Vorsteuerabzug bei Erwerb eines Gebäudes auf gepachtetem Grundstück von einem illiquiden Veräußerer
Gesetze: UStG §§ 15, 9, § 4 Nr. 9a
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH (B-GmbH), die ihre gewerbliche Tätigkeit zum aufgenommen hat. Gegenstand des Unternehmens sind Kfz-Inspektionen, Wartungs- und Bremsendienste, Kfz- und Reifenhandel sowie der Vertrieb, die Herstellung und die Bearbeitung artverwandter Waren und Gerätschaften. Das Stammkapital der Klägerin beträgt 100 000 DM. Es wird gehalten von Frau AB (40 000,00 DM), Herrn BB (30 000,00 DM) und Herrn CB (30 000,00 DM). Zum Geschäftsführer ist der Ehemann von AB, Herr DB, bestellt.
DB war darüber hinaus auch Geschäftsführer einer weiteren Gesellschaft, der Reifenhandel-GmbH. Die Reifenhandel-GmbH hatte im Jahre 1982 ein Grundstück gemietet und darauf in den Jahren 1983 und 1984 ein Bürogebäude samt Hallenüberdachung errichtet. Eigentümerin des Grundstücks war seit dem AB; bis dahin hatte das Grundstück den Eheleuten AB und DB je zur Hälfte gehört. Nach dem Mietvertrag, der noch die Eheleute AB und DB als Vermieter bezeichnet, war dem Vermieter bekannt, dass die Mieterin beabsichtigte, auf dem vermieteten Grundstück ein Bürogebäude mit Hofüberdachung zu errichten; die Mieterin sollte berechtigt sein, die zu errichtende Anlage zu ändern oder zu ergänzen. Der Mietvertrag wurde auf die Dauer von 20 Jahren geschlossen; die Mieterin konnte die zweimalige Verlängerung um jeweils fünf Jahre verlangen; sie war berechtigt, an ihre Stelle eine neu zu gründende gleichwertige Gesellschaft oder einen sonstigen Dritten als Vertragspartner treten zu lassen; der Vermieter verpflichtete sich, diese Vertragsübernahme, insbesondere die befreiende Schuldübernahme, durch den Dritten zu genehmigen. Der Mieterin wurde gestattet, das Grundstück auch ohne Genehmigung des Vermieters unterzuvermieten; ihr oblag es, das Grundstück samt der zu errichtenden Bauten und Anlagen zu unterhalten. Nach § 6 des Mietvertrags sollte der Vermieter der Mieterin bzw. ihrem Rechtsnachfolger für die vereinbarte Dauer des Mietverhältnisses an dem Grundstück eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit dergestalt einräumen, dass die Mieterin das Recht hat, die Mieträume als Kfz-Reifenhandel zu nutzen. Tatsächlich unterblieb die Bestellung dieser Dienstbarkeit.
Die Reifenhandel-GmbH errichtete das Bürogebäude in den Jahren 1983 und 1984 und machte dafür Vorsteuerbeträge in Höhe von insgesamt 77 105,86 DM geltend.
Im Dezember 1985 teilte die Reifenhandel-GmbH den Eheleuten B mit, dass sie das Mietverhältnis kündige und dass gemäß §§ 5 bis 7 des Mietvertrages die Klägerin sowohl den Betrieb als auch das bestehende Mietverhältnis übernehme. Die Eheleute B bestätigten die Kündigung.
Mit der Übernahme des Betriebs Anfang 1986 erwarb die Klägerin von der in Liquidation befindlichen Reifenhandel-GmbH sämtliche Fahrzeuge (für 50 160 DM brutto), die Warenbestände (für 651 255,78 DM brutto) und auch das Bürogebäude mit Hallenüberdachung (für 638 400 DM brutto). Des Weiteren übernahm die Klägerin auch die Lieferantenverbindlichkeiten der Reifenhandel-GmbH. Diese überstiegen die Kaufpreisforderungen der Reifenhandel-GmbH gegen die Klägerin um 358 092,93 DM.
Die Reifenhandel-GmbH war zu diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig. Liquidator war der bisherige Geschäftsführer, DB, der zuvor bereits die eidesstattliche Versicherung für die Reifenhandel-GmbH abgegeben hatte. Die Klägerin setzte den Betrieb der Reifenhandel-GmbH fort und führt ihn auch heute noch.
Über die Veräußerung des Bürogebäudes samt Hallenüberdachung stellte die Reifenhandel-GmbH unter dem Datum des eine Rechnung aus. Der Nettobetrag wurde mit 560 000 DM angegeben; Umsatzsteuer wurde in Höhe von 78 400 DM (14 %) offen ausgewiesen. Die Rechnung enthielt zusätzlich den Vermerk:
”Auf den Kaufpreis werden angerechnet:
Übernahme Darlehen ...... Nr. 2228211
Übernahme Darlehen ...... Nr. 2228212
Bürgschaftsverpflichtung aus Darlehen ...... Nr. 2228213.”
Die Reifenhandel-GmbH meldete die Umsätze aus den Verkäufen zunächst nicht zur Umsatzsteuer an; sie wurden erst im Jahre 1987 im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung erfasst.
Mit Umsatzsteuererklärung vom machte die Klägerin für das Streitjahr 1986 Umsätze von 2,9 Mio. DM und abziehbare Vorsteuerbeträge von insgesamt 529 459,08 DM geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) forderte die Klägerin wiederholt auf, diesen Betrag aufzuschlüsseln; es müsse festgestellt werden, ob darin die Umsatzsteuer aus dem Erwerb des Bürogebäudes in Höhe von 78 400 DM enthalten sei. Da die Klägerin hierauf nicht reagierte, kürzte das FA mit Bescheid vom die Vorsteuerbeträge um 78 400 DM.
Einspruch und Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid vom hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, dass die Reifenhandel-GmbH der Klägerin das Gebäude unter Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG 1980) geliefert habe, der Klägerin aber der Vorsteuerabzug wegen Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nach § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) zu versagen sei.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der —vom FG zugelassenen— Revision. Sie beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Umsatzsteuerbescheid für 1986 vom dahin gehend zu ändern, dass das Umsatzsteuerguthaben von 34 901,40 DM um Vorsteuer in Höhe von 78 400 DM auf insgesamt 113 301,40 DM zu erhöhen ist.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbetrag abziehen.
Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt.
Die Klägerin ist Unternehmerin.
Die Reifenhandel-GmbH hat der Klägerin das Gebäude gegen die Übernahme von Schulden in Höhe von 638 400 DM als Gegenleistung geliefert. Diese Sachverhaltswürdigung des FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Reifenhandel-GmbH hat der Klägerin die Verfügungsmacht an dem Gebäude verschafft (§ 3 Abs. 1 UStG 1980). Der Mieter oder Pächter, der auf dem gemieteten oder gepachteten Grundstück ein Gebäude auf eigene Rechnung errichtet und für Zwecke seines Unternehmens nutzt, ist als Eigentümer des Gebäudes über dieses verfügungsberechtigt, wenn er das Gebäude gemäß § 95 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden hat. Aber auch dann, wenn er das Gebäude nicht nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden hat und es gemäß § 94 BGB in das Eigentum des Grundstückseigentümers fällt, kann dem Mieter oder Pächter die Verfügungsmacht an dem von ihm errichteten und genutzten Gebäude zustehen (vgl. Bundesfinanzhof —, BFH/NV 1993, 634, und vom XI R 83/96, BFH/NV 1998, 749, und zur Vermietung von Gebäuden auf fremdem Grund und Boden Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften —EuGH— vom Rs. C-315/00, Maierhofer, BFH/NV 2003, 104, Beilage 2). Wird das Pachtverhältnis mit dem alten Pächter beendet und mit einem neuen Pächter weitergeführt, kann der alte Pächter die Verfügungsmacht an dem Gebäude dem neuen Pächter übertragen (vgl. zur Grunderwerbsteuer Viskorf in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 15. Aufl., § 2 Rz. 180). So war es nach den Feststellungen des FG im Streitfall.
Die Grundstückslieferung war zwar nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980 i.V.m. § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) steuerfrei; die Reifenhandel-GmbH hatte jedoch auf die Steuerfreiheit gemäß § 9 UStG 1980 verzichtet. Sie hatte der Klägerin über die Lieferung eine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer erteilt.
2. Ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO 1977 ist zu verneinen.
Nach dieser Vorschrift kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Missbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
Für die Frage, ob der Klägerin eine missbräuchliche Gestaltung mit der sich aus § 42 Satz 2 AO 1977 ergebenden Rechtsfolge entgegengehalten werden kann, ist auf die Verhältnisse in ihrer Person abzustellen; denn § 42 AO 1977 betrifft nach Wortlaut und systematischer Stellung (im Abschn. Steuerschuldverhältnis, §§ 37 bis 50 AO 1977) den Steueranspruch aus dem konkreten Steuerschuldverhältnis des einzelnen Steuerpflichtigen.
Der Vorsteuerabzug durch einen Grundstückserwerber ist grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der insolvente Veräußerer die Grundstückslieferung als steuerpflichtig behandelt, aber die geschuldete Umsatzsteuer nicht entrichtet; vielmehr soll der Verzicht auf die Steuerbefreiung dem Erwerber den Vorsteuerabzug regelmäßig gerade ermöglichen (vgl. , BFHE 173, 468, BStBl II 1994, 487, mit weiteren Nachweisen).
Der Senat hat einen Missbrauch beim Erwerber allerdings für den Fall bejaht, dass dieser den vereinbarten Kaufpreis (einschließlich Umsatzsteuer) dem Verkäufer gar nicht auszahlt, sondern mit eigenen —infolge der wirtschaftlichen Situation des Veräußerers notleidenden— Gegenforderungen verrechnet (vgl. Urteile vom V R 70/89, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866; vom V R 3/93, BFH/NV 1994, 745). Bei einer derartigen Gestaltung wird der Fiskus in Höhe des geltend gemachten Vorsteueranspruchs im wirtschaftlichen Ergebnis vom Erwerber zur Erfüllung seiner wertlosen oder jedenfalls gegenwärtig nicht vollwertigen Forderung gegen den überschuldeten Veräußerer herangezogen. Der Grundstückserwerber will, wirtschaftlich gesehen, insoweit seine notleidende Forderung gegenüber dem Veräußerer gegen einen sicher realisierbaren Vorsteuerabzugsanspruch austauschen. Dies geschieht auf Kosten des Fiskus, der von einer Erhebung der entsprechenden Umsatzsteuer bei dem überschuldeten Leistenden infolge der Verrechnung des Kaufpreisanspruches seitens des Erwerbers praktisch ausgeschlossen ist (BFH in BFHE 173, 468, BStBl II 1994, 487).
Außerdem hat der Senat beim Erwerber einen Missbrauch für möglich gehalten, wenn ein insolventer Grundstücksveräußerer eine Grundstückslieferung aufgrund einer nachträglich vereinbarten Erhöhung der Gegenleistung als steuerpflichtig behandelt und wenn mit dem zusätzlichen Kaufpreis Gläubiger des Veräußerers befriedigt werden, denen der Erwerber selbst für die auf diese Weise erfüllten Ansprüche einzustehen hatte (, BFHE 180, 199, BStBl II 1996, 491). Einen ungerechtfertigten Steuervorteil zieht der BFH in einem derartigen Fall in Betracht, wenn der Erwerber durch die Entrichtung der ihm in Rechnung gestellten Umsatzsteuer an den Veräußerer bloß einen Betrag zahlt, den er ohnehin aufgrund der Bürgschaft oder der dinglichen Belastung des Grundstücks zugunsten der Gläubiger zahlen musste. Er hätte dann infolge der nachträglichen Abänderung des notariell beurkundeten Vertrages über den Grundstückserwerb einen Vorsteuerabzug ohne entsprechenden zusätzlichen Aufwand erlangt.
Ein derartiger Sachverhalt ist im Streitfall nicht gegeben. Die Klägerin hat als Gegenleistung für den Erwerb des Gebäudes und den damit verbundenen Vorsteuerabzug die in der Rechnung genannten Schulden der Reifenhandel-GmbH übernommen. Insofern ist bei ihr ein tatsächlicher Aufwand im o.g. Sinne entstanden.
Es mag zwar sein, dass die Klägerin aufgrund der Übernahme des Geschäfts der Reifenhandel-GmbH ohnehin wirtschaftlich gezwungen war, die Verbindlichkeiten der Reifenhandel-GmbH zu übernehmen. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin und die Reifenhandel-GmbH den Preis für das Gebäude wegen dieser Schuldübernahme künstlich um die Umsatzsteuer aufgebläht haben; vielmehr war die Option zur Umsatzsteuer zur Vermeidung einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 1980 sinnvoll. Sie ist nicht lediglich oder auch nur hauptsächlich erfolgt, um der Klägerin zu ermöglichen, die übernommenen Schulden auf Kosten des Fiskus zu tilgen.
Der Streitfall unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Grundfall, in dem ein insolventer Grundstücksveräußerer ein Grundstück unter Verzicht auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980 verkauft und das FA leer ausgeht, weil die sonstigen Gläubiger der Verkäufer auf den Kaufpreis zugreifen. In derartigen Fällen ist grundsätzlich kein Rechtsmissbrauch gegeben (BFH in BFHE 173, 468, BStBl II 1994, 487).
Hinzu kommt, dass im Streitfall eine Haftung der Klägerin nach § 75 AO 1977 für die Umsatzsteuerschuld der Reifenhandel-GmbH in Frage kam, so dass die Versagung des Vorsteuerabzugs zu einer systemwidrigen Kumulierung der Umsatzsteuer hätte führen können. Dass der Haftungsbescheid —wie das FA vorträgt— aus formellen Gründen keinen Bestand hatte, ändert an der materiellen Rechtslage nichts. Ab hat sich die Rechtslage ohnehin dadurch verändert, dass Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung nicht mehr der Umsatzsteuer unterliegen (§ 1 Abs. 1 a UStG 1980).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 1224
BFH/NV 2003 S. 1224 Nr. 9
JAAAA-70708