Schwere der Schuld bei Deliktsbegehung durch Jugendliche
Gesetze: § 17 Abs 2 JGG
Instanzenzug: LG München II Az: 25 Js 24335/16 - 1 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung weiterer Verurteilungen einen Dauerarrest von vier Wochen verhängt und ihm verschiedene Weisungen erteilt.
2Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision die Verletzung materiellen Rechts. Sie erstrebt die Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld.
3Ihr Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
41. Nach den Feststellungen des Landgerichts verließ der zur Tatzeit 19 Jahre und acht Monate alte Angeklagte mit drei Begleitern am gegen 19.30 Uhr das Volksfest in V. . Als sie feststellten, dass sie zu wenig Zigaretten hatten, um gemeinsam rauchen zu können, erklärte der leicht angetrunkene und enthemmte Angeklagte, er gehe zum Zigaretten „schnorren“. Er sprach die Passanten B. und W. auf Zigaretten an, wobei er in der rechten Hand eine fast ausgetrunkene Flasche Bier (0,5 l) hielt. Beide wiesen ihn jedoch ab und setzten ihren Weg fort. Der Zeuge B. , der eine WhatsApp-Nachricht erhalten hatte, blieb stehen und begann, sein Smartphone im Wert von 200 € in beiden Händen haltend, die Nachricht zu beantworten.
5Der Angeklagte beschloss nun spontan und alkoholbedingt enthemmt, das Smartphone an sich zu bringen. Er trat von hinten an B. heran und schlug ihm von schräg hinten die Flasche gegen den Kopf, wobei der Schlag „aus einer Ausholbewegung wie für einen Schlag mit der bloßen Hand“ erfolgte und den Geschädigten an der linken Kopfseite traf. Die Flasche zerbrach. Dann entriss ihm der Angeklagte mit der linken Hand das Smart-phone, um es zu behalten und flüchtete. Kurz vor seiner Festnahme durch die Polizei warf er das Mobiltelefon in ein Gebüsch. Der Geschädigte erhielt das Mobiltelefon zurück. Er hatte durch den Schlag mit der Flasche eine 1 cm lange, tiefe Platzwunde an der linken Schädelseite, eine kleine Risswunde am linken Ohrläppchen und ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades erlitten, das ihm etwa zwei Tage Beschwerden bereitete.
62. Die Kammer hat das Vorliegen der Schwere der Schuld gemäß § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG verneint.
7Zwar könne das objektive Gewicht der Tat hinsichtlich der Schwere des Unrechts nach allgemeinem Strafrecht, das eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vorsehe, ein Indiz für die Bejahung der „Schuldschwere“ sein. Jedoch führe dies hier in der Gesamtabwägung mit der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten nicht zur Bejahung der Schwere der Schuld. In der konkreten Ausgestaltung handele es sich um eine durch ungewohnten Alkoholkonsum enthemmte Handlung des Angeklagten. Dieser habe in einer jugendtypischen Kurzschlusshandlung die „negative Antwort“ des Geschädigten auf sein „Schnorren“ nach Zigaretten als Anlass für eine durchaus heftige Reaktion genommen. Gerade hierin zeige sich das jugendtypische fehlende Nachdenken und Reflektieren in einer Kurzschlussreaktion. Die Tat sei von keinerlei Notwendigkeit getrieben gewesen, da der Angeklagte zum Tatzeitpunkt mindestens ein Mobiltelefon mit Vertrag besessen und es auch für die erforderlichen Kontakte zu seinem Weisungsbetreuer zuverlässig genutzt habe.
II.
8Die Nachprüfung des Urteils auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten ergeben. Die Jugendkammer hat nicht nur schädliche Neigungen rechtsfehlerfrei verneint, sondern auch die Schwere der Schuld gemäß § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG.
91. Der Schuldgehalt der Tat ist bei der Deliktsbegehung durch jugendliche und heranwachsende Täter jugendspezifisch zu bestimmen (, BGHSt 61, 188, 191). Die „Schwere der Schuld“ im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG wird daher nicht vorrangig anhand des äußeren Unrechtsgehalts der Tat und ihrer Einordnung nach dem allgemeinen Strafrecht bestimmt, sondern es ist in erster Linie auf die innere Tatseite abzustellen (, NStZ 2014, 407, 408). Der äußere Unrechtsgehalt der Tat und das Tatbild sind jedoch insofern von Belang, als hieraus Schlüsse auf die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit und die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden gezogen werden können (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 155, 156; vom - 1 StR 178/13, NStZ 2013, 658, 659; vom - 5 StR 318/12, NStZ 2013, 289, 290 und vom - 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281; Urteil vom - 4 StR 387/60, BGHSt 15, 224, 226). Entscheidend ist, ob und in welchem Umfang sich die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Täters vorwerfbar in der Tat manifestiert haben (, BGHSt 15, 224, 226).
102. Die Jugendkammer hat bei ihrer Bewertung der „Schuldschwere“ im Sinne des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG diesen Bewertungsmaßstab angelegt. Sie hat insbesondere betont, dass bei der zu treffenden Beurteilung dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat keine selbständige Bedeutung zukommt. Rechtsfehlerhaft wäre es gewesen, die Schwere der Schuld ausschließlich oder wesentlich auf den äußeren Unrechtsgehalt der Tat zu stützen, weil das Entscheidende die innere Tatseite ist, also inwieweit sich charakterliche Haltung, Persönlichkeit und Tatmotivation des Angeklagten in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben.
11Die Jugendkammer hat die Bewertung des Unrechtsgehalts der Tat auch nicht völlig unterlassen, sondern hat in ihre Gesamtbewertung eingestellt, dass das allgemeine Strafrecht für den schweren Raub eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vorsieht. In diesem Rahmen hat sie erörtert, inwieweit aus der Bewertung des Unrechtsgehalts der Tat ein Schluss auf die Persönlichkeit des Angeklagten und die Höhe seiner Schuld möglich ist. Sie hat hierbei die Aspekte der Enthemmung durch ungewohnten Alkoholkonsum, die Spontaneität der Tat als Reaktion auf das abschlägig beschiedene „Schnorren“ nach Zigaretten für sich bzw. seine Begleiter in Gestalt einer „jugendtypischen Kurzschlusshandlung“ benannt sowie die fehlende Notwendigkeit für die Wegnahme des Mobiltelefons, da der Angeklagte ein eigenes besaß.
12Nicht ausdrücklich eingestellt hat die Jugendkammer (im Rahmen der Prüfung des Maßes der ausgeübten Gewalt bei § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB und der tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) die Art des Zuschlagens mit der fast leeren Bierflasche. Da das Landgericht jedoch zuvor den gegen die linke Kopfseite des Geschädigten erfolgten Schlag anschaulich mit „aus einer Ausholbewegung wie für einen Schlag mit der bloßen Hand“ von schräg hinten beschrieben hatte, der keine erheblichen Verletzungen des Opfers verursachte, ist auszuschließen, dass ihr dies aus dem Blick geraten sein könnte.
13Das Landgericht hat damit rechtsfehlerfrei die Ablehnung der „Schuldschwere“ mit dem Umfang der Schuld des Angeklagten begründet, insbesondere mit der Stärke seines verbrecherischen Willens (Kurzschlusshandlung), mit seinen Beweggründen (Reaktion auf das erfolglose „Schnorren“) und mit den Zwecken, die er mit der Tat verfolgte (keine persönliche Bereicherung, sondern eine Art Abstrafen).
14Zudem kann der Senat den Urteilsgründen, insbesondere den Ausführungen der Jugendkammer im Rahmen der Prüfung „schädlicher Neigungen“, mit der gebotenen Sicherheit entnehmen, dass selbst dann, wenn die Schuld des Angeklagten als „schwer“ i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG einzustufen wäre, die Verhängung von Jugendstrafe deshalb nicht in Betracht kommen kann, weil dies aus erzieherischen Gründen nicht erforderlich ist (vgl. , BGHSt 15, 224, 225 f.; vom - 4 StR 301/61, BGHSt 16, 261, 263 und vom - 3 StR 176/00, NStZ-RR 2001, 215, 216; Beschluss vom - 4 StR 656/97, NStZ-RR 1998, 317, 318); denn die Jugendkammer konnte bei dem Angeklagten keine „Persönlichkeits- oder Erziehungsmängel“ feststellen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:090118U1STR239.17.0
Fundstelle(n):
KAAAG-99061