sogenannten „Submissionsmodell“, in dem die Gegenleistung vom öffentlichen Auftraggeber unmittelbar an den Dienstleistungserbringer gezahlt wird, als öffentliche Dienstleistungsaufträge - [Privater Rettungsdienst und Krankentransport Stadler] Rn. 22, 24; vgl. auch - [Kommission/Deutschland] Rn. 131). Nach § 5 des Vertrags hat die Entgeltkalkulation den jeweils geltenden preisrechtlichen Vorschriften zu entsprechen. Hierzu haben die Vertragsparteien ausdrücklich auf die Preisvorschriften für öffentliche Aufträge (VO PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen vom idF der VO PR Nr. 1/89 vom [BGBl. I S. 1094] und die Leitsätze für die Preisermittlung aufgrund von Selbstkosten - LSP - [Anlage zur VO PR 30/53]) Bezug genommen. Der Landkreis H erstattet der Beklagten die für die Durchführung des bodengebundenen Rettungsdienstes angefallenen notwendigen Selbstkosten.
23C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2018:201118.U.9AZR328.18.0
Fundstelle(n):
ZAAAH-08546