Instanzenzug: Az: 7 BV 25/14 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 7 TaBV 6/15 Beschluss
Gründe
1Die Beteiligten streiten über Auskunftsansprüche.
2Die Arbeitgeberin ist ein abhängiges Unternehmen im Konzern der I GmbH. In ihrem H Betrieb ist der antragstellende Betriebsrat gewählt. Die im Unternehmen bestehenden Betriebsräte haben einen Gesamtbetriebsrat gebildet. Es besteht ein Konzernbetriebsrat.
3Die Arbeitgeberin schließt mit bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern individuelle Arbeitsziele, sog. Personal Business Commitments (PBC). Grundlage hierfür ist eine mit dem Gesamtbetriebsrat am vereinbarte „Gesamtbetriebsvereinbarung zum PBC-Prozess“ (GBV PBC), in der es ua. heißt:
4Die „Konzernbetriebsvereinbarung zum PBC-Prozess“ vom ist in Nr. 5: „Vereinbarung der Ziele“ sowie in Nr. 7.1 und 7.2 mit der GBV PBC in der Sache inhaltsgleich.
5Nachdem die Arbeitgeberin ein Begehren des Betriebsrats abgelehnt hat, ihm die mit dem jeweiligen Arbeitnehmer individuell vereinbarten oder festgelegten PBC-Ziele mitzuteilen und entsprechende Unterlagen vorzulegen, hat dieser das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet. Er hat im Wesentlichen die Ansicht vertreten, aufgrund seiner Überwachungsaufgabe hinsichtlich der Einhaltung der GBV PBC und vor allem auch des betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes über die individuell vereinbarten oder festgelegten PBC-Ziele Auskunft unter Vorlage von Unterlagen beanspruchen zu können. Darüber hinaus hat er sich - jedenfalls noch in der Antragsschrift - ua. auf eine ggf. bestehende Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11 BetrVG berufen.
6Der Betriebsrat hat - soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Bedeutung - beantragt,
7Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.
8Das Arbeitsgericht hat - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - den Anträgen stattgegeben. Hiergegen hat die Arbeitgeberin Beschwerde eingelegt. Mit Verfügung des Vorsitzenden der Beschwerdekammer ist dem Betriebsrat aufgegeben worden, bis zum auf die Begründung der Beschwerde zu erwidern. In der fristgerecht beim Beschwerdegericht eingegangenen Beschwerdeerwiderung hat der Betriebsrat ausgeführt, aus welchen Gründen die Beschwerde zurückzuweisen sei. Mit am beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz hat er eine - zugleich begründete - Anschlussbeschwerde angebracht, mit der er, soweit noch von Interesse, hilfsweise beantragt hat,
9Das Landesarbeitsgericht hat den arbeitsgerichtlichen Beschluss teilweise abgeändert und unter Zurückweisung der Beschwerde der Arbeitgeberin im Übrigen nach dem im Wege der Anschlussbeschwerde vom Betriebsrat gestellten Hilfsantrag erkannt. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin die Abweisung auch dieses Antrags, während der Betriebsrat mit seiner Anschlussrechtsbeschwerde die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung begehrt.
10Im Verlauf des Rechtsbeschwerdeverfahrens haben die Arbeitgeberin und der Gesamtbetriebsrat eine „Gesamtbetriebsvereinbarung zum Checkpoint-Prozess“ (GBV CP) vereinbart, die nach deren Nr. 10 Absatz 1 die GBV PBC mit Inkrafttreten am ersetzt. Die GBV CP lautet auszugsweise wie folgt:
11Der Betriebsrat fasst im Hinblick auf die GBV CP sein hauptsächliches Begehren nunmehr - im Wege einer Feststellung - dahingehend,
12B. Die - das hauptsächliche Begehren betreffende und daher vorrangig zu behandelnde - zulässige Anschlussrechtsbeschwerde des Betriebsrats hat keinen Erfolg. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist dagegen begründet.
13I. Das aufgrund der nach § 92 Abs. 2 Satz 1, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässig angebrachten Anschlussrechtsbeschwerde in der Rechtsbeschwerdeinstanz anfallende (Haupt-)Begehren des Betriebsrats in seiner letzten, zulässig eingeschränkten Fassung ist unbegründet.
141. Die in der Rechtsbeschwerdeinstanz durch den Betriebsrat erfolgte Änderung des zunächst auf eine zukünftige Leistung gerichteten Antrags zu 2. („ab 2015“) auf ein nunmehr - zusammengefasst in einem Antrag - die Kalenderjahre 2014, 2015 und 2016 betreffendes Begehren ist zulässig. Es handelt sich nicht eine nach § 559 Abs. 1 ZPO unzulässige Antragsänderung, sondern um eine Beschränkung des Klageantrags ohne Änderung des Klagegrunds nach § 264 Nr. 2 ZPO, die den Streitgegenstand nicht verändert (vgl. - Rn. 15 mwN).
152. Das Begehren bedarf der Auslegung. Es ist trotz seiner missverständlichen Formulierung nicht auf eine bloße Feststellung gerichtet, sondern dahin zu verstehen, dass der Betriebsrat von der Arbeitgeberin Auskunft über die in den beiden Unterpunkten genannten Daten für die Kalenderjahre 2014, 2015 und 2016 verlangt und ihm diese schriftlich mitgeteilt werden sollen. Zwar soll nach dem Antragswortlaut die Arbeitgeberin „alle individuellen Arbeitsziele“ vorlegen. Damit wird aber nach dem Vorbringen des Betriebsrats nicht die Vorlage der einzelnen Zielvereinbarungen begehrt. Das zeigt die Konkretisierung der verlangten Daten in den nachfolgenden Unterpunkten.
163. Mit diesem Inhalt ist das hauptsächliche Begehren des Betriebsrats zulässig.
17a) Es ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Arbeitgeberin kann erkennen, welche schriftlichen Auskünfte sie dem Betriebsrat geben soll.
18b) Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin ist das auf vergangene Zeiträume bezogene Begehren nicht unzulässig. Das erforderliche Rechtschutzbedürfnis verlangt als Sachentscheidungsvoraussetzung das Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Inanspruchnahme der Gerichte. Bei Leistungsklagen folgt es regelmäßig aus der Nichterfüllung des behaupteten Anspruchs. Ob der Anspruch besteht, ist grundsätzlich eine Frage der Begründetheit ( - Rn. 12).
194. Das Verlangen ist unbegründet. Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf Vorlage der streitbefangenen Daten. Ein solcher Anspruch folgt nicht aus § 80 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BetrVG.
20a) Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Hieraus folgt ein entsprechender Anspruch des Betriebsrats, soweit die begehrte Information zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist. Anspruchsvoraussetzung ist damit zum einen, dass überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrats gegeben ist und zum anderen, dass im Einzelfall die begehrte Information zur Wahrnehmung der Aufgabe erforderlich ist. Dies hat der Betriebsrat darzulegen. Erst anhand dieser Angaben können der Arbeitgeber und im Streitfall das Arbeitsgericht prüfen, ob die Voraussetzungen einer Auskunftspflicht oder ggf. ein Einsichtsrecht vorliegen ( - Rn. 7, BAGE 140, 350). Ein Auskunftsanspruch besteht weiterhin nicht erst dann und nicht nur insoweit, als Beteiligungsrechte aktuell sind. Dem Betriebsrat soll es durch die Auskunft ermöglicht werden, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob sich Aufgaben im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben und ob er zur Wahrnehmung dieser Aufgaben tätig werden muss ( - zu B II 1 der Gründe mwN, BAGE 90, 288).
21b) Nach diesen Maßstäben ist das Begehren des Betriebsrats unbegründet.
22aa) Der Betriebsrat kann sich für sein Verlangen nicht auf eine nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bestehende Aufgabe berufen, die Durchführung der GBV PBC durch die Arbeitgeberin überwachen zu wollen.
23(1) Für die Wahrnehmung des Überwachungsrecht aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist, auch wenn es sich für die Jahre 2015 und 2016 um die Durchführung einer Gesamtbetriebsvereinbarung und für das Jahr 2014 um eine Konzernbetriebsvereinbarung handelt, der örtliche und damit der antragstellende Betriebsrat zuständig (vgl. - Rn. 29 bis 31, BAGE 139, 25).
24(2) Nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat ua. darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden ( - zu B II 1 a der Gründe, BAGE 60, 311). Die Überwachungsaufgabe ist vorrangig gegenwarts- und zukunftsbezogen, um den Arbeitgeber ggf. zu künftiger Rechtsbefolgung anzuhalten. Nur wenn sich aus Auskünften über bestimmte Verhaltensweisen des Arbeitgebers in der Vergangenheit Rückschlüsse auch für sein derzeitiges und künftiges Verhalten ziehen lassen können, ist der Anspruch begründet. Die rückwärtige zeitliche Grenze liegt erst dort, wo der Betriebsrat aus den gewünschten Informationen für sein Handeln keine sachgerechten Folgerungen mehr ziehen könnte ( - zu B II 3 b bb (3) der Gründe, BAGE 108, 132).
25(3) Der Senat muss vorliegend nicht abschließend darüber befinden, ob dem Betriebsrat im Rahmen seiner Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG tatsächlich ein Auskunftsanspruch oder ein Einsichtsrecht in dem in dem Hauptbegehren beschriebenen Umfang zukommt. Das Verlangen des Betriebsrats bezieht sich nicht mehr auf die Durchführung einer im Betrieb noch geltenden Gesamtbetriebsvereinbarung oder einer noch durchzuführenden Konzernbetriebsvereinbarung. Die KBV PBC wurde zuletzt für die Zielvereinbarungen des Jahres 2014 angewendet (§ 13 Abs. 2 GBV PBC). Die GBV PBC wurde durch die am in Kraft getretene GBV CP nach deren Nr. 10 Absatz 1 abgelöst. Diese ist seither die maßgebende Betriebsvereinbarung, deren Durchführung der Betriebsrat zu überwachen hat. Auf diese sind die Auskunfts- und Einsichtsbegehren des Betriebsrats jedoch nicht gerichtet.
26(4) Die Anträge sind nicht deshalb begründet, weil sowohl in der KBV PBC und der GBV PBC einerseits und der GBV CP andererseits Vorgaben für Zielvereinbarungen sowie für die Anpassung von Zielen enthalten sind. Aus den begehrten Informationen können keine Folgerungen für eine gegenwärtige und zukünftige Überwachungsaufgabe bezogen auf die nach der GBV CP vereinbarten oder festgelegten Ziele gezogen werden. Das hat der Senat in mehreren Entscheidungen vom in Parallelverfahren ausführlich begründet (vgl. die Leitentscheidung - 1 ABR 6/16 - Rn. 28 ff.). Hierauf wird Bezug genommen.
27bb) Die Anträge sind aus den vorgenannten Gründen gleichfalls unbegründet, soweit der Betriebsrat für die von ihm angeführte Überwachungsaufgabe bei der Durchführung der GBV PBC und der KBV PBC nach § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG auf die Einhaltung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes abstellt und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz als Aufgabe iSd. § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG heranzieht.
28cc) Soweit der Betriebsrat auf die Wahrnehmung seiner Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11 BetrVG als Aufgabe iSd. § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verwiesen hat, ergeben sich nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkte dafür, die vereinbarten PBC-Ziele als eine Frage der betrieblichen Lohngestaltung iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG oder als ein mit Akkord- und Prämiensätzen nach § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG vergleichbares leistungsbezogenes Entgelt anzusehen. Auch der Betriebsrat hat insoweit lediglich auf die (ohnehin nur bis zum gültige) Betriebsvereinbarung über „die variable Sonderzahlung Growth Driven Profit-sharing 2013 (GDP)“ verwiesen, nach welcher nicht die individuellen Ziele an sich, sondern das „PBC-Rating“ als ein Faktor (neben anderen) maßgebend für den individuellen „GDP-Betrag“ ist.
29dd) Die geltend gemachten Ansprüche sind schließlich nicht im Hinblick auf Aufgaben nach § 80 Abs. 1 Nr. 8 und 9 BetrVG begründet. Auch ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG kommt als wahrzunehmende Aufgabe für Regelungen des Gesundheitsschutzes bei Durchführung der GBV PBC nicht in Betracht (vgl. dazu ausf. die Senatsentscheidung im Parallelverfahren vom - 1 ABR 6/16 - Rn. 34 ff.).
30II. Die die Stattgabe des in der Beschwerdeinstanz vom Betriebsrat im Wege der Anschlussbeschwerde gestellten Hilfsantrags betreffende Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist dagegen begründet.
311. Das folgt allerdings nicht bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen. Die Anschließung des Betriebsrats an die Beschwerde der Arbeitgeberin war wirksam.
32a) Nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 87 Abs. 2 Satz 1, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ist eine Anschlussbeschwerde nur bis zum Ablauf der einem Beteiligten gesetzten Frist zur Beschwerdeerwiderung zulässig. Die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO gilt auch für eine den Verfahrensgegenstand ändernde Anschlussbeschwerde. Sie bezieht sich auf eine Fristsetzung iSv. § 521 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Wurde die Frist zur Beschwerdeerwiderung nicht wirksam gesetzt, ist eine Anschließung bis zum Schluss des Termins zur Anhörung möglich ( - Rn. 17 mwN, BAGE 151, 27). Eine wirksame Fristsetzung erfordert ua., dass dem Beteiligten nach § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO eine beglaubigte Abschrift der richterlichen Verfügung über die Fristsetzung zugestellt wurde ( - Rn. 5; GK-ArbGG/Ahrendt § 89 Rn. 43).
33b) Vorliegend ist die dem Betriebsrat vom Vorsitzenden der Beschwerdekammer gesetzte Frist zur Beschwerdeerwiderung nicht förmlich zugestellt worden. Da somit die Frist nicht wirksam gesetzt war, konnte die Anschließung des Betriebsrats an die Beschwerde der Arbeitgeberin noch bis zum Schluss des Termins zur Anhörung erfolgen und ist - wirksam - mit der am beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und zugleich begründeten Anschlussbeschwerde erklärt worden.
342. In der Sache ist der Hilfsantrag des Betriebsrats unbegründet. Es gelten die zur Abweisung der Hauptanträge angestellten Erwägungen entsprechend.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2018:240418.B.1ABR17.16.0
Fundstelle(n):
YAAAG-95624