Anschluss- und Benutzungszwang hinsichtlich der Fernwärmeversorgung; Auslegung untergesetzlicher Rechtsnorm
Gesetze: § 16 EEWärmeG, § 11 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst a KomVerfG ST 2014, § 11 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a KomVerfG ST 2014
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 4 K 181/15 Urteil
Gründe
1Die Antragstellerin ist eine Wohnungsbaugenossenschaft. Auf ihren Antrag hat das Oberverwaltungsgericht unter anderem die Vorschriften in der Klimasatzung der Antragsgegnerin vom aufgehoben, welche für einen Teil des Gemeindegebietes einen Anschluss- und Benutzungszwang hinsichtlich der Fernwärmeversorgung vorsahen. Ein Anschluss- und Benutzungszwang könne nach dem Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (KVG LSA) nur für eine öffentliche Einrichtung angeordnet werden. Die Fernwärmeversorgung im Satzungsgebiet sei keine öffentliche Einrichtung im Sinne des Kommunalverfassungsgesetzes, weil der mit dem privaten Betreiber der Fernwärmeversorgung geschlossene Betreibervertrag der Antragsgegnerin keinen maßgeblichen Einfluss auf die wesentlichen Fragen der Betriebsführung vermittle. Damit entfalle auch die in der Klimasatzung vorgesehene Widmung als öffentliche Einrichtung, weil die Satzung die Widmung von dem Abschluss eines den Einfluss der Antragsgegnerin sichernden Betreibervertrages abhängig mache. Darüber hinaus sei der Anschluss- und Benutzungszwang nicht mit § 16 des Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz - EEWärmeG) vereinbar, weil die Fernwärmeversorgung zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht den Anforderungen der Nummer VIII der Anlage zu diesem Gesetz genügt habe und die Antragsgegnerin nicht nachgewiesen habe, dass der Anschluss- und Benutzungszwang in hinreichendem Umfang zur Reduktion der globalen CO2-Belastung beitrage.
2Die gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Ist eine Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn gegenüber jeder der Begründungen ein durchgreifender Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. 7 B 25.13 - ZUR 2015, 287, juris Rn. 3 m.w.N.). Die im Hinblick auf die selbstständig tragende Begründung des angegriffenen Urteils, die Fernwärmeversorgung im Satzungsgebiet sei keine öffentliche Einrichtung, geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greifen nicht durch. Ob die von der Antragsgegnerin gegenüber der weiteren entscheidungstragenden Erwägung des Oberverwaltungsgerichts, der Anschluss- und Benutzungszwang sei nicht mit § 16 EEWärmeG vereinbar, geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der Verfahrensmängel eines Verstoßes gegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör und der unzureichenden Sachaufklärung (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) vorliegen, bedarf deshalb keiner Entscheidung.
31. a) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Mit ihrer als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen sinngemäßen Frage,
ob die Auslegung einer kommunalen Satzungsregelung dahin, dass die Widmung einer durch einen Dritten zu betreibenden Einrichtung von dem Abschluss eines der Gemeinde einen maßgeblichen Einfluss auf die Betriebsführung vermittelnden Betreibervertrages abhängig ist, mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit und hinreichenden Bestimmtheit vereinbar ist,
formuliert die Antragsgegnerin keine Frage des revisiblen Rechts. Die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht bzw. - wie hier - von nicht revisiblem Ortsrecht vermag eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Auslegung der gegenüber dem nicht revisiblen Recht als korrigierender Maßstab angeführten bundesrechtlichen Normen ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (s. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 7 B 177.89 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 277, vom - 4 B 35.03 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 26 und vom - 6 B 7.08 - Buchholz 451.20 § 12 GewO Nr. 1). Das zeigt die Beschwerde nicht auf und ist anhand des Beschwerdevorbringens auch ansonsten nicht ersichtlich. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Auslegung des § 1 Abs. 4 der Klimasatzung der Antragsgegnerin vom allein auf Erwägungen des Satzungsrechts gestützt, die keiner revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegen (§ 137 Abs. 1 VwGO, § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Die von der Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung formulierte Frage, ob diese Auslegung der Klimasatzung dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit und der Bestimmtheit gerecht wird, betrifft allein die Anwendung eines dem revisiblen Recht entnommenen Maßstabes und nicht dessen Auslegung. Sie kann daher nicht zur Zulassung der Revision führen.
4b) Aus denselben Gründen veranlasst auch die weitere, von der Antragsgegnerin als grundsätzlich bedeutsam formulierte Frage,
ob die Auslegung einer kommunalen Satzungsregelung dahin, dass die Widmung einer durch einen Dritten zu betreibenden Einrichtung von dem Abschluss eines der Gemeinde einen maßgeblichen Einfluss auf die Betriebsführung vermittelnden Betreibervertrages abhängig ist, mit dem Gebot der verfassungs- bzw. gesetzeskonformen Auslegung vereinbar ist,
nicht die Zulassung der Revision. Auch insoweit legt die Antragsgegnerin nicht dar, dass die Maßstabsnorm des grundgesetzlichen Gebotes verfassungs- und gesetzeskonformer Auslegung eine noch ungeklärte Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zudem geklärt, dass das Gebot, ein Gesetz im Zweifel verfassungskonform auszulegen, aus dem Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt folgt und den Grenzen der anerkannten Auslegungsmethoden unterliegt (vgl. näher dazu - NJW 2018, 1935 <1950> Rn. 150 m.w.N.). Entsprechendes hat für die gesetzeskonforme Auslegung einer untergesetzlichen Rechtsnorm zu gelten. Darüber hinaus macht das Vorbringen der Antragsgegnerin nicht deutlich, inwiefern dieses Gebot der vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung des § 1 Abs. 1 und 4 der Klimasatzung entgegenstehen könnte. Die Vorinstanz hat angenommen, dass der in §§ 3 und 5 der Satzung angeordnete Anschluss- und Benutzungszwang im Falle der Übertragung der Betriebsführung auf einen Privaten nur bei Erfüllung besonderer Anforderungen an den Betreibervertrag mit § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 2 Buchst. a KVG LSA vereinbar ist, die einen maßgeblichen Einfluss der Antragsgegnerin auf den Betrieb sichern. Diese Auslegung schließt eine Vereinbarkeit des satzungsgemäßen Anschluss- und Benutzungszwangs mit dem Kommunalverfassungsgesetz als höherrangigem Recht nicht aus, sondern macht sie von der Ausgestaltung des abzuschließenden Betreibervertrages abhängig. Dass der hier konkret abgeschlossene Betreibervertrag diesen Anforderungen nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht genügte, wirft keine Frage der gesetzes- oder verfassungskonformen Auslegung der Satzung auf. Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass eine mit den vom Oberverwaltungsgericht angenommenen Anforderungen vereinbare Ausgestaltung eines Betreibervertrages nicht möglich wäre und die Satzung deshalb praktisch leerliefe. Dies behauptet auch die Antragsgegnerin nicht.
52. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
6a) Der von der Antragsgegnerin behauptete Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegt nicht vor. Soweit die Antragsgegnerin rügt, das Oberverwaltungsgericht habe § 1 Abs. 4 ihrer Klimasatzung in willkürlicher Weise dahin ausgelegt, dass er die Widmung der Fernwärmeversorgung als öffentliche Einrichtung gemäß § 1 Abs. 1 der Satzung vom Abschluss eines der Antragsgegnerin maßgeblichen Einfluss auf die Betriebsführung vermittelnden Betreibervertrages abhängig mache, legt sie keinen Verfahrensmangel dar, sondern wendet sich gegen die materiell-rechtliche Bewertung der Vorinstanz. Sie macht nicht etwa geltend, das Oberverwaltungsgericht habe den seiner Auslegung zugrunde liegenden Sachverhalt willkürlich ermittelt oder gewürdigt (vgl. dazu 8 B 98.10 - juris Rn. 8 m.w.N.). Der Vorwurf einer willkürlichen Auslegung und Anwendung materiellen Rechts - einschließlich des Satzungsrechts einer Gemeinde - kann jedoch einen Mangel im gerichtlichen Verfahren nicht dartun (vgl. 9 B 64.02 - juris Rn. 6).
7Abgesehen davon wäre der Vorwurf willkürlicher Auslegung der Klimasatzung der Sache nach nicht gerechtfertigt. Die Auslegung und Anwendung einer Rechtsnorm ist nur dann willkürlich, wenn sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Dazu ist erforderlich, dass eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird. Von einer willkürlichen Missdeutung kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl. , 1 BvR 3572/13 - NJW 2014, 2340 <2341> Rn. 41 m.w.N.). Vorliegend hat das Oberverwaltungsgericht seine Auslegung der Klimasatzung, wonach die Widmung der Fernwärmeversorgung als öffentliche Einrichtung durch das Erfordernis des Abschlusses eines den Einfluss der Antragsgegnerin auf die Betriebsführung sichernden Betreibervertrages beschränkt ist, sachlich begründet. Seine Sichtweise mag nicht zwingend sein, sie ist aber jedenfalls vertretbar und nicht willkürlich. Es musste diese Auslegung auch nicht, wie die Antragsgegnerin meint, wegen eines Interesses der vom Anschluss- und Benutzungszwang betroffenen Grundstückseigentümer, der Antragsgegnerin und des privaten Betreibers der Fernwärmeversorgung an dem rechtssicheren Bestehen einer öffentlichen Einrichtung für ausgeschlossen halten.
8b) Schließlich ist die Revision nicht wegen des Verfahrensmangels eines Verstoßes gegen den Anspruch der Antragsgegnerin auf rechtliches Gehör zuzulassen. Die Antragsgegnerin macht geltend, sie habe mit der Auslegung des § 1 Abs. 4 der Klimasatzung durch das Oberverwaltungsgericht nicht rechnen müssen, wonach die Widmung als öffentliche Einrichtung von dem Abschluss eines ihren maßgeblichen Einfluss auf den Betrieb sichernden Betreibervertrages abhänge. Das ist schon nach dem eigenen Vorbringen der Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung nicht nachvollziehbar.
9Ein den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzendes Überraschungsurteil ist gegeben, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten ( 4 C 62.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 170). Die Erwägung in dem angegriffenen Urteil, mit der das Oberverwaltungsgericht eine Widmung zur öffentlichen Einrichtung abgelehnt hat, konnte die Antragsgegnerin nicht überraschen. Die Antragsgegnerin trägt vor, das Gericht habe ihre Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung als unerheblich abgelehnt, weil keine öffentliche Einrichtung vorliege und die Antragsgegnerin nach dem Betreibervertrag keinen hinreichenden Einfluss auf die wesentlichen Fragen der Betriebsführung habe. Nach dieser Begründung musste sie damit rechnen, dass das Gericht auf Grundlage seiner Erwägungen eine satzungsgemäße Widmung zur öffentlichen Einrichtung verneinen würde. Außerdem hatte auch die Antragstellerin mit Schriftsatz vom eingehend ihre Auffassung vorgetragen, die Fernwärmeversorgung sei wegen eines unzureichenden Einflusses der Antragsgegnerin auf die Betriebsführung keine öffentliche Einrichtung. Darüber hinaus hatte das Oberverwaltungsgericht bereits in seiner - durch Urteil des Senats vom - 10 CN 1.15 - (BVerwGE 156, 102) aufgehobenen - Entscheidung vom (4 K 180/12 - juris, vgl. dort Rn. 60) zur Klimasatzung 2012 der Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass wegen Fehlens eines Betreibervertrages möglicherweise keine Widmung vorliege. Die Antragsgegnerin hätte daher damit rechnen können, dass das Gericht den Anschluss- und Benutzungszwang als rechtswidrig ansehen würde, weil es wegen eines unzureichenden Betreibervertrages an einer Widmung zur öffentlichen Einrichtung fehle.
10Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 2 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:240119B10BN2.18.0
Fundstelle(n):
WAAAH-08278