BAG Urteil v. - 4 AZR 488/17

Eingruppierung - korrigierende Rückgruppierung - Darlegungslast - Entgeltgruppe 9/10 Tarifvertrag Entgeltrahmenabkommen der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen (TV ERA NRW)

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Iserlohn Az: 2 Ca 488/16 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 4 Sa 1400/16 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die zutreffende tarifliche Eingruppierung des Klägers.

2Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metallindustrie. Sie ist auf dem Gebiet der Entwicklung, Herstellung, Lieferung und Reparatur von Zylinderkopfsystemen und anderen Komponenten für große Verbrennungsmotoren, wie sie in Schiffen, Lokomotiven, Kraftstationen oder Öl- und Gasanlagen eingesetzt werden, tätig.

3Der Kläger ist gelernter Werkzeugmacher und seit dem bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kraft einzelvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen Anwendung.

4Der Kläger wird von der Beklagten im Betriebsbereich MOT4 (Reparatur von Körben, Zylinderköpfen und Zweitaktkomponenten) eingesetzt und ist dort für den Wareneingang und Warenausgang zuständig. Er erhielt seit dem Vergütung nach der Entgeltgruppe 10 des Entgeltrahmenabkommens in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom (im Folgenden TV ERA NRW). Die Beklagte teilte dem Kläger die Eingruppierung mit der „Beschreibung und Bewertung von Arbeitsaufgaben“ mit, die mit Zustimmung des Betriebsrats am freigegeben wurde, in der es ua. heißt:

5Im Jahr 2012 wurde der Betriebsbereich MOT2 (Produktion von Neukörben) umstrukturiert und in den Betriebsbereich MOT4 integriert. Durch die Kombination der Ventilgehäusefertigungen beider Bereiche ergaben sich verschiedene Synergieeffekte. Vor diesem Hintergrund bewertete die Beklagte die Aufgaben der betroffenen Mitarbeiter im Jahr 2015 neu und passte die Aufgabenbeschreibungen entsprechend den zwischenzeitlich veränderten technischen Rahmenbedingungen an bzw. konzipierte sie neu. Der Arbeitsplatz des Klägers blieb unverändert.

6Mit Schreiben vom teilte die Beklagte dem Kläger mit, ihm werde ab dem eine neue Aufgabe mit der Aufgabenbeschreibung 111571 übertragen. Damit richte sich gemäß § 2 Tarifvertrag zur Entgeltsicherung in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom (im Folgenden TV EGS) ab dem sein Entgelt nach Entgeltgruppe 9 TV ERA NRW. Die Beschreibung und Bewertung seiner Aufgaben, die mit Zustimmung des Betriebsrats am abgeschlossen wurde, lautet hinsichtlich der Aufgabenbeschreibung und Bewertungsbegründungen nunmehr wie folgt:

7Mit Schreiben vom forderte der Kläger die Beklagte vergeblich auf, ihre Umgruppierungsentscheidung zu revidieren.

8Mit seiner Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm auch nach dem eine Vergütung nach Entgeltgruppe 10 TV ERA NRW zzgl. der persönlichen Leistungszulage zu zahlen. Hierzu hat er die Auffassung vertreten, der Beklagten sei eine Neubewertung seiner Tätigkeit versagt. Das sei aus § 4 TV ERA NRW zu schließen. Sein Tätigkeitsbereich und die Anforderungen an seine Tätigkeit hätten sich seit der Freigabe der Aufgabenbeschreibung vom nicht geändert. Hinsichtlich des Anforderungsmerkmals „Kooperation“ bedürfe es zur Erfüllung seiner Arbeitsaufgaben der regelmäßigen Kommunikation, Zusammenarbeit und Abstimmung mit anderen Mitarbeitern der Beklagten, so dass für das Anforderungsmerkmal weiterhin die Stufe 4 und der Punktwert 15 nach Anlage 1a zum TV ERA NRW in Ansatz zu bringen sei. Bei der Anlieferung und der Freigabe von zu reparierenden Motorteilen sei eine Kooperation und entsprechende Abstimmung mit den für die Arbeitsvorbereitung zuständigen Mitarbeitern erforderlich. Ferner müsse er sich ständig mit Vertriebsmitarbeitern abstimmen und mit diesen kooperieren, insbesondere bei Anlieferungen, die vom PC-System nicht erfasst seien. Wenn ein Teil, zB ein Ventil oder Zylinderkopf angeliefert werde, das nicht mehr reparabel sei, müsse er sich mit der Qualitätssicherung und der Arbeitsvorbereitung abstimmen. Er führe auch die anfallenden Prüfungen nicht lediglich anhand einer Checkliste durch, da immer wieder Schäden an ungewöhnlichen Stellen aufträten, weshalb Abstimmungen mit den Mitarbeitern in der Qualitätssicherung und in der Arbeitsvorbereitung erforderlich seien. Auch bei der Demontage neuer Werkzeuge und Vorrichtungen sei hinsichtlich der Vorgehensweise eine Absprache mit der Abteilung Technologie erforderlich. Bei der Kommunikation und Kooperation mit der Arbeitsvorbereitung, mit der Qualitätssicherung und dem Geschäftsbereichsleiter werde - auch auf der Grundlage seines Erfahrungswissens - diskutiert, was mit einem bestimmten Teil geschehen und ob und wie es repariert werden solle. Dies habe Auswirkungen auf die eigene Arbeitsausführung, aber auch auf die Aufgabenerfüllung anderer Mitarbeiter. Es gebe kein vordefiniertes Entscheidungsraster. Die betriebsweite Einführung des ProAlpha-Systems im Juli 2010 habe zu keiner Änderung der erforderlichen Abstimmungen und Kommunikation zwischen den Abteilungen geführt. Das Anforderungsmerkmal „Kooperation“ sei auch nach Einführung des Systems und der erfolgten Aufgabenbeschreibung und -bewertung vom mit Stufe 4 und dem Punktwert 15 berücksichtigt worden. Schließlich erfordere die Aufgabenerfüllung aufgrund der Vielfältigkeit der unterschiedlichen Komponenten auch eine Berufserfahrung von mehr als drei Jahren.

9Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt

10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat ausgeführt, aufgrund der Einführung des ProAlpha-Systems im Jahr 2011 habe sich der frühere Kommunikationsaufwand deutlich verringert. Deshalb sei die Tätigkeit des Klägers niedriger zu bewerten, was eine Verringerung seiner Vergütung nach § 3 TV EGS zur Folge habe. Aufwendige Abstimmungen zwischen den Abteilungen seien nicht mehr erforderlich. Vor der Einführung seien Wareneingänge auf Zuruf bearbeitet worden. Der Kläger habe dann mit Vertriebsmitarbeitern die Reihenfolge der eingegangenen Artikel abgestimmt. Mit der Einführung des ProAlpha-Systems seien diese Abstimmungen weggefallen. Seien Ventile oder Zylinderköpfe nicht mehr reparabel, werde dies im System erfasst; einer abteilungsübergreifenden Besprechung bedürfe es nicht mehr. Er müsse auch bei der Zerlegung der angelieferten Motorenteile und der Analyse der Schäden keinen Kontakt mehr zu Geschäftsbereichsleitern, der Fertigungsplanung und -steuerung oder der Qualitätssicherung aufnehmen, da der Reparaturvorgang systemseitig durch das RUBI- und durch das ProAlpha-System begleitet würde. Auch bei der Reparatur von neuen Produkten sei ein über das normale Maß an Kommunikation hinausgehender Austausch mit anderen Abteilungen nicht erforderlich. Die in der Aufgabenbeschreibung vom beschriebene Abstimmung bei Durchführung von Wartungsarbeiten erfordere allenfalls Absprachen mit dem Schichtverantwortlichen als fachlich Verantwortlichem. Die fragliche Teilaufgabe sei dahin zu verstehen, dass es zu den grundsätzlichen Aufgaben des Klägers gehöre, nach Inspektionsplan Wartungsarbeiten durchzuführen und kleinere Störungen zu beheben. Könne er das Problem oder die vorliegende Störung nicht eigenständig beheben, sei lediglich diese Information an den Schichtverantwortlichen weiterzugeben.

11Das Arbeitsgericht hat der Klage im noch streitigen Umfang stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

12Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern. Mit der vom Landesarbeitsgericht erfolgten Begründung konnte die Klage nicht abgewiesen werden. Da es für eine abschließende Entscheidung des Senats an Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts fehlt, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Mit seinem zuletzt gestellten Antrag begehrt der Kläger die Feststellung, dass er auch weiterhin in die Entgeltgruppe 10 TV ERA NRW eingruppiert ist und die Beklagte ihn danach zu vergüten hat. Dabei handelt es sich um einen - leicht modifizierten - Eingruppierungsfeststellungsantrag ( - Rn. 13), der auch gegenüber der Beklagten als einem privatwirtschaftlichen Unternehmen zulässig ist (st. Rspr., siehe nur  - Rn. 13).

14II. Mit der vom Berufungsgericht gewählten Begründung durfte die Klage nicht abgewiesen werden. Ob die Klage begründet ist, kann der Senat auf Grundlage der vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tatsachen nicht abschließend entscheiden.

151. Aufgrund der einzelvertraglichen Vereinbarung richten sich das Arbeitsverhältnis und damit auch die Eingruppierung des Klägers nach den Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens. Die maßgeblichen tariflichen Bestimmungen haben - soweit für das vorliegende Verfahren von Interesse - folgenden Wortlaut:

162. Das Landesarbeitsgericht hat den Feststellungsantrag als unbegründet abgewiesen. Es sei nicht festzustellen, dass der Kläger unter Beachtung der tariflichen Anforderungsmerkmale in die Entgeltgruppe 10 gemäß § 2 Nr. 2 TV ERA NRW eingruppiert sei. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fänden kraft einzelvertraglicher Bezugnahme die tariflichen Bestimmungen der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens Anwendung und damit auch das Entgeltrahmenabkommen vom . Nach § 2 Nr. 3 TV ERA NRW sei Grundlage der Eingruppierung des Beschäftigten die Einstufung der übertragenen und auszuführenden Arbeitsaufgabe. Dies geschehe anhand des Punktbewertungsverfahrens gemäß § 3 TV ERA NRW nach den dort benannten Anforderungsmerkmalen.

17Der Kläger habe auf der Grundlage dieses Punktbewertungsverfahrens zum einen keine Tatsachen vorgetragen, die einen Schluss darauf zugelassen hätten, dass er für die ihm übertragene Arbeitsaufgabe Berufserfahrungen von mehr als drei Jahren benötige, so dass für das Anforderungsmerkmal 1 „Können“ gemäß § 3 Nr. 1 iVm. Ziffer 1.3 der Anlage 1a TV ERA NRW Stufe 2 in Ansatz zu bringen sei. Zum anderen habe die Kammer ebenfalls nicht festzustellen vermocht, dass der Kläger zur Erfüllung der ihm übertragenen Aufgabe sich zumindest gelegentlich mit anderen Stellen im tariflichen Sinne abstimmen müsse und das Anforderungsmerkmal 3 „Kooperation“ gemäß § 3 Nr. 1 iVm. Ziffer 3 der Anlage 1a TV ERA NRW zumindest mit Stufe 3 und somit zehn Wertpunkten zu berücksichtigen sei. Die vom Kläger hierzu vorgetragenen Tatsachen hätten vielmehr den Schluss zugelassen, die Aufgabenerfüllung sei nicht über die formale Weitergabe oder Entgegennahme von Informationen oder Absprachen hinausgegangen.

18Schließlich könne die Beklagte die korrigierende Eingruppierung auch im Jahr 2015 zeitlich nach Einführung des ProAlpha-Systems vornehmen. Gemäß § 2 Nr. 6 TV ERA NRW könne eine Neueingruppierung des Beschäftigten zum einen dann erfolgen, wenn der Beschäftigte dauerhaft eine niedriger bewertete Tätigkeit über sechs Monate hinaus ausübe. Diese Bestimmung verweise im Übrigen auf den Tarifvertrag zur Entgeltsicherung vom , woraus sich ergebe, dass der Arbeitgeber zum anderen in den dort beschriebenen Fällen seinerseits eine Korrektur der tariflichen Eingruppierung vornehmen könne. Nach dem Vortrag der Beklagten hätten sich durch die Einführung des ProAlpha-Systems die Anforderungen hinsichtlich des Merkmals „Kooperation“ in Bezug auf das Erfordernis der regelmäßigen oder zumindest gelegentlichen Abstimmung dauerhaft verändert. Diesem Vortrag sei der Kläger nicht hinreichend entgegengetreten. Unabhängig davon, ob diese Änderung als technische oder organisatorische Änderung zu begreifen sei, seien die Voraussetzungen des § 3 TV EGS erfüllt. Mit Ablauf des 12-Monatszeitraums der Entgeltsicherung sei der Kläger nicht (mehr) nach der Entgeltgruppe 10 TV ERA NRW zu vergüten.

193. Diese Auffassung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht hat schon die maßgebende Darlegungslast verkannt. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils.

20a) Bei einer Eingruppierungsfeststellungsklage, mit der der klagende Arbeitnehmer feststellen lassen will, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, ihn nach einer höheren Entgeltgruppe zu vergüten als ihm nach Auffassung des Arbeitgebers zusteht, richtet sich die Darlegungslast nach folgenden Grundsätzen.

21aa) Übt der Arbeitnehmer eine bestimmte Tätigkeit aus und wird nach einer bestimmten tariflichen Entgeltgruppe vergütet, vertritt er aber die Auffassung, dass seine Tätigkeit die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals einer höheren Entgeltgruppe erfüllt, obliegt es ihm, die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür darzulegen (st. Rspr., grdl.  - BAGE 34, 158).

22bb) Anderes gilt bei einer sog. korrigierenden Rückgruppierung. Verrichtet ein Arbeitnehmer eine bestimmte Tätigkeit und hält der Arbeitgeber, der ihn nach einer - zunächst - für zutreffend gehaltenen Eingruppierung vergütet hat, aufgrund einer Überprüfung diese Entgeltgruppe für fehlerhaft zu hoch, kann er eine korrigierende Rückgruppierung vornehmen. Für die objektive Fehlerhaftigkeit der bisherigen und die tatsächlichen Voraussetzungen der Richtigkeit der „neuen“ niedrigeren Eingruppierung bei unveränderter Tätigkeit ist dann der Arbeitgeber darlegungsbelastet (zB  - Rn. 18 mwN).

23cc) Wird dem Arbeitnehmer dagegen eine neue - abweichend zu bewertende - Tätigkeit zugewiesen und vom Arbeitgeber mit einer bestimmten Entgeltgruppe tariflich bewertet, ist wiederum der Arbeitnehmer darlegungspflichtig, wenn er meint, diese Eingruppierung sei zu niedrig und eine höhere Entgeltgruppe sei zutreffend.

24b) Das Landesarbeitsgericht hat die Darlegungslast für die Richtigkeit der von ihm begehrten Entgeltgruppe 10 TV ERA NRW dem Kläger zugewiesen und seine Abweisung der Klage letztlich damit begründet, dass er dieser Darlegungslast nicht nachgekommen sei. Voraussetzung hierfür wäre aber gewesen, dass keine korrigierende Rückgruppierung vorliegt, sondern der Kläger gegenüber der ursprünglichen Eingruppierung bei unveränderter Tätigkeit eine höhere Entgeltgruppe verlangt oder dass ihm eine neue Tätigkeit zugewiesen worden ist, die die Beklagte niedriger bewertet als der Kläger. Dies hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt; im Gegenteil ist es selbst von einer „korrigierenden Eingruppierung“ und „Neubewertung“ (UA S. 16) ausgegangen und hat die Revision gegen sein Urteil auf die „höchstrichterlich noch nicht geklärte Frage, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber nach ERA berechtigt ist, eine korrigierende Rückgruppierung vorzunehmen“ (UA S. 17), gestützt. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Berufungsurteils.

254. Ob die Klage begründet ist, kann der Senat aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht selbst entscheiden. Die Sache war deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

26a) Es steht nicht fest, ob der Kläger dieselbe Tätigkeit im tariflichen Sinne ausübt wie zur Zeit der vorangegangenen Eingruppierungsentscheidung, auf deren Grundlage er bis zum vergütet wurde. Die Parteien sind sich zwar darüber einig, dass die Bewertung der Tätigkeit des Klägers auf der Grundlage der „Beschreibung und Bewertung von Arbeitsaufgaben“ vorgenommen wurde, die mit Zustimmung des Betriebsrats am freigegeben wurde und mit der Zuordnung zur Entgeltgruppe 10 TV ERA NRW endete. Anlass für die von der Beklagten mit Schreiben vom mitgeteilte Eingruppierung in der Entgeltgruppe 9 TV ERA NRW muss daher entweder eine zwischenzeitliche Änderung der tariflich zu bewertenden Tätigkeit und deren Zuordnung zu einer geringerwertigen Entgeltgruppe oder eine Neubewertung der bisherigen Tätigkeit des Klägers sein. Ob eine und ggf. welche dieser Konstellationen vorliegt, kann nach den Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht beurteilt werden.

27aa) Es könnte eine Änderung der Tätigkeit mit erforderlicher Neueingruppierung vorliegen.

28(1) Von Bedeutung für die Eingruppierung ist die Änderung einer Tätigkeit dann, wenn sie die tarifliche Bewertung berührt. Grundlage der Eingruppierung des Beschäftigten ist die Einstufung der ihm übertragenen und von ihm auszuführenden Arbeitsaufgabe (§ 2 Nr. 3 TV ERA NRW). Bei der vorübergehenden Ausübung höherwertiger Tätigkeiten steht dem Arbeitnehmer nach vier Wochen ein höheres Entgelt zu; nach sechs Monaten muss eine Neueingruppierung erfolgen (§ 2 Nr. 5 TV ERA NRW). Wird dem Arbeitnehmer dagegen eine niedriger bewertete Tätigkeit übertragen, vermindert sich sein Entgelt nicht. Eine Ausübung dieser niedriger bewerteten Tätigkeit über mehr als sechs Monate setzt allerdings eine Vertragsänderung durch Vereinbarung oder Änderungskündigung voraus und führt zu einer Neueingruppierung (§ 2 Nr. 6 TV ERA NRW).

29(2) Damit definiert der Tarifvertrag jede Änderung des Arbeitsablaufs - durch welche Umstände auch immer bedingt -, die mit einer Änderung der Wertigkeit der Arbeitsaufgabe verbunden ist und im Ergebnis zu einer niedrigeren tariflichen Bewertung führt, als „Übertragung einer niedriger bewerteten Tätigkeit“ im Tarifsinne. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es daher tariflich nicht möglich, eine Neueingruppierung „nach unten“ vorzunehmen, wenn sich aufgrund technischer Neuerungen die Anforderungen an die Durchführung der bisherigen Arbeitsaufgabe ändern und sich diese als geringerwertig im tariflichen Sinne erweisen, ohne dass das in § 2 Nr. 6 TV ERA NRW vorgesehene Verfahren einer Vertragsänderung nach spätestens sechs Monaten eingehalten wird. Daher können auch vergleichsweise geringe Änderungen im Arbeitsablauf eine solche Vertragsänderung erforderlich machen, wenn gerade durch sie eines der in § 3 Nr. 1 TV ERA NRW genannten Anforderungsmerkmale so verändert wird, dass sich dies beim Punktbewertungsverfahren nach § 3 TV ERA NRW im Ergebnis in einer Zuordnung zu einer niedrigeren Entgeltgruppe auswirkt.

30(3) Dies könnte vorliegend der Fall sein. Wenn der Kläger die in der „Aufgabenbeschreibung“ vom angegebenen Tätigkeiten tatsächlich ausübt und die hierzu vorgenommene tarifliche Bewertung durch das Landesarbeitsgericht zutreffend sein sollte, handelte es sich um eine niedriger bewertete Tätigkeit. Dies setzte aber die Vertragsänderung durch eine Vereinbarung oder eine Änderungskündigung voraus (§ 2 Nr. 6 TV ERA NRW). Hierzu gibt es keine Feststellungen des Landesarbeitsgerichts.

31(4) Dem steht - anders als die Beklagte meint - § 3 TV EGS nicht entgegen. Die §§ 2 und 3 TV EGS regeln spezielle Rechtsfolgen für den Fall einer Entgeltverringerung. § 2 TV EGS behandelt die Konstellation der Zuweisung eines geringer bezahlten „Arbeitsplatzes“, § 3 TV EGS die Verringerung des Entgelts als Folge einer Änderung der Anforderungen an einem Arbeitsplatz aufgrund technischer oder organisatorischer Maßnahmen. Liegen die Voraussetzungen einer solchen Entgeltverringerung nach erfolgter Herabgruppierung vor, gelten für den betroffenen Arbeitnehmer besondere Besitzstandsbestimmungen, die in §§ 2 und 3 TV EGS geregelt sind. Die Herabgruppierung bzw. die dieser folgende Entgeltverringerung ist daher Tatbestandsmerkmal der Regelungen, nicht deren Rechtsfolge. Sie ist ihrer Anwendung vorausgesetzt. Ihre Zulässigkeit im Einzelnen bestimmt sich ausschließlich nach § 2 Nr. 6 TV ERA NRW (vgl. dazu oben II 4 a aa (1) und (2)). Ob dessen Voraussetzungen vorliegend gegeben sind, ist vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

32bb) Grundsätzlich wäre auch eine „Neubewertung“ der bisherigen Tätigkeit und eine daraus resultierende korrigierende Rückgruppierung möglich, wenn die tarifliche Bewertung des Klägers bereits im Jahre 2010 fehlerhaft gewesen wäre. Dagegen spricht allerdings, dass die Beklagte sich nicht hinreichend klar gegen die Richtigkeit der ursprünglichen Bewertung der Tätigkeit zum Stichtag gewandt, sondern sich auf die Einführung der neuen Software „ProAlpha“ und die betriebliche Umstrukturierung berufen hat. Dabei ist das genaue Datum der Einführung von „ProAlpha“ nicht festgestellt. Wäre diese erst nach dem erfolgt, wären die möglichen Auswirkungen in eingruppierungsrechtlicher Hinsicht einer neuen Tätigkeit zuzuordnen. Aber auch bei Einführung vor dem wäre zu prüfen, ob der diesbezügliche Klägervortrag zutreffend ist, wonach sie schon der damaligen Bewertung zugrunde gelegen hat. Dies spräche für eine korrigierende Rückgruppierung mit der Folge der Übertragung der Darlegungslast auf die Beklagte. Soweit sich diese allerdings auf die Integration des Betriebsbereichs MOT2, in dem der Kläger tätig war, in den Betriebsbereich MOT4 beruft, ist aufgrund der Bezugnahme im Tatbestand des Berufungsurteils davon auszugehen, dass dieser Vorgang erst im Jahr 2012 stattgefunden hat, was wiederum im Ergebnis für eine neue Tätigkeit des Klägers spräche.

33b) Demgemäß wird das Landesarbeitsgericht zunächst festzustellen haben, ob der Kläger ab Juni 2016 dieselbe Tätigkeit im tariflichen Sinne ausübt wie seit November 2010 und ob und ggf. wann Veränderungen eingetreten sind. Sollte es sich um eine Änderung der Tätigkeit mit einer erforderlichen - niedrigeren - Neueingruppierung handeln, wird es prüfen müssen, ob die Parteien eine Änderungsvereinbarung geschlossen haben oder die Beklagte eine Änderungskündigung erklärt hat.

34Es ist aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und seiner Begründung zur Revisionszulassung auch nicht auszuschließen, dass ein Fall der sog. korrigierenden Rückgruppierung vorliegt, zu dem dann die Beklagte noch näher vorzutragen hätte. Allerdings müsste die Beklagte in diesem Zusammenhang auch die Zweifel ausräumen, die aufgrund ihrer bisherigen Einlassungen entstanden sein könnten, weil sie sich bisher nicht gegen die ursprüngliche Bewertung der Tätigkeit zum Stichtag gewandt, sondern sich vor allem auf die Einführung des neuen Softwaresystems „ProAlpha“, dessen Einführungsdatum bzw. -zeitraum auch nicht genau feststeht, und die betriebliche Umstrukturierung in dem Betriebsbereich MOT2 und MOT4 aus dem Jahr 2012 berufen hat. Wäre auch die - technische - Veränderung erst nach dem erfolgt, spräche alles für eine in eingruppierungsrechtlicher Hinsicht neue, veränderte Tätigkeit mit den og. Konsequenzen. Sollte hingegen die Einführung der technischen Veränderungen und Umstrukturierungen bereits vor dem erfolgt sein, wäre der Vortrag des Klägers näher zu prüfen, dass bei der Bewertung seiner Tätigkeit diese „Neuerungen“ zugrunde gelegt worden seien, was ggf. für eine „korrigierende Rückgruppierung“ sprechen könnte. Dann müsste der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) Gelegenheit gegeben werden, die ihr danach obliegende Darlegungslast zu erfüllen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2018:110718.U.4AZR488.17.0

Fundstelle(n):
CAAAH-00133