Anforderungen an eine entsprechende Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG
Leitsatz
1. Eine neben dem gymnasialen Unterricht durchgeführte berufsspezifische Zusatzausbildung ist jedenfalls bei dem im Rahmen der Entsprechensprüfung des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG vorzunehmenden Vergleich des Lehrstoffs zu berücksichtigen.
2. Eine solche Zusatzausbildung kann die Wahl einer auswärtigen Ausbildungsstätte rechtfertigen, wenn sie der förderungsfähigen auswärtigen Ausbildungsstätte zuzurechnen und objektiv geeignet ist, den künftigen beruflichen Werdegang des Auszubildenden erheblich zu fördern.
Gesetze: § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 BAföG, § 2 Abs 1a S 1 Nr 1 BAföG, § 7 Abs 1 S 1 BAföG
Instanzenzug: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Az: 12 S 2630/15 Urteilvorgehend VG Sigmaringen Az: 1 K 371/15 Urteil
Tatbestand
1Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für den Besuch der 10. Klasse eines Gymnasiums Ausbildungsförderung ("Schüler-BAföG") beanspruchen kann.
2Die Klägerin, deren Mutter in T. lebt, hatte im streitgegenständlichen Zeitraum ihren ständigen Wohnsitz bei ihrem Vater in R. Seit der 8. Klasse besuchte sie die von der Wohnung des Vaters rund 90 km entfernt liegende Heimschule K. in W. Mit Beginn der 9. Klasse nahm die Klägerin parallel zum gymnasialen Unterricht an einer von der Heimschule angebotenen handwerklichen Ausbildung zur Holzbildhauerin teil, die auf den Erwerb des Gesellenbriefs ausgerichtet ist. Während der Unterrichtszeit war die Klägerin in dem der Schule angeschlossenen Internat untergebracht.
3Den von der Klägerin gestellten Antrag, ihr für den Besuch der 10. Klasse im Schuljahr 2014/2015 Ausbildungsförderung zu bewilligen, lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, von der Wohnung des Vaters sei in Gestalt des Katholischen Freien Gymnasiums S. eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte erreichbar.
4Die von der Klägerin nach Zurückweisung des Widerspruchs erhobene Verpflichtungsklage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
5Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch auf Ausbildungsförderung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG scheitere am Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG, da das von der Wohnung des Vaters mit öffentlichen Verkehrsmitteln ohne Umsteigen in etwa 20 Minuten erreichbare Katholische Freie Gymnasium S. eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte sei. Der Annahme einer entsprechenden Ausbildungsstätte stehe insbesondere nicht entgegen, dass die Klägerin an diesem Gymnasium keine Ausbildung zur Holzbildhauerin absolvieren könne. Diese Zusatzausbildung dürfe nicht berücksichtigt werden, weil sie nicht in einem wesensmäßigen Zusammenhang mit der Ausbildung selbst und damit dem ausbildungsförderungsrechtlich relevanten Ausbildungsziel stünde. Denn das ausbildungsförderungsrechtlich relevante Ausbildungsziel der Klägerin bestehe in der Erlangung der Allgemeinen Hochschulreife unter Berücksichtigung eines naturwissenschaftlichen Profils mit Latein. Dieses werde durch einen Wechsel auf das Gymnasium S. nicht gefährdet. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Sie rügt eine Verletzung des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG unter dem Gesichtspunkt der entsprechenden Ausbildungsstätte.
6Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Gründe
7Die Revision der Klägerin ist begründet. Die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, die Möglichkeit, an der tatsächlich besuchten Schule neben der gymnasialen Ausbildung eine handwerkliche Ausbildung zu absolvieren, könne bei dem Merkmal der entsprechenden Ausbildungsstätte im Sinne von § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 des Bundesgesetzes über die individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG) vom (BGBl. I S. 1952), für den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom (BGBl. I S. 2475), nicht berücksichtigt werden, weil nur das mit der gymnasialen Ausbildung angestrebte Ziel der Allgemeinen Hochschulreife ausbildungsförderungsrechtlich relevant sei, steht mit Bundesrecht nicht in Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
81. Der Verwaltungsgerichtshof hat einen Anspruch der Klägerin auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für den streitigen Zeitraum zu Unrecht abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG als der allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage sind erfüllt. Danach wird Ausbildungsförderung für die weiterführende allgemeinbildende und zumindest für drei Schul- oder Studienjahre berufsbildender Ausbildung im Sinne der §§ 2 und 3 bis zu einem daran anschließenden berufsqualifizierenden Abschluss geleistet. Der so umschriebene Grundanspruch auf Ausbildungsförderung erfordert - soweit hier von Interesse -, dass die Ausbildung, für die eine Förderung beantragt wird, an einer Einrichtung stattfindet, die sich einer der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG aufgezählten Schulgattungen zuordnen lässt. Dabei handelt es sich um weiterführende allgemeinbildende Schulen und Berufsfachschulen, einschließlich der Klassen aller Formen der beruflichen Grundbildung, ab Klasse 10 sowie von Fach- und Fachoberschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt. Für den Besuch dieser Ausbildungsstätten wird gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG nur dann Ausbildungsförderung geleistet, wenn der Auszubildende die Voraussetzungen des Absatzes 1a erfüllt. Nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG ist somit erforderlich, dass der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohnt und von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar ist. Zudem muss die Ausbildung an einer öffentlichen Einrichtung - mit Ausnahme nichtstaatlicher Hochschulen - oder einer genehmigten Ersatzschule durchgeführt werden (§ 2 Abs. 1 Satz 3 BAföG).
9Die Beteiligten streiten - wie mit ihnen in der mündlichen Verhandlung erörtert - im Revisionsverfahren allein noch über das Vorliegen der Voraussetzung der entsprechenden Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG. Dabei konzentriert sich ihr Streit auf die Frage, ob die an der Heimschule K. angebotene und von der Klägerin wahrgenommene handwerkliche Ausbildung bei dem vorzunehmenden Vergleich der Ausbildungsstätten berücksichtigt werden darf und die Annahme rechtfertigt, dass das Katholische Freie Gymnasium S. keine entsprechende Ausbildungsstätte ist. Das ist - entgegen der Ansicht des Beklagten und des Verwaltungsgerichtshofs - zu bejahen. Der Umstand, dass an dem besuchten wohnortfernen Gymnasium eine handwerkliche Ausbildung angeboten und wahrgenommen wird, ist ein bei dem Merkmal der entsprechenden Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG zu berücksichtigender Gesichtspunkt (a). Eine solche Zusatzausbildung kann ein ausbildungsförderungsrechtlich beachtlicher Rechtfertigungsgrund für die auswärtige Unterbringung sein (b). So ist es auch hier (c).
10a) Die Möglichkeit, an einer weiterführenden allgemeinbildenden Schule eine handwerkliche Ausbildung zu absolvieren, ist ein objektiver Umstand, der als solcher dem Merkmal der entsprechenden Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG zuzuordnen ist. Das ergibt sich aus der Abgrenzung des Erfordernisses einer entsprechenden Ausbildungsstätte von dem Erfordernis einer zumutbaren Ausbildungsstätte.
11Der Begriff "zumutbar" im Sinne der vorgenannten Vorschrift besitzt entsprechend seines allgemeinen Wortsinns eine subjektive Ausrichtung. Demzufolge ist das Merkmal der zumutbaren Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG in den Fällen zu erörtern, in denen der Besuch einer auswärtigen Schule auf subjektive, in der Person des Auszubildenden liegende Gründe gestützt wird. In Abgrenzung dazu bezieht sich der Begriff der entsprechenden Ausbildungsstätte auf objektive Umstände.
12Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, in der bisher zwei Fallkonstellationen unter dem Merkmal der zumutbaren Ausbildungsstätte behandelt wurden. So wurde das Merkmal zum einen in Anlehnung an die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. VI/1975 S. 27) in den Fällen als einschlägig angesehen, in denen das besuchte auswärtige Gymnasium und das in Betracht kommende wohnortnahe Gymnasium unterschiedliche weltanschauliche oder konfessionelle Prägungen aufwiesen (vgl. 5 C 49.77 - BVerwGE 57, 198 <200 f.> und vom - 5 C 9.85 - Buchholz 436.36 § 12 BAföG Nr. 16 S. 9). Damit wurde auf innere Haltungen des Auszubildenden zu dieser jeweiligen Ausrichtung abgestellt, auch wenn sich die weltanschauliche oder konfessionelle Ausrichtung der jeweiligen Ausbildungsstätte als objektive Gegebenheit darstellen muss. Zum anderen wurde das Merkmal der Zumutbarkeit in den Fällen als einschlägig erachtet, in denen die Ausbildung auf ihren Abschluss hin schon weitgehend fortgeschritten war, so dass der Wechsel der Ausbildungsstätte wegen der damit für den Auszubildenden stets verbundenen Umstellungs- und Eingewöhnungsschwierigkeiten zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Ausbildung geführt hätte (vgl. 5 C 49.77 - BVerwGE 57, 198 <202 f.> und vom - 5 C 9.85 - Buchholz 436.36 § 12 BAföG Nr. 16 S. 9 f. sowie Beschluss vom - 5 B 177.95 - juris Rn. 5). Auch Umstellungs- und Eingewöhnungsschwierigkeiten nehmen die persönlichen, subjektiv ausgerichteten Umstände des Auszubildenden (beispielsweise sein Anpassungsvermögen oder seine <soziale> Kontaktfähigkeit) in den Blick.
13b) Die parallel zum gymnasialen Unterricht angebotene und durchgeführte handwerkliche Ausbildung ist in den Vergleich der Ausbildungsstätten zumindest hinsichtlich des dort jeweils vermittelten Lehrstoffs einzubeziehen (aa). Sie rechtfertigt unter bestimmten Voraussetzungen die Annahme, dass die von der Wohnung der Eltern aus erreichbare Ausbildungsstätte nicht als eine im Sinne des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG entsprechende Ausbildungsstätte anzusehen ist (bb).
14aa) Eine neben dem gymnasialen Unterricht durchgeführte berufsspezifische Zusatzausbildung ist jedenfalls bei dem im Rahmen der Entsprechensprüfung des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG vorzunehmenden Vergleich des Lehrstoffs zu berücksichtigen.
15Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei der Entsprechensprüfung des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG nur ausbildungsbezogene Gründe zu beachten. Das sind Gründe, die in einem wesensmäßigen Zusammenhang mit der Ausbildung selbst stehen, also einen unmittelbaren Bezug zur Ausbildung aufweisen. Eine der tatsächlich besuchten Ausbildungsstätte entsprechende Ausbildungsstätte ist nicht vorhanden, wenn die von der Wohnung der Eltern aus erreichbare Ausbildungsstätte nach Lehrstoff und Bildungsgang nicht zu dem angestrebten Ausbildungs- und Erziehungsziel führt oder wenn sonstige ausbildungsbezogene Gesichtspunkte die Wahl einer auswärtigen Ausbildungsstätte rechtfertigen können (vgl. etwa 5 C 43.75 - BVerwGE 51, 354 <356>; vom - 5 C 11.86 - Buchholz 436.36 § 68 BAföG Nr. 12 S. 13 und vom - 11 C 2.92 - Buchholz 436.36 § 8 BAföG Nr. 8 S. 4, jeweils m.w.N.). Für eine entsprechende Ausbildungsstätte reicht es mithin nicht aus, dass der Besuch der wohnortnahen Schule zu demselben Ausbildungsabschluss wie die wohnortferne Schule führt (vgl. 5 B 177.95 - juris Rn. 4). Zu berücksichtigen sind vielmehr auch Entsprechungen in Lehrstoff und Bildungsgang sowie das Fehlen sonstiger erheblicher ausbildungsbezogener Unterschiede. Hier weisen die zu vergleichenden Gymnasien jedenfalls im Hinblick auf den Lehrstoff erhebliche Unterschiede auf.
16Der Begriff des Lehrstoffs ist dabei zunächst empirisch zu betrachten. Er erfasst die an den zu vergleichenden Ausbildungsstätten tatsächlich gelehrten theoretischen Inhalte sowie die dort vermittelten praktischen Fertigkeiten und Kenntnisse. Soweit die theoretischen und praktischen Lehr- bzw. Lerninhalte der Ausbildung zugehören, die einer Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 BAföG die Förderungsfähigkeit verleiht, ist der für die Förderung vorausgesetzte unmittelbare Ausbildungsbezug ohne Weiteres zu bejahen. Der erforderliche wesensmäßige Zusammenhang zwischen Lehrstoff und Ausbildung kann aber auch bei tatsächlich vermittelten Lerninhalten jenseits der förderungsfähigen Ausbildung gegeben sein.
17Die Erstreckung des Begriffs des Lehrstoffs auf von dem Auszubildenden wahrgenommene Zusatzausbildungen trägt der in den Förderungsgrundsätzen des § 1 BAföG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Leitvorstellung Rechnung. Danach wird dem Auszubildenden ein Anspruch auf individuelle Ausbildungsförderung für eine seiner Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung eingeräumt. Alle drei Kriterien werden dabei gleichrangig nebeneinander gestellt (vgl. BT-Drs. VI/1975 S. 20). Im Einklang damit ist der im Rahmen der Entsprechensprüfung des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG anzustellende Vergleich des Lehrstoffs unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Ausbildungsangebote zu erstrecken, die über den üblichen Fächerkanon der förderungsfähigen Ausbildung hinausgehen und gegebenenfalls für sich betrachtet keine Förderungsfähigkeit nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zu begründen vermögen. Denn der übliche Fächerkanon der förderungsfähigen Ausbildung bildet nicht zwangsläufig alle individuellen Neigungen und Begabungen ab.
18Dieses Begriffsverständnis entspricht dem Zweck des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG. Die Vorschrift dient dazu, die Förderung von Schülern bis zum Erwerb eines allgemeinbildenden Abschlusses zu begrenzen. Diese sollen nur im Falle einer besonderen Unterhaltsbelastung der Familie in den vom Förderungsbereich des Bundesausbildungsförderungsgesetzes erfassten Personenkreis einbezogen werden. Denn die Ausbildungsfinanzierung bis zum Abschluss der Allgemeinbildung ist eine originäre Aufgabe der Eltern. Der objektive Rechtfertigungsgrund für ein Abweichen von diesem Grundsatz besteht in der notwendigen Unterbringung außerhalb des Elternhauses, weil dem Schüler von der elterlichen Wohnung aus eine seiner Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung nicht zugänglich ist. Mit der Gewährung von Ausbildungsförderung an Schüler ab Klasse 10 wird die erhöhte Unterhaltsbelastung der Eltern ausgeglichen, die deshalb entsteht, weil deren Wunsch zur Erlangung einer solchen Ausbildung ausnahmsweise nur außerhalb des Elternhauses verwirklicht werden kann (vgl. 5 C 3.88 - Buchholz 436.36 § 68 BAföG Nr. 11 S. 10 f.; vom - 5 C 23.98 - Buchholz 436.36 § 2 BAföG Nr. 26 S. 4 und vom - 5 C 4.14 - Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 126 Rn. 21 unter Bezugnahme auf BT-DRS. 11/5961 S. 15). Aus der Anknüpfung an den Anspruch auf eine insbesondere neigungsgerechte Ausbildung ist wertend zu folgern, dass eine Reduzierung des zu vergleichenden Lehrstoffs auf die förderungsfähige Ausbildung nicht geboten ist. Es macht für den bezweckten Ausgleich unterschiedlicher Unterhaltsbelastungen unter Wertungsgesichtspunkten keinen Unterschied, ob die Notwendigkeit der auswärtigen Unterbringung darauf zurückzuführen ist, dass eine neigungsgerechte Ausbildung an der wohnortnahen Schule nicht betrieben werden kann, weil die förderungsfähigen Ausbildungen nicht vergleichbar sind oder weil an der wohnortnahen Schule eine bestimmte Zusatzausbildung nicht angeboten wird. In beiden Fällen bedarf ein Schüler, dessen Eltern ihm eine auswärtige Unterbringung nicht aus eigenen finanziellen Mitteln zu eröffnen vermögen, der Gewährung von Ausbildungsförderung, um seinen Anspruch auf eine neigungsgerechte Ausbildung realisieren zu können.
19Die Einbeziehung zusätzlicher, über den üblichen Fächerkanon hinausgehender Ausbildungsangebote in die Vergleichsbetrachtung erweist sich als konsequente Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur förderungsrechtlichen Beachtlichkeit eines vom Auszubildenden im Rahmen der förderungsfähigen Ausbildung gewählten inhaltlichen Schwerpunktes. Danach sind Gymnasien nach Lehrstoff und Lehrinhalten verschieden, wenn sie nicht dem gleichen Gymnasialtyp (z.B. altsprachliches, neusprachliches oder mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium) zuzuordnen sind (vgl. 5 C 1.78 - BVerwGE 57, 204 <209> und vom - 5 C 43.79 - Buchholz 436.36 § 13 BAföG Nr. 11 S. 2). Nachdem die Gymnasialtypen als Folge der Einführung der reformierten Oberstufe entsprechend der Vereinbarung zur Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II - Beschluss der Kultusministerkonferenz vom (GMBl S. 599) - und den Empfehlungen zur Arbeit in der gymnasialen Oberstufe gemäß jener Vereinbarung - Beschluss der Kultusministerkonferenz vom (GMBl 1978 S. 119) - nicht mehr starr vorgegeben waren, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Gymnasien in den Klassen 11 bis 13 zwar grundsätzlich auch dann einander entsprechende Ausbildungsstätten sind, wenn die Lehrangebote in Leistungs- und/oder Grundkursen nicht deckungsgleich sind. Etwas anderes gilt aber ausnahmsweise in den Fällen, in denen dem Schüler infolge eines nur beschränkten Unterrichtsangebots in der reformierten Oberstufe eine Vertiefung vorhandener Kenntnisse in den Unterrichtsfächern verschlossen ist, die für seine bisherige Ausbildung prägend waren. Das ist anzunehmen, wenn der Schüler an einem in der Nähe der Elternwohnung befindlichen Gymnasium keine Möglichkeit hat, durch die Wahl eines Leistungskurses in einem bereits in der Mittelstufe dem Kernbereich seines Unterrichts zugeordneten Unterrichtsfach seine Studierfähigkeit zu üben und zu beweisen ( 5 C 43.79 - Buchholz 436.36 § 12 BAföG Nr. 11 S. 3). Schließlich hat das Bundesverwaltungsgericht der Sache nach die Annahme eines förderungsrechtlich relevanten Unterschieds im Lehrstoff als gerechtfertigt angesehen, wenn ein Schüler aus einer polnischen Aussiedlerfamilie die "sinnvolle Wahl" getroffen hat, Englisch zu lernen und nur an dem besuchten Gymnasium Englisch als in der 11. Jahrgangsstufe einsetzende neue Fremdsprache angeboten wird (vgl. 5 B 177.95 - Rn. 20 f.; s.a. zu einer vergleichbaren Fragestellung im Zusammenhang mit § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB II; BSG; - BSGE 121, 69 und vom - B 14 AS 29/16 R - SozR 4-4200 § 28 Nr. 10).
20bb) Für die Feststellung, dass die von der Wohnung der Eltern aus erreichbare Ausbildungsstätte der besuchten Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG nicht entspricht, reicht jedoch nicht jedwede berufsspezifische Zusatzausbildung aus. Vielmehr müssen weitere Erfordernisse erfüllt sein, um sicherzustellen, dass der dargelegte Normzweck gewahrt wird und nur besondere Unterhaltsbelastungen ausgeglichen werden. Nur dann besteht ein wesensmäßiger Zusammenhang zwischen der Zusatzausbildung und der förderungsfähigen Ausbildung.
21Demzufolge muss die angebotene und wahrgenommene berufsspezifische Zusatzausbildung - erstens - der förderungsfähigen auswärtigen Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 BAföG zuzurechnen sein. Eine solche Zurechnung ist jedenfalls zu bejahen, wenn die Zusatzausbildung mit der förderungsfähigen (Haupt-)Ausbildung organisatorisch eng verzahnt und in diese integriert ist. Darüber hinaus muss die Zusatzausbildung - zweitens - objektiv geeignet sein, den künftigen beruflichen Werdegang des Auszubildenden erheblich zu fördern. Davon ist auszugehen, wenn sie zu einer gewichtigen Chancenerhöhung auf dem Arbeitsmarkt führen oder die Aussichten für eine anschließende (theoretische oder praktische) Berufsausbildung beträchtlich verbessern kann.
22c) In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichtshofs dahin zu erkennen, dass das Gymnasium S. keine der Heimschule entsprechende Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG ist. Denn zwischen beiden Gymnasien bestehen jedenfalls Unterschiede im Lehrstoff, denen infolge des Vorliegens der genannten weiteren Voraussetzungen ausbildungsförderungsrechtliche Relevanz beizumessen ist. Folgerichtig ist das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen und der Klägerin für die allgemeinbildende gymnasiale Ausbildung - und nur für diese - im streitgegenständlichen Schuljahr 2014/2015 Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
23Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat die Klägerin im streitgegenständlichen Schuljahr 2014/2015 von der an der Heimschule angebotenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und parallel zum gymnasialen Unterricht eine handwerkliche Ausbildung zur Holzbildhauerin absolviert. Infolgedessen wurden ihr dort neben dem für die Erreichung der Allgemeinen Hochschulreife erforderlichen Unterrichtsstoff auch die für die Ausbildung zur Holzbildhauerin notwendigen theoretischen und praktischen Lerninhalte vermittelt. Im Unterschied dazu wäre sie an dem Gymnasium S. nur in den Fächern unterrichtet worden, die für die Erreichung der Allgemeinen Hochschulreife unter Berücksichtigung des von ihr gewählten naturwissenschaftlichen Schwerpunktes mit Latein erforderlich waren.
24Die Zusatzausbildung zur Holzbildhauerin ist der Heimschule zuzurechnen. Den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit gemäß § 137 Abs. 2 VwGO für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs lässt sich - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - eine hinreichende Verzahnung zwischen der gymnasialen und der handwerklichen Ausbildung entnehmen. Danach beruht die Ausbildung zur Holzbildhauerin auf einer vertraglichen Vereinbarung mit der Heimschule. Diese stellt in Gestalt der schuleigenen Werkstatthäuser mit fachspezifischer Ausstattung auch die für den praktischen Ausbildungsteil erforderlichen Räumlichkeiten zur Verfügung. Zudem sind die Handwerksmeisterinnen und -meister beim Träger der Heimschule angestellt. Der theoretische Prüfungsteil "Wirtschaftskunde" wird während des gymnasialen Unterrichts im Seminarkurs "Wirtschaft und Recht" erarbeitet. Die Klausurnote aus diesem Kurs wird in das Gesellenprüfungszeugnis übernommen. Des Weiteren werden die allgemeinbildenden Fächer angerechnet. Außerdem findet der praktische Unterricht bis zum Abitur aufgrund einer entsprechenden Gestaltung des Stundenplans jeweils an einem Nachmittag pro Woche statt, der den übrigen Schülerinnen zur freien Verfügung steht. Eine andere Sachverhaltswürdigung ist im konkreten Fall insbesondere auch nicht deshalb angezeigt, weil das Bestehen der Gesellenprüfung nicht von dem Bestehen des Abiturs abhängig ist. Denn dies lässt die aufgezeigten vielfältigen Verknüpfungen der Handwerksausbildung mit dem Betrieb der Heimschule nicht entfallen. Aus demselben Grund gibt auch der Umstand, dass im Zeitpunkt des Erwerbs der Allgemeinen Hochschulreife erst zwei Drittel der Ausbildung zur Holzbildhauerin durchgeführt sind, keinen Anlass zu einer anderen Bewertung.
25Auch die erforderliche objektive Eignung zur Förderung des beruflichen Werdegangs ist gegeben. Eine solche ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Zusatzausbildung - wie hier - zu einem staatlich anerkannten Abschluss führt. Mit einer abgeschlossenen Ausbildung im Handwerk ist es zum einen möglich, sich unmittelbar auf dem Arbeitsmarkt um eine entsprechende Stelle zu bewerben. Zum anderen verbessert eine solche Ausbildung nicht unerheblich die Chancen des beruflichen Fortkommens in Bezug auf die weitere Ausbildung (insbesondere das Studium) zur Erlangung solcher Berufsabschlüsse, für die die erworbenen theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten nutzbringend sind.
262. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2018:140818U5C6.17.0
Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 10 Nr. 48
PAAAG-99256