BGH Beschluss v. - 4 StR 477/17

Entscheidung über Vollstreckungsreihenfolge bei Anordnung der Unterbringung in Entziehungsanstalt

Gesetze: § 55 Abs 2 StGB, § 64 StGB, § 67 Abs 2 S 2 StGB, § 67 Abs 2 S 3 StGB

Instanzenzug: Az: 8 KLs 21/16

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten schweren Raubes und besonders schweren Raubes unter Einbeziehung der mit Urteil des Landgerichts Osnabrück vom verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Ferner hat es die in dem vorbezeichneten Urteil angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten. Eine Entscheidung über die Reihenfolge der Vollstreckung von Strafe und Maßregel hat es nicht getroffen.

2Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit einer Verfahrensrüge sowie der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.

II.

4Auch die von der Strafkammer angeordnete Aufrechterhaltung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aus dem Urteil des Landgerichts Osnabrück vom hält rechtlicher Nachprüfung stand (1.). Sie hat sich jedoch zu Unrecht gehindert gesehen, gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB die Reihenfolge der Vollstreckung zu bestimmen (2.).

51. Das Landgericht hat zutreffend die im Urteil des Landgerichts Osnabrück vom angeordnete Maßregel gemäß § 55 Abs. 2 StGB aufrechterhalten, weil die beiden im vorliegenden Verfahren abgeurteilten Taten am und damit vor jener Verurteilung des Angeklagten begangen wurden. Wegen des Vorrangs der Grundsätze der nachträglichen Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) vor der Regelung des § 67f StGB war kein Raum für eine zusätzliche Maßregelanordnung (vgl. , NStZ-RR 2011, 105 mwN).

62. Jedoch hält die Begründung, mit der das Landgericht von einer Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB abgesehen hat, revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

7a) Nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB soll das Gericht bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Diese Entscheidung ist - in Abweichung vom Wortlaut des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB - auch dann zu treffen, wenn nach § 55 Abs. 2 StGB eine bereits bestehende Unterbringungsanordnung aus einer früheren Entscheidung lediglich aufrechterhalten wird und die daneben gemäß § 55 Abs. 1 StGB gebildete nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe drei Jahre übersteigt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 228/12, Tz. 2; vom - 3 StR 132/11, Tz. 3; vom - 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105, 106). Denn durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung sollen die Vor- und Nachteile ausgeglichen werden, die dem Angeklagten infolge der getrennten Verurteilung entstanden sind (vgl. , BGHSt 43, 79, 80; Beschluss vom , aaO). Dieses Ziel wird nur dann vollständig erreicht, wenn mit der nachträglichen Gesamtstrafenbildung und der Aufrechterhaltung der bereits bestehenden Unterbringungsanordnung auch die unter den gegebenen Umständen zur Sicherung des Therapieerfolgs erforderliche Änderung der Vollstreckungsreihenfolge vorgenommen wird (vgl. aaO).

8Von einem teilweisen Vorwegvollzug der Strafe nach Maßgabe des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB kann ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eine andere Entscheidung eher die Erreichung eines Therapieerfolgs erwarten lässt (, Tz. 4). Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn nachträglich eine so hohe Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird, dass eine nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB bemessene, am Halbstrafenzeitpunkt orientierte Anordnung des Vorwegvollzugs zu einer Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug führen muss und dies zur Folge hat, dass der Zweck der Maßregel gefährdet und nicht, wie es § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB voraussetzt, leichter erreicht werden kann (vgl. , StraFo 2017, 426; Beschluss vom - 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105 f. in einer nicht tragenden Erwägung). Dabei obliegt die Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 2 StGB dem Tatrichter im Erkenntnisverfahren auch dann, wenn im Rahmen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt lediglich aufrechterhalten wird. Entgegen der Auffassung des Landgerichts durfte diese Entscheidung nicht dem Vollstreckungsgericht überlassen werden.

9b) Der neue Tatrichter wird daher eine Entscheidung nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB zu treffen und dabei zu prüfen haben, ob und inwieweit der Angeklagte bereits in den Therapieverlauf eingegliedert ist und wie sich seine Herausnahme auf einen möglichen Therapieerfolg auswirken würde. Dabei wird gegebenenfalls auch zu erwägen sein, welche Auswirkungen ein sich an eine erfolgreiche Therapie anschließender Strafvollzug auf das weitere Abstinenzverhalten des Angeklagten haben würde.

10Der Angeklagte wird durch eine Entscheidung nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB nicht beschwert, sodass eine Nachholung allein auf seine Revision hin möglich ist (, NStZ-RR 2009, 105).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:231117B4STR477.17.0

Fundstelle(n):
TAAAG-93579