Berücksichtigung von spontanen Einlassungen des Angeklagten
Gesetze: § 261 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO
Instanzenzug: LG Lübeck Az: 1 Ks 13/16
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz und mit Führen einer Schusswaffe zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge der Verletzung von § 261 StPO Erfolg.
21. Die Revision beanstandet mit der Inbegriffsrüge, dass das Landgericht in seiner Beweiswürdigung davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe in der Hauptverhandlung keine Angaben gemacht (UA S. 17, 19), obwohl er sich am fünften Hauptverhandlungstag vom und am sechsten Hauptverhandlungstag vom während der Vernehmungen der Zeuginnen M. und E. jeweils „spontan zur Sache äußerte“. Eine diesbezügliche Einlassung zur Sache ist durch die entsprechenden Formulierungen im Hauptverhandlungsprotokoll, das keine Berichtigung erfahren hat, im Sinne des § 274 StPO bewiesen.
32. Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben. Das Revisionsvorbringen genügt dem Erfordernis des vollständigen Tatsachenvortrags im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
4Der Inhalt der Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung gehört nicht zu den diesen Verfahrensmangel begründenden Tatsachen und musste deshalb in der Revisionsrechtfertigung nicht vorgetragen werden (vgl. , NStZ 2015, 473; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 267 Rn. 12). Das Tatgericht hat stets selbst in den Urteilsgründen den Inhalt der Sacheinlassung eines Angeklagten in der Hauptverhandlung festzustellen und damit auch Umfang und Inhalt der weiteren beweiswürdigenden Darlegungen zu bestimmen (vgl. BGH, aaO; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO). Dies gilt unabhängig davon, in welcher Form und mit welchem Inhalt die Einlassung erfolgt ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 516/08, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Einlassung 1; vom - 4 StR 142/17, NStZ 2018, 113). Daher begründet auch die Besonderheit, dass der Angeklagte sich jeweils spontan äußerte, keine höheren Anforderungen an die Vortragspflicht zu einer Einlassung zur Sache.
53. Die Rüge ist auch begründet. Zu der Tatsache, dass sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom und vom zur Sache eingelassen hat, stehen die Urteilsgründe in Widerspruch. Die Nichtberücksichtigung der nach dem Protokoll bewiesenen Einlassung des Angeklagten verstößt gegen § 261 StPO (vgl. LR/Sander, StPO 26. Aufl., § 261 Rn. 176).
6Der Senat kann trotz der im Übrigen sorgfältigen und umfassenden Beweiswürdigung nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Verstoß gegen § 261 StPO beruht. Wegen des Verbots, den Inhalt der Hauptverhandlung zu rekonstruieren, ist der Inhalt der Einlassung des Angeklagten über deren Wiedergabe im Urteil hinaus der revisionsgerichtlichen Prüfung nicht zugänglich (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 204/07, StV 2008, 235, 236; vom - 3 StR 6/08, BGHSt 52, 175, 180; vom - 3 StR 516/08, aaO; vom - 1 StR 242/17, BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 52; vom - 4 StR 142/17, aaO). Dem Senat ist es mithin verwehrt, Überlegungen darüber anzustellen, inwieweit es sich bei den Spontaneinlassungen lediglich um eine bloße Unmutsäußerung des Angeklagten, wie sie die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft für die Hauptverhandlung vom mitteilt, oder um Zwischenrufe gehandelt haben könnte, mit denen Aussagen von Zeuginnen gewertet wurden, die - nach den Urteilsgründen naheliegend - keine Angaben zum konkreten Tatvorwurf gemacht haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:150818U5STR160.18.0
Fundstelle(n):
MAAAG-99821