Anforderungen an die Klageschrift: Hinreichender Sachvortrag bei Bezugnahme auf Anlagenkonvolut
Gesetze: § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO, Art 103 Abs 1 GG
Instanzenzug: Az: I-23 U 27/14vorgehend Az: 9 O 12/05nachgehend Az: VII ZR 21/16 Berichtigungsbeschluss
Gründe
I.
1Die Beklagte zu 2 macht mit ihrer Widerklage Vergütungsansprüche geltend.
2Unter dem schlossen die Klägerin und die Beklagte zu 4, eine BGB-Gesellschaft bestehend aus den Beklagten zu 2 und 3, einen Instandhaltungsvertrag zur Wartung und Instandhaltung verschiedener Gebäude der Klägerin. Die Beklagte zu 2 macht mit der Widerklage, soweit noch von Interesse, Vergütungsansprüche von insgesamt 767.020,41 € hauptsächlich zur Zahlung an sich, hilfsweise an die Beklagte zu 4 geltend. Sie hat die Widerklage in der Weise begründet, dass sie "[g]emäß § 6 des Vertrages ... Vergütungsansprüche für die Wartung und Instandhaltung von Gebäuden in ..." geltend gemacht und auf eine "detaillierte Aufschlüsselung der Ansprüche" (Anlage B 19, bestehend aus einer tabellarischen Auflistung der Ansprüche nach Positions- und Rechnungsnummer, Rechnungsdatum, Rechnungsbetrag und Standort der Leistung unter Beifügung der Rechnungen) Bezug genommen hat. Später hat sie "zur näheren Substantiierung der Vergütungsansprüche" auf das um weitere Unterlagen ergänzte Anlagenkonvolut B 23 Bezug genommen und hinsichtlich ausgewählter fünf Positionen konkrete Ausführungen vorgenommen.
3Das Landgericht hat der Widerklage in Höhe von 294.714,85 € nebst Zinsen zur Zahlung an die Beklagte zu 2 stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Ein Betrag in Höhe von 294.319,96 € sei unstreitig. Der Vortrag der Beklagten zu 2 sei in Bezug auf die übrigen Vergütungsansprüche mit Ausnahme der zuzusprechenden Positionen Nr. 22, 24, 44 und 69 (= 4.899,39 €) und der als unbegründet abzuweisenden Position Nr. 153 (9.071,21 €) unsubstantiiert, weil sie lediglich pauschal auf als Anlage beigefügte Rechnungen verwiesen habe. Von dem daraus resultierenden Betrag in Höhe von 299.219,35 € seien aufgrund einer begründeten klägerseitigen Aufrechnung 4.504,50 € abzuziehen.
4Das Berufungsgericht hat die Entscheidung des Landgerichts in Höhe von 294.713,83 € unter Korrektur eines Rechenfehlers mit der Maßgabe bestätigt, dass die Zahlung entsprechend dem Hilfsantrag der Beklagten zu 2 an die Beklagte zu 4 zu erfolgen hat. Es hat die Berufungen der Klägerin und der Beklagten zu 2 im Übrigen zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
5Dagegen wenden sich die Klägerin und die Beklagte zu 2 mit ihren Beschwerden. Die Beklagte zu 2 verfolgt ihren Widerklageantrag in Höhe von weiteren 472.306,58 € sowie in Höhe der zu Gunsten der Beklagten zu 4 ausgeurteilten 294.713,83 € zur Zahlung an sich weiter.
II.
61. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 2 führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Insoweit beruht das angefochtene Urteil auf einer Verletzung des Anspruchs der Beklagten zu 2 auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.
7a) Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
8Die Berufung der Beklagten zu 2, mit der sie weitergehende Zahlung an sich, hilfsweise an die Beklagte zu 4, begehre, habe keinen Erfolg.
9Soweit die in der Berufungsbegründung konkret begründete Widerklage über die Positionen 22, 24, 44, 69 und 153 hinausgehe, sei sie in der Berufungsinstanz neu und gemäß § 533 ZPO nicht zuzulassen. Erstinstanzlich habe die Beklagte zu 2 die Widerklageforderung in der Klageerwiderung vom ausschließlich auf § 6 des Instandhaltungsvertrags vom gestützt. Danach habe die Klägerin als Gegenleistung für die Wartungsarbeiten eine Jahrespauschale geschuldet. Der allgemeine Verweis in der Klageerwiderung auf eine aus der Anlage B 19 folgende "detaillierte Aufschlüsselung" lege allerdings nahe, dass tatsächlich gar nicht diese Pauschale, sondern weitergehende Ansprüche geltend gemacht werden sollten. Deren Grundlagen seien allerdings nicht ansatzweise ausgeführt. Deshalb könne dieser Vortrag nur dahin verstanden werden, dass Ansprüche aus der Pauschalvereinbarung in dem Instandhaltungsvertrag Gegenstand der Widerklage sein sollen. Anschließend habe die Beklagte zu 2 erstinstanzlich nur mit dem weiteren Schriftsatz vom weitere Ausführungen zu den Forderungen der Widerklage gemacht und das Anlagenkonvolut B 19 durch das neue Anlagenkonvolut B 23 ersetzt. Sie bezeichne auch dort die Forderungen als "Vergütungsansprüche aus dem Instandhaltungsvertrag". Erst mit der Berufungsbegründung vom habe die Beklagte zu 2 den Vortrag zu den Grundlagen der übrigen Abrechnungen nachgeholt. Auf diese Weise führe die Klägerin mit der Berufung eine Reihe von neuen Streitgegenständen in das Verfahren ein, die weder ohnehin zu berücksichtigen seien noch deren Zulassung sachdienlich sei (§ 533 ZPO).
10b) Damit hat das Berufungsgericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Beklagten zu 2 auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, verletzt. Das Berufungsgericht hätte die Widerklage nicht gemäß § 533 ZPO unberücksichtigt lassen dürfen. Die Anforderungen, die das Berufungsgericht an den Parteivortrag stellt, sind im Hinblick auf die Frage, ob der Widerklageanspruch hinreichend individualisiert ist, offensichtlich überspannt.
11Die Widerklage war nicht neu in der Berufungsinstanz, sondern bereits in erster Instanz in zulässiger Weise erhoben. Anders als das Berufungsgericht meint, war der Grund des erhobenen Anspruchs (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) bereits in erster Instanz hinreichend genau angegeben. Dafür genügt es, dass der Anspruch individualisierbar, also als solcher identifizierbar ist; es ist nicht erforderlich, dass der maßgebende Lebenssachverhalt in der Klageschrift vollständig beschrieben oder der Klageanspruch schlüssig und substantiiert dargelegt worden ist (vgl. Rn. 19 m.w.N., NJW 2016, 2747). Es trifft zwar zu, dass die Gerichte nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht verpflichtet sind, umfangreiche ungeordnete Anlagenkonvolute von sich aus durchzuarbeiten, um so die Ansprüche zu konkretisieren (vgl. Rn. 19 m.w.N., NJW 2016, 2747). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor.
12Zum einen meint das Berufungsgericht zu Unrecht, dass der Vortrag widersprüchlich sei, soweit die Beklagte zu 2 sich einerseits auf § 6 des Instandhaltungsvertrags (und damit auf eine Pauschale) berufe, andererseits offenbar keinen Pauschalbetrag geltend mache. § 6 des Vertrags bestimmt zwar, dass für "die vereinbarten und durchgeführten Leistungen [...] die Jahrespauschale [gilt]". Die Nichtzulassungsbeschwerde weist aber zu Recht darauf hin, dass dort ebenfalls ausgeführt sei, dass "zusätzliche, außervertragliche Aufwendungen [...] vom Auftraggeber monatlich abgerechnet [werden]". Es trifft deshalb bereits nicht zu, dass die Beklagte zu 2 lediglich die Jahrespauschale geltend gemacht, diese aber unzureichend begründet hätte.
13Zum anderen handelt es sich bei der Bezugnahme auf die Anlage B 19 und B 23 nicht um einen Verweis auf ungeordnete Anlagenkonvolute. Vielmehr ist der Anlage B 19 eine Tabelle vorangestellt, in der die Positionen nach Rechnungsnummer, Datum, Rechnungsbetrag und Standort (Ort der Leistung) aufgelistet sind. Die einzelnen Rechnungen in der Anlage sind im Übrigen mit der jeweiligen Positionsnummer versehen; in der Anlage B 23 sind neben den Rechnungen auch weitere auf die jeweiligen Leistungen bezogene Schriftstücke beigefügt. Nach dem Vortrag der Beklagten zu 2 handelt es sich bei sämtlichen Rechnungen um Leistungen im Sinne von § 6 des Instandhaltungsvertrags. Damit sind die geltend gemachten Ansprüche hinreichend individualisiert. Der Prozessgegner vermag anhand der vorgelegten Rechnungen erkennen, um welche Forderungen es der Beklagten zu 2 geht; auch die Reichweite von Rechtshängigkeit und Rechtskraft lassen sich anhand der Auflistung bestimmen.
142. Die Beschwerde der Klägerin und die weitere Beschwerde der Beklagten zu 2 bleiben ohne Erfolg. Insoweit wird von einer Begründung abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).
Der Beschluss des Senats vom - VII ZR 21/16 - wird dahingehend berichtigt, dass in der Beschlussformel hinter den Worten "im Hinblick auf die Widerklage in Höhe von 463.289,37 €" die Worte "nebst Zinsen" eingefügt werden.
Gründe:
Die Beschlussformel ist offenbar unrichtig, soweit ihr Wortlaut nur den dort genannten Betrag in der Hauptsache und nicht auch den auf diesen Betrag bezogenen Zinsanspruch erfasst, und ist daher gemäß § 319 Abs. 1 ZPO, der auf Beschlüsse entsprechend anwendbar ist, zu berichtigen.
Die für die Teilaufhebung des Berufungsurteils maßgebliche Begründung (unrichtige Anwendung des § 533 ZPO im Hinblick auf einen Teil des Widerklagevortrags) erfasst ersichtlich und ohne weiteres auch den mit diesem Hauptanspruch zusammen geltend gemachten Nebenanspruch wegen der Rechtshängigkeitszinsen. Dementsprechend wurde der Zinsanspruch in den Beschlussgründen einmal in Randnummer 3 bei der Wiedergabe des landgerichtlichen Urteils erwähnt; im Folgenden wurde er, namentlich in Randnummer 4 und 5, ersichtlich mitgemeint und nur der Kürze halber ausgelassen. Damit umfasst umgekehrt die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde im Übrigen ersichtlich den in Randnummer 5 erwähnten, über den stattgegebenen Teil hinausgehenden Anspruch in der Hauptsache nebst den auf diesen Teil entfallenden Zinsanspruch.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:040718BVIIZR21.16.0
Fundstelle(n):
OAAAG-96459