BFH Urteil v. - I R 10/02 BStBl 2003 II S. 687

Beginn der Festsetzungsfrist im Steuerentlastungsverfahren nach § 50d EStG aufgrund von DBA

Leitsatz

1. Gibt eine zur Einbehaltung und Abführung von Steuern verpflichtete Person (Entrichtungsschuldner) die ihr obliegende Steueranmeldung nicht ab, so wird hierdurch der Anlauf der Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 gehemmt (Bestätigung des Senatsurteils vom I R 82/95, BFHE 180, 365, BStBl II 1996, 608; gegen BStBl I 1997, 414).

2. Die in Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz enthaltene Fristbestimmung für die Erstattung von Quellensteuern schließt die Anwendung der §§ 169 ff. AO 1977 nicht aus, wenn diese für den Steuerpflichtigen günstiger ist.

Gesetze: AO 1977 § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1DBA Schweiz Art. 28 Abs. 3

Instanzenzug: (EFG 2002, 472) (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob einem Anspruch der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) auf Erstattung von Kapitalertragsteuer der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegensteht.

Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft, die in dem hier maßgeblichen Zeitraum ihren Satzungssitz in Jersey (Großbritannien), jedoch ihre Geschäftsleitung in der Schweiz hatte und dort der unbeschränkten Steuerpflicht für die direkte Bundessteuer unterlag. Sie hielt im Streitzeitraum sämtliche Anteile an der deutschen G-GmbH. Diese schüttete im Jahr 1993 insgesamt 2,3 Mio. DM verdeckt an die Klägerin aus, was bei einer 1995 und 1996 durchgeführten Außenprüfung festgestellt wurde.

Unter dem erging gegenüber der G-GmbH ein Kapitalertragsteuerbescheid für den Anmeldezeitraum Dezember 1993, mit dem die G-GmbH für die Kapitalertragsteuer auf die verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) in Anspruch genommen wurde. Die G-GmbH hat diese Steuer fristgerecht an das zuständige Finanzamt (FA) gezahlt.

Im April 1998 beantragte die Klägerin beim Beklagten und Revisionskläger (Bundesamt für Finanzen —BfF—) eine Erstattung der Kapitalertragsteuer nach Maßgabe des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen —DBA-Schweiz— (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519). Nach Beseitigung einiger vom BfF beanstandeter Mängel wurde der Antrag im Dezember 1998 erneut eingereicht. Das BfF lehnte ihn mit der Begründung ab, dass einer Erstattung der Steuer der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegenstehe. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Der daraufhin erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 472 veröffentlichten Urteil statt. Hiergegen wendet sich das BfF mit seiner Revision, mit der es eine Verletzung von § 44 des Einkommensteuergesetzes (EStG), § 170 der Abgabenordnung (AO 1977) und Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz rügt.

Das BfF beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat das BfF zu Recht zum Erlass eines Freistellungsbescheids verpflichtet.

1. Nach den Feststellungen des FG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden und deshalb für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), hat die G-GmbH im Jahr 1993 insgesamt 2,3 Mio. DM verdeckt an die Klägerin ausgeschüttet. Diese Ausschüttung hat, da sie von einer deutschen GmbH stammt, gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a und Abs. 2 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zu beschränkt steuerpflichtigen Einkünften der Klägerin geführt. Art. 10 Abs. 2 Buchst. b DBA-Schweiz begrenzt jedoch das Recht der Bundesrepublik zur Besteuerung dieser Einkünfte auf 5 v.H. des Betrags der vGA.

2. Ungeachtet der abkommensrechtlichen Begrenzung des deutschen Besteuerungsrechts war die G-GmbH verpflichtet, gemäß § 43 EStG Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG). Die Einbehaltung und Abführung erfolgte für Rechnung der Klägerin (§ 44 Abs. 1 Satz 3 EStG), die als Bezieherin der vGA Schuldnerin der Kapitalertragsteuer war (§ 44 Abs. 1 Satz 1 EStG). So weit die abkommensrechtliche Steuerfreistellung des Kapitalertrags reicht, hat die Klägerin jedoch einen Anspruch auf Erstattung der von der G-GmbH einbehaltenen und abgeführten Steuer, der von der Regelung in § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG nicht berührt wird (§ 50d Abs. 1 Satz 2 EStG).

3. Verfahrensrechtliche Grundlage der hiernach vorzunehmenden Steuererstattung ist ein Freistellungsbescheid i.S. des § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977, in dem über die Höhe des unbesteuert bleibenden Teils der Vergütung —und damit zugleich über die Höhe des Erstattungsanspruchs— entschieden wird. Das ist in § 50d Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2001 (StÄndG 2001) ausdrücklich bestimmt, entspricht aber gleichermaßen der Rechtslage vor In-Kraft-Treten des StÄndG 2001 (Senatsurteil vom I R 34/99, BFHE 193, 336, BStBl II 2001, 291, m.w.N.). Der Freistellungsbescheid ist Steuerbescheid (§ 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977) und darf deshalb nur innerhalb der Festsetzungsfrist erlassen werden (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).

4. Die hiernach maßgebliche Festsetzungsfrist ist im Streitfall nicht abgelaufen. Sie hindert folglich den Erlass des von der Klägerin begehrten Freistellungsbescheids nicht.

a) Die Festsetzungsfrist beträgt, soweit für den Streitfall von Interesse, vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977). Sie beginnt regelmäßig mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist (§ 170 Abs. 1 AO 1977). Da die Kapitalertragsteuer mit dem Zufluss des Kapitalertrags entsteht (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG) und die hier maßgebliche vGA der Klägerin im Jahr 1993 zugeflossen ist, hätte nach dieser Regelung die Frist im Streitfall mit Ablauf des Jahres 1993 begonnen und —vorbehaltlich einer Ablaufhemmung oder Unterbrechung— mit Ablauf des Jahres 1997 geendet.

b) Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 kann jedoch u.a. in denjenigen Fällen, in denen eine Steueranmeldung abzugeben ist, der Anlauf der Festsetzungsfrist durch die Nichtabgabe der Anmeldung gehemmt werden. Die Frist beginnt dann —vorbehaltlich eines späteren Fristanlaufs gemäß § 170 Abs. 1 AO 1977— erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steueranmeldung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres nach dem Jahr der Entstehung der Steuer.

c) Im Streitfall war für die in Rede stehende Kapitalertragsteuer eine Steueranmeldung i.S. des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 abzugeben. Dies folgt aus § 45a Abs. 1 Satz 1 EStG, wonach die Anmeldung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer innerhalb der in § 44 Abs. 1 Satz 5 EStG bestimmten Frist —also bis zum 10. des auf die Einbehaltung folgenden Monats— beim zuständigen FA einzureichen ist. Zur Anmeldung verpflichtet ist derjenige, der die Steuer einbehalten und abführen muss. Dies war im Streitfall die G-GmbH.

d) Das FG hat nicht ausdrücklich festgestellt, dass und ggf. wann die G-GmbH die hiernach gebotene Kapitalertragsteuer-Anmeldung eingereicht hat. Doch ist ausweislich des angefochtenen Urteils ihr gegenüber erst im Jahr 1997 die zu entrichtende Kapitalertragsteuer durch Bescheid festgesetzt worden. Zudem ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass in 1996 eine Schlussbesprechung zu der Außenprüfung bei der G-GmbH stattgefunden hat und dass erst zu diesem Zeitpunkt die genaue Höhe der Kapitalertragsteuer feststand. Der Senat geht hiernach davon aus, dass die G-GmbH die Kapitalertragsteuer jedenfalls vor Beginn des Jahres 1996 nicht angemeldet hatte.

e) Angesichts dessen hat die Festsetzungsfrist für die Kapitalertragsteuer gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 —ggf. i.V.m. § 170 Abs. 1 AO 1977— erst mit Ablauf des Jahres 1996 begonnen. Sie hätte daher ohne das Hinzutreten weiterer Ereignisse mit dem geendet. Zuvor hatte die Klägerin jedoch einen Antrag auf (niedrigere) Festsetzung der Kapitalertragsteuer gestellt, durch den der Fristablauf bis zur unanfechtbaren Entscheidung über diesen Antrag gehemmt worden ist (§ 171 Abs. 3 AO 1977). An einer solchen unanfechtbaren Entscheidung fehlt es bislang, so dass nach wie vor die Festsetzungsfrist nicht abgelaufen ist und den Erlass eines Freistellungsbescheids nicht hindert.

f) Das BfF hat in der Einspruchsentscheidung eine Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 mit der Begründung verneint, dass nicht die Klägerin, sondern nur die G-GmbH zur Anmeldung der Kapitalertragsteuer verpflichtet gewesen sei. Dem liegt die Ansicht zu Grunde, dass nur eine Steuererklärungs- oder -anmeldungspflicht des Steuerschuldners, nicht aber eine Verpflichtung anderer Personen die Rechtsfolge des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 auslösen könne. Dieser Ansicht ist nicht beizupflichten:

aa) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats greift § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ein, wenn eine zur Einbehaltung und Abführung von Steuern verpflichtete Person (Entrichtungsschuldner) die ihr obliegende Steueranmeldung nicht abgibt (, BFHE 180, 365, BStBl II 1996, 608; vom I R 95/99, BFHE 193, 12, BStBl II 2001, 13; Senatsbeschluss vom I B 151/98, BFH/NV 1999, 1667). Diese Rechtsprechung ist insoweit auf Kritik gestoßen, als sie sich auch auf Fallgestaltungen bezieht, in denen der Steuerschuldner selbst nicht zu einer Steueranmeldung verpflichtet ist. Es wird als unbefriedigend empfunden, dass in einem solchen Fall der Anlauf der Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner ggf. von einem Verhalten des Entrichtungsschuldners abhängt, auf das der Steuerschuldner keinen Einfluss hat und das ihm möglicherweise nicht einmal bekannt ist ( BStBl I 1997, 414; Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 170 Rz. 7; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 170 AO Tz. 15; zu weiteren Nachweisen zum Meinungsstand s. Senatsurteil in BFHE 193, 12, BStBl II 2001, 13, 14). Der Senat hat in der Vergangenheit erkennen lassen, dass er diese Überlegung für beachtlich hält (Senatsbeschluss in BFH/NV 1999, 1667). Dennoch hält er nach erneuter Prüfung an der genannten Rechtsprechung fest.

bb) Für deren Richtigkeit spricht zum einen der Wortlaut des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977. Danach setzt die Anlaufhemmung nur voraus, dass ”eine Steueranmeldung einzureichen…ist”. Diese Formulierung bringt nicht zum Ausdruck, dass die Regelung nur Fälle erfassen soll, in denen die Verpflichtung zur Steueranmeldung den Steuerschuldner trifft. Sie ist vielmehr in diesem Punkt ebenso neutral gehalten wie die in § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 enthaltene Regelung, nach der sich die Festsetzungsfrist verlängert, soweit eine Steuer hinterzogen oder leichtfertig verkürzt ”worden ist”. Nach jener Regelung kommt es indessen unstreitig nicht darauf an, dass der Steuerschuldner selbst die Steuerverkürzung verübt hat oder an ihr beteiligt war; das gilt unabhängig von § 169 Abs. 2 Satz 3 AO 1977, der von dem genannten umfassenden Verständnis des Satzes 2 ausgeht und nur eine einschränkende Billigkeitsregelung trifft (, BFHE 156, 30, BStBl II 1989, 442, 443; Tipke/ Kruse, a.a.O., § 169 AO Tz. 18, m.w.N.). Ebenso wie dort, spricht auch bei § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 die grammatische Auslegung für ein weites Verständnis in dem Sinne, dass auch die Steuererklärungs- oder -anmeldungspflicht Dritter die Anlaufhemmung auslösen kann.

cc) Von Sinn und Zweck des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 wird diese Lösung ebenfalls gedeckt. Die Vorschrift soll verhindern, dass für eine Steuerfestsetzung nur noch unangemessen wenig Zeit bleibt, wenn die Finanzbehörde infolge einer Verletzung von Erklärungs- oder Steueranmeldungspflichten einen steuerpflichtigen Vorgang erst mit erheblicher Verspätung zur Kenntnis bekommt (Rüsken, a.a.O., § 170 Rz. 5; Hartmann in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 170 AO Rz. 7). Dieses Ziel besteht aber unabhängig davon, ob die Pflichtverletzung dem Steuerschuldner selbst oder einem Dritten anzulasten ist. Das rechtfertigt es, die Fristverlängerung auch in der letztgenannten Konstellation eintreten zu lassen.

Zudem kann, wie der Streitfall zeigt, eine solche Handhabung auch zu Gunsten des Steuerschuldners wirken. Speziell im Anwendungsbereich des § 50d EStG kann sie vor allem vermeiden, dass es unter Umständen zur Festsetzung einer materiell überhöhten Abzugsteuer kommt, die aus verfahrensrechtlichen Gründen auf Dauer nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Eine solche Situation könnte auf der Basis der Gegenauffassung z.B. dann eintreten, wenn ein allein anmeldepflichtiger Entrichtungsschuldner die gebotene Anmeldung nicht rechtzeitig abgibt, sich ihm gegenüber deshalb die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 verlängert (hierzu Senatsbeschluss in BFH/NV 1999, 1667) und die Finanzbehörde erst innerhalb des Verlängerungszeitraums die Abzugsteuer gegenüber dem Entrichtungspflichtigen geltend macht. Diese Gefahr wird vermieden, wenn sich in einem solchen Fall die Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner in demselben Maße verlängert wie diejenige gegenüber dem Entrichtungsschuldner. Das geschieht durch die Anwendung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 (auch) im Verhältnis zum Steuerschuldner, die deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt vorzugswürdig ist.

dd) Richtig ist, dass sich bei einer solchen Lösung die Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner ggf. aus Gründen verlängert, die dieser nicht beeinflussen kann und von denen er nicht einmal notwendigerweise Kenntnis hat. Andererseits wird der Steuerschuldner in der Regel schon dadurch geschützt, dass er nicht neben dem Entrichtungspflichtigen in Anspruch genommen werden kann (zur Kapitalertragsteuer § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG; ebenso zur Lohnsteuer § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG). Angesichts dessen wird die vom Senat befürwortete ”Drittwirkung” der Verletzung von Steuererklärungs- und -anmeldungspflichten im Rahmen des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 in der Regel nicht zu sachwidrigen Lösungen führen.

ee) Vor diesem Hintergrund ist es im Ergebnis sachgerecht, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 in der Weise auszulegen, dass die nicht rechtzeitige Abgabe einer Steuererklärung oder Steueranmeldung durch einen Entrichtungsschuldner auch dem Steuerschuldner gegenüber den Anlauf der Festsetzungsfrist hemmt. Eine solche Zurechnung des Verhaltens des Entrichtungsschuldners gegenüber dem Steuerschuldner ist nicht nur von Wortlaut und Zweck der Vorschrift gedeckt, sondern stimmt auch damit überein, dass der Entrichtungsschuldner für Rechnung des Steuerschuldners handelt (§ 44 Abs. 1 Satz 3 EStG; zur Lohnsteuer § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Dieser Gesichtspunkt unterscheidet die hier zu beurteilende Gestaltung u.a. von derjenigen, in der Notare, Gerichte oder ähnliche Amtspersonen zur Anzeige steuerlich erheblicher Vorgänge verpflichtet sind; die für jene Konstellation entwickelten Rechtsgrundsätze (vgl. hierzu , BFHE 174, 185, BStBl II 1994, 866; vom II R 63/97, BFH/NV 2000, 409) können daher auf die vorliegende Gestaltung nicht übertragen werden. Daraus folgt zugleich, dass der Senat mit seiner Entscheidung nicht i.S. des § 11 Abs. 2 FGO von den vorstehend genannten Urteilen abweicht.

5. Schließlich steht dem Erlass des von der Klägerin begehrten Freistellungsbescheids nicht Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz entgegen. Zwar heißt es dort, dass die Frist für den Antrag auf Erstattung einer Quellensteuer drei Jahre betrage und mit der Fälligkeit der Dividenden, Lizenzgebühren oder Zinsen beginne. Doch handelt es sich hierbei nur um eine Mindestfrist, die die Anwendung der §§ 169 ff. AO 1977 nicht ausschließt, wenn diese für den Steuerpflichtigen günstiger ist ( Recht der internationalen Wirtschaft 1988, 919; Zwosta in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 28 DBA-Schweiz Rz. 52; Kühn in Flick/Wassermeyer/Wingert/ Kempermann, DBA-Schweiz, Art. 28 Rz. 59).

6. Der Streitfall bietet keine Veranlassung, auf die Rechtslage nach In-Kraft-Treten des § 50d Abs. 1 EStG i.d.F. des StÄndG 2001 einzugehen. Ebenso muss nicht zu der Überlegung des FG Stellung genommen werden, dass für Erstattungsansprüche eine eigenständige, erst mit der Zahlung der Steuer beginnende Festsetzungsfrist laufe. Denn unabhängig hiervon führt die Anwendung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 dazu, dass die der Klägerin materiell-rechtlich zustehende Steuerbefreiung verfahrensrechtlich umgesetzt werden kann, ohne dass dem der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegensteht. Das angefochtene Urteil erweist sich damit als im Ergebnis zutreffend, die hiergegen gerichtete Revision als unbegründet.

Fundstelle(n):
BStBl 2003 II Seite 687
BB 2003 S. 1606 Nr. 31
BFH/NV 2003 S. 1243
BFH/NV 2003 S. 1243 Nr. 9
BStBl II 2003 S. 687 Nr. 13
DB 2003 S. 1608 Nr. 30
DStR 2003 S. 1293 Nr. 31
DStRE 2003 S. 1072 Nr. 17
INF 2003 S. 609 Nr. 16
KÖSDI 2003 S. 13832 Nr. 8
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