BFH Urteil v. - VIII R 24/02

Zeitpunkt der Entstehung des Auflösungsverlusts nach § 17 Abs. 4 EStG bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen einer GmbH

Gesetze: EStG §17 Abs. 4, § 10d

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war zunächst mit 96 v.H. am Stammkapital (50 000 DM) einer GmbH beteiligt; 1995 erwarb sie die restlichen Geschäftsanteile zum Preis von 1 000 DM hinzu.

Am wurde über das Vermögen der GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Das Aktivvermögen der GmbH betrug in diesem Zeitpunkt 80 000 DM, die Verbindlichkeiten 728 000 DM. Außerdem war am noch eine Klage des Konkursverwalters gegen die Klägerin wegen einer Forderung (Zinsen wegen verspäteter Zahlung der Einlage, Rückforderung eines eigenkapitalersetzenden Darlehens) in Höhe von 220 397,61 DM anhängig. Der Prozess wurde 1997 mit einem Vergleich abgeschlossen, nach dem die Klägerin an den Konkursverwalter noch 10 000 DM zu zahlen hatte. Das Konkursverfahren wurde nach der Schlussverteilung am aufgehoben.

Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung 1996 machte die Klägerin einen Auflösungsverlust gemäß § 17 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 73 674,96 DM geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) ließ diesen Verlust bei der Einkommensteuerveranlagung 1996 (Einkommensteuer 0 DM) mit dem Hinweis unberücksichtigt, dass das Liquidationsverfahren am noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Außerdem lehnte es den Antrag der Klägerin ab, auf den einen verbleibenden Verlustabzug gemäß § 10d Abs. 3 EStG in Höhe von 64 530 DM festzustellen und diesen Verlust in Höhe von 30 193 DM in das Jahr 1994 (bestandskräftig veranlagt) und in Höhe von 34 337 DM in das Jahr 1995 (ebenfalls bestandskräftig veranlagt) zurückzutragen. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage überwiegend statt.

Mit der —vom FG zugelassenen— Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts (§ 96 Abs. 1 Satz 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—; § 17 Abs. 2 und 4 EStG).

Es beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

1. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nur die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Antrags auf Änderung der Einkommensteuerbescheide 1994 und 1995. Dies allein hat die Klägerin im Klageverfahren beantragt. An einer Verpflichtung zum Erlass eines Bescheides über die gesonderte Feststellung des abziehbaren Verlustes nach § 10d Abs. 3 EStG konnte sie kein Interesse haben. Denn dieser Bescheid hat nur die Feststellung eines Verlustvortrags für die künftigen Veranlagungszeiträume zum Ziel (§ 10d Abs. 3 Satz 1 EStG, und dazu Senatsurteil vom VIII R 7/97, BFH/NV 2000, 564, m.w.N.; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 10d Rz. 50, m.w.N.); die Klägerin hat den von ihr geltend gemachten Verlust des Jahres 1996 aber bereits in voller Höhe mit dem Antrag ausgeschöpft, den Verlust in die Jahre 1994 und 1995 zurückzutragen. Über den Zeitpunkt und die Höhe des Verlustes und über den Verlustabzug wird bei der Einkommensteuerveranlagung für diese Jahre entschieden (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. —für die Zeit vor 1990— , BFH/NV 1998, 1356, und vom XI R 31/00, BFH/NV 2001, 1026, sowie —für spätere Wirtschaftsjahre— Senatsurteil in BFH/NV 2000, 564, unter II. 2. a der Gründe).

2. Die Einkommensteuerbescheide 1994 und 1995 waren nicht zu ändern.

a) Verluste, die im Entstehungsjahr bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden können, sind bis zu einem Betrag von insgesamt 10 Mio. DM in den folgenden Veranlagungszeiträumen wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen, soweit sie nicht in den zwei dem Verlustentstehungsjahr vorangegangenen Veranlagungszeiträumen abgezogen werden konnten (§ 10d Abs. 1 Satz 1 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung). Zu den rücktrags- und vortragsfähigen Verlusten zählt auch ein Verlust, den ein wesentlich beteiligter Gesellschafter anlässlich der Auflösung der Kapitalgesellschaft erleidet (, BFHE 194, 108, BStBl II 2001, 385, unter I. der Gründe, m.w.N.).

Da die Einkommensteuer für das Wirtschaftsjahr 1996 mit 0 DM festgesetzt wurde und deshalb der Streit über den Zeitpunkt der Verlustentstehung im Einspruchsverfahren gegen diesen Bescheid mangels Beschwer nicht geprüft werden konnte, war über ihn, wie ausgeführt, bei den Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 1994 und 1995 zu entscheiden. Rechtsgrundlage für die Änderung dieser Bescheide ist § 10d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 3 EStG.

b) Die Änderung dieser Bescheide setzt voraus, dass der geltend gemachte Auflösungsverlust im Jahr 1996 entstanden ist. Nur für diesen Fall liegt ein Antrag der Klägerin nach § 10d Abs. 1 Sätze 4 und 5 EStG vor, den Verlust zurückzutragen. Es war deshalb im Streitfall nicht zu prüfen, ob und in welcher Höhe ein nach § 17 Abs. 4 EStG zu berücksichtigender Auflösungsverlust in späteren Jahren entstanden und —in das Wirtschaftsjahr 1995— zurückzutragen ist.

c) Der Auflösungsverlust war im Jahr 1996 noch nicht entstanden.

aa) Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom VIII R 63/98 (BFHE 191, 115, BStBl II 2000, 343) entschieden, dass im Konkursverfahren über das Vermögen einer GmbH der Auflösungsverlust i.S. von § 17 Abs. 4 EStG regelmäßig erst mit Abschluss des Konkursverfahrens realisiert sei. Ausnahmsweise könne der Zeitpunkt der Verlustrealisierung schon vor Abschluss der konkursfreien Liquidation oder der Liquidation durch Konkurs liegen, wenn mit einer wesentlichen Änderung des bereits feststehenden Verlustes wegen Vermögenslosigkeit der GmbH nicht mehr zu rechnen sei (vgl. die dort unter II. 2. a genannten Beispiele).

Diese Voraussetzung war hier nicht erfüllt. Vermögenslosigkeit in diesem Sinne liegt dann vor, wenn die GmbH über kein oder nur noch über ein geringfügiges Aktivvermögen verfügt (zur gesellschaftsrechtlichen Vollbeendigung in diesem Fall vgl. den Streitstand bei Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 17. Aufl., § 60 Rz. 6, 7, und Anhang zu § 77 Rz. 5, m.w.N.; , BFHE 148, 158, BStBl II 1987, 310, unter II. B. 2. der Gründe; vom VIII R 36/00, BFHE 197, 394, BStBl II 2002, 731, unter II. 2. b der Gründe). Keine Vermögenslosigkeit in diesem Sinne ist die Überschuldung einer Kapitalgesellschaft; eine Überschuldung auf der Basis der Bewertung zu Verkehrswerten dokumentiert zwar, dass die Gesellschaft per Saldo vermögenslos ist, weil ihre Aktivwerte die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr decken; sie führt aber —bei Eröffnung eines Konkursverfahrens— lediglich zur Auflösung der Gesellschaft (für GmbH § 60 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung —GmbHG—), nicht aber zu ihrer Vollbeendigung.

Im Streitfall war die GmbH am noch nicht vermögenslos. Sie war lediglich überschuldet.

bb) Der erkennende Senat hat darüber hinaus in seinem Urteil in BFHE 197, 394, BStBl II 2002, 731 (dort unter II. 2. c der Gründe) ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der besonderen Zwecksetzung des § 17 EStG eine Kapitalgesellschaft trotz der vorhandenen Aktivwerte auch dann als vermögenslos behandelt werden könne, wenn der wesentlich beteiligte Gesellschafter mit einer Auskehrung vom Gesellschaftsvermögen im Rahmen der Vermögensverteilung nach § 72 GmbHG nicht mehr rechnen konnte. Entscheidend für diese Beurteilung ist, wie sich die Vermögenslage auf der Ebene der Gesellschaft darstellt und wie sie sich in dem für die Gesellschaft günstigsten Fall entwickeln wird. Ist danach eine Auskehrung vom Gesellschaftsvermögen ausgeschlossen, liegt auch der Zeitpunkt der Entstehung des Auflösungsverlustes fest, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

- Bei einer Auflösung der Gesellschaft wegen Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen muss die Möglichkeit ausgeschlossen sein, dass die Gesellschaft nach Abschluss eines Zwangsvergleichs fortgeführt wird (BFH-Urteil in BFHE 191, 115, BStBl II 2000, 343, unter II. 2. b bb und c der Gründe). Solange diese Möglichkeit besteht, ist auch nach Konkurseröffnung das zukünftige Schicksal der Gesellschaft noch ungewiss.

- Es muss absehbar sein, ob und in welcher Höhe den Gesellschaftern noch nachträgliche Anschaffungskosten oder sonstige im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG zu berücksichtigende Veräußerungs- oder Aufgabekosten anfallen werden; insofern dürfen keine wesentlichen Änderungen mehr eintreten (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. Senatsurteil in BFHE 197, 394, BStBl II 2002, 731, unter II. 2. der Gründe). Zu der Beurteilung der Vermögenslage auf der Ebene der Gesellschaft muss also die Beurteilung der Vermögenslage auf der Ebene des Gesellschafters hinzutreten.

cc) Im Streitfall ließ sich die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten der Klägerin auf ihre Beteiligung am noch nicht absehen.

In diesem Zeitpunkt war noch eine Klage des Konkursverwalters gegen die Klägerin wegen einer rückständigen, durch ihre Beteiligung an der GmbH veranlassten Forderung anhängig, über deren Ausgang der Konkursverwalter noch im Schreiben vom nichts sagen konnte. Die Forderung war zwar —nach der Darstellung der Klägerin wegen ihrer Mittellosigkeit— letztlich nur noch zu einem kleineren Teil zu realisieren; Einzelheiten zu Art und Umfang dieser Mittellosigkeit waren aber weder vorgetragen noch erkennbar. Fest steht nur, dass die Klägerin im März 1997 aufgrund des Vergleichs noch 10 000 DM an den Konkursverwalter bezahlt hat.

Diese durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Zahlung führte zu nachträglichen Anschaffungskosten der Klägerin auf ihre Beteiligung. Dagegen durften nachträgliche Anschaffungskosten nicht berücksichtigt werden, soweit sie mittellos im Sinne von zahlungsunfähig war und sie sich die erforderlichen Mittel auch nicht beschaffen konnte (vgl. dazu , BFHE 186, 194, BStBl II 1998, 660). Was die Klägerin noch leisten konnte und wie sich ihre Leistungsfähigkeit auf den Zeitpunkt und die Höhe des Vergleichs auswirken würde, war 1996 noch nicht abzusehen.

Die Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der Aufwendungen, die dem Gesellschafter nach Auflösung der Gesellschaft entstehen, rückwirkende Ereignisse i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) sein können, führt im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis. Sie betrifft Aufwendungen, die bei der Ermittlung des Auflösungsverlustes noch nicht berücksichtigt werden konnten und deshalb in das Jahr der Entstehung dieses Verlustes zurückzubeziehen sind. Sie setzt voraus, dass der Stichtag, zu dem dieser Verlust realisiert ist, bereits feststeht (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 197, 394, BStBl II 2002, 731, unter II. 2. d bb der Gründe).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 1305
DStRE 2003 S. 1025 Nr. 17
GAAAA-71305