Rechtmäßigkeit des Tarifs für betriebliche Veräußerungsgewinne für die Kj 1999 und 2000 nicht ernstlich zweifelhaft
Gründe
Die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller), zusammen veranlagte Eheleute, begehren die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines auf einen Veräußerungsgewinn entfallenden Teilbetrags der Einkommensteuer 2000 zuzüglich Solidaritätszuschlag.
Der Antragsteller veräußerte zum seine Steuerberaterpraxis und erzielte daraus einen Veräußerungsgewinn von 260 352 DM. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) unterwarf diese Einkünfte dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr 2000 geltenden Fassung (sog. 1/5-Regelung). Gegen den betreffenden Einkommensteuerbescheid vom erhoben die Antragsteller Einspruch und begehrten eine Besteuerung mit dem halben Steuersatz i.S. der Fassung des § 34 Abs. 1 EStG vor 1999. Zugleich beantragten sie die AdV des streitigen Einkommensteuerbetrags von 19 670 DM zuzüglich Solidaritätszuschlag von 1 081,85 DM. Weder Aussetzungsantrag noch Einspruch hatten Erfolg.
Nach Erhebung der Klage beantragten die Antragsteller zunächst erneut erfolglos AdV beim FA. Der daraufhin beim Finanzgericht (FG) gestellte Aussetzungsantrag hatte Erfolg. Das FG stützte sich dazu auf einen (E) (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2002, 457), das Rechtmäßigkeitszweifel geäußert habe, weil es verfassungsrechtlich geboten sei, die Neuregelung des § 34 Abs. 3 EStG 2001 auch auf Veräußerungsgewinne des Jahres 2000 anzuwenden. Weil über die insoweit beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegte Beschwerde (im Verfahren X B 28/02) noch nicht entschieden sei, bestehe Unsicherheit in der Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfragen.
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde macht das FA geltend, der BFH habe bereits im Verfahren XI B 68/02 durch Beschluss vom (BFH/NV 2002, 1568) entschieden, dass § 34 Abs. 1 EStG in der für 1999 und 2000 geltenden Fassung nicht gegen Art. 3 und 20 des Grundgesetzes (GG) verstoße.
Das FA beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antrag auf AdV abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entgegen der Auffassung des XI. Senats des BFH in BFH/NV 2002, 1568, der sich der X. Senat im Beschluss vom X B 28/02 (BFH/NV 2003, 471) angeschlossen habe, sei der Gesetzgeber verpflichtet gewesen, für die Besteuerung der Veräußerungsgewinne in den Jahren 1999 und 2000 eine schonende Übergangsregelung zu schaffen. Zu diesem Ergebnis komme auch Arndt in seinem Gutachten „Unternehmenssteuerreform und Verfassungsrecht„.
Der XI. und X. Senat des BFH stellten in ihren Entscheidungen maßgeblich auf den Systemwechsel im Zuge der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens ab. Sie berücksichtigten dabei nicht, dass der Gesetzgeber die Besteuerung mit dem halben Steuersatz abgeschafft und damit ein gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßendes, weil echt zurückwirkendes, Gesetz erlassen habe. Die Neuregelung führe zu einer Versteuerung von Wertzuwächsen, die nahezu ausnahmslos in früheren Jahren erzielt worden seien.
Schon nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bedürfe es besonderer Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändere. In seiner neueren Rechtsprechung richte das BVerfG den Vertrauensschutz nicht an dem Jährlichkeitsprinzip, sondern an dem Schutz der wirtschaftlichen Disposition aus, wenn das Gesetz Dispositionsbedingungen schaffe, an denen der Bürger sein Verhalten ausrichte (, BVerfGE 97, 67).
Bei der danach vorzunehmenden Interessenabwägung ergebe sich, dass die Planungssicherheit des Antragstellers das Änderungsinteresse des Gesetzgebers überwiege. Die Besteuerung mit dem halben Steuersatz habe weitgehend unverändert seit 1971 gegolten. Die Inhaber von Betrieben und auch der Antragsteller hätten ihre Planungen, insbesondere ihre Altersversorgung daran ausgerichtet. Wer wie der Antragsteller in den Jahren 1999 und 2000 einen Veräußerungsgewinn realisiert habe, habe sich auf die neue Rechtslage nicht einstellen können, selbst wenn er Ende 1998 mit einer Neuregelung gerechnet hätte. Bei rechtzeitiger Kenntnis von der Rechtsänderung hätte der Verkauf in das Jahr 1998 vorverlagert werden können. Vertrauensschutz und Kontinuitätsgewähr forderten den Fortbestand der bisherigen Regelung, mindestens aber eine schonende Übergangsregelung, auf Grund deren Veräußerungsgewinne für eine gewisse Zeit nach der Altregelung besteuert würden.
Auch auf die zweite, ab 2001 geltende Rechtsänderung, die die ursprüngliche Rechtslage nahezu vollständig wiederhergestellt habe, hätten sich die betroffenen Steuerpflichtigen nicht einstellen können. Der Antragsteller hätte leicht den Verkauf verschieben können, wenn er geahnt hätte, dass der Gesetzgeber seine Fehlentscheidung nur einige Monate nach der geplanten Veräußerung korrigieren würde. So müsse sich der Antragsteller nicht als planender und disponierender Staatsbürger, sondern als Objekt willkürlicher Belastungen fühlen.
Das Gebot der Kontinuitätsgewähr als Bestandteil des Vertrauensschutzes verbiete es dem Gesetzgeber, sich in Widerspruch zu seinen vorangegangenen Regelungen zu setzen und Gesetzesvertrauen durch abrupte Kursänderungen zu enttäuschen. Vertrauensschutz und Dispositionsfreiheit hingen untrennbar zusammen.
Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass der Gesetzgeber bei einem Systemwechsel größere Freiheiten habe. Die Umstellung vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren sei nicht ohne Vorlauf erfolgt. Bereits bei Änderung des § 34 EStG zu Beginn des Jahres 1999 hätte sich der Gesetzgeber Gedanken im Hinblick auf den Systemwechsel machen müssen.
Deshalb wäre der Gesetzgeber zu einer Übergangsregelung verpflichtet gewesen. Sein Versäumnis habe zur Folge, dass während der Jahre 1999 und 2000 die bis Ende 1998 geltende Regelung weiter anzuwenden sei.
Die Beschwerde des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Ablehnung des Antrags auf AdV. Nach Auffassung des Senats bestehen keine ernstlichen Zweifel i.S. des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids.
1. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom IV B 163/02 (BFH/NV 2003, 777) ausgeführt, dass der Gesetzgeber weder verpflichtet war, an der Besteuerung mit dem halben Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG in der vor 1999 geltenden Fassung festzuhalten, noch die seit 2001 geltende Regelung des § 34 Abs. 3 EStG auf die Veranlagungszeiträume 1999 und 2000 zurückbeziehen musste. Dabei hat sich der beschließende Senat ausdrücklich der Auffassung des XI. Senats in BFH/NV 2002, 1568 und des X. Senats in BFH/NV 2003, 471 angeschlossen (so ebenfalls der III. Senat mit Beschluss vom III B 130/02, BFH/NV 2003, 773, und der VIII. Senat mit Beschluss vom VIII B 253/02, BFH/NV 2003, 624). Die Ausführungen der Antragsteller enthalten keine weiteren Argumente, auf die in den genannten Entscheidungen nicht schon eingegangen worden wäre.
2. Soweit die Antragsteller darauf verweisen, dass die Planungen für die Altersvorsorge auf der Grundlage der bisherigen Besteuerung des Veräußerungsgewinns mit dem halben Steuersatz erfolgt seien, kann dies im Rahmen der AdV des Einkommensteuerbescheids keine Berücksichtigung finden. Sollte die Besteuerung mit dem halben Steuersatz aber nachweislich konkret in das Konzept der Altersversorgung einbezogen worden sein und der Wegfall dieses Besteuerungsverfahrens zu einer gravierenden Gefährdung der Altersversorgung geführt haben, käme nach dem Senatsbeschluss in BFH/NV 2003, 777 ein Steuererlass im Billigkeitsweg in Betracht. Einen entsprechenden Antrag haben die Antragsteller nach Aktenlage bereits gestellt, ohne allerdings nähere Angaben zum Aufbau ihrer Altersversorgung gemacht zu haben. Nach entsprechender Ergänzung des Vorbringens der Antragsteller wird das FA über den Erlassantrag unter Beachtung des Beschlusses in BFH/NV 2003, 777 entscheiden müssen.
Fundstelle(n):
PAAAA-70463