Voraussetzungen für Vorsteuerabzug aus Rechnungen von Domizilgesellschaften
Gesetze: UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bediente sich bei der Ausführung von Bauleistungen der englischen Gesellschaft L und der irischen Gesellschaft T. Die in den Rechnungen von L und T an die Klägerin über Maurerarbeiten ausgewiesene Umsatzsteuer führte die Klägerin an den Beklagten und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) ab. Damit folgte sie einem entsprechendem Hinweis auf den Rechnungen.
Den Abzug der in den erwähnten Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuer als Vorsteuer lehnte das FA in den angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheiden für 1993 und 1994 ab, weil L und T keine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet und als Domizilgesellschaften die berechneten Bauleistungen nicht erbracht hätten.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren führte die von der Klägerin erhobene Klage zur Anerkennung des begehrten Vorsteuerabzugs.
Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung u.a. aus, L und T seien als Lieferanten der Klägerin anzusehen, weil sie mit ihr schriftliche Subunternehmerverträge geschlossen hätten. Vertragsabschlüsse mit ”sonstigen Hintermännern” seien nicht feststellbar. Die Behauptung des FA, dass L und T die abgerechneten Leistungen nicht erbracht hätten, sei nicht bewiesen worden.
Der Vorsteuerabzug sei selbst dann berechtigt, wenn L und T nicht die wirklichen Leistenden gewesen seien, weil der eindeutigen und leichten Bestimmbarkeit des leistenden Unternehmers im Abzugsverfahren nicht die gleiche Bedeutung wie im allgemeinen Besteuerungsverfahren zukomme, wenn die gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer von dem Leistungsempfänger an das Finanzamt abgeführt worden sei. Dadurch sei das inländische Steueraufkommen sichergestellt und der Leistungsempfänger werde weitgehend von der Prüfung der steuerlichen Verhältnisse des im Ausland ansässigen Unternehmers entbunden. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 937 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung von § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), weil ein Vorsteuerabzug u.a. eine Rechnung voraussetze, in der der leistende Unternehmer über die von ihm erbrachte steuerpflichtige Leistung abrechne. Zweifel, ob diese Voraussetzungen vorhanden seien, wirkten sich zum Nachteil des Unternehmers aus, der den Vorsteuerabzug begehre.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.
II. Die Revision ist unbegründet. Die Vorentscheidung hält den Angriffen der Revision stand.
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen: die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.
1. Diese Voraussetzungen liegen nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des FG vor.
Das FG konnte aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) zu dem Ergebnis gelangen, dass die Klägerin von L und T Rechnungen über Bauleistungen erhalten hat, die diese Rechnungsaussteller erbracht haben. Das FG hat dies —revisionsrechtlich nicht zu beanstanden— nachvollziehbar daraus geschlossen, dass die abgerechneten Leistungen wirklich ausgeführt worden waren und dass sich L und T schriftlich verpflichtet hatten, diese Leistungen zu erbringen. Die Klägerin hatte Zahlungen auf die Rechnungen an L und T geleistet und die Rechnungsaussteller waren ihr gewährleistungspflichtig.
Gegen die Darlegungen des FA, dass L und T zur Leistung nicht in der Lage gewesen seien, hat das FG schlüssig darauf hingewiesen, dass sie sich dafür weiterer Subunternehmer bedienen konnten. Nachdem das FG keine Anhaltspunkte dafür hatte feststellen können, dass die abgerechneten Leistungen von ”sonstigen Hintermännern” erbracht worden waren, hatte es die Überzeugung gewonnen, dass die geschilderten Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorlagen und dass die Klägerin deshalb berechtigt war, die gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer abzuziehen.
2. Die Begründung des FG für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG stimmt mit den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen überein. Danach müssen insbesondere Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer grundsätzlich identisch sein und die Angaben im Abrechnungspapier müssen eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung des leistenden Unternehmers ermöglichen (ständige Rechtsprechung z.B. , BFHE 194, 270, BFH/NV 2001, 402, und , BFH/NV 2002, 835). Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des FG erfüllt. Selbst wenn die Rechnungsaussteller L und T nur sog. Domizilgesellschaften gewesen wären, ist der Vorsteuerabzug nicht schlechthin ausgeschlossen. Nach den Umständen des Einzelfalls kann auch ein ”Briefkasten-Sitz” mit postalischer Erreichbarkeit der Gesellschaft ausreichen; es bedarf deshalb besonderer, detaillierter Feststellungen, um die Annahme eines ”Scheinsitzes” zu rechtfertigen (vgl. Senatsurteil vom V R 51/93, BFHE 181, 197, BStBl II 1996, 620). Derartige Feststellungen fehlen im Streitfall.
3. Die Vorentscheidung beruht auch nicht auf einer Verkennung der Beweislast. Die Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen hat das FG durch die Würdigung der vorhandenen Beweisanzeichen gewonnen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Wenn die Beweiswürdigung, wie hier, weder gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ist sie revisionsrechtlich unangreifbar (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 2002, 1).
Die Anwendung der Regeln der Feststellungslast (objektive Beweislast) setzt voraus, dass eine nicht behebbare Ungewissheit besteht und dass das FG sich aufgrund der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Erkenntnisse keine Überzeugung von dem Geschehensablauf bilden kann (, BFHE 143, 71, 73, BStBl II 1985, 308, m.w.N.). Dies erfordert zum einen, dass das FG zunächst zur Klärung der streitigen Sachverhaltsfrage alle zu Gebote stehenden Beweismittel ausschöpft (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 96 Rdnr. 22, m.w.N.) und dann nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu dem Ergebnis kommt, dass sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weder feststellen lässt, dass der streitige Sachverhalt vorliegt, noch dass er nicht vorliegt (, BFH/NV 1997, 681).
Diese Grundsätze hat das FG beachtet. Da sich das FG eine eindeutige Überzeugung vom Ablauf des Sachverhalts gebildet hatte, brauchte es somit nicht —wie bei einer Beweislastentscheidung vorausgesetzt— zu entscheiden, wen der Nachteil trifft, wenn Tatsachen nicht bewiesen werden können.
4. Auf die Hilfsbegründung des FG braucht der Senat nicht einzugehen.
5. Der Senat kann entscheiden, ohne den Ausgang des Vorlageverfahrens (, BFHE 197, 322, Umsatzsteuer-Rundschau 2002, 226) abzuwarten, weil die Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG —wie unter 1. dargestellt— festgestellt worden sind.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 948
BFH/NV 2003 S. 948 Nr. 7
KÖSDI 2003 S. 13831 Nr. 8
EAAAA-70714