Begründung einer Verfahrensrüge bei Ablehnung eines Beweisantrags wegen eines Beweisverwertungsverbots
Gesetze: § 56 Abs 1 StGB, § 64 StGB, § 250 Abs 3 StGB, § 244 Abs 3 S 1 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO
Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 20 KLs 6/17
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten A. und B. jeweils der schweren räuberischen Erpressung schuldig gesprochen. Den Angeklagten A. hat es zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung, den Angeklagten B. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Angeklagten M. und P. hat es jeweils der besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Den Angeklagten M. hat es unter Einbeziehung der Strafe aus einer anderweitigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und die in dieser Verurteilung angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aufrecht erhalten. Den Angeklagten P. hat es zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
2Mit ihren zu Ungunsten aller Angeklagten eingelegten, vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen beanstandet die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts und erhebt eine Verfahrensrüge. Der Angeklagte P. wendet sich gegen seine Verurteilung mit der Sachrüge. Die den Angeklagten A. betreffende Revision der Staatsanwaltschaft hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen, geringfügigen Teilerfolg. Im Übrigen bleiben die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ebenso wie die Revision des Angeklagten P. ohne Erfolg.
A.
3Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
41. Am Nachmittag des veranlassten die Angeklagten A. und P. auf der Suche nach einer Gelegenheit zum Erwerb von Marihuana den Nebenkläger, der bereit war, ihnen von seinem Vorrat etwas zu verkaufen, mit ihnen die im zweiten Obergeschoss eines Hauses gelegene Wohnung des Angeklagten B. aufzusuchen, wo sich zu diesem Zeitpunkt auch der Angeklagte M. aufhielt. Tatsächlich hatte der Angeklagte A. vor, dem Nebenkläger das Marihuana notfalls mit Gewalt abzunehmen. Auf dem Weg zur Wohnung des Angeklagten B. entnahm er aus einem Versteck eine Schreckschusspistole und steckte diese ein. In der Wohnung angekommen bedrohte der Angeklagte A. mit der Pistole den Nebenkläger und veranlasste ihn, seine Wertsachen auf den Tisch zu legen. Nachdem der Angeklagte B. aus der Jacke des Nebenklägers Hartgeld und ein Tütchen mit Marihuana genommen hatte, entnahmen die Angeklagten dessen Bauchtasche ein Mobiltelefon, ein Portemonnaie und maximal 10 bis 20 Gramm Marihuana, wovon der Angeklagte A. etwas an sich nahm. Er ging sodann auf die Toilette, weshalb er von dem nachfolgenden Geschehen nichts mehr mitbekam. Der Angeklagte B. versetzte dem Nebenkläger nachfolgend einen Schlag auf die Brust, der Angeklagte P. bewaffnete sich mit einem Brotmesser und einem abgebrochenen Besenstiel, um einen Teil des Marihuanas für sich zu behalten. Als er mit dem Messer in Richtung des Nebenklägers fuchtelte, versuchte dieser erfolglos aus der Wohnung zu fliehen. P. schlug daraufhin den Nebenkläger mit dem Besenstiel. Der Angeklagte M. filmte das Geschehen, feuerte den P. an, schubste den Nebenkläger und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, so dass ein Teil eines Zahnes abbrach. Nachdem das gesamte Geschehen zwischen fünf und fünfzehn Minuten gedauert hatte, gelang dem Nebenkläger die Flucht.
5Der Angeklagte A. entschuldigte sich nach der Tat beim Nebenkläger und zahlte ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 €.
62. Das Landgericht hat den Ladezustand der verwendeten Schreckschusspistole nicht festzustellen vermocht und demzufolge angenommen, die Waffe sei bei der Tat nicht geladen gewesen. Die Tathandlungen der Angeklagten A. und B. hat es als gemeinschaftliche schwere räuberische Erpressung gemäß § 253 Abs. 1, Abs. 2, § 255, § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1b, § 25 Abs. 2 StGB gewertet. Die Verwendung des Messers und des abgebrochenen Besenstiels durch die Angeklagten M. und P. , die zu deren Verurteilung wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) geführt hat, hat die Strafkammer den Angeklagten A. und B. hingegen nicht zugerechnet.
B.
I.
Zu den Revisionen der Staatsanwaltschaft
71. Soweit das Urteil die Angeklagten A. und B. betrifft, hat die Staatsanwaltschaft mit ihren Revisionen das angefochtene Urteil in vollem Umfang zur Überprüfung durch den Senat gestellt. Hingegen ergibt die Auslegung des Anfechtungsziels, soweit die Verurteilungen der Angeklagten M. und P. betroffen sind, trotz des auch insoweit umfassend gestellten Aufhebungsantrags der Staatsanwaltschaft eine Beschränkung ihrer Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch.
8Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsrechtfertigung beanstandet die Staatsanwaltschaft lediglich die unterbliebene Verurteilung aller Angeklagten wegen Verwendung einer § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB unterfallenden Schusswaffe mangels entsprechender tatrichterlicher Feststellungen zum Ladezustand der bei der Tat verwendeten Schreckschusspistole. Während dieses Anfechtungsziel bei den Angeklagten A. und B. den Schuldspruch betrifft, hat es hinsichtlich der Angeklagten M. und P. , die bereits wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung verurteilt sind, nur für den Schuldumfang Relevanz, weshalb die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft insoweit als auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt anzusehen sind.
92. Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Verfahrensrüge hat keinen Erfolg.
10a) Die Beschwerdeführerin beanstandet, das Landgericht habe einen Beweisantrag auf Inaugenscheinnahme der bei der Tat verwendeten und später sichergestellten Pistole und des dazugehörigen Magazins zu Unrecht wegen Unzulässigkeit der Beweiserhebung zurückgewiesen (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO).
11Folgendes Verfahrensgeschehen liegt der Rüge zu Grunde:
12aa) Die Staatsanwaltschaft hatte beantragt, die im dritten Obergeschoss des Apartmenthauses, das auch der Angeklagte B. bewohnte, im Flur unter einem Kühlschrank sichergestellte Tatwaffe nebst geladenem Magazin zum Beweis der Tatsache in Augenschein zu nehmen, dass es sich um eine geladene Schusswaffe und damit um eine Waffe im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB handele. Trotz Fehlens eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses stehe der beantragten Beweiserhebung, so die Staatsanwaltschaft, kein Beweisverwertungsverbot entgegen. Dabei könne offen bleiben, ob die Waffe von den das Apartmenthaus durchsuchenden Polizeibeamten eigenständig gefunden worden sei oder ob die Auffindung auf einen Hinweis des Angeklagten B. (bei seiner polizeilichen Vernehmung nach der Tat) zurückzuführen gewesen sei. Denn Anhaltspunkte für eine bewusste oder gar willkürliche Missachtung des Richtervorbehalts seien nicht erkennbar. Das Auffinden der Waffe sei zudem mit dem „konkludenten“ Einverständnis des Angeklagten B. erfolgt.
13bb) Diesen Beweisantrag hat das Landgericht wegen Unzulässigkeit im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO abgelehnt. Die beantragte Beweiserhebung und -verwertung sei wegen Verletzung des Richtervorbehalts nicht statthaft.
14b) Die Verfahrensrüge ist nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
15aa) Gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss der Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen grundsätzlich so vollständig und genau darlegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (st. Rspr.; vgl. nur , Rn. 8; vom – 3 StR 140/14, NStZ-RR 2014, 318, 319; Beschluss vom – 5 StR 383/06, NJW 2007, 3010, 3011, jeweils mwN; vgl. auch LR-StPO/Becker, 26. Aufl., § 244 Rn. 372; SSW-StPO/Sättele, 3. Aufl., § 244 Rn. 249; KK-StPO/Krehl, 7. Aufl., § 244 Rn. 224).
16Diese Anforderungen gelten auch dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Beschwerdeführerin rügt, das Gericht habe zu Unrecht das Vorliegen eines Verwertungsverbotes für ein Beweismittel angenommen, das auf Grund einer Wohnungsdurchsuchung erlangt wurde (, Rn. 9). Zwar kann das Revisionsgericht die für das Vorliegen eines Verwertungsverbotes in tatsächlicher Hinsicht entscheidungserheblichen Fragen gegebenenfalls im Wege des Freibeweises überprüfen; dies kann jedoch wie auch sonst bei behaupteten Verletzungen von Verfahrensvorschriften nur auf der Grundlage eines entsprechenden zulässigen Revisionsvortrags erfolgen (, juris Rn. 46; Urteil vom – 3 StR 686/97, NJW 1998, 2229). Ist die Annahme eines Beweisverwertungsverbots – wie hier – tragender Grund für die Ablehnung eines Beweisantrags (zu den Darlegungsanforderungen bei einer insoweit erhobenen Aufklärungsrüge vgl. aaO), sind regelmäßig Beweisantrag und Ablehnungsbeschluss im Wortlaut mitzuteilen, da sich die Fehlerhaftigkeit der Annahme eines Beweisverwertungsverbots als Grundlage für die Zurückweisung des Beweisantrags bereits allein aus dessen Begründung ergeben kann ( aaO). Lässt der Inhalt des Ablehnungsbeschlusses eine abschließende Beurteilung des Vorliegens eines Verwertungsverbots indes nicht zu, ist für die Darlegung des geltend gemachten Verfahrensfehlers weiterer Vortrag zu den maßgeblichen Verfahrenstatsachen erforderlich, um den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu genügen (BGH aaO).
17bb) Gemessen daran ist es dem Senat im vorliegenden Fall nicht möglich, auf der Grundlage des Revisionsvortrags der Staatsanwaltschaft die erforderliche eigene, umfassende Überprüfung des Verfahrens im Hinblick auf das Vorliegen eines Verwertungsverbots bezüglich der Durchsuchungserkenntnisse vorzunehmen.
18(1) Zwar hat die Beschwerdeführerin u.a. ihren Beweisantrag und den daraufhin ergangenen ablehnenden Beschluss des Landgerichts im Wortlaut in der Revisionsbegründung vorgelegt. Auch ergibt die Überprüfung des Ablehnungsbeschlusses durch den Senat, dass sich das Landgericht bei seiner Entscheidung über den Beweisantrag von rechtlich fehlerhaften Erwägungen hat leiten lassen.
19(a) Es hat ausgeführt, die Tatwaffe sei unter gröblicher Verletzung des Richtervorbehalts sichergestellt worden; es habe im konkreten Fall einer richterlichen Durchsuchungsanordnung nach § 103 StPO bedurft. Der Angeklagte B. habe auch nicht wirksam in die Durchsuchung des Hausflurs einwilligen können, weil die Waffe in dem oberhalb seiner Wohnung gelegenen Hausflur – seine Wohnung befand sich im zweiten Obergeschoss – unter dem Kühlschrank versteckt gewesen sei. Insoweit stehe dem Angeklagten ein Hausrecht nicht zu. Vielmehr habe es sich um eine nicht richterlich genehmigte Durchsuchung bei einem Nichtverdächtigen gehandelt.
20(b) Ungeachtet der Tatsache, dass der Flur im dritten Obergeschoss des betreffenden Apartmenthauses mangels allgemeiner Zugänglichkeit jedenfalls als befriedetes Besitztum in den – weit auszulegenden – Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG fällt (vgl. nur , BVerfGE 32, 54; BGH [Ermittlungsrichter], Beschluss vom – 1 BGs 65/97, NJW 1997, 2189; Hofmann in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 14. Aufl., Art. 13 Rn. 7 mwN), hat das Landgericht bei seiner Entscheidung verkannt, dass der Angeklagte B. als einer der Mieter des Hauses Inhaber des Mitgewahrsams bzw. des Hausrechts an den gemeinschaftlich genutzten Hausfluren war (vgl. dazu RG, Urteil vom 10. Dezember 1879 – Rep. 562/79, RGSt 1, 121, 122; OLG Düsseldorf, NJW 1997, 3383, 3384; vgl. auch MüKo-StGB/Schäfer, 3. Aufl., § 123 Rn. 12 a.E.). Er hätte deshalb sein Einverständnis mit der Nachschau durch die Polizeibeamten erklären können. Wäre dies geschehen, wäre die Sicherstellung der Tatwaffe auf einer rechtsfehlerfreien Grundlage erfolgt; ein Beweisverwertungsverbot bestünde nicht.
21(2) Dass ein solches Einverständnis des Angeklagten B. zum Zeitpunkt der Durchsuchung des Hausflurs und der Sicherstellung der Tatwaffe vorlag, ergibt sich aber weder aus dem Beweisantrag der Beschwerdeführerin noch aus dem Beschluss des Landgerichts oder dem sonstigen Revisionsvorbringen.
22(a) Hinsichtlich eines möglicherweise erteilten Einverständnisses – ob ein solches tatsächlich erteilt wurde, bleibt unklar – nimmt die Beschlussbegründung des Landgerichts zwar Bezug auf die polizeiliche Vernehmung des Angeklagten B. kurz nach dessen Festnahme. Die Revision unterlässt es jedoch, den Inhalt dieser Vernehmung in ihrer Revisionsrechtfertigung mitzuteilen. Der Senat kann daher allein auf der Grundlage des Revisionsvorbringens nicht überprüfen, ob ein Beweisverwertungsverbot schon deshalb nicht vorgelegen hat, weil der Angeklagte B. als Mitgewahrsamsinhaber am Hausflur der Polizei die Nachschau gestattet hatte.
23(b) Dass das Landgericht in den Urteilsgründen im Rahmen der Strafzumessung mitteilt, der Angeklagte B. habe bei seiner Vernehmung das Versteck der Tatwaffe preisgegeben, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Eine derartige Mitteilung beinhaltet nicht notwendigerweise die Erklärung des Einverständnisses mit einer hoheitlichen Ermittlungsmaßnahme in Gestalt der Nachschau im Haus.
24(3) Die Revision hätte die polizeiliche Vernehmung des Angeklagten B. auch aus anderen Gründen mitteilen müssen. Denn die Umstände, unter denen dieser Angeklagte das Waffenversteck preisgab, waren auch für die Prüfung der Frage von Bedeutung, ob trotz eines möglichen Verstoßes gegen Beweiserhebungsvorschriften mit Blick auf die erforderliche Abwägung der widerstreitenden Interessen von einem Beweisverwertungsverbot abgesehen werden musste.
25Darauf, dass die Beschwerdeführerin auch die Umstände der Durchsuchung im Übrigen nicht in einer Weise dargelegt hat, die eine ausreichende Grundlage für diese Abwägung bietet, sondern sich auf die ungeordnete und unvollständige Wiedergabe polizeilicher Ermittlungsvermerke beschränkt, kommt es danach nicht mehr an.
263. Die sachlich-rechtlichen Beanstandungen der Staatsanwaltschaft führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils lediglich insoweit, als das Landgericht die Vollstreckung der gegen den Angeklagten A. verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und eine Unterbringung dieses Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat.
27a) Hinsichtlich der Angeklagten A. und B. hat die Nachprüfung des Urteils hinsichtlich der Schuldsprüche keinen Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten ergeben. Entsprechendes gilt für die gemäß § 301 StPO gebotene Überprüfung des Urteils auf Rechtsfehler zu deren Nachteil.
28b) Zu Unrecht wendet sich die Beschwerdeführerin mit der Sachrüge auch dagegen, dass das Landgericht in Bezug auf alle vier Angeklagten die Voraussetzungen eines minder schweren Falles im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB angenommen hat.
29aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt ein minder schwerer Fall dann vor, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Die danach erforderliche Gesamtbetrachtung und die Würdigung aller wesentlichen entlastenden oder belastenden Gesichtspunkte ist – ebenso wie die Strafzumessung im engeren Sinne – in erster Linie Aufgabe des Tatrichters. Seine Wertung muss das Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinnehmen. In die Einzelakte der Strafzumessung kann es in der Regel nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn die verhängte Strafe auch unter Berücksichtigung des dem Tatrichter eingeräumten Ermessensspielraums nicht mehr als gerechter Schuldausgleich anzusehen ist. Eine bis ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist dem Revisionsgericht dagegen verwehrt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349; Urteil vom – 1 StR 796/91; Urteil vom – 4 StR 194/92, juris Rn. 27 f.).
30bb) Gemessen daran liegt in der Annahme minder schwerer Fälle im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB kein durchgreifender Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten.
31Die erforderliche Gesamtbetrachtung hat das Landgericht, für jeden der vier Angeklagten gesondert, eingehend angestellt und in den Urteilsgründen in dem gebotenen Umfang dargelegt. Dabei hat es den von ihm selbst zutreffend als gewichtig bewerteten belastenden Gesichtspunkten (teilweise erhebliche Vorstrafen, Haftverbüßung, Bewährungsversagen) ebenso bedeutsame, alle Angeklagten betreffende entlastende Umstände gegenübergestellt (milieubedingte Spontantat bei Abhängigkeitserkrankung, geringe Beute, keine gravierenden körperlichen Folgen für den Nebenkläger). Dass es unter weiterer Berücksichtigung spezifischer Strafmilderungsgründe (Entschuldigung des Angeklagten A. , Deeskalationsbemühungen des Angeklagten B. , gruppendynamische Verleitung zur Tat bei den Angeklagten M. und P. ) die Voraussetzungen des § 250 Abs. 3 StGB im Ergebnis bejaht hat, lässt daher durchgreifende Wertungsfehler nicht erkennen.
32c) Jedoch begegnet die Aussetzung der Vollstreckung der gegen den Angeklagten A. verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
33Die die positive Legalprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) tragenden Erwägungen stehen in einem auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht auflösbaren Widerspruch zu den Ausführungen des Landgerichts im Zusammenhang mit der Nichtanordnung einer Unterbringung dieses Angeklagten in einer Entziehungsanstalt. Während die Strafkammer einerseits bei der Bewährungsentscheidung zur Stützung ihrer günstigen Sozialprognose maßgeblich auf die vom Angeklagten bereits freiwillig angetretene und positiv verlaufende Drogenentwöhnungstherapie abgehoben hat, hat sie andererseits bei der Ablehnung der Maßregel nach § 64 StGB darauf abgestellt, dass die bisherige Deliktsentwicklung des Angeklagten gerade mit seiner Drogensucht nicht in Zusammenhang stehe.
34d) Auch die Begründung, mit der das Landgericht die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten A. in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
35aa) Sachverständig beraten hat es bei dem ausweislich der Urteilsfeststellungen seit seinem 13. Lebensjahr durchgängig Marihuana, Kokain und Alkohol konsumierenden Angeklagten eine multiple Substanzabhängigkeit und damit das Vorliegen eines Hanges im Sinne von § 64 StGB bejaht. Es ist auch davon ausgegangen, dass ein „motivationaler Zusammenhang“ zwischen dem Hang und der abgeurteilten Tat besteht; ferner sei die Behandlungsprognose positiv. Gleichwohl hat es die Voraussetzungen für die Maßregelanordnung verneint, weil eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zwar die Begehung weiterer suchtabhängiger Straftaten verhindern werde. Die Vorstrafen wiesen indes keine Kausalität zur Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten auf.
36bb) Diese Erwägungen legen es nahe, dass das Landgericht die Maßregelanordnung von zu engen Voraussetzungen abhängig gemacht hat.
37(1) Der für die Maßregelanordnung nach § 64 StGB erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang des Täters zum übermäßigen Drogengenuss und den begangenen Taten sowie seiner zukünftigen Gefährlichkeit wird nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht dadurch infrage gestellt, dass neben dem Hang auch andere Umstände mit dazu beigetragen haben, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies auch für die Zukunft mit dem erforderlichen Grad von Wahrscheinlichkeit zu besorgen ist (vgl. nur , BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 2 mwN). Mit Blick auf den Sicherungszweck der Maßregel ist eine Verbesserung der öffentlichen Sicherheit durch eine Suchtbehandlung schon dann erreicht, wenn bei ihrem erfolgreichem Verlauf das Ausmaß der Gefährlichkeit des Täters nach Frequenz und krimineller Intensität den von ihm zu befürchtenden Straftaten deutlich herabgesetzt wird (BGH aaO).
38(2) Indem das Landgericht, insoweit dem Sachverständigen folgend, einen motivationalen Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten und der abgeurteilten Tat angenommen hat, ist der für die Unterbringungsanordnung erforderliche symptomatische Zusammenhang belegt. Darauf, dass die Suchtbehandlung die Gefahr der Begehung weiterer, suchtunabhängiger Taten des Angeklagten in der Zukunft möglicherweise nicht zu verringern vermag, kommt es entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht an. Im Übrigen können kriminelle Neigungen und Drogenabhängigkeit ihren Ursprung in denselben, gegebenenfalls therapeutisch beeinflussbaren Persönlichkeitsdefiziten haben, so dass eine erfolgreiche Suchtbehandlung auch zur Schaffung günstiger Voraussetzungen für eine allgemeine und dauerhafte soziale Wiedereingliederung beitragen kann (BGH aaO).
39Die Verhängung der Maßregel gegenüber dem Angeklagten, der nach den Feststellungen des Landgerichts nach der Tat bereits aus Eigeninitiative mit der Behandlung seiner Drogenabhängigkeit begonnen hat, bedarf daher ebenfalls erneuter Verhandlung und Entscheidung.
II.
Zur Revision des Angeklagten P.
40Die Revision des Angeklagten P. hat keinen Erfolg.
41Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge hat weder hinsichtlich des Schuldspruchs noch hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Zur Begründung nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom Bezug.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:270918U4STR135.18.0
Fundstelle(n):
IAAAH-05066