Bewilligung einer nachrangigen Rente - anfängliche Rechtswidrigkeit - Anordnung des Ruhens nachrangiger Renten - Regelungen des Sozialverwaltungsrechts über die Rücknahme und Aufhebung von Verwaltungsakten
Leitsatz
1. Die Bewilligung einer nachrangigen Rente ist anfänglich rechtswidrig, wenn bei objektiver Betrachtung im Zeitpunkt der Rentengewährung bereits Ansprüche aus einem vorrangigen Rentenrecht entstanden waren, die nachrangige Rentenansprüche kraft Gesetzes zum Ruhen gebracht hatten (Anschluss an = SozR 4-2600 § 89 Nr 3).
2. Die Anordnung des Ruhens nachrangiger Renten verdrängt nicht die Regelungen des Sozialverwaltungsrechts über die Rücknahme und Aufhebung von Verwaltungsakten.
Gesetze: § 39 Abs 1 S 2 SGB 1, § 43 Abs 1 SGB 6, § 43 Abs 2 SGB 6, § 89 Abs 1 S 1 SGB 6, § 43 Abs 1 SGB 10, § 43 Abs 3 SGB 10, § 45 Abs 1 SGB 10, § 45 Abs 2 S 3 SGB 10, § 45 Abs 3 SGB 10, § 46 SGB 10, § 47 SGB 10, § 48 Abs 1 S 1 SGB 10, § 48 Abs 1 S 2 SGB 10, § 50 Abs 1 S 1 SGB 10, § 50 Abs 3 S 1 SGB 10
Instanzenzug: SG Darmstadt Az: S 6 R 655/12 Urteilvorgehend Hessisches Landessozialgericht Az: L 2 R 417/14 Urteil
Tatbestand
1Im Streit stehen die Rücknahme eines Verwaltungsakts über Zahlungsansprüche aus einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgrund einer später mit Wirkung für denselben Zeitraum bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung und eine daraus folgende Erstattungsforderung.
2Der beklagte Rentenversicherungsträger bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom eine (befristete) Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom bis iHv 394,29 Euro monatlich. Auf den Widerspruch der Klägerin bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom "anstelle" der bisherigen Rente für denselben Zeitraum eine (befristete) Rente wegen voller Erwerbsminderung iHv monatlich 788,58 Euro. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass die Nachzahlung iHv 10 212,79 Euro für die Zeit vom bis vorläufig nicht ausgezahlt, sondern erst bei Kenntnis der Höhe der Ansprüche anderer Stellen abgerechnet werde.
3Nachdem sie der Krankenkasse der Klägerin und der Bundesanstalt für Arbeit das zeitgleich zur Rente gezahlte Kranken- bzw Arbeitslosengeld erstattet hatte, hob die Beklagte den Bescheid über die befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung vom "hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom bis nach § 48 SGB X" auf. Zugleich rechnete sie ihre Forderung aus der "Überzahlung" dieser Rente gegen den Anspruch auf Nachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung auf, soweit dieser nach Erfüllung der og Erstattungsansprüche verblieben war und forderte von der Klägerin eine Erstattung der überzahlten Leistung iHv noch 1305,56 Euro (Bescheid vom ). Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom ).
4Das SG Darmstadt hat den Bescheid der Beklagten vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom aufgehoben (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt, die Voraussetzungen des § 48 SGB X seien nicht erfüllt. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei durch Erteilung des Bescheids über die Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht eingetreten, denn die Klägerin habe bereits von Anfang an - ab Februar 2011 - sowohl einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als auch einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gehabt. Eine Rücknahme des Zahlungsanspruchs komme nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X in Betracht; insoweit sei jedoch von einem schützenswerten Vertrauen der Klägerin in den Bestand des ursprünglichen Verwaltungsakts auszugehen (Urteil vom ).
5Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 45, 48 SGB X. Zwar habe die Klägerin ab Anspruch sowohl auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als auch Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gehabt. Jedoch werde nach § 89 SGB VI nur die höchste Rente "geleistet". Der Verwaltungsakt vom über den Auszahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei somit für Zeiten ab Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung rechtswidrig geworden. Diese Rechtswidrigkeit habe nicht von Anbeginn an bestanden; vielmehr sei erst durch die Festsetzung des Auszahlungsanspruchs der Rente wegen voller Erwerbsminderung am eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eingetreten. Mit der Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung habe die Klägerin Einkommen iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt, auch wenn ihr das Mehr an Einkünften nur indirekt durch Befriedigung von Erstattungsansprüchen zugutegekommen sei.
6Die Beklagte beantragt,die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom und des Sozialgerichts Darmstadt vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.
8Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Gründe
9Die Revision ist zulässig, aber unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
10Das LSG hat die Berufung der Beklagten gegen das die angefochtenen Bescheide aufhebende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die Beklagte war nicht berechtigt, den Bescheid vom über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für den Zeitraum vom bis hinsichtlich des Zahlungsanspruchs zurückzunehmen und Erstattung einer Überzahlung iHv 1305,56 Euro von der Klägerin zu verlangen. Sowohl der Aufhebungs-Verwaltungsakt im Bescheid vom (dazu unter 1.) als auch der Erstattungs-Verwaltungsakt sind rechtswidrig (dazu unter 2.).
111. Die Aufhebung des Rentenzahlungsanspruchs aus dem Bescheid vom ist rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 SGB X, der von der Beklagten gewählten Rechtsgrundlage, nicht erfüllt sind (dazu unter a) und der Verwaltungsakt weder in eine Rücknahme nach § 45 Abs 1 SGB X (dazu unter b) noch in einen Widerruf (§§ 46, 47 SGB X) umgedeutet bzw durch Auswechseln der Rechtsgrundlage bzw Nachschieben von (Rechts-)Gründen aufrechterhalten werden kann (dazu unter c). Allein auf § 89 SGB VI kann der Verwaltungsakt nicht gestützt werden (dazu unter d).
12a) Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 SGB X (idF der Neubekanntmachung vom , BGBl I 130), auf den die Beklagte ihre Aufhebungsentscheidung stützt, liegen nicht vor. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen einer nach seinem Erlass (Bekanntgabe) eingetretenen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (S 1); unter weiteren Voraussetzungen soll er mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden (S 2).
13Vorliegend fehlt es bereits an einer erst nach Bekanntgabe des Bescheids vom eingetretenen wesentlichen Änderung. Der Verwaltungsakt über die Festsetzung des monatlichen Zahlbetrags der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung war, anders als die Beklagte annimmt, schon in seinem Erlasszeitpunkt materiell rechtswidrig. Denn ein befristetes (Stamm-)Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2, § 102 Abs 2 S 2 SGB VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzel(zahlungs)ansprüche ab dem war bereits kraft Gesetzes entstanden, als die Beklagte den Bescheid vom erließ (zur Unterscheidung zwischen Renten-Stammrecht und -zahlungsanspruch vgl Senatsurteil vom - 13 RJ 19/91 - BSGE 72, 39 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 9; - SozR 3-2600 § 300 Nr 3; - SozR 3-2200 § 1304a Nr 3). Bereits damals stand "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest, dass daneben keine durchsetzbaren Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bestehen konnten, sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (§ 89 Abs 1 S 1 SGB VI, damals idF durch Gesetz vom , BGBl I 1791). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zur Entstehung gelangten (zum Ganzen vgl - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 31 mwN). Eine Rücknahme anfänglich rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte - hier des Rentenbescheids vom - ist aber nicht auf Grundlage des § 48 SGB X möglich, sondern allein auf Grundlage des § 45 SGB X.
14Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung des 5. Senats vom (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2). Dieser lag eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse (im Gesundheitszustand des dortigen Versicherten) nach Erlass des später aufgehobenen Rentenverwaltungsakts zugrunde. Ihr ist kein Rechtssatz des Inhalts zu entnehmen, dass in Fällen des § 89 SGB VI stets § 48 SGB X zur Anwendung kommen müsse (so bereits - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 32). Zu Unrecht nimmt die Beklagte an, dass der Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst entfiel, als sie der Klägerin mit Bescheid vom Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannte. Denn im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB X kommt es weder auf die im aufzuhebenden Bescheid genannten noch auf die damals von der Behörde zugrunde gelegten Verhältnisse noch auf die Kenntnis der Behörde von den wirklichen Verhältnissen an, sondern allein auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse und deren objektive Änderung. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 S 1 SGB X, der von der Änderung der Verhältnisse spricht, die beim Erlass des Verwaltungsakts "vorgelegen haben" (vgl - SozR 3-1300 § 48 Nr 35 - Juris RdNr 15 mwN; - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 32).
15Auch wenn darauf abgestellt würde, dass der Zahlungsanspruch mangels Selbstvollzug des Gesetzes einen den Rentenwert und den Beginn (der Rente wegen voller Erwerbsminderung) festsetzenden Verwaltungsakt erfordert, so ergibt sich daraus keine andere Bewertung. Denn auch insoweit kommt es nicht auf die Bekanntgabe dieses Verwaltungsakts als den Zeitpunkt der äußeren Wirksamkeit an, sondern darauf, dass dessen inhaltliche Regelung - hier auf den Zeitpunkt des Rentenbeginns am - zurückwirkt (innere Wirksamkeit).
16b) Die Aufhebungsentscheidung lässt sich auch nicht im Wege der Umdeutung auf § 45 Abs 1 SGB X stützen und damit aufrechterhalten. Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs 2 S 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs 2 S 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs 3). § 24 SGB X ist entsprechend anzuwenden (Abs 4). Die Befugnis zur Umdeutung steht auch den Gerichten zu; die Grundsätze des § 43 SGB X sind auch im gerichtlichen Verfahren anwendbar (stRspr; vgl zB - BSGE 119, 57 = SozR 4-2500 § 34 Nr 17, RdNr 49 mwN; Leopold in jurisPK-SGB X, 2. Aufl 2017, § 43 RdNr 63 mwN; aA Littmann in Hauck/Noftz, SGB, Oktober 2009, K § 43 SGB X RdNr 14 mwN).
17Im konkreten Fall liegen die Voraussetzungen einer Umdeutung nach § 43 Abs 1 SGB X jedoch nicht vor. Zwar wären der fehlerhafte Verwaltungsakt nach § 48 SGB X und der Ersatzakt nach § 45 SGB X auf dasselbe Ziel gerichtet, nämlich auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts (hier: als Rechtsgrund für den Bezug bzw das Behaltendürfen der bewilligten Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung). Soweit der Verwaltungsakt vom über die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, fehlen aber bereits die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen iS des § 43 Abs 1 S 1 SGB X für den Erlass des Ersatzakts gemäß § 45 Abs 1 SGB X anstelle von § 48 Abs 1 S 2 SGB X (dazu unter aa); soweit die Rücknahme für die Zukunft wirken soll, verbietet § 43 Abs 3 SGB X die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 SGB X (dazu unter bb).
18aa) Der streitige Verwaltungsakt kann nicht in eine Rücknahme für die Vergangenheit umgedeutet werden; die Voraussetzungen für den Erlass eines Ersatzverwaltungsakts nach § 45 SGB X liegen nicht vor. Nach § 45 Abs 1 SGB X darf ein (im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Mit Wirkung für die Vergangenheit wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von § 45 Abs 2 S 3 und Abs 3 S 2 SGB X zurückgenommen (§ 45 Abs 4 S 1 SGB X). Soweit die Beklagte den Verwaltungsakt über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Bescheid vom mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt vom rückwirkend, dh für die Zeit vom bis zum aufgehoben hat, geben die Feststellungen des LSG keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs 3 S 2 SGB X (Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO; vgl hierzu Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 45 SGB X RdNr 72 mwN) zu prüfen. Der Verwaltungsakt vom beruht auch nicht auf Angaben, welche die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X). Ebenso wenig kannte sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts oder war ihr dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Halbs 1 SGB X).
19bb) Aber auch soweit der Verwaltungsakt vom in die Zukunft wirkt, liegen die Umdeutungsvoraussetzungen nicht vor. Denn die Aufhebung eines (Dauer-)Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" ergeht gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X als gesetzlich gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" nach § 45 Abs 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) der Behörde steht. Eine gebundene Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X, wie sie die Beklagte ausweislich des Verfügungssatzes ihres (Gegen-)Verwaltungsakts vom getroffen hat, kann nach § 43 Abs 3 SGB X aber nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden ( 9/9a RV 43/91 - SozR 3-3660 § 1 Nr 1; B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3; - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 37).
20Eine Umdeutung ist hier auch nicht ausnahmsweise deshalb zulässig, weil auch eine Entscheidung gemäß § 45 Abs 1 SGB X "gebunden" wäre. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Rücknahmeentscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der Ermessensgrenzen" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre ( - SozR 4-7837 § 2 Nr 27 RdNr 29; - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 37; III C 40.74 - Buchholz 427.3. § 335a LAG Nr 54). Dies trifft hier nicht zu. Denn dass die Komplettrücknahme des zahlungsanspruchsgewährenden Verwaltungsakts im Rentenbescheid vom die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der "Gutgläubigkeit" der Klägerin (vgl dazu Senatsurteil vom - B 13 R 15/13 R - UV-Recht Aktuell 2015, 725, 729 - Juris RdNr 12) und der Möglichkeit, eine zeitlich, summen- oder quotenmäßig differenzierte Rücknahmeentscheidung zu treffen (vgl dazu Lang/Waschull in Diering/Timme, SGB X, 4. Aufl 2016, § 45 RdNr 61 mwN; Siewert/Lang in Fichte/Plagemann, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2. Aufl 2016, § 4 RdNr 177 mwN), auszuschließen.
21Die Möglichkeit zur Umdeutung ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom den Anforderungen des § 45 SGB X genügende Ermessenserwägungen angestellt hätte. Wenn die Beklagte darin ausführt, sie sehe sich nicht dazu in der Lage, "von der Aufhebung des bisherigen Bescheides für die Zukunft abzusehen, da in Fällen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen die Aufhebung des Bescheides für die Zukunft zwingend vorzunehmen" sei, macht sie deutlich, dass sie (irrtümlich) davon ausging, eine gebundene Aufhebungsentscheidung treffen zu müssen und zu einer Ermessensausübung nicht befugt zu sein. Soweit sie weiter erklärt, die ihr "bekannten Umstände, die der Aufhebung des bisherigen Bescheides entgegenstehen könnten, … bei der Prüfung der genannten Voraussetzungen beachtet" zu haben, genügen diese pauschalen Ausführungen nicht den Anforderungen an eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I). Auch die Erklärung der Beklagten, sie sei davon ausgegangen, dass die Aufrechnung des Nachzahlungsanspruchs der Klägerin mit ihrem eigenen Rückzahlungsanspruch "in Ihrem Interesse" (dh dem der Klägerin) liege, stellt keine Ermessensausübung dar, sondern bezieht sich im Kern auf den Erstattungsanspruch und die damit verbundene "Rückzahlung" bzw den "Rückforderungsanspruch" und bewegt sich damit vordergründig auf der Ebene des Haushaltswesens und der Forderungsdurchsetzung (§ 76 Abs 2 SGB IV; vgl - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 38 mwN).
22c) Eine Umdeutung der Aufhebungsentscheidung in einen Widerruf des Bescheids vom (§§ 46, 47 SGB X) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen dafür sind nicht erfüllt.
23Da die Voraussetzungen für den Erlass eines auf §§ 45, 46 oder 47 SGB X gestützten Ersatzverwaltungsakts - wie gezeigt - nicht vorliegen, lässt sich die Aufhebungsentscheidung auch nicht mittels Auswechseln der Rechtsgrundlage bzw durch Nachschieben von (Rechts-)Gründen aufrechterhalten. Denn auch dies ist unter solchen Umständen ausgeschlossen (vgl hierzu allg - Juris RdNr 16 ff).
24d) Entgegen der Auffassung der Beklagten war die sozialverwaltungsverfahrensrechtliche Aufhebung des Verwaltungsakts über die Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auch nicht mit Rücksicht auf die Ruhensregelung des § 89 Abs 1 S 1 SGB VI entbehrlich. Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird gemäß § 89 Abs 1 S 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. Dies ist vorliegend die Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Vorschrift lässt den Anspruch auf Rente dem Grunde nach unberührt ( - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 27; Jentsch in jurisPK-SGB VI, 2. Aufl 2013, § 89 RdNr 7), sodass bei konkurrierenden Rentenansprüchen iS des § 89 Abs 1 S 1 SGB VI beide Rentenansprüche dem Grunde nach nebeneinander bestehen bleiben ( - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 27; Fichte in Hauck/Noftz, SGB, September 2011, K § 89 SGB VI RdNr 11). Damit trifft § 89 Abs 1 S 1 SGB VI aber ausschließlich eine materielle Regelung über den Zahlanspruch. Ist ein Rentenzahlanspruch - wie vorliegend - durch einen Bescheid festgestellt, so bedarf es zur Beseitigung dieses Zahlungsanspruchs, auch wenn er die niedrigere Rente betrifft, zwingend eines förmlichen Verwaltungsverfahrens. Eines solchen hat sich die Beklagte zwar bedient, es jedoch mit einem materiell rechtswidrigen Aufhebungsbescheid abgeschlossen.
252. Auch das Erstattungsverlangen der Beklagten im Bescheid vom ist materiell rechtswidrig. Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Erstattungsanspruch nach § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Jedoch ist der Verwaltungsakt im Bescheid vom , mit dem die Beklagte den Bescheid vom hinsichtlich des Rentenzahlungsanspruchs für die Zeit vom bis aufgehoben hat, rechtswidrig. Eine andere Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Erstattungsforderung kommt nicht in Betracht.
263. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2018:250518UB13R3315R0
Fundstelle(n):
TAAAG-93835