BAG Urteil v. - 10 AZR 419/17

Tarifvertragliche Einmalzahlung für das Kabinenpersonal der Deutschen Lufthansa AG für das Jahr 2015 - kein Anspruch für Beschäftigungszeiten ohne Anspruch auf Entgelt

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 7 Ca 3580/16 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 17 Sa 1327/16 Teilurteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten in der Revision über die Höhe einer Einmalzahlung für das Jahr 2015.

2Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1999 als Flugbegleiter beschäftigt, zuletzt in Vollzeit. Die gegenseitigen Rechte und Pflichten ergeben sich nach dem Arbeitsvertrag ua. aus den im Unternehmen der Beklagten geltenden Tarifverträgen für den Bereich Kabinenbesatzungen Kontinent in ihrer jeweiligen Fassung.

3Der Kläger war im Zeitraum vom 1. Januar bis arbeitsunfähig erkrankt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Parteien unstreitig gestellt, dass er in dieser Zeit Krankengeld bezog und keinen Anspruch auf Krankengeldzuschuss nach dem in diesem Zeitraum geltenden Manteltarifvertrag Nr. 2 für das Kabinenpersonal idF vom (MTV) hatte.

4Am trafen der Arbeitgeberverband Luftverkehr e. V. und die Gewerkschaft UFO eine „Tarifvereinbarung zur Vergütungsrunde 2015 - 2016 für das Kabinenpersonal der Deutschen Lufthansa AG“ (TV ).

5Darin heißt es auszugsweise:

6Die Beklagte berechnete die Einmalzahlung anteilig für den Zeitraum vom 2. Juni bis und leistete an den Kläger 1.741,67 Euro brutto mit der Vergütung für März 2016.

7Am unterzeichneten die Tarifvertragsparteien eine „Ergänzungsvereinbarung zur Vergütungsrunde 2015 - 2016 vom “ (Ergänzungsvereinbarung I), die auszugsweise lautet:

8Entsprechend einer „Einigungsempfehlung“ im Schlichtungsverfahren trafen die Tarifvertragsparteien am eine weitere „Ergänzungsvereinbarung zur Tarifvereinbarung zur Vergütungsrunde 2015 - 2016“ zugunsten solcher Mitarbeiter, die bereits vor dem in die Übergangsversorgung gewechselt oder dauerhaft flugdienstuntauglich geworden waren.

9Der Kläger hat gemeint, ihm stehe die Einmalzahlung aus § 3 Abs. 1 TV  in voller Höhe zu. Sein Beschäftigungsverhältnis sei auch in der Zeit vom 1. Januar bis „aktiv“ gewesen. Im Tarifsinn „nicht … in einem aktiven Beschäftigungsverhältnis beschäftigt“ gewesen seien nur Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis geruht habe.

10Der Kläger hat, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, beantragt,

11Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, schon die Verwendung des rechtlich nicht definierten Begriffs „aktives Beschäftigungsverhältnis“ mache deutlich, dass die Tarifvertragsparteien nicht nur Ruhenszeiträume außer Betracht gelassen hätten, sondern auf die tatsächliche Arbeitsleistung hätten abstellen wollen. Deshalb erlaube § 3 Abs. 2 TV  die anteilige Kürzung der Einmalzahlung auch für Zeiten im Kalenderjahr 2015, in denen ein Arbeitnehmer - wie der Kläger - seine Arbeitsleistung nicht erbracht habe, weil er arbeitsunfähig gewesen sei.

12Das Arbeitsgericht hat der Klage, soweit für die Revision von Interesse, stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten durch Teilurteil zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiter die Abweisung dieses Teils der Klage.

Gründe

13Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klage, die Gegenstand der Revision ist, hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht aus § 3 Abs. 1 Satz 1 TV  kein Differenzanspruch von 1.258,33 Euro brutto für die Zeit vom 1. Januar bis zu. Das der Klage stattgebende Teilurteil des Landesarbeitsgerichts war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), die Entscheidung des Arbeitsgerichts teilweise abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen (§ 563 Abs. 3 ZPO).

14I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 TV  nur anteiligen Anspruch auf die Einmalzahlung für den Zeitraum vom 2. Juni bis in Höhe von 1.741,67 Euro brutto. Dieser Anspruch ist nach § 362 Abs. 1 BGB durch Erfüllung erloschen.

151. Der in § 1 Satz 1 TV  geregelte Geltungsbereich ist eröffnet. Der Kläger ist sog. Mitarbeiter der Beklagten. Aufgrund der arbeitsvertraglichen Verweisung fällt er „unter den jeweils gültigen Manteltarifvertrag für das Kabinenpersonal“.

162. Der Kläger erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 TV . Mangels anderer Regelung trat die Tarifvereinbarung vom am selben Tag in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt stand der Kläger unstreitig in einem „aktiven Beschäftigungsverhältnis“ zu der Beklagten.

173. Dem Kläger steht die Einmalzahlung nach § 3 Abs. 2 TV  nur anteilig für den Zeitraum vom 2. Juni bis zu. Während der vom 1. Januar bis andauernden Arbeitsunfähigkeit war er nicht „in einem aktiven Beschäftigungsverhältnis beschäftigt“. Die Auslegung der Regelung ergibt, dass der Anspruch auf die Einmalzahlung nur in geringerer Höhe entstand, wenn im Jahr 2015 krankheitsbedingte Fehlzeiten auftraten, für die kein Anspruch auf Krankenbezüge nach § 13 MTV bestand.

18a) Nach § 3 Abs. 2 TV  ist Voraussetzung für die nur anteilige Leistung der Einmalzahlung, dass der Mitarbeiter „im Kalenderjahr 2015 nicht durchgehend in einem aktiven Beschäftigungsverhältnis beschäftigt“ war. Welchen Personenkreis die Tarifvertragsparteien damit gemeint haben, ist allein anhand des Wortlauts der tariflichen Regelung nicht eindeutig zu ermitteln.

19aa) Bei der Wortverbindung „aktives Beschäftigungsverhältnis“, die die Tarifvertragsparteien gleichermaßen in § 3 Abs. 1 Satz 1 und in § 3 Abs. 2 TV  verwenden, handelt es sich nicht um einen feststehenden Rechtsbegriff. Da die Tarifvertragsparteien die Bedeutung der Wortkombination nicht erläutert haben, ist vom allgemeinen Verständnis in arbeitsrechtlichen Fachkreisen auszugehen. Danach ist ein Beschäftigungsverhältnis „aktiv“, solange die aus ihm resultierenden beiderseitigen Rechte und Pflichten nicht aufgehoben oder suspendiert sind. Dementsprechend wird die Wortkombination (nicht) „aktives Beschäftigungsverhältnis“ häufig im Zusammenhang mit dem Beginn des Bezugs von betrieblichem Ruhegeld oder Altersrente verwendet (vgl.  - zu B III 1 b der Gründe, BAGE 98, 212; - 3 AZR 706/92 - zu II der Gründe). Von einem (nicht) „aktiven Beschäftigungsverhältnis“ ist auch die Rede, wenn es um den Bezug von Arbeitslosengeld in einem ruhenden Arbeitsverhältnis geht ( - zu I B 2 a der Gründe; vgl. auch  - Rn. 27, BAGE 117, 231). Gebräuchlich ist der Begriff ferner bei (Wieder-)Aufnahme der Tätigkeit nach einer Ruhens- oder Freistellungsvereinbarung ( - zu B II 1 a der Gründe;  - zu II 3 b bb der Gründe). Nach diesem Verständnis wäre es entscheidend und ausreichend für ein „aktives Beschäftigungsverhältnis“, dass es nicht ruht.

20bb) Die Verbindung „durchgehend in einem aktiven Beschäftigungsverhältnis“ mit „beschäftigt waren“ lässt nicht auf ein anderes Verständnis schließen. „Durchgehend“ ist gleichbedeutend mit ununterbrochen, ohne zeitliche Unterbrechung. Die passive Verbform „beschäftigt sein“ bezieht sich auf die in § 3 Abs. 2 TV  genannten „Mitarbeiter“ (die, die „beschäftigt waren“). Die adverbiale Bestimmung „nicht durchgehend“ bezieht sich auf „beschäftigt waren“. Sie sagt aus, wie das „Beschäftigtsein“ beschaffen sein muss: „durchgehend“, also ununterbrochen. Das Adjektiv „aktiv“ bezieht sich auf das Beschäftigungsverhältnis. Es kommt nach dem Wortlaut daher nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer „aktiv“ beschäftigt war, dh. gearbeitet hat. Mit diesen Erwägungen käme es nicht zu einer nur anteiligen Entstehung des Anspruchs auf die Einmalzahlung für Zeiten einer über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinausgehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, weil das Arbeitsverhältnis in diesen Fällen grundsätzlich nicht ruht (vgl.  - Rn. 14).

21cc) Das vom Landesarbeitsgericht angenommene Ergebnis der Wortlautauslegung, wonach mit dem „aktiven“ Beschäftigungsverhältnis lediglich das Gegenteil von einem „ruhenden“ Beschäftigungsverhältnis gemeint ist, wird jedoch dadurch infrage gestellt, dass die Tarifvertragsparteien den weitaus gebräuchlicheren Begriff des „ruhenden“ Beschäftigungsverhältnisses nicht verwendet haben (vgl.  - Rn. 14).

22b) Systematik und Zweck des Tarifgefüges sprechen für eine nur anteilige Entstehung des Anspruchs auf die Einmalzahlung.

23aa) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 TV  in der durch § 1 Ergänzungsvereinbarung I geänderten Fassung ist der Anspruchserwerb davon abhängig, dass keine der Parteien bei Inkrafttreten der TV  eine Kündigung des bestehenden Arbeitsverhältnisses erklärt hatte. Da ein Arbeitsverhältnis unabhängig davon gekündigt werden kann, ob es „aktiv“ ist oder ruht, ist die Ersetzung durch das Adjektiv „ungekündigt“ für sich genommen kein Hinweis darauf, dass mit „aktiv“ etwas anderes als „nicht ruhend“ gemeint sein könnte. Es liegt jedoch fern, dass die redaktionelle Bereinigung des § 3 Abs. 1 TV  durch § 1 Ergänzungsvereinbarung I nur Kündigungen eines ruhenden Arbeitsverhältnisses regeln soll. Näher liegt die Annahme, dass die Tarifvertragsparteien unter einem „aktiven Beschäftigungsverhältnis“ iSd. - nicht geänderten und von § 2 Abs. 2 Ergänzungsvereinbarung I ausdrücklich in Bezug genommenen - § 3 Abs. 2 TV  ein Arbeitsverhältnis verstehen, in dem die gegenseitigen Rechte und Pflichten tatsächlich „aktiv“ sind, dh. erfüllt werden.

24bb) In diese Richtung weist auch die in § 2 Abs. 1 Ergänzungsvereinbarung I geregelte Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten ua. um Mitarbeiter „in Langzeitkrankheit nach Wegfall des Krankengeldzuschusses, Elternzeit oder unbezahltem Sonderurlaub“. Die Gleichstellung der Langzeiterkrankten nach Wegfall des Krankengeldzuschusses mit den in Elternzeit oder unbezahltem Sonderurlaub befindlichen Mitarbeitern kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass die Tarifvertragsparteien jedenfalls in diesen Fällen nicht (mehr) von einem „aktiven Beschäftigungsverhältnis“ ausgehen. Das deutet darauf hin, dass ein „aktives“ Beschäftigungsverhältnis iSd. unverändert gebliebenen § 3 Abs. 2 TV  nicht nur fehlende Ruhenszeiträume, sondern auch einen Entgeltanspruch - und sei es nur in Form eines Krankengeldzuschusses nach § 13 Abs. 3 und Abs. 4 MTV - voraussetzt.

25cc) Der systematische Zusammenhang, in den § 3 Abs. 2 TV  eingebunden ist, und der Zweck der Einmalzahlung sprechen für das Verständnis, dass nicht nur für Ruhenszeiträume kein Anspruch entstand, sondern auch für solche Zeiten im Jahr 2015, in denen weder Anspruch auf Entgelt noch auf Krankenbezüge nach § 13 MTV bestand.

26(1) § 3 Abs. 2 TV  ist Teil einer Tarifvereinbarung, die nach § 1 Satz 2 TV  „die Grundlage für Anpassungen“ des damals aktuellen Vergütungstarifvertrags darstellt. In diesem Zusammenhang wurde in § 2 TV  mit Wirkung zum eine Erhöhung der Tabelleneckwerte des Vergütungstarifvertrags um 2,2 % vereinbart. Für das Kalenderjahr 2015 verständigten sich die Tarifvertragsparteien auf die „Einmalzahlung“ nach § 3 TV .

27(2) Daran zeigt sich, dass es sich bei der „Einmalzahlung“, die nach § 3 Abs. 1 Satz 1 TV  ausdrücklich „für das Kalenderjahr 2015“ gezahlt wird, nicht um eine vom regulären Arbeitsentgelt losgelöste Sonderzahlung, sondern um eine pauschale Erhöhung des tariflichen Entgelts für das abgelaufene Kalenderjahr handelt. Die Einmalzahlung sollte für die im Unternehmen verbliebenen Mitarbeiter des Kabinenpersonals erkennbar die für das Jahr 2015 zunächst unterbliebene Tariferhöhung ausgleichen. Sie hat lediglich diesen Zweck. Daraus folgt, dass nur Anspruch auf die (vollständige) Einmalzahlung hat, wer im Jahr 2015 Anspruch auf Entgelt im weiteren Sinn hatte, sei es auch nur in Form des Krankengeldzuschusses nach § 13 Abs. 3 und Abs. 4 MTV.

28(3) Die Festsetzung eines einheitlichen Betrags für alle Arbeitnehmer ungeachtet der individuellen Vergütungsgruppe steht dem gegenleistungsbezogenen Vergütungscharakter der Einmalzahlung nicht entgegen. Der Pauschalbetrag in den unteren Entgeltgruppen entspricht zwar einem höheren Vomhundertsatz als in den oberen Entgeltgruppen, so dass Bezieher geringerer Vergütungen prozentual stärker davon profitieren als Bezieher höherer Entgelte. Die Bewertung der Angemessenheit einer Entgelterhöhung im Hinblick auf die Entgeltdifferenzierung zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen ist aber grundsätzlich den Tarifvertragsparteien vorbehalten. Sie dürfen deshalb einen für alle Arbeitnehmer einheitlichen Erhöhungsbetrag auch bei unterschiedlicher Wertigkeit der Arbeit festsetzen ( - Rn. 16).

29(4) Durch die Berücksichtigung von Zeiträumen, in denen weder Anspruch auf Entgelt noch auf Krankenbezüge nach § 13 MTV bestand, verlöre die Einmalzahlung ihren Vergütungscharakter. Dem Kläger ist zuzugeben, dass es aufwendiger ist, die Tage einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ohne Anspruch auf Krankenbezüge nach § 13 MTV zu ermitteln als Ruhenszeiträume festzustellen. Die Tarifvertragsparteien haben sich gleichwohl für diesen Weg entschieden. Das ist von dem Regelungsspielraum gedeckt, der ihnen nach Art. 9 Abs. 3 GG zukommt ( - Rn. 28; zu einer nicht tariflichen Einmalzahlung  - Rn. 36).

304. Der Kläger hat - auch auf Nachfrage in der Revisionsverhandlung - nicht positiv behauptet, dass ihm für den Zeitraum vom 1. Januar bis , in dem er Krankengeld bezog, ohne Anspruch auf Krankengeldzuschuss zu haben, ein anderweitiger Entgeltanspruch zustand. Die Sache musste deshalb nicht zur weiteren Sachaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.

31II. Der Kläger hat nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen. Über die erst- und zweitinstanzlichen Kosten wird das Landesarbeitsgericht in seinem Schlussurteil zu entscheiden haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2018:150818.U.10AZR419.17.0

Fundstelle(n):
ZAAAG-95333