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BGH Beschluss v. - V ZB 151/17

Anordnung der Abschiebungshaft wegen Fluchtgefahr

Gesetze: § 2 Abs 14 Nr 3 AufenthG, § 2 Abs 14 Nr 5 AufenthG, § 3 Abs 1 AufenthG, § 62 Abs 3 S 1 Nr 5 AufenthG, § 82 Abs 4 AufenthG

Instanzenzug: Az: 329 T 3/17vorgehend Az: 219g XIV 107/16

Gründe

I.

1Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste vermutlich im Dezember 2011 in das Bundesgebiet ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte seinen Asylantrag ab und ordnete die Abschiebung des Betroffenen nach Afghanistan an. Mit Schreiben vom forderte die beteiligte Behörde den Betroffenen auf, bis zum einen gültigen Pass oder Passersatz seines Heimatstaates zu beschaffen. Diese Aufforderung wiederholte sie am unter Fristsetzung bis zum . Am legte der Betroffene einen von der afghanischen Botschaft in Berlin am ausgestellten Pass vor.

2Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Sicherungshaft gegen den Betroffenen bis längstens angeordnet. Die nach der Abschiebung des Betroffenen nach Afghanistan am auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.

II.

3Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebungshaft hätten vorgelegen, insbesondere sei der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG gegeben. Der Betroffene habe zum einen den Tatbestand des § 2 Abs. 14 Nr. 3 AufenthG verwirklicht, indem er trotz Fristsetzung der Behörde seinen zwischenzeitlich beschafften Pass nicht vorgelegt habe; es sei davon auszugehen, dass er hierdurch seine Abschiebung habe unmöglich machen oder jedenfalls erschweren wollen. Zudem sei der Tatbestand des § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG gegeben. Der Betroffene habe bei seiner Anhörung durch die Ausländerbehörde geäußert, er habe niemanden in Afghanistan, seine gesamte Familie lebe im Iran. Hiermit habe er deutlich gemacht, eine Abschiebung nach Afghanistan nicht hinnehmen zu wollen.

III.

4Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

51. Auf der Grundlage der Feststellungen des Beschwerdegerichts kann das Vorliegen des Haftgrundes nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 3 und 5 AufenthG nicht angenommen werden.

6a) aa) Nach § 2 Abs. 14 Nr. 3 AufenthG kann ein Anhaltspunkt für die Fluchtgefahr vorliegen, wenn der Ausländer gesetzliche Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität verweigert oder unterlassen hat und aus den Umständen des Einzelfalls geschlossen werden kann, dass er einer Abschiebung aktiv entgegenwirken will. Unter den gesetzlichen Mitwirkungshandlungen im Sinne dieser Vorschrift sind jedenfalls solche zu verstehen, die zur Vorbereitung oder Durchführung einer Abschiebung gegenüber einem Ausländer nach § 82 Abs. 4 AufenthG angeordnet werden. „Aktiv entgegenwirken“ heißt, dass der Ausländer nicht nur passiv die weitere Entwicklung abwarten, sondern die Abschiebung gezielt verhindern will. Dementsprechend ist eine Entziehungsabsicht nicht schon bei jeder unterlassenen Mitwirkung bei der Passersatzbeschaffung anzunehmen. Ein entsprechender Rückschluss ist vielmehr nur zulässig, wenn das genannte Verhalten einem aktiven Entgegenwirken gleichkommt (vgl. BT-Drucks. 18/4097 S. 33; Bergmann/Dienelt/Winkelmann, Ausländerrecht, 12. Aufl., AufenthG § 62 Rn. 90; NK-AuslR/Stefan Keßler, 2. Aufl., AufenthG § 2 Rn. 39; kritisch zu diesem Tatbestand Beichel-Benedetti in Huber, AufenthG, 2. Aufl., § 2 Rn. 34).

7bb) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist von dem Beschwerdegericht nicht festgestellt worden. Es fehlt bereits an Feststellungen dazu, dass die Aufforderungen an den Betroffenen, sich innerhalb der jeweils gesetzten Fristen einen Pass oder Passersatz seines Heimatstaates zu beschaffen, der Vorbereitung der Abschiebung des Betroffenen dienten und nicht lediglich der Durchsetzung der Passpflicht nach § 3 Abs. 1 AufenthG. Zudem tragen die Feststellungen nicht die Annahme, der Betroffene habe die Mitwirkungshandlung verweigert oder unterlassen. Der Aufforderung, sich einen Pass zu beschaffen, ist er nach den Ausführungen des Beschwerdegerichts nachgekommen. Es sind keine Feststellungen dazu getroffen, dass der Betroffene aufgefordert war, der Behörde den von ihm beschafften Pass vorzulegen. Schließlich rechtfertigt der Umstand, dass der Betroffene der Behörde den bereits 2013 ausgestellten Pass erst am vorgelegt hat, nicht die Annahme, dass er seine Abschiebung gezielt habe verhindern wollen. Die verzögerte Vorlage des Passes könnte allenfalls eine Unterlassung im Zeitraum bis zum begründen, lässt aber nicht den Schluss zu, dass der Betroffene auch nach diesem Zeitpunkt seine Abschiebung gezielt verhindern wollte, was für die erst am angeordnete Haft indes erforderlich gewesen wäre.

8b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ließ sich die Annahme der Fluchtgefahr auch nicht auf § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG stützen.

9aa) Nach dieser Vorschrift kann die ausdrückliche Erklärung des Ausländers, dass er sich der Abschiebung entziehen will, ein Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr sein. Eine solche Erklärung liegt vor, wenn der Ausländer klar zum Ausdruck bringt, dass er nicht freiwillig in den in der Abschiebungsandrohung genannten Zielstaat reisen und sich vor allem auch nicht für eine behördliche Durchsetzung seiner Rückführung zur Verfügung halten würde (Senat, Beschluss vom - V ZB 53/17, FGPrax 2018, 135 Rn. 10). Die tatrichterliche Schlussfolgerung auf die Entziehungsabsicht unterliegt einer Rechtskontrolle nur dahin, ob die verfahrensfehlerfrei festgestellten Tatsachen eine solche Folgerung als möglich erscheinen lassen; mit der Rechtsbeschwerde kann nicht geltend gemacht werden, dass die Folgerungen des Tatrichters nicht zwingend seien oder dass eine andere Schlussfolgerung ebenso naheliegt (Senat, Beschluss vom - V ZB 53/17, aaO Rn. 11).

10bb) Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes ist die Schlussfolgerung des Beschwerdegerichts, der Betroffene habe ausdrücklich erklärt, sich der Abschiebung entziehen zu wollen, zu beanstanden. Seine Erklärung, er habe niemanden in Afghanistan, seine gesamte Familie lebe im Iran, besagt nur, dass der Betroffene eine Präferenz für den Iran als Aufenthaltsort hat. Hieraus lässt sich möglicherweise noch schließen, dass er nicht freiwillig nach Afghanistan ausreisen würde. Ohne weitere Nachfrage lässt sich aus der Äußerung aber nicht mit der für einen Haftgrund erforderlichen Sicherheit der Schluss ziehen, dass er sich einer zwangsweisen Abschiebung nach Afghanistan entziehen würde. Dass die Äußerung auf die Frage erfolgte, ob er sich einer Abschiebung stellen würde - hierauf stellt das Beschwerdegericht maßgeblich ab -, reicht für einen solchen Schluss nicht aus. Hinzu kommt, dass der Betroffene freiwillig bei der Ausländerbehörde erschienen ist und dort seinen Pass vorgelegt hat. Es bestehen daher auch keine Gesamtumstände, in deren Kontext die Aussage des Betroffenen im Sinne einer ausdrücklichen Erklärung, sich der Abschiebung entziehen zu wollen, zu verstehen sein könnte.

112. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Abschiebung des Betroffenen können die erforderlichen Feststellungen nicht mehr getroffen werden, da hierfür auch seine persönliche Anhörung zu dem Ergebnis der weiteren Sachaufklärung erforderlich wäre (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 39/15, juris Rn. 10 mwN; Beschluss vom - V ZB 226/17, juris Rn. 14).

123. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:130918BVZB151.17.0

Fundstelle(n):
WAAAH-04717